10210/J XXV. GP

Eingelangt am 14.09.2016
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ANFRAGE

 

des Abgeordneten Dr. Andreas F. Karlsböck und weiterer Abgeordneter

an die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen

betreffend Tatprovokationen und andere bedenkliche Eingriffe in rechtsstaatliche Grundlagen im Rahmen von „Mystery Shopping“

 

„Mystery Shopping“, also die umstrittene Bespitzelung ärztlicher Ordinationen durch „Testpatienten“ der Krankenkassen, wird von der Bundesregierung vorgeblich im Kampf gegen Sozialbetrug eingesetzt. Tatsächlich aber werden Ärzte wie Patienten unter den Generalverdacht des Betruges gestellt und das Arzt-Patienten-Verhältnis massiv belastet. Zu denken geben sollte in diesem Zusammenhang die Aussage von Prof. Michael Ausserwinkler, einem Arzt und vormaligen sozialdemokratischen Gesundheitsminister, nachzulesen in der Kronen Zeitung vom 31.08.2016, Seite 11:

 

„‚Ich halte das für kein Zeichen der Wertschätzung der Kassen gegenüber ihren Vertragspartnern’, kritisiert Prof. Dr. Michael Ausserwinkler, Internist aus Kärnten. ‚Außerdem nehmen die falschen Patienten Termine und Zeit weg.’ Er glaubt auch, dass er ‚binnen drei Minuten’ einen Spion erkennen könne. Der ehemalige Gesundheitsminister: ‚Ein Spitzelwesen wie dieses ist in einer funktionierenden Demokratie en Zeichen von Schwäche.’“

 

Im selben Beitrag der Kronen Zeitung wird auch Wiens Ärztekammer-Präsident, Dr. Thomas Szekeres, zitiert:

 

„‚Spitzel können nicht einmal bei der Verhinderung von Drogendelikten eingesetzt werden, aber auf die Ärzte lässt man sie los’, wettert er. Die Folgen sind aus seiner Sicht klar: Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient wird massiv geschädigt. Szekeres: ‚Jeder angeblich Kranke könnte ein Schauspieler sein.’ Zudem würden Ärzte und Patienten unter Generalverdacht gestellt – pures Gift für die Beziehung zwischen Arzt und Patient. Die Ärztekammer erwägt eine Klage beim Verfassungsgerichtshof. Szekeres: ‚Kontrollen sind wichtig, aber die wären auch durch die Chefärzte gegeben.’ Zudem würden sich längst nicht mehr so viele Österreicher krank schreiben lassen wie früher. Aus Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes.“

 


 

Auch wenn die Wiener Gebietskrankenkasse den Einsatz von Schauspielern als „Testpatienten“ bestreitet und behauptet, die Überprüfungen nicht aufgrund von Pauschalverdächtigungen, sondern nur bei konkreten Hinweisen auf vertragswidriges Vergehen durchzuführen bzw. durchgeführt zu haben, bleibt „Mystery Shopping“ ein höchst bedenklicher Eingriff in rechtsstaatliche Grundlagen. Zumal auch anerkannte Verfassungsjuristen, wie etwa Heinz Mayer, monieren, dass die Krankenkassen ohne Anfangsverdacht einen Lockspitzel in die Ordinationen schicken können – also ungeachtet der vorgeblich geübten Praxis die theoretische Möglichkeit besteht, auch ohne begründeten Anfangsverdacht niedergelassene Ärzte auszuspionieren.

 

Unwillkürlich kommen einem zwei Redewendungen in den Sinn: „Wie der Schelm denkt, so ist er.“ Und: „Der größte Schuft im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.“ Letztere Redewendung, von Hoffmann von Fallersleben formuliert, bezog sich ursprünglich auf den Polizeistaat des 19. Jahrhunderts, scheint aber offensichtlich zeitlos zu sein – erinnern die Richtlinien zur Durchführung, Dokumentation und Qualitätssicherung des „Mystery Shopping“ doch an unselige DDR-Zeiten, wo man ohne Skrupel Menschen ausspionieren und denunzieren konnte.

 

Ein weiteres Problemfeld eröffnet sich durch unzulässige „Tatprovokationen“ in Ordinationen, die nicht einmal verdeckten Polizei-Ermittlern erlaubt ist. Heißt es doch in einem Erkenntnis des Obersten Gerichtshofes (OGH, Geschäftszahl 2 Os5/16a-10)), dass verdeckte Ermittler unbescholtene Personen zur Begehung einer Straftat nicht verleiten dürften und sich im Wesentlichen „auf eine passive Ermittlung strafbarerer Aktivitäten zu beschränken“ hätten. Ihnen sei untersagt, „einen solchen Einfluss auf die Person auszuüben, dass diese zur Begehung einer Tat verleitet wird, die sie sonst nicht begangen hätte“. Liege eine unzulässige Tatprovokation vor, sei von der strafrechtlichen Verfolgung abzusehen.

 

Übertragen auf das umstrittene „Mystery Shopping“, hieße dies, dass „Testpatienten“ keinen Arzt durch Vortäuschung einer Krankheit dazu anstiften dürften, etwa Krankschreibungen vorzunehmen oder Medikamente zu verschreiben. Ein solch schäbiges Verhalten wird aber von der Gebietskrankenkasse offensichtlich nicht nur geduldet sondern ausdrücklich legitimiert. Auch Verfassungsjurist Heinz Mayer sieht es als „ohne Zweifel verfassungswidrig“ an, wenn Krankenkassen Lockspitzel in die Ordinationen schicken, um Ärztinnen und Ärzte zu Straftaten zu verleiten.

 

Überdies ist es nicht nur moralisch bedenklich, sondern auch rechtlich höchst zweifelhaft, wenn „Testpatienten“ Ihre falsche Identität auch mit gefälschten Papieren untermauern (dürfen).  

 

Die unterfertigten Abgeordneten richten daher an die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen folgende

 

 

Anfrage

 

 

1.    Wie begegnen Sie dem Vorwurf der Ärzteschaft, dass durch „Mystery Shopping“ die Arzt-Patienten-Beziehung vergiftet werde?


2.    Haben Sie sich im Vorfeld der Verabschiedung der „Mystery Shopping“ Richtlinie durch die Gebietskrankenkassen gegen diese umstritte Maßnahme gewendet?

3.     Wenn nein, was haben Sie in Ihrem Wirkungsbereich unternommen, um die Verhältnismäßigkeit in der ärztlichen Qualitätskontrolle zu wahren?

4.    Können Sie ausschließen, dass Schauspieler als „Mystery Shopper“ zum Einsatz kommen (werden)?

5.    Wenn ja, aus welchen Institutionen kommen die „Testpatienten“?

6.    Verfügen die „Testpatienten“ über medizinische Kenntnisse?

7.    Operieren die „Testpatienten“ zur Untermauerung ihrer falschen Identität auch mit gefälschten Papieren?

8.    Wenn ja, wer stellt diese gefälschten Dokumente aus und auf welcher Rechtsgrundlage geschieht dies?

9.    Geben sich „Testpatienten“ unmittelbar nach getaner „Spitzelarbeit“ als solche zu erkennen?

10. Wenn nein, wie, wann und von wem erfährt der „konsultierte“ Arzt von der Bespitzelung?

11. Werden die für „Testpatienten“ vom gutgläubig handelnden Arzt erbrachten Leistungen von der Krankenkasse refundiert?

12. Wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage?

13. Wenn nein, wer bezahlt den solcherart entstandenen Verdienstausfall des gutgläubig handelnden Arztes?

14. Welche Möglichkeiten haben Arzt und Angestellte der Ordination gegen in flagranti ertappte „Testpatienten“ vorzugehen?

15. Ist Ihnen bewusst, dass „Testpatienten“ bei offensichtlichen Tatprovokationen besser gestellt sind als verdeckte Ermittler der Polizei, die sich (laut weiter oben erwähnten) Erkenntnis des OGH auf „passive Ermittlungen“ von strafbaren Aktivitäten zu beschränken haben?

16. Werden Sie eine entsprechende Angleichung der Kompetenzen von „Testpatienten“ anregen?

17. Wenn ja, ab wann und auf welche Weise?

18. Wenn nein, warum nicht?