10912/J XXV. GP

Eingelangt am 22.11.2016
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ANFRAGE

 

des Abgeordneten Mag. Harald Stefan

und weiterer Abgeordneter

an den Bundesminister für Justiz

betreffend unfassbar grausame Übergriffe auf Heimbewohner in einem Pflegeheim im Bezirk St. Pölten

 

Am 19.9.2016 berichtete die Kleine Zeitung unter dem Titel „Pfleger quälen Patienten in Heim: Staatsanwaltschaft ermittelt“ über unfassbar grausame Übergriffe auf Heimbewohner in einem Pflegeheim

(http://www.kleinezeitung.at/oesterreich/5104194/Niederosterreich_Pfleger-quaelen-Patienten-in-Heim_):

 

„Die Staatsanwaltschaft St. Pölten hat "gegen mehrere ehemalige Pflegekräfte" eines privaten Pflegeheimes im Bezirk St. Pölten ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Es gehe um den Verdacht des Quälens oder Vernachlässigens wehrloser Personen, sagte Behördensprecherin Michaela Obenaus am Mittwoch auf APA-Anfrage. Die "ZiB2" hatte am Dienstag über den Fall berichtet.

 

Demzufolge war der Verdacht am vergangenen Freitag bekannt geworden und habe sich am Montag erhärtet, worauf Anzeige erstattet wurde. Vier - inzwischen ehemalige - Beschäftigte sollen pflegebedürftige Menschen beschimpft und grausam behandelt haben. Unter anderem sei einer Frau mit den begleitenden Worten, dass sie stinke, Haarspray ins Gesicht gesprüht worden, auch Kot soll in einen Mund gestopft worden sein.

 

Laut Obenaus wurde am Montag eine Sachverhaltsdarstellung der Leitung des Heimes an die Polizei übermittelt. Die Ermittlungen des Landeskriminalamtes stünden am Anfang. Mit ersten Ergebnissen werde kommende Woche gerechnet, sagte die Sprecherin.

 

Laut "ZiB2" wurden vier Pflegekräfte fristlos entlassen. Das ist auch der Informationsstand von Pflegeanwalt Gerald Bachinger, dem es um "lückenlose Aufklärung" des Falles geht, wie er am Mittwoch zur APA sagte. Der Geschäftsführer des Heimes habe ihn am Dienstagnachmittag informiert. Es müsse eine Ursachenanalyse vorgenommen werden, wie es trotz Überprüfungen durch die Volksanwaltschaft, die Pflegeaufsicht des Landes und den Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft sowie interne Sicherheitseinrichtungen in Heimen "dazu kommen konnte", betonte Bachinger.“

 

Der aktuelle Fall erinnert an den Pflegeskandal von Lainz. Damals quälten vier Pflegekräfte unzählige Patienten, weiters ermordeten die vier Hilfsschwestern mindestens 42 Menschen. „Von 1983 bis 1989 hatten sie im Todespavillon unliebsame, sprich "lästige" oder "anstrengende" Patienten mit Rohypnol-Spritzen oder mittels "Mundpflege", wie sie es nannten, ermordet. "Da hat ein Schluckerl Wasser rein müssen in den Mund. Mit der Spatel hab' ich die Zunge niedergedrückt", so eine Verurteilte - die Opfer erstickten qualvoll.“ Die beiden Haupttäterinnen wurden zu lebenslanger Haft verurteilt, aber schon 2008 wieder auf freien Fuß gesetzt! „Mit neuen Namen ausgestattet, leben die einstigen Todesengel seither wieder mitten unter uns - brav, bieder, geläutert. Übrigens nicht nur die Mordschwestern haben ihre Namen geändert: Mittlerweile gibt es auch kein Spital Lainz mehr. Heute heißt die benachbarte Abteilung im Hietzinger Krankenhaus schlicht "Geriatriezentrum am Wienerwald".“ (Kronenzeitung vom 13.4.2014).

 

Die Haupttäterin im Lainzer Pflegeskandal wurde für die über 30 von ihr begangenen Morde bzw. Mordversuche zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, verbrachte aber bloß 18 Jahre hinter Gittern – pro Mord ein halbes Jahr! Erhebliche Zweifel bestehen, ob ein solcher Nachlass auch nur im Ansatz das Erlebnis der Gerechtigkeit ermöglicht und die Anerkennung und Befolgung der strafrechtlichen Verbote und Gebote fördert.

 

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für Justiz folgende

 

Anfrage

 

1.    In welchem konkreten Stand befindet sich das Ermittlungsverfahren zu dem oben angeführten Sachverhalt?

2.    Gegen wie viele Personen wird aktuell ermittelt?

3.    Wie viele Täter konnten im Zuge des Ermittlungsverfahrens ausgeforscht werden?

4.    Wegen des Verdachts der Begehung welcher strafbaren Handlungen wird oder wurde hauptsächlich ermittelt?

5.    Handelt es sich bei den Tätern um ausgebildete Pflegekräfte (Inhaber eines Diploms in der allg. Gesundheits- und Krankenpflege)?

6.    Wird oder wurde – nicht zuletzt aufgrund des Umstandes, dass zumindest in einem Fall Teile der Atemwege eines pflegebedürftigen Menschen verlegt worden sein sollen, womit nach allgemeiner Lebenserfahrung Erstickungsgefahr verbunden sein kann – auch wegen des Verdachts der Begehung zumindest eines Mordes oder Mordversuchs ermittelt?

7.    Über welchen Zeitraum erstrecken sich die strafbaren Handlungen?

8.    Werden den Pflegekräften auch Übergriffe auf Patienten in weiteren Pflegeheimen, in denen sie tätig waren, zur Last gelegt?

9.    Wenn ja: Sind diese allfälligen Übergriffe verjährt?

10. Werden den Pflegekräften strafbare Handlungen gegen Personen, die unter deren Fürsorge oder Obhut stehen, aber nicht im gegenständlichen Heim wohnen, zur Last gelegt (zB. Kinder)?

11. Wenn ja: Sind entsprechende Verfahren zur Entziehung der Obsorge eingeleitet worden?

12. Wenn nein: Wurde auch in dieser Richtung ermittelt?

13. Wurde die Verhängung der U-Haft über die Verdächtigen beantragt?

14. Wenn ja: Über wie viele Personen wurde die U-Haft verhängt?

15. Hinsichtlich wie vieler Täter ist die Staatsanwaltschaft nach dem 11. Hauptstück der StPO (Diversion) vorgegangen?

16. Hinsichtlich wie vieler Beschuldigter hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben?

a.    Wie viele der Verfahren wurden diversionell erledigt?

b.    Wie viele davon wurden verurteilt?

c.    Wie viele davon wurden freigesprochen?

17. Hinsichtlich wie vieler Beschuldigter hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt?

18. Arbeiten Sie im vorliegenden Fall mit anderen Ministerien und Einrichtungen zusammen?

19. Wenn ja: Mit welchen und auf welche Bereiche erstreckt sich die Zusammenarbeit?

20. Planen Sie die Einführung eines lebenslangen Tätigkeitsverbots für Pflegekräfte, welche derartige Übergriffe auf Patienten begangen haben?

21. Wenn ja: Wann wird der Entwurf vorliegen?

22. Wenn nein: Warum nicht?

23. Aufgrund welcher Umstände wurde die Haupttäterin der „Lainzer Mordschwestern“, die für über 30 von ihr begangene Morde und Mordversuche zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde, schon nach 18 Jahren Gefängnis entlassen?

24. Verfolgt die Justiz den weiteren Lebensweg der „Lainzer Mordschwestern“ sowie weiterer vorzeitig aus lebenslanger Haft entlassener Personen?

25. Wenn ja: Wie lange werden sie überwacht bzw. kontrolliert und welche Einrichtung ist dafür zuständig?

26. Wenn nein: Warum nicht?

27. Ist ausgeschlossen, dass die „Lainzer Mordschwestern“ unter ihren neuen Namen wieder in der Pflege tätig sind?

28. Wenn ja: Aufgrund welcher Umstände ist dies ausgeschlossen?

29. Ist ausgeschlossen, dass jemals wieder Menschen der Fürsorge oder Obhut der „Lainzer Mordschwestern“ unterstehen werden, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder wegen Gebrechlichkeit, Krankheit oder Schwachsinns wehrlos sind?

30. Wie viele Haftentlassene wurden zwischen 2006 und 2016 (bis zum Einlangen dieser Anfrage) mit neuen Identitäten ausgestattet?

31. Unter welchen Voraussetzungen kann ein Haftentlassener eine neue Identität erhalten?

32. Wie viele Opfer von Vergehen oder Verbrechen haben zwischen 2006 und 2016 (bis zum Einlangen dieser Anfrage) eine neue Identität erhalten?

33. Unter welchen Voraussetzungen kann ein Opfer eines Vergehens oder Verbrechens eine neue Identität erhalten?