718 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXV. GP

 

Bericht

des Justizausschusses

über die Regierungsvorlage (688 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, das Anerbengesetz, das Außerstreitgesetz, das Gerichtsgebührengesetz, das Gerichtskommissärsgesetz, das Gerichtskommissionstarifgesetz, das allgemeine Grundbuchsgesetz 1955, das IPR-Gesetz, die Jurisdiktionsnorm, das Kärntner Erbhöfegesetz 1990, die Notariatsordnung, das Rechtspflegergesetz, das Tiroler Höfegesetz, das Wohnungseigentumsgesetz 2002 und die Kaiserliche Verordnung über die dritte Teilnovelle zum allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch geändert werden (Erbrechts-Änderungsgesetz 2015 – ErbRÄG 2015).

 

Die erbrechtlichen Bestimmungen des ABGB stammen großteils aus dem Jahr 1811. Nicht nur sprachlich, sondern auch in seinen Regelungsinhalten muss das Erbrecht an die geänderten Bedürfnisse des 21. Jahrhunderts herangeführt werden. Hier ist insbesondere die im Vergleich zur Zeit der Entstehung des ABGB deutlich gestiegene Lebenserwartung der Menschen zu erwähnen, die dazu führt, dass potenzielle Erben oder Pflichtteilsberechtigte um einiges älter sind als damals und allenfalls weniger der materiellen Versorgung durch das Erbrecht bedürfen.

Die Modernisierung soll aber mit Augenmaß erfolgen. Änderungen sollen nur dort erfolgen, wo sie wirklich nötig sind, sei dies weil das Gesetz verständlicher werden kann, sei dies weil die gesellschaftliche Entwicklung andere Lösungen für erbrechtliche Fragen nahe legt. Auf die Wahrung einer kontinuierlichen Rechtsentwicklung wird besonders geachtet, was sich auch daran zeigt, dass ganz überwiegend die herrschende Rechtsprechung kodifiziert wird.

Die erbrechtlichen Bestimmungen sollen möglichst behutsam – das heißt grundsätzlich unter Wahrung ihres bisherigen Regelungsgehalts – an die moderne Sprache angepasst werden. Damit soll auch die nicht mit dem Erbrecht vertraute Bevölkerung das Gesetz (wieder) besser verstehen können. Aus den Noterben werden die Pflichtteilsberechtigten, aus der (gemeinen) fideikommissarischen Substitution die Ersatz- bzw. Nacherbschaft und aus dem Legatar der Vermächtnisnehmer. Auch der Begriff „Erblasser“ soll durch den Ausdruck „Verstorbener“ oder „letztwillig Verfügender“ ersetzt werden. Um einen Gleichklang mit dem Verfahrensrecht zu erzielen, wird außerdem durchgehend von der Verlassenschaft gesprochen und auf den Begriff „Nachlass“ verzichtet.

Das Erbrecht ist zum Teil – entsprechend seiner früheren Bedeutung – sehr detailreich geregelt. Heute muss aber zB nicht mehr gesagt werden, was im Zweifel unter einer „Equipage“ zu verstehen ist. Einige Bestimmungen können daher aufgehoben werden, ohne dass dies zur Rechtsunsicherheit führt.

Das Gesetz soll auch insofern aktualisiert werden, als die (von der Lehre gebilligte) Fortentwicklung der 200-jährigen Rechtsprechung im Gesetz in wichtigen Punkten nachzuvollziehen ist. Dies betrifft zB § 812 zur Absonderung der Verlassenschaft und der zu erbringenden Sicherheitsleistung.

Das fremdhändige Testament soll wie bisher vor drei Zeugen errichtet werden können, allerdings soll diese Testamentsform durch verschiedene Maßnahmen fälschungssicherer gestaltet werden. Alternative Formen (assistive Technologien) werden nicht vorgesehen, weil sie nicht ausreichend fälschungssicher sind. Im Hinblick auf die UN-Konvention über den Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen soll die mit der Bestellung eines Sachwalters verbundene Einschränkung auf bestimmte Testierformen entfallen. Nach dem Wegfall des Nottestaments sollen frühere letztwillige Verfügungen im Zweifel aufrecht bleiben. Bei den Testamentszeugen soll das Mindestalter bei Errichtung eines Nottestaments nur noch 14 Jahre (bisher 18 Jahre) betragen. Neu geregelt wird auch die Befangenheit von Testamentszeugen, insbesondere wenn nicht natürliche Personen bedacht werden.

Testamente zu Gunsten des früheren Ehegatten, eingetragenen Partners oder Lebensgefährten sollen nach dem Entwurf als aufgehoben gelten, wenn die Ehe, eingetragene Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft aufgelöst wurde; das Gleiche gilt sinngemäß bei Aufhebung der Abstammung oder Adoption.

Die Schenkung auf den Todesfall soll auch nach dem Tod des Verstorbenen wie ein Vertrag behandelt werden, wenn sich der Geschenkgeber kein Widerrufsrecht vertraglich vorbehalten hat. Entfallen soll auch die Voraussetzung der Aushändigung einer Urkunde.

Als Erbunwürdigkeitsgründe sollen allgemein besonders schwere Verfehlungen gegen den Verstorbenen und Angriffe gegen den letzten Willen gelten; auch strafbare Handlungen gegen nahe Angehörige und die Verlassenschaft sollen erfasst sein. Es soll auch berücksichtigt werden, ob der Verstorbene bei Vorliegen eines Enterbungsgrundes noch enterben konnte. Ist das nicht der Fall, etwa weil er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr testierfähig war, so soll unter bestimmten Voraussetzungen die Erbunwürdigkeit doch noch eine Rolle spielen.

Das Verlassenschaftsverfahren soll als Gelegenheit benützt werden, Pflege, die durch nahe Angehörige am Verstorbenen innerhalb der letzten drei Jahre erbracht wurde, erbrechtlich zu berücksichtigen. Den Angehörigen soll ein Pflegevermächtnis zustehen, dessen Erfüllung der Gerichtskommissär fördert, indem er einen Einigungsversuch unternimmt. Als Grundlage für eine Einigung sollen auch Unterlagen zum Pflegegeld dienen.

Das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten und eingetragenen Partners wird insofern gestärkt, als der Ehegatte oder eingetragene Partner neben den Großeltern alles erben soll und der Pflichtteilsanspruch der Eltern entfällt.

Der Ehegatte oder eingetragene Partner verliert seine erbrechtlichen Ansprüche nur dann, wenn in einem anhängigen Verfahren über die Auflösung der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft bereits eine Vereinbarung über die Aufteilung des Gebrauchsvermögens und der Ersparnisse vorliegt.

Lebensgefährten soll unter bestimmten Voraussetzungen ein außerordentliches Erbrecht zukommen, nämlich vor dem außerordentlichen Erbrecht der Vermächtnisnehmer und der Aneignung durch den Bund (bisher Heimfall an den Staat).

Nach neuem Recht sollen nur noch die Nachkommen und der Ehegatte oder eingetragene Partner pflichtteilsberechtigt sein, die Pflichtteilsberechtigung der Eltern und weiterer Vorfahren des Verstorbenen soll beseitigt werden.

In der Frage, wie der Pflichtteil hinterlassen werden kann, sieht der Entwurf vor, dass die Verwertbarkeit einer Zuwendung keine Voraussetzung für die Deckung des Pflichtteils ist; wenn das als Pflichtteil hinterlassene Vermögen nicht ohne weiteres versilbert werden kann, soll dies bei der Bewertung des Pflichtteils berücksichtigt werden. Das führt etwa dazu, dass auch vinkulierte Unternehmensanteile zur Pflichtteilsdeckung geeignet sein können.

Ist der Pflichtteil nicht durch Zuwendungen auf den Todesfall oder durch Schenkungen zu Lebzeiten des Verstorbenen ausreichend gedeckt, so steht dem Pflichtteilsberechtigten ein Geldpflichtteilsanspruch oder Pflichtteilsergänzungsanspruch zu. Dessen Erfüllung kann er nicht sofort mit dem Tod des Verstorbenen, sondern erst ein Jahr danach fordern. Zusätzlich kann auf Anordnung des Verstorbenen oder auf Verlangen des belasteten Erben der Pflichtteil für die Dauer von fünf Jahren gestundet werden. In besonderen Fällen ist auch eine gerichtliche Verlängerung auf maximal zehn Jahre möglich. Auch die Deckung des Pflichtteils innerhalb von fünf Jahren nach dem Tod des Verstorbenen kann letztwillig angeordnet werden. Das Gericht hat jeweils eine Interessensabwägung durchzuführen. Auch der Unternehmensschutz soll in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden.

Die Enterbungsgründe sollen – im Zusammenspiel, aber ohne allgemeinen Verweis auf die Erbunwürdigkeitsgründe – maßvoll erweitert werden. Auch damit wird die Privatautonomie des letztwillig Verfügenden gestärkt. So sollen auch (mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohte) Straftaten gegen nahe Angehörige erfasst sein. Grobe Verletzungen der Pflichten aus dem Eltern-Kind-Verhältnis sollen ebenso einen Enterbungsgrund bilden. Entfallen soll dagegen der Enterbungsgrund „der beharrlichen Führung einer gegen die öffentliche Sittlichkeit anstößigen Lebensart“.

Die Möglichkeiten, den Pflichtteil auf die Hälfte zu mindern, sollen erweitert werden. Ein über einen längeren Zeitraum (zumindest zwanzig Jahre) fehlender Kontakt, wie er in der Familie zwischen Angehörigen gewöhnlich besteht, soll nunmehr genügen.

Die bisherige Unterscheidung zwischen Schenkungen, Vorempfängen und Vorschüssen bei der Berechnung des Pflichtteils wird aufgegeben; alle Formen unentgeltlicher Zuwendungen unter Lebenden sollen gleich behandelt werden. Die Anrechnung wird begrifflich unterschieden von der Hinzurechnung. Der Verlassenschaft sind zur Berechnung der Pflichtteile alle Zuwendungen hinzuzurechnen, durch die Anrechnung verringert sich der jeweilige Pflichtteil des Zuwendungsempfängers. Für die Hinzu- und Anrechnung von Zuwendungen differenziert der Entwurf auf Grund der Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens wie bisher danach, ob die Zuwendung an eine pflichtteilsberechtigte Person oder an eine andere Person gemacht wurde. Zuwendungen an pflichtteilsberechtigte Personen werden unbefristet hinzu- und angerechnet, Zuwendungen an nicht pflichtteilsberechtigte Personen nur dann, wenn die Zuwendung innerhalb von zwei Jahren vor dem Tod des Verstorbenen wirklich gemacht wurde. Pflichtteilsberechtigte müssen auch wie bisher unbefristet Zuwendungen zur Deckung der Pflichtteile herausgeben, nicht pflichtteilsberechtigte Personen sind wie bisher nach zwei Jahren von dieser Herausgabepflicht befreit. Ausgenommen bleiben weiterhin Zuwendungen ohne Schmälerung des Stammvermögens und Zuwendungen zu gemeinnützigen Zwecken.

Bei der Bewertung von Zuwendungen folgt der Entwurf ausnahmsweise nicht der Rechtsprechung, sprechen doch bessere Gründe für eine Bewertung der Zuwendung zum Schenkungszeitpunkt, begleitet von einer Valorisierung auf den Todeszeitpunkt.

Entsprechend einer Forderung der Lehre soll die Verjährung im Erbrecht neu geregelt werden. Es sollen einheitlich eine kenntnisabhängige kurze Frist (drei Jahre) und eine allgemeine kenntnisunabhängige Frist (30 Jahre) vorgesehen werden.

Die Verordnung (EU) Nr. 650/2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, ABl. Nr. L vom 27.7.2012 S. 107 (im Folgenden EuErbVO), wird mit 17. August 2015 in Kraft treten und damit die einschlägigen Verweisungsnormen des IPRG und die einschlägigen Zuständigkeitsbestimmungen der JN ersetzen. Die Änderungen des IPRG und der JN dienen hauptsächlich der Rechtsbereinigung; Bestimmungen, die durch die Verordnung obsolet werden, werden aufgehoben. Auch die Erwähnung des Europäischen Nachlasszeugnisses (im Folgenden ENZ) unter den öffentlichen Urkunden, auf Grund derer eine Einverleibung stattfinden kann, dient der Klarheit.

Um die Verordnung im Rahmen der österreichischen Rechtsordnung anwenden zu können, bedarf es einiger ergänzender Regelungen: So muss die örtliche Zuständigkeit für die Anpassung dinglicher Rechte (Art. 31 EuErbVO) und für vorläufige Maßnahmen, wenn die inländische Abhandlungszuständigkeit fehlt, bestimmt werden. Weiters ist zu regeln, wie zu verfahren ist, wenn sich ausnahmsweise auch der Erbschaftserwerb nach fremdem Recht richtet und die Verlassenschaft nicht wie sonst nach österreichischem Recht durch Einantwortung übergeht. Soweit darüber hinaus das WEG 2002 unter bestimmten Umständen die öffentliche Feilbietung durch das Verlassenschaftsgericht vorsieht, muss diese Zuständigkeit auf das Grundbuchsgericht übertragen werden, wenn es im Inland kein Verlassenschaftsgericht gibt. Der Entwurf regelt ferner ergänzend die Ausstellung des ENZ: Seine Ausstellung obliegt dem Gerichtskommissär des zuständigen Verlassenschaftsgerichts; fehlt es an Voraussetzungen zu Ausstellung des beantragten ENZ, so hat er dem Gericht vorzulegen, das eine richterliche Entscheidung im Sinn § 1 Abs. 2 Z 1 GKG zu treffen hat.

 

Der Justizausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 24. Juni 2015 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich im Anschluss an die Ausführungen der Berichterstatterin Abgeordneten Mag. Elisabeth Grossmann die Abgeordneten Mag. Dr. Beatrix Karl, Mag. Harald Stefan, Dr. Nikolaus Scherak, Mag. Judith Schwentner, Katharina Kucharowits, Dr. Kathrin Nachbaur, Mag. Albert Steinhauser und Mag. Philipp Schrangl sowie der Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter.

 

Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker und Dr. Johannes Jarolim einen Abänderungsantrag eingebracht, der wie folgt begründet war:

„Zu Z 1 bis 3, 8, 10 und 11:

Durch die Änderungen werden Redaktionsversehen beseitigt.

Zu Z 4:

Mit dieser Änderung soll klargestellt werden, dass der Anteil eines vorverstorbenen Elternteils dem Ehegatten bzw. dem eingetragenen Partner und nicht dem anderen Elternteil zufallen soll.

Zu Z 5 bis 7:

Die Änderungen berücksichtigen, dass die Schenkung auf den Todesfall auch nach dem Tod des Verstorbenen als Vertrag anzusehen ist (§ 603 ABGB). Die Forderung des Geschenknehmers ist daher als Passivum in das Inventar aufzunehmen und unterliegt als Schenkung im Sinn des § 781 ABGB pflichtteilsrechtlich den Regeln über die Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen unter Lebenden.

Zu Z 9:

Die Verweise in § 70 erster Satz NO sollen redaktionell von den §§ 583 und 584 ABGB auf jene Bestimmungen, die die gerichtliche Verfügung regeln, also auf die §§ 581 und 582 ABGB, richtig gestellt werden. Um einen Gleichklang der Vorschriften zur notariellen Verfügung mit jenen Vorschriften zur gerichtlichen Verfügung herzustellen, kann der Verweis auf § 579 ABGB entfallen.“

 

Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des oben erwähnten Abänderungsantrages der Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker und Dr. Johannes Jarolim mit Stimmenmehrheit (dafür: S, V, G, N, dagegen: F, T) beschlossen.

 

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2015 06 24

                       Mag. Elisabeth Grossmann                                              Mag. Michaela Steinacker

                                 Berichterstatterin                                                                           Obfrau