10046/J XXV. GP

Eingelangt am 10.08.2016
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Anfrage

 

der Abgeordneten Georg Willi, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie

betreffend Mitsprache des Bundes bei grundlegenden Standards beim U-Bahn-Bau in Wien, zB in Sachen Barrierefreiheit

 

Der Rechnungshof beschreibt in seinem Bericht zum Bundesrechnungsabschluss für das Jahr 2015 (Textteil Band 3: Ergebnisse der § 9 Prüfungen) auf S. 231f. sehr präzise, auf welcher vertraglichen Basis der Bund den U-Bahn-Bau in Wien zu 50 % mitfinanziert und welche Konsequenzen sich daraus ergaben bzw. ergeben:

 

(1)  Im Zuge einer zur Zeit der Berichtslegung laufenden Gebarungsüberprüfung i.Z.m. dem Ausbau der Wiener U–Bahn stellte der RH fest, dass der Bund sich aufgrund einer zwischen dem Bund und dem Land Wien getroffenen Vereinbarung nach Art. 15a B–VG im Jahr 1979 („Schienenverbundvertrag“) dazu verpflichtet hatte, 50 % der tatsächlichen Investitionskosten für den Ausbau der Wiener U–Bahn zu tragen. Die mit dieser Vereinbarung begründete Zusammenarbeit zwischen dem Bund und dem Land Wien sowie die Kostenteilung zwischen dem Bund und dem Land Wien wurden durch privatrechtliche Übereinkommen fortgesetzt. Mit dem im Juli 2007 unterfertigten Übereinkommen beschlossen die Vertragspartner eine 4. Ausbauphase der Wiener U– Bahn mit Gesamterrichtungskosten in Höhe von rd. 1,846 Mrd. EUR, basierend auf der Preisbasis von 2007. Die beiden Vertragspartner legten weiterhin eine Kostentragung der Planungs– und Investitionskosten einschließlich aller bereits getätigten Vorleistungen im Verhältnis 50:50 fest. Bund und Land Wien beschlossen in Folge in sogenannten „Side Lettern“ Änderungen bzw. Ergänzungen des Übereinkommens. Hinsichtlich der Finanzierung des Bundesbeitrags war in diesen Side Lettern festgelegt, dass die Österreichische Bundesfinanzierungsagentur (OeBFA) den Anteil des Bundes aus den Kassenbeständen des Bundes (UG 51) im jeweils erforderlichen Ausmaß in Form einer Kassenveranlagung des Bundes vorfinanzierte. Die zur Bedeckung der aushaftenden Finanzierungsbeiträge jeweils am 15. Jänner des Folgejahres geleisteten Zahlungen aus dem Budget der UG 41 Verkehr, Innovation und Technologie45 („Jahresrate“) in der vertraglich vereinbarten Höhe (78,0 Mio. EUR im Finanzjahr 2015) reichten in den Jahren 2007 bis 2011 sowie 2013 nicht aus, um 50 % der Investitionskosten abzudecken. Dadurch wuchs der aushaftende Finanzierungsbetrag mit 31. Dezember 2015 auf 283,02 Mio. EUR an. Dieser Betrag entsprach jenen Verbindlichkeiten gem. § 90 und § 91 BHG 2013 i.V.m. § 41 Abs. 3 BHV 2013, die aus dem Titel Ausbau Wiener U–Bahn in der UG 41 nicht erfasst waren.

(2)  Das Land Wien und der Bund kamen überein, dass der aushaftende Finanzierungsbetrag den Wert von 581,38 Mio. EUR nicht überschreiten darf („Vorfinanzierungsrahmen“). Gemäß einer von der OeBFA im Jahr 2014 durchgeführten Vorschaurechnung auf Basis eines U– Bahn– Baukostenplans des Landes Wien sollte der maximal aushaftende Finanzierungsbetrag von rd. 318 Mio. EUR im Jahr 2023 erreicht werden und die letzte Rückzahlung im Jahr 2026 stattfinden.

(3)  (…)

 

Neben den vom Rechnungshof angesprochenen haushaltsrechtlichen Herausforderungen dokumentiert dieser Bericht, dass der Bund laufend und seit langem einen sehr maßgeblichen finanziellen Beitrag zur Errichtung und Weiterentwicklung des Wiener U-Bahn-Netzes leistet.

 

Es müssten mit diesem Beitrag im Sinne der Verpflichtung der öffentlichen Hände zum sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Einsatz der Steuergelder entsprechende Mitgestaltungs- und Kontrollmöglichkeiten verbunden sein.

 

Beispielsweise müsste es dem Bund möglich und auch sachpolitisch ein Anliegen sein, Konflikte zwischen U-Bahn-Ausbau und S-Bahn-Bestand und –Ausbau zu verhindern, wenn er doch zu beiden beträchtliche Summen beiträgt.

Dies scheint jedoch nicht der Fall zu sein. So manifestieren sich derzeit zB im 22. Bezirk Wiens auf Kosten der Fahrgäste entsprechende Konflikte, wenn die in der Vergangenheit nicht gering frequentierte S-Bahn-Station Hausfeldstraße der Linie S80 offenbar dauerhaft zugunsten der zuletzt in Betrieb genommene U-Bahn-Station Hausfeldstraße gesperrt bleiben soll, obwohl die U-Bahn-Linie andere Bezirksteile an diese Station und ihren Einzugsbereich anbindet als die S-Bahn-Linie.

 

Ein weiteres aktuelles und besonders negatives Beispiel ist jedoch der Widerstand der Wiener Linien gegen hinreichende Gewährleistung von Barrierefreiheit im Bereich bestimmter U-Bahn-Knotenpunkte.

So läuft derzeit ein skurriler Streit um die – früher bereits zugesagte – Errichtung eines 2. Liftes bei der am stärksten frequentierten U-Bahn-Station in Wien, jener am Stephansplatz. 230.000 Fahrgäste frequentieren diesen zentralen Netzknoten von U1 und U3 täglich, es gibt aber nur einen sehr engen Lift zur Oberfläche (beim sog. „Haas-Haus“). Dieser ist dem Bedarf längst nicht mehr gewachsen und hat zudem bei den nicht seltenen defekt- und wartungsbedingten Sperren keine Alternative, womit Menschen mit Behinderungen ebenso wie Angehörige mit Kinderwägen, betagtere MitbürgerInnen und die im Wiener Stadtzentrum nicht wenigen Touristen mit größerem Gepäck auf für viele von ihnen unüberwindbare Barrieren am Weg zur U-Bahn stoßen. Die Einschätzung der Wiener Linien in zahlreichen Werbemitteln „Das Wiener U-Bahn-System wurde vollständig barrierefrei gestaltet.“ ist also nur bedingt zutreffend.


Im Zuge der seit längerem geplanten und auch terminisierten (Baubeginn Frühjahr 2017) Oberflächen-Umbauarbeiten am Stephansplatz war nun seitens der Wiener Linien zugesagt, dass ein zweiter Lift errichtet würde, für den es auch mindestens einen gut geeigneten Standort am Rand des Platzes gäbe.

 

Offenbar aus Kostengründen wollen die Wiener Linien diesen 2. Lift nun aber offenbar wieder nicht errichten. Dabei ist das allseitige Entgegenkommen kaum mehr zu übertreffen, so hat sich die Stadtregierung zu höchster planerischer Flexibilität „bis zur letzten Minute“ vor der Ausschreibung der Oberflächenumbauarbeiten im Herbst 2016 bereiterklärt, um den offensichtlich schwerfälligen und langwierigen Entscheidungsprozessen bei den Wiener Linien entgegenzukommen, und zusätzlich hat sich der 1. Bezirk bereit erklärt, 10 % der Kosten (von angeblich knapp 2 Mio. € Gesamterrichtungskosten) zu übernehmen.

 

Erstaunlicherweise scheint das Geld im betreffenden Verkehrsunternehmen jedoch gar nicht so knapp zu sein wie angesichts dieser jahrelangen „Hängepartie“ rund um den 2. Lift zu vermuten wäre: Denn nach Protesten von Betroffenen und Grünen konnte in der ersten Augustwoche 2016 postwendend ein Mitarbeiter im Zwischengeschoss der U-Bahn-Station postiert werden, der offenbar Frequenzzählungen beim Lift vorzunehmen hat. (Dass dies zur Lösung des Problems der gänzlich fehlenden Barrierefreiheit bei den Ausfällen und Wartungsstillständen des einzigen Lifts zur Oberfläche gar nichts beiträgt, wirft ein bezeichnendes Licht auf den Umgang des entsprechenden Verkehrsunternehmens mit den Bedürfnissen seiner KundInnen.)

 

Nach dem Verständnis der Anfragesteller müssten zehn Jahre nach Beschluss des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes – das sich ausdrücklich auch auf die Tätigkeit des Bundes als Träger von Privatrechten erstreckt - und bald ein Jahr nach dem Ablauf der großzügigen Übergangsfrist gewisse Mindeststandards der Barrierefreiheit zwingend mit größeren Finanzierungsleistungen des Bundes für Infrastrukturvorhaben verknüpft sein. Dies umso mehr, als diese Standards sichtlich von manchen Empfängern solcher Zahlungen noch immer nicht von allein zielführend umgesetzt werden.

Die vom Gesetzgeber seinerzeit beschlossenen langen Übergangsfristen sollten nicht zuletzt dazu geführt haben, dass die Erfordernisse der Barrierefreiheit den diversen öffentlichen Händen und Unternehmen im öffentlichen Eigentum langsam aber doch „in Fleisch und Blut“ übergegangen und sozusagen alltags-selbstverständlich geworden sind. Dass dies scheinbar immer noch nicht vorausgesetzt werden kann, ist sehr bedauerlich und schwer nachvollziehbar.

Es wäre aber in solchen Fällen eben auch die Pflicht der öffentlichen Geldgeber, im Interesse der SteuerzahlerInnen als eigentlichen Finanziers hier sanft aber doch bewusstseinsbildend „nachzuhelfen“, wenn bei bundes-kofinanzierten Infrastrukturnetzen entsprechende Mängel offenkundig sind.


Im konkreten Anlassfall Stephansplatz drängt die Zeit, weil im Herbst 2016 die Umbauarbeiten am Stephansplatz ausgeschrieben werden und im Frühjahr 2017 mit dem Umbau begonnen werden soll.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Teilen Sie die Einschätzung, dass die mit 230.000 Fahrgästen täglich frequentierteste U-Bahn-Station von Wien am Stephansplatz einen 2. Lift zur alltäglichen, verlässlichen und auch quantitativ ausreichenden Gewährung von Barrierefreiheit benötigt?

2)    Werden Sie sich - zB bei Ihrer zuständigen Parteikollegin in der Stadtregierung von Wien - dafür einsetzen, dass das Anliegen der Behindertenverbände, für den U-Bahnknoten Stephansplatz einen 2. Lift zu errichten, umgesetzt wird?

3)    Würde diese Baumaßnahme im Rahmen der entsprechenden Vereinbarungen Bund-Wien vom Bund kofinanziert?

4)    Hat der Bund ein inhaltliches Mitsprache- oder sonstiges Mitwirkungsrecht bei den Planungen für den U-Bahn-Bau in Wien, für die 50 % der Kosten übernommen werden? Wenn ja, wie ist diese Mitsprache bzw. sonstige Mitwirkung konkret aufgesetzt? Wenn nein, warum nicht?

5)    Welche den „Schienenverbundvertrag“ fortsetzenden privatrechtlichen oder ggfs. sonstigen Übereinkommen zur Zusammenarbeit und zur gemeinsamen Finanzierung beim Wiener U-Bahn-Bau wurden vom Bund wann und von wem mit welchen Laufzeiten im Einzelnen abgeschlossen?

6)    Welche inhaltlichen Änderungen oder Weiterentwicklungen haben sich bei den vertraglichen Grundlagen (incl Side-Lettern) ergeben?

7)   Haben sich

a) zwischen den vertraglichen Grundlagen (incl Side-Lettern),

b) neben diesen

inhaltliche Änderungen oder Weiterentwicklungen bei Umfang und/oder Handhabung der Zahlungen bzw. Verbindlichkeiten ergeben? Wenn ja, welche und wann?

8)    In welcher Weise fand in den einzelnen Übereinkommen (bzw. ggfs ihren Side-Lettern) das Thema Barrierefreiheit konkret Berücksichtigung? Wir ersuchen um Zitierung im Wortlaut.

9)    Welche Kontrollaktivitäten werden seitens des BMVIT gesetzt, um die Berücksichtigung von hohen Barrierefreiheits-Standards bei bundeskofinanzierten Verkehrsinfrastrukturvorhaben im allgemeinen und bei den Wiener U-Bahn-Bauten im speziellen sicherzustellen?

10) Falls keine entsprechenden Controlling-Aktivitäten gesetzt werden sollten – warum nicht?

11) Sind Sie bereit,


a) die den „Schienenverbundvertrag“ fortsetzenden Übereinkommen, auf deren Basis derzeit jährlich 78 Mio Euro Steuergeld durch den Bund in den Wiener U-Bahn-Bau eingebracht werden,

b) die vom Rechnungshof erwähnten dazu vereinbarten Side-Letter

dem Nationalrat vorzulegen? Wenn nein, warum nicht?