75/KOMM XXV. GP

 

Kommuniqué

der Enquete-Kommission zum Thema „Stärkung der Demokratie in Österreich“

Die Enquete-Kommission zum Thema „Stärkung der Demokratie in Österreich“ hat in der konstituierenden Sitzung am 18. Dezember 2014 auf Vorschlag der Obfrau Doris Bures gemäß § 39 des Geschäftsordnungsgesetzes des Nationalrates einstimmig beschlossen, die auszugsweisen Darstellungen der öffentlichen Anhörungen als Kommuniqué zu veröffentlichen.

 

Am 11. März 2014 fand die vierte öffentliche Anhörung statt, deren auszugsweise Darstellung angeschlossen ist.

 

Wien, 2015 03 11

                           Mag. Wolfgang Gerstl                                                         Ing. Norbert Hofer

                                     Schriftführer                                                                    Obfraustellvertreter


 

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Enquete-Kommission

 

„Stärkung der Demokratie in Österreich“

 

 

 

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Auszugsweise Darstellung

(verfasst vom Stenographenbüro)

 

4. Sitzung

11. März 2015

10.04 Uhr – 13.42 Uhr

NR-Saal

A. Zwischenstand der Ergebnisse der Enquete-Kommission

 

B. Diskussion

 

Mag. Hans Asenbaum

 

Dkfm. Ing. Gustav Chlestil

 

Leonore Gewessler

 

Prof. Herwig Hösele

 

Dr. Peter Kostelka

 

Mag. Erwin Mayer

 

Mag. Martin Müller

 

Dr. Tina Olteanu

 

Dr. Claudia Rosenmayr-Klemenz

 

Gerhard Schuster

 

 


 

Beginn der Sitzung: 10.04 Uhr

Obfrau-Stellvertreter Präsident Ing. Norbert Hofer eröffnet die 4. Sitzung der Enquete-Kommission betreffend „Stärkung der Demokratie in Österreich“ und begrüßt die Mitglieder der Enquete-Kommission, die Bürgerinnen und Bürger, die mittels Auslosung ausgewählt wurden – Heinz Emhofer, Günther Liegl, Michelle Missbauer, Felix Ofner, Marlen Ondrejka, Harald Petz, Mag. Barbara Ruhsmann und Helga Schattauer –, die Vertreterinnen und Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft sowie alle anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Nachdem man sich in den vergangenen Sitzungen mit den rechtlichen Rahmenbedingungen und der Praxis der direkten Demokratie in anderen Staaten beschäftigt habe, solle nun ein Zwischenresümee über die bisherigen Ergebnisse gezogen und das Meinungsbild der organisierten Zivilgesellschaft erörtert werden.

Obfrau-Stellvertreter Präsident Ing. Hofer ruft in Erinnerung, dass alle interessierten Bürgerinnen und Bürger, NGOs und Institutionen ausdrücklich eingeladen seien, schriftliche Stellungnahmen zum Themenbereich der Enquete-Kommission abzugeben; diese werden, sofern kein rechtlicher Grund entgegenstehe, im Intranet des Parlaments und im Internet veröffentlicht.

Weiters weist der Obfrau-Stellvertreter darauf hin, dass die Sitzungen der Enquete-Kommission beziehungsweise alle Anhörungen von Expertinnen und Experten öffentlich abgehalten werden und auch diese Sitzung via Livestream übertragen werde. Unter dem Hashtag #EKDemokratie sei es möglich, via Twitter an der Debatte teilzunehmen; diese Maßnahme solle eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit unterstützen. Interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer sowie die Vertreterinnen und Vertreter der Medien seien eingeladen, im Sitzungssaal oder auf der Galerie Platz zu nehmen.

Nach einem Hinweis auf die Redeordnung leitet der Obfrau-Stellvertreter zur Präsentation des Zwischenstandes der Ergebnisse der Enquete-Kommission durch die Fraktionen über.

A. Zwischenstand der Ergebnisse der Enquete-Kommission

Obfrau-Stellvertreter Präsident Ing. Norbert Hofer erteilt als erstem Redner Abgeordnetem Dr. Wittmann das Wort.

Abgeordneter Dr. Peter Wittmann (SPÖ): Wir haben bis jetzt Referate von 31 Experten und mehrmals Diskussionsbeiträge zu diesen Expertenreferaten gehört, und meiner Meinung nach haben sich mehrere Spannungsfelder ergeben, die bei einer Weiterentwicklung der direkten Demokratie zu berücksichtigen sind.

Das eine Spannungsfeld ist folgendes: Wir haben in Österreich die Dreiteilung der Gewalten, sprich Jurisdiktion, Exekutive und Legislative. Wir behandeln nur den Teil der Legislative, und innerhalb dieses Teils möchten wir meines Erachtens dem Legislativteil durch eine weitere Partizipation der Bevölkerung ein stärkeres Gewicht gegenüber der Exekutive geben. Das ist grundsätzlich zu befürworten, weil derzeit eine sehr exekutivlastige Politik in der Öffentlichkeit vertreten wird. Daher glaube ich, dass die Diskussion zum richtigen Zeitpunkt stattfindet und in die richtige Richtung geht. Wir müssen dieses Spannungsverhältnis zwischen Exekutive – sprich Regierung und Vollzug der Gesetze – und Schaffung der Gesetze neu definieren.

Zweites Spannungsverhältnis, das für mich innerhalb dieser Diskussion aufgetreten ist: Bindet man die Bevölkerung, die Bürger stärker in den Gesetzwerdungsakt ein, hat man die Problematik: Wie schütze ich die Minderheiten vor den Mehrheiten? Welche Möglichkeiten räume ich ein, um nicht die Minderheiten zum Spielball der Mehrheiten werden zu lassen? Das heißt: Welche Mechanismen brauche ich, um diese Spannung oder diesen Unterschied aufzulösen?

Eine weitere Problematik, die sich aus diesen Diskussionen ergeben hat, ist folgende: Gebe ich – wenn ich einen Automatismus eines Gesetzestextes einräume, das zur Abstimmung zu bringen – nicht jenen, die in der Lage sind, sich Kampagnen zu leisten, die Möglichkeit, sich Gesetzestexte zu bestellen, die dann nicht unbedingt im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung sind, sondern im Sinne jener, die kampagnisieren lassen? Auch dieses Spannungsverhältnis ist meiner Meinung nach aufzulösen, insbesondere da ich in einer Partei tätig bin, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, jene zu vertreten, die nicht über wirtschaftliche Macht verfügen. Das ist für mich durchaus eine Kernfrage, wie man diese Problematik angehen muss.

Und zum Dritten – weil uns immer das Schweizer Modell und das deutsche Modell sozusagen als Superbeispiele gebracht werden –: Erstens gibt es kein deutsches Modell, weil in Deutschland auf Bundesebene keine Instrumentarien zur direkten Beteiligung der Bevölkerung an der Gesetzwerdung existieren. Während in Österreich drei Instrumentarien bestehen – Volksbefragung, Volksbegehren und Volksabstimmung –, gibt es auf Bundesebene in Deutschland wohlweislich keine Möglichkeit, weil damit alle Bundesgesetze von einer derartigen Bestimmung ausgenommen sind, und das sind Bestimmungen über Fiskalpolitik und andere wesentliche Teile. Da sind wir wesentlich weiter, und Deutschland ist kein Beispiel für uns, weil man dort noch am Beginn der Diskussion steht.

Zweitens: Auch das Schweizer Modell ist nicht unfehlbar. Gestern hat in der Schweiz eine Unterschriftensammlung für eine Initiative begonnen, mit der das Landesrecht über das Völkerrecht gestellt werden soll. Das bedeutet, dass sich die Schweiz aus der Völkergemeinschaft verabschiedet, wenn diese Initiative die Mehrheit erhält. Ist das Sinn und Zweck eines Gesetzes? Ist das Sinn und Zweck eines Landes? Wenn ein Land sich dafür entscheidet, was machen die anderen dann mit diesem Land? Ich halte das für eine sehr problematische, spannungsgeladene Thematik, die auch berücksichtigt werden muss.

Ich glaube auch, dass wir damit sehr vorsichtig umgehen und diese Spannungsfelder auflösen müssen. Es ist unzweifelhaft, dass man in Richtung Modernisierung und Öffnung gehen muss, dass man sich den neuen Gegebenheiten, der Mündigkeit der Bürger anpassen und ihnen Möglichkeiten einräumen muss. Man muss aber auch vorsichtig mit dieser Verteilung umgehen und auf die veränderten Machtverhältnisse innerhalb der Republik und zur Staatengemeinschaft achten.

Das ist eine sehr komplexe Materie, aber diese Spannungsfelder sind in der Diskussion aufgetaucht, und sie gilt es meines Erachtens aufzulösen. Ich glaube, dass diese Diskussion dazu beiträgt und dass wir auf einem guten Weg sind, Lösungen zu finden. Man muss sie aber berücksichtigen und nicht das eine ausschließlich als positiv bewerten und das andere als negativ. Es ist wie immer die Möglichkeit eines Mittelweges gegeben, um jene, die schwächer sind und sich in der Gesellschaft nicht so artikulieren können, nicht unter die Räder kommen zu lassen. (Beifall.)

*****

Abgeordneter Mag. Wolfgang Gerstl (ÖVP): Mir ist ein Satz besonders in Erinnerung geblieben, nämlich folgender: „Partizipation ist das Gegengewicht“ – beziehungsweise Gegengift – „zum Populismus“. Dieser Satz stammt von Andreas Gross aus der letzten Sitzung, und ich glaube, er zeigt auf, worum es geht. Partizipation des Volkes in einer repräsentativen Demokratie – das ist für mich kein Systembruch, das ist für mich eine logische, ja eine notwendige Konsequenz.

Populismus bedeutet für mich: wider besseres Wissen den leichteren, den einfachen Weg zu gehen – immer verbunden mit einer schlechteren Lösung am Ende dieses Weges. Die meisten Menschen machen in ihrem eigenen Leben die Erfahrung, dass das nicht die richtige Vorgehensweise ist. Und genau deswegen kann man ihnen auch zutrauen, eine solche Vorgehensweise in der Politik zu erkennen und abzulehnen. Alles, was dafür notwendig ist, ist genügend Information, um die Zusammenhänge verstehen zu können.

Wir müssen besser kommunizieren! – Das ist der Standardsatz eines jeden Politikers nach einer Niederlage. Und das stimmt natürlich auch, besser kommunizieren kann man immer. Noch viel besser wäre es allerdings, wenn nicht der Politiker die Fragen der Menschen erraten müsste, sondern wenn die Bürgerinnen und Bürger Information einfordern könnten – und zwar nicht die geschliffenen Pressetexte, wie wir sie alle kennen, sondern konkrete Antworten auf ganz spezifische Fragen.

Um aber konkrete Fragen überhaupt stellen zu können, ist Interesse notwendig. Dieses Interesse gilt es zu fördern, zu nähren, damit daraus eines Tages Engagement erwachsen kann. Das passiert heute schon über verschiedenste Webseiten, über YouTube-Videos, über Blogs et cetera. Meine Damen und Herren, ich habe mir da schon einiges angeschaut: Manchmal tut es wirklich weh, welcher unwidersprochene Blödsinn in so manchen sozialen Medien steht und kommuniziert wird. Daher: Nehmen wir doch unsere Verantwortung wahr! Lenken wir das Interesse auf uns, machen wir den interessierten Bürgern dieses Landes ein Angebot! Lernen wir von ihnen! Im besten Fall machen wir sie zu einem von uns.

Das geht aber nicht mit Fragestunden, das geht nicht mit Newslettern, das geht nicht mit Pressetexten. Das geht nur auf Augenhöhe. Und deshalb geht es nur mit echter, ernst gemeinter Partizipation. Echt und ernst gemeint ist Partizipation aber nur dann, wenn sie ergebnisoffen stattfindet, wenn vorher klare Regeln bestehen, wie weit sie geht und wo sie aufhört. Wir haben inzwischen schon eine Reihe von verschiedensten Modellen kennengelernt, wie das funktionieren kann – und auch, wie es nicht funktioniert.

Wir haben letztes Mal genau diese Frage gestellt bekommen: Wo werden die Entscheidungen betreffend direkte Demokratie denn nun tatsächlich getroffen?, hat Frau Mag. Ruhsmann sinngemäß gefragt. Und ich glaube, sie hat damit genau den Nerv getroffen. Echte und ernst gemeinte Partizipation – das ist unser Auftrag, das ist unsere Pflicht. Ich nehme diesen Auftrag sehr ernst und möchte daher, dass wir konkreter werden. Ich persönlich bin ein entschiedener Befürworter direktdemokratischer Mittel und möchte, dass diesbezüglich viel mehr geschieht. Ich sehe aber gleichzeitig quer durch alle Parteien auch den Widerstand dagegen. Um in so einer Situation unserem Auftrag gerecht zu werden, brauchen wir einen gemeinsamen Nenner. Wie ich zu Beginn dieser Enquete-Kommission schon gesagt habe, wäre es das Schlechteste, unverrückbare Pflöcke einzuschlagen.

Was kann nun so ein gemeinsamer Nenner sein? – Ich glaube, unser gemeinsames Ziel sollte ganz allgemein die Sicherung der Demokratie sein, denn da könnten wir uns auch schnell einigen. Die Politikverdrossenheit nimmt zu, die neueste Ausformung ist das Wutbürgertum. Da brauchen wir auch nicht lange zu diskutieren: Das schwächt die Demokratie.

Wenn wir also die Demokratie sichern wollen, dann müssen wir sie stärken, und das bedeutet immer mehr Mitbestimmung. Auch in den ablehnenden Stellungnahmen zu unserer Vorlage wurden ja bisher keine Alternativen zu mehr Mitbestimmung aufgezeigt. Wir müssen also damit beginnen, dieses Mehr an Mitbestimmung zu definieren. Wir müssen hier in dieser Enquete-Kommission sehen, wie weit wir Vorschläge außer Streit stellen können, auch und gerade, wenn sie nicht der große Wurf sind.

Das Zentrale Wählerregister, schon oft diskutiert, ist essenziell für die Möglichkeit der Online-Unterstützung von Volksbegehren. Niedrigere Hürden, ein besserer parlamentarischer Beratungsprozess für Volksbegehren – all das sind Dinge, die mehr Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ermöglichen und damit die Demokratie stärken. Ich wünsche mir, dass wir möglichst viele dieser Dinge hier in der Enquete-Kommission außer Streit stellen können, damit sie im parlamentarischen Alltag nicht zum politischen Kleingeld werden und für taktische Spielchen missbraucht werden, wie das in der Vergangenheit doch das eine oder andere Mal der Fall war.

So wie wir in der Enquete-Kommission zum Thema Würde am Ende des Lebens einstimmig 51 Empfehlungen beschlossen haben, so brauchen wir auch hier eine breit getragene Liste mit konkreten Vorschlägen. Und bitte, meine Damen und Herren, wenn der Widerstand gegen einen großen Wurf zu groß sein sollte, dann darf das auch keine Ausrede dafür sein, die Zustimmung zu kleineren Reformen zurückzuziehen. Auch das habe ich in der Vergangenheit schon erlebt. Sonst könnte es nämlich passieren, dass die Demokratie schlussendlich geschwächt aus dieser Enquete-Kommission hervorgeht, und das kann hier niemand wollen.

Ich bitte Sie daher, dass wir alle unsere Vorschläge einbringen und versuchen, Bürgerbeteiligung im Großen, aber auch im Kleinen konkret umzusetzen. Durch unsere Gespräche mit den anderen Parteien sind wir schon geübt darin, zu einer gemeinsamen Einigung zu kommen, die Bürgerinnen und Bürger in dieser Enquete-Kommission vielleicht noch nicht. Daher wäre mein Vorschlag, sie in die direkten Gespräche mit einzubinden, um ihnen auch die Möglichkeit zu geben, zu sehen, wie man an einem konkreten Gesetz arbeiten kann. So, glaube ich, können sie auch darüber wachen, dass wir den Parlamentarismus ernst nehmen und dass eine Stärkung des Parlamentarismus und der direkten Demokratie daraus hervorgeht. (Beifall.)

*****

Abgeordneter Mag. Harald Stefan (FPÖ): Wir sollen eine Zusammenfassung präsentieren, doch ich finde, wir können eher nur auflisten, was bis jetzt geschehen ist.

Positiv ist zunächst, dass es überhaupt zu dieser Veranstaltung gekommen ist. Positiv ist, dass man einen neuen Weg gegangen ist, wenn auch aus Sicht der ausgelosten Bürger vielleicht einen unbefriedigenden. Positiv ist an sich auch die Gesprächskultur hier, die ich als sehr angenehm empfinde. Zudem ist die Diskussion interessant, weil ja alle Argumente etwas für sich haben und wir dabei, so glaube ich, eher über Nuancen diskutieren oder darüber, worauf der Schwerpunkt gelegt wird.

Besonders beeindruckend war für mich die letzte Veranstaltung, bei der wir über internationale Erfahrungen gehört haben. Es ist interessant, wie direkte Demokratie in anderen Ländern gesehen wird und dass es, obwohl man üblicherweise nur die Schweiz als echtes Vorbild für direkte Demokratie kennt, doch so viele andere Beispiele gibt.

In der Diskussion war für mich ein entscheidender Punkt, dass durchgehend alle Experten den vorliegenden Gesetzesvorschlag ablehnen, nämlich dass am Ende eines erfolgreichen Volksbegehrens möglicherweise eine Volksbefragung steht. Diese Ablehnung war für mich schon sehr eindeutig, weil alle Experten gesagt haben: Also wenn man von direkter Demokratie spricht und dann als Endpunkt etwas Unverbindliches setzt – auch wenn dann in der politischen Realität vielleicht auch eine Volksbefragung zu einer Umsetzung führt –, dann würde das geradezu die direkte Demokratie pervertieren! Es war für mich interessant, dass das von den Experten so eindeutig gesagt wurde.

In unserer Diskussion war das auch ein interessanter Punkt. Wir hätten ja ursprünglich bei diesem Kompromiss bezüglich des Volksbegehrens mitgemacht, aber die Tatsache, dass das von allen so negativ gesehen wird, zeigt doch, dass wir – wenn wir wirklich etwas weiterbringen wollen – den Schritt setzen müssen, die Verfassung so weit zu ändern, dass es tatsächlich auch eine Möglichkeit für eine Initiative zu einer Gesetzwerdung aus der Bevölkerung heraus geben muss, und zwar nicht nur zu einer unverbindlichen Volkbefragung, sondern tatsächlich zu einer Volksabstimmung. Diesbezüglich bestärken mich auch die ja doch zufällig ausgewählten Bürger sehr, die da alle in dasselbe Horn stoßen und uns in diesem Punkt doch, wie ich meine, erkennbar recht geben. Es geht daher darum, diesen Schritt auch zu setzen.

Es muss ganz klar gesagt werden, dass auch ich die von Kollegen Wittmann vorgebrachten Probleme sehe. Es ist völlig richtig, dass man schauen muss, wie man die Minderheit oder eine mögliche Minderheit vor der Mehrheit schützen kann, wie darauf geachtet werden kann, dass nicht nur jemand, der kampagnisieren kann, die Möglichkeit hat, so eine Initiative durchzusetzen.

Gleichzeitig muss man aber schon auch die heutige Realität sehen, denn wer ist heute in der Lage, zu kampagnisieren? – Das sind letztendlich die Arbeiterkammer und die Wirtschaftskammer, das sind auch Milliardenunternehmen, und die haben sehr großes Potenzial für Kampagnen. Ein Gleichgewicht gibt es also auch jetzt nicht. Wenn derzeit tatsächlich jemand aus der Bevölkerung heraus eine Initiative starten wollte, der keine große Zeitung hinter sich hat, hätte er keine Chance. Hat er eine Partei oder – noch besser – eine der beiden Regierungsparteien hinter sich, dann hat er die Chance. Wir haben also auch derzeit keine Waffengleichheit.

Dennoch müssen wir natürlich darüber reden, welche Möglichkeiten der Information es dann geben muss. Da haben wir ja auch gute Beispiele gehört: In der Schweiz etwa haben die Minderheit und alle anderen, die nicht kampagnisieren können, die Möglichkeit, ihre Meinung zu präsentieren, und das Ganze läuft möglichst seriös ab. Das ist natürlich völlig richtig, da gebe ich Ihnen schon recht, dass man darauf schauen muss und dass das wichtig ist.

Dass die Parallelität des Parlaments und der direkten Demokratie wichtig ist, ist ebenfalls völlig richtig. Wenn wir die direkte Demokratie stärken wollen, bedeutet das nie, dass wir das Parlament schwächen wollen, sondern wir wollen auch diesen zweiten Weg ermöglichen. Im Gegenteil, wir wollen das Parlament sogar tatsächlich stärken. Es stimmt, wir haben eine Demokratie, die sehr stark von der Exekutive beherrscht ist. Die Ministerien machen die meiste politische Arbeit, sie haben die Möglichkeit, Gesetze vorzubereiten, sie haben viel größere Apparate als das Parlament. – Das stimmt völlig, damit einhergehen muss auch eine Stärkung des Parlaments.

Es hat sich gezeigt, dass wir immer wieder über dieselben Themen diskutieren: Welche Quoren brauchen wir für eine Einleitung bei den Abstimmungen? Welche Themen werden ausgeschlossen? – Das ist allerdings ein heikler Punkt für uns, den wir sicherlich noch weiterdiskutieren müssen, denn wenn man die Themen stark eingrenzt, höhlt man wiederum die direkte Demokratie aus. Wie funktioniert die Kommunikation zwischen den Initiatoren der Volksinitiative und dem Parlament? Wie sieht es mit der Verbindlichkeit aus? Kann das Parlament eine derartige Abstimmung verhindern oder dann wieder aushebeln? Der letzte Punkt ist die Prüfung, ob eine Initiative zulässig ist.

Wir sind also immer noch bei denselben Themen, ich habe jetzt nicht den Eindruck, dass wir wirklich weitergekommen sind, außer dass wir unglaublich viele Informationen bekommen haben. Bezüglich der Themen, die in der Schweiz präsentiert werden – das ist ja schon auch als Kritik gekommen –, möchte ich anmerken, dass es eben ein wesentlicher Reiz der direkten Demokratie ist, dass gerade nicht nur aus dem doch sehr eingefahrenen System des Parlaments heraus Themen angesprochen werden, sondern auch Themen diskutiert werden und zur Abstimmung kommen, die vielleicht provokant klingen, der Bevölkerung aber offenbar wichtig sind. Direkte Demokratie wäre eine Weiterentwicklung der Demokratie und würde dazu führen, dass Demokratie und Bürgerbeteiligung wieder attraktiver werden. (Beifall.)

*****

Abgeordnete Mag. Daniela Musiol (Grüne): Sehr geehrte BürgerInnen – wobei zu Recht gefragt wurde, was denn eine Bürgerin, einen Bürger ausmache, schließlich sind auch wir PolitikerInnen BürgerInnen! Wir wurden gebeten, ein Resümee zu ziehen. Ich würde dieses Resümee gerne auf zwei Ebenen ziehen, nämlich sowohl auf der inhaltlichen Ebene als auch auf einer politisch-dynamisch-prozessualen Ebene, wobei der Schwerpunkt auf der inhaltlichen Ebene liegt.

Inhaltlich fühle ich mich durch die bisherigen Sitzungen bestärkt. Eine ganz klare Aussage der letzten Sitzungen war, dass direkte Demokratie ein nicht wegzudenkender Bestandteil aller politischen Systeme ist. Dabei ist die direkte Demokratie in den verschiedenen Staaten unterschiedlich ausgeprägt, gleichzeitig aber als Ergänzung zum Parlamentarismus nicht mehr wegzudenken.

Bestärkt fühle ich mich auch in meiner Einschätzung der direkten Demokratie in Österreich. Wir haben zwar in Österreich schon eine Form der direkten Demokratie, doch diese ist sowohl im internationalen Vergleich als auch im Vergleich zu Regelungen, die in manchen Ländern oder Gemeinden existieren, durchaus verbesserungswürdig. Insofern gibt es hier Handlungsbedarf, was wir ja auch vermutet und in unseren Diskussionen betont haben.

Vor diesem Hintergrund stellt sich natürlich die Frage: Werden wir diese Handlungen auch setzen oder verbringen wir jetzt ein halbes Jahr mit informativen Veranstaltungen, um dann am Ende – und da möchte ich Ihnen, Kollege Gerstl, antworten – an einem kleinen Rad zu drehen, aber das eigentliche Ziel nicht zu erreichen, nämlich der Bevölkerung – also dem Volk, dem Souverän – die Möglichkeit zu geben, auch zwischen den Wahlen auf das politische Geschehen und auf die politischen Maßnahmen Einfluss zu nehmen? Dabei geht es darum, verbindlich Einfluss nehmen zu können, und das bedeutet nicht, nur Petitionen an das Parlament schicken und nur Volksbegehren unterschreiben zu können, die dann hier zwar behandelt werden, bei denen die Bevölkerung aber keine Möglichkeiten hat, auf den Ausgang Einfluss zu nehmen.

Wir Grünen haben uns schon vor langer Zeit ganz klar positioniert. Wir wollen die dreistufige Volksgesetzgebung sowohl auf Landesebene als auch auf Bundesebene. Auf beiden Ebenen ist dies im Moment noch nicht möglich.

Wir haben letzten Sommer ganz klar einen Kompromissschritt gesetzt, weil dieser Kompromiss eine Verbesserung gegenüber dem Status quo darstellt, aber wir halten nach wie vor an unserem grundsätzlichen Ziel der dreistufigen Volksgesetzgebung fest. Dabei sind natürlich viele Fragen offen – Kollege Wittmann hat diese Fragen aufgeworfen, Kollege Stefan und auch Sie, Herr Kollege Gerstl, haben sie angesprochen –, doch diese Fragen sind lösbar und können geklärt werden, man muss nur irgendwann einmal Entscheidungen treffen!

Wir könnten jetzt schon noch Jahrzehnte darüber diskutieren, welche Quoren besser wären und welche Themen ausgeschlossen werden sollten, doch ich glaube, an einem bestimmten Punkt – und das gilt ja nicht nur für die Politik, sondern, wenn man so will, für alle Bereiche – muss man vom Planen und vom Visionieren in die Umsetzung kommen. Danach kann man vielleicht wieder nachbessern und sagen: Okay, wir haben uns zwar vorgestellt, das könnte so funktionieren, aber so funktioniert es nicht, hier müssen wir noch etwas verbessern!

Insofern möchte ich einen ganz starken Appell an alle Parteien richten, und da schaue ich jetzt auch bewusst in Richtung SPÖ, diese Veranstaltung nicht nur zum Informationsaustausch zu nutzen und dazu zu nutzen, kleine Rädchen zu drehen, sondern wirklich einen großen Wurf zustande zu bringen – mit dem Mut zur Lücke und mit dem Mut, unter Umständen auch etwas nachjustieren zu müssen. Wir müssen uns auch nicht davor fürchten, dass direkte Demokratie irgendwelche Nachteile oder Probleme für das Parlament und für den Parlamentarismus mit sich bringt. Ich glaube, es ist Konsens in allen Parteien, dass direkte Demokratie eine Ergänzung zu unserem parlamentarischen System ist.

Ein wesentlicher Punkt ist, darauf zu achten, wie der Austausch und die Verhandlungen zwischen dem Parlament, also der Gesetzgebung, und dem Volk, also beispielsweise den Initiativen, gestaltet werden können. Dies stellt einen wesentlichen Faktor für das Gelingen oder Nichtgelingen dar, was auch die verschiedenen Vorträge gezeigt haben. Bezüglich unserer Enquete-Kommission wurde dies ebenfalls deutlich: Die Kritik am Setting war ja, wenn man so will, durchaus auch eine Aussage darüber, wie bereit der Parlamentarismus, so wie wir ihn jetzt leben, für solche Diskussionen ist. Es geht auch darum, ob Menschen, die nicht hauptberuflich in der Politik sind, hier hereinkommen und das Gefühl haben können, sie können in einen Austausch und in eine Diskussion treten. Diesbezüglich ist viel zu tun.

Immerhin sitzen wir jetzt schon anders als zuvor – das ist zumindest ein kleiner Schritt in die Richtung dessen, was Sie eingefordert haben. Ich glaube aber, wir sollten diese Enquete-Kommission durchaus auch dafür nutzen, beispielsweise etwas für künftige Begegnungen von Initiativen und Parlament zu lernen, wenn es in Zukunft zu einer Volksgesetzgebung kommt.

Nebst der Frage, was auf Bundesebene erreicht werden kann, ist für mich ein Mindeststandard, den wir auf jeden Fall schaffen sollten – und das ist aus meinem Mund etwas ungewöhnlich, weil ich eher eine Verfechterin von einheitlichen Regelungen bin –, dass wir den Ländern die Möglichkeit geben, in ihrem Bereich diesbezüglich Veränderungen vorzunehmen. Sie wissen, Vorarlberg wollte schon vor langer Zeit einen wichtigen Schritt setzen, aus dem man hätte lernen können. Das war aufgrund unserer aktuellen Verfassung nicht möglich. Auch andere Bundesländer wären bereit. Diesbezüglich müssen wir auf jeden Fall eine Initiative setzen.

Zu guter Letzt: Ich bin nicht bereit, am Ende dieser Enquete-Kommission nur einen philosophischen Maßnahmenkatalog abzuwinken. Ich setze mich ganz klar dafür ein, dass wir spätestens im Herbst auch tatsächlich zu gesetzlichen Änderungen kommen. Ich hoffe, dass sich die Mehrheiten in diesem Sinne bewegen werden.

Sie, Kollege Gerstl, haben auch den Widerstand in den verschiedenen Fraktionen angesprochen. In meiner Fraktion gibt es keinen Widerstand. Was es gibt, und das möchte ich gar nicht verschweigen, ist eine unterschiedlich ausgeprägte Liebe zur direkten Demokratie. Was ich hier präsentiere, basiert aber auf einem sehr breiten Prozess bei den Grünen.

Ich würde diejenigen Parteien, bei denen es noch Widerstand gibt – bei der FPÖ schüttelt man den Kopf und sagt, es gebe dort keinen Widerstand, aber ich schaue jetzt wieder in Richtung SPÖ –, wirklich bitten, diese Enquete-Kommission zu nutzen, um in sich zu gehen und sich zu fragen: Woher kommt denn dieser Widerstand überhaupt? Was befürchte ich, persönlich als Funktionär und als Partei, zu verlieren? Danach sollten Sie sich aber auch fragen: Was könnten wir als Parlament durch die dreistufige Volksgesetzgebung und mehr direkte Demokratie alles gewinnen? (Beifall.)

*****

Abgeordneter Rouven Ertlschweiger, MSc (Team Stronach): Vorab möchte ich mich bei unseren acht ausgelosten Bürgern bedanken, die immer geduldig den Ausführungen der Politiker und der Experten zuhören. Ich kann mir vorstellen, dass das nicht immer sehr angenehm und leicht ist, deswegen auch einmal von meiner Seite ein Dankeschön.

Wir haben in den vergangenen drei Sitzungen dieser Enquete-Kommission betreffend Stärkung der direkten Demokratie in Österreich von den vortragenden Expertinnen und Experten verschiedene Standpunkte und Statements zu diesem sehr ernst zu nehmenden Thema gehört. Dabei wurden nicht nur der derzeitige Status quo in Österreich und die teilweise sehr unterschiedlichen Standpunkte der Länder, sondern auch ein internationaler Vergleich erhoben und beleuchtet. Für die heutige Sitzung haben wir zudem Experten und Vertreter von NGOs, welche das Meinungsbild der organisierten Zivilgesellschaft aufzeigen, eingeladen, um auch die Meinungen und Anregungen der Zivilgesellschaft in den politischen Prozess mit einfließen zu lassen. Ich möchte daher auch den heute hier anwesenden Experten und Expertinnen meinen Dank aussprechen.

Meiner Meinung nach sollte direkte Demokratie primär ein Kriterium erfüllen, nämlich eine verstärkte Berücksichtigung der Anliegen und der Meinung der Bevölkerung als Basis für die Entscheidungsfindung durch die politischen Gremien sicherzustellen. Sie darf jedoch nicht dazu führen, dass schwierige Entscheidungen oder gar die Verantwortung auf die Bevölkerung abgeschoben werden. Das kann es nicht sein!

Immer mehr Menschen – und da stimme ich mit der Expertin Frau Dr. Fürst überein, die wir in der ersten Sitzung gehört haben – wenden sich von der Politik ab, immer mehr Menschen sind politikverdrossen. Man hört immer öfter, egal, wohin man geht, dass die Menschen den politisch Agierenden nicht viel zutrauen und politikverdrossen sind. Vielleicht glauben manche Politiker, dass sie da gegensteuern können, wenn sie in Form der direkten Demokratie auf die Bevölkerung zugehen. Doch das ist nicht der eigentliche Sinn dahinter. Der eigentliche Sinn sollte sein, dass die betreffenden Menschen ein Institut bekommen, durch das sie auf Augenhöhe mit den Politikern Meinungen austauschen können, und der Gesetzgeber das Ergebnis schließlich umsetzt – und nicht, dass die Politik aufgrund von Umfragetiefs den Menschen Sand in die Augen streut.

Ich denke mir, dass es wichtig ist, über die Hürden für die direkte Demokratie zu sprechen und diese, wenn nötig, abzuschaffen, denn wir wissen, je geringer die Hürden sind, desto mehr Menschen werden sich an der direkten Demokratie beteiligen.

Wir vom Team Stronach sprechen uns immer noch für die Einführung von Bürgervertretern aus. Die Vorarlberger Bürgerräte sind ja ein solches Erfolgsmodell, bei dem eine aktive Verbindung zwischen Politik und Bürgern geschaffen wurde. Das ist bereits ein gutes Beispiel. Solche Erfolgsmodelle sollten auch in der Bundespolitik Platz greifen, um den Austausch zwischen Bürgern und Politikern zu fördern und um den daraus resultierenden Mehrwert hier im Hohen Haus politisch wie legistisch umzusetzen. Meiner Meinung nach wäre die Aufrechterhaltung großer politischer Apparate, wie der EU-Verwaltung, des Nationalrates, des Bundesrates, der Landesregierungen sowie der Bezirks- und Gemeindegremien mit Entouragen et cetera, anders nicht zu verantworten, das heißt, wenn diese nicht auch ihren Aufgaben und Verantwortungen nachkommen und diese voll erfüllen würden. Dass dabei aber auch oft die betroffene Bevölkerung vergessen und gar nicht miteingebunden wird, das schlägt sich eben in der Politikverdrossenheit und der sinkenden Wahlbeteiligung – das ist auch ein Faktum – nieder.

Meiner Ansicht nach wären folgende Maßnahmen sinnvoll: eine Ausweitung von Volksbefragungen und Volksbegehren zu Ermessensfragen wie zum Beispiel der Gestaltung von Stadtteilen à la Mariahilfer Straße, der Ausdehnung der Parkzonen mit Gebührenpflicht, des Binnen-I, des Textes der Bundeshymne et cetera, mit verbindlicher Berücksichtigung und Umsetzung der Ergebnisse bei einer qualifizierten Mehrheit, weil dann die Bürger wirklich sehen, dass es nicht sinnlos ist, sich zu beteiligen, und dass sie auch gehört werden.

Eine weitere Maßnahme wäre die verstärkte Information der Bevölkerung, insbesondere der Schüler und Jugendlichen, also politische Bildung im Unterricht, Einblick in politische Belange sowie ein Jugend- und Lehrlingsparlament, dessen Premiere wir vergangene Woche hier gefeiert haben und das wirklich sehr gut bei den jungen Menschen angekommen ist.

Eine andere Maßnahme wäre die verstärkte Einbindung von Vertretern qualifizierter Organisationen, wie zum Beispiel von NGOs und Fachorganisationen, in die Informationsbeschaffung, zum Beispiel in parlamentarischen Ausschüssen.

Und zu guter Letzt wären Transparenz und eine weitgehende Information der Bevölkerung über die Vorgänge in der Politik durch eine Übertragung der Nationalratssitzungen, der Bundesratssitzungen, aber auch der Ausschusssitzungen sinnvoll.

Am Ende dieser Enquete-Kommission sollte eine Einigung zustande kommen, welche nicht nur die Parteiinteressen der verschiedenen Fraktionen widerspiegelt, sondern auch die Meinungen und Vorschläge der ausgewählten Bürger miteinfließen lässt. Schließlich wurden diese Personen ausgewählt, um das österreichische Volk zu repräsentieren, und meiner Meinung nach haben sie es sich auch verdient, hier gehört zu werden.

Ich bin wirklich voller Hoffnung, dass wir am Ende eine Lösung verabschieden werden, die wir nicht nur abwinken – da stimme ich mit Kollegin Musiol überein –, sondern zu der wir auch stehen, die herzeigbar ist und auf die wir stolz sein können. (Beifall.)

*****

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak (NEOS): Ich würde gerne auf drei Aspekte eingehen, die mir im Verlauf der gesamten Enquete-Kommission aufgefallen sind. Der erste Aspekt betrifft die Feststellung, dass der Tenor in den Aussagen fast aller Experten war, dass direkte Demokratie und Mitbestimmung etwas sind, wovor wir uns nicht fürchten müssen, dass wir uns nicht vor den Bürgerinnen und Bürgern fürchten müssen. Das ist auch von den Bürgerinnen und Bürgern selbst eingebracht worden. Ich glaube, das ist ein ziemlich einhelliger Tenor, das sollten wir uns alle einmal bewusst machen, dass es so ist.

Es wurden viele Punkte angeführt, wieso Mitbestimmung momentan so schwierig ist. Das hat sehr viel damit zu tun, dass die Elemente, die wir jetzt haben, so umgesetzt wurden, dass sie teilweise nicht ernst zu nehmen waren. Das waren Suggestivfragen, das war eine Scheinpartizipation, bei der man versucht hat, die Leute einzubinden, und am Schluss hat man vielleicht doch etwas anderes gemacht. Also das sind Dinge, die wir mitbekommen haben.

Was ich aber auch für wichtig halte, ist, dass wir mitbekommen haben, dass Partizipation immer weitergedacht werden sollte. Das heißt – was ganz klar ist –, dass es nicht sein kann, dass nur das Parlament die Durchführung von Volksabstimmungen ermöglicht, sondern dass dies auch aus der Bevölkerung kommen können muss.

Wir haben auch gehört, dass es ganz wichtig ist, dass direktdemokratische Mittel nicht von politischen Parteien in irgendeiner Art und Weise missbraucht werden, sondern dass direkte Demokratie dann gut funktioniert, wenn sie von unten kommt. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern immer auch die entsprechenden Informationen bereitstellen, dass solche Mittel überhaupt angewandt werden können. Wir müssen natürlich die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern, damit es möglich wird, dass direktdemokratische Mittel wirklich von unten verwendet werden.

Ich glaube, wichtig ist auch – und das haben wir schon gehört –, dass es nicht nur darum geht, dass es Mittel gibt, im Zuge derer man dann an einem Tag abstimmen kann, sondern dass wir generell viel mehr Beteiligung schaffen müssen. Da gibt es ganz viele Möglichkeiten, die wir hier im Parlament leichter umsetzen können als die klaren gesetzlichen Rahmenbedingungen, die wir schaffen müssen.

Es geht dabei um ein transparenteres und offeneres Parlament, längere Begutachtungsfristen für Gesetze mit der Möglichkeit, dass die organisierte Zivilgesellschaft oder Bürgerinnen und Bürger, die sich für etwas einsetzen wollen, Stellungnahmen abgeben. Gesetze sollten einen klaren Legal Footprint haben, sodass wir sehen, woher sie kommen.

Das ist ein ganz wesentlicher Aspekt, wie wir Mitbestimmung besser gestalten können, weil es eben, auch aus meiner Sicht, nicht nur darum geht – sehr wohl auch, aber nicht nur darum –, Initiativen zu schaffen, dass die Bürgerinnen und Bürger irgendwann einmal abstimmen können und dass sie nicht nur alle fünf Jahre wählen oder bei einer entsprechenden Volksbefragung oder -abstimmung abstimmen können. Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger länger und dauerhaft mitnehmen, weil klar ist, dass die Beteiligung viel mehr Vertrauen in Entscheidungen schafft und zu deren Akzeptanz führt.

Der zweite Punkt betrifft die Art der Durchführung dieser Enquete-Kommission. Wir haben in der letzten Sitzung sehr starke Kritik gehört, die ich bis zu einem gewissen Grad teile und verstehe. Was man aber auch sehen muss, ist, glaube ich, dass es ein Anfang ist, dass das Parlament es überhaupt schafft, sich so zu öffnen. Das ist der erste Schritt, dass wir das Parlament in diesem ganzen Prozess offener machen, dass in diesem Fall acht Bürgerinnen und Bürger mitentscheiden und mitdiskutieren können. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt.

Jetzt können diese Bürgerinnen und Bürger vor allem einmal mitdiskutieren und weniger mitentscheiden. Ich denke aber, das entspricht dieser Beteiligung, von der ich spreche und die dauerhaft sein muss. Wir müssen uns überlegen, wie wir das besser gestalten, wenn wir das noch öfter machen, aber es ist ein mutiger Schritt, das einmal gemacht zu haben, und ich halte es für ganz wichtig, dass es funktioniert.

Ein letzter Punkt – ganz kurz, weil diese Enquete-Kommission ja an und für sich die Stärkung der Demokratie zum Thema hat und nicht nur die Stärkung der direkten Demokratie – betrifft die Frage, wie wir das – ich habe es bereits angedeutet – im Parlament direkt umsetzen können. Ich glaube, wir haben hier im Parlament in letzter Zeit schon ganz wichtige Dinge geschafft. Wir haben es geschafft, den Untersuchungsausschuss zu einem Minderheitsrecht zu machen.

Ich glaube aber, der wesentlichste Punkt ist, dieses Parlament dauerhaft viel offener und transparenter zu gestalten, klarer nachvollziehbar zu machen, wie Gesetzesinitiativen entstehen, und die Kontrollrechte zu verstärken. Wenn wir diese parlamentarischen Abläufe transparenter gestalten, schaffen wir es, dass die Bürgerinnen und Bürger dauerhaft bei diesem Prozess dabei sind. Das ergänzt nämlich die anderen Optionen, die wir hier diskutieren, wie Volksabstimmungen oder ‑befragungen. Wovon ich überzeugt bin, ist, dass wir auch Volksabstimmungen aus der Bevölkerung heraus brauchen. Ein ganz wesentlicher Punkt ist aber, dass diese Dinge dauerhaft bestehen.

Ich meine, ganz wichtig ist auch – Kollege Stefan hat es angesprochen –, dass es kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander ist. Es gibt einerseits das Parlament, das Entscheidungen fällen soll – wir müssen aber immer daran denken, wie wir die Bevölkerung dauerhaft in den Prozess einbinden –, und andererseits die Möglichkeit von Initiativen aus der Bevölkerung, die dann zum Beispiel in Volksabstimmungen münden, das heißt, in klare Entscheidungen, die dann auch umgesetzt werden.

Es ist sehr wichtig, dass das zweigleisig ist, dass es zwei Entitäten gibt, die gemeinsam funktionieren müssen, wobei aber immer auch klar ist, dass im Mittelpunkt des Ganzen die Bürgerinnen und Bürger stehen und dass diese zwei Entitäten nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern immer das Miteinander im Vordergrund steht. (Beifall.)

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B. Diskussion

Obfrau-Stellvertreter Präsident Ing. Norbert Hofer leitet zur Diskussion über und erteilt Herrn Dkfm. Ing. Chlestil das Wort.

Dkfm. Ing. Gustav Chlestil (Auslandsösterreicher-Weltbund): Sind wir uns eigentlich bewusst, welch enormes Kapital die große Zahl der im Ausland lebenden Staatsbürger hinsichtlich Erfahrung und Kenntnis darstellt, vor allem aber auch welch politisches Potenzial? Der Grund dafür, dass man – mit Recht – die im Ausland lebenden Bürger als zehntes Bundesland bezeichnet, liegt wohl darin, dass es nahezu 500 000 Menschen sind, die mit österreichischer Nationalität in aller Welt leben. Damit sind sie in der Anzahl vergleichbar mit Bundesländern wie Vorarlberg oder dem Burgenland. Unter ihnen befinden sich 300 000 Wahlberechtigte.

Der Auslandsösterreicher-Weltbund, der 1952 gegründet wurde, ist heute die einzige Vertretung dieser großen, in aller Welt lebenden Gruppe von Staatsbürgern in politischer, sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht. Die Teilnahme am demokratischen Geschehen in Österreich war für die Auslandsösterreicher nicht von Anfang an eine Erfolgsgeschichte. Man musste alles hart erkämpfen. Ich erinnere daran, dass erst im Jahre 1989 durch ein Urteil des Verfassungsgerichtshofes die Teilnahme an Bundeswahlen erkämpft wurde. Man hat dann derartig prohibitive Durchführungsverordnungen erstellt, dass die Zahl der damals nahezu 80 000 in der Wählerevidenz eingetragenen Auslandsösterreicher aus Frustrationsgründen bis heute auf unter 50 000 geschrumpft ist. Sie erinnern sich, man musste damals zwei Zeugen beibringen, die ihre Passnummern eintragen mussten. Für jede relevante Wahl musste extra eine schriftliche Anforderung einer Wahlkarte erfolgen. Das war an sich etwas, das abgeschreckt hat, diese Wahlmöglichkeit wirklich anzunehmen. Durch die Hartnäckigkeit des AÖWB und die Unterstützung von vielen Stellen und auch Parteien haben wir Schritt für Schritt Verbesserungen in der Rechtsordnung bis hin zur heutigen Briefwahl erreicht, die zudem für die im Inland lebenden Bürger einen absoluten Fortschritt darstellt.

Wir sind darüber erfreut, dass das sogenannte Demokratiepaket für die laufende Gesetzgebungsperiode übernommen wurde. Eine rasche Verabschiedung des seinerzeitigen Entwurfs 2177/A würde bedeuten, dass Auslandsösterreicherinnen und Auslandsösterreicher beispielsweise endlich berechtigt wären, auch Volksbegehren zu unterstützen. Es geht aber um mehr. In dem in Rede stehenden Entwurf wird auch die Schaffung eines Zentralen Wählerregisters genannt. Ein solches Register böte viel mehr Möglichkeiten und sollte daher so schnell wie möglich realisiert werden.

Das in den einzelnen Wahlgesetzen verankerte Fristengefüge ist für viele außerhalb Europas lebende Österreicher viel zu kurz bemessen. Die Wahlkarten gelangen oft nicht fristgerecht nach Österreich zurück. Es wäre also hoch an der Zeit, die Möglichkeit der Stimmabgabe mittels E-Voting in der Bundesverfassung zu verankern. Sicherheitstechnisch ist längst alles gelöst. Estland praktiziert E-Voting seit Jahren mit Erfolg. Von den 26 Kantonen in der Schweiz sind heute mehr als 16 bereits mit dieser modernen Art des Wahlrechts befasst, und man versucht, in absehbarer Zeit da alle Kantone hineinzubringen.

Weltweit gibt es elf Staaten, die die Wahl von eigenen Abgeordneten für Auslandsbürger vorsehen. In Europa sind es vier Staaten: Frankreich, Italien, Portugal und Kroatien. Ich bin mir darüber im Klaren, dass hiefür eine Änderung der Bundesverfassung erforderlich wäre und dass es auch bei einer entsprechenden verfassungsgesetzlichen Zulässigkeit kaum möglich wäre, eine solche Vertretung in das bestehende dreistufige Wahlrecht einzubauen. Das heißt also, wir möchten eine Vertretung der Auslandsösterreicher im Hohen Haus! Ich bin der festen Überzeugung, dass sich eine solche Vertretung verankern ließe, wenn sich eine breite Mehrheit der Abgeordneten dafür einsetzen würde.

Es schwebt uns eine Lösung mit sogenannten Einerwahlkreisen vor. Eine solche Lösung ist den Überlegungen in diesem Haus keineswegs fremd, sie wurde schon vor über 20 Jahren immer wieder ernsthaft angedacht. Mit der Verankerung der Erststimme und der Zweitstimme kennt man in Deutschland seit langer Zeit eine solche Regelung, bei der Personen direkt gewählt werden können und dennoch das Prinzip des Verhältniswahlrechts strikt eingehalten wird. Schließen Sie sich dieser unserer Vision an, denn eine Vision, meine Damen und Herren, ist die Zukunft im Kopf!

Eine zielführende Rede ist wie ein elegantes Damenkleid: lang genug, um den wesentlichen Inhalt abzudecken, kurz genug, um die Aufmerksamkeit zu erregen. (Beifall.)

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Mag. Barbara Ruhsmann: Da es hier heute genug Experten für die Instrumente der direkten Demokratie gibt, sehe ich meinen Part eher darin, persönliche Wahrnehmungen zu artikulieren.

Ich denke, dass es wirklich hoch an der Zeit wäre, dass sich unser traditionelles politisches System öffnet und mehr Bürgerbeteiligung zulässt. Ich denke, dass etwas dieser Beteiligung wesentlich entgegensteht, nämlich das Streben nach Machterhalt, das den traditionellen Parteien sehr inhärent ist.

Dazu eine kurze plakative Darstellung: Wie sieht der traditionelle Weg eines an politischer Gestaltung interessierten Menschen in Österreich aus? – Man beginnt im Idealfall, sich in einer Partei zu engagieren, der man sich ideologisch nahe fühlt. Man engagiert sich zunächst meist auf kommunaler Ebene, im Bezirk oder in der Gemeinde, wo es noch recht bürgernahe zugeht. Dieses Engagement ist im besten Sinne gemeinnützig, in seiner Unmittelbarkeit auch schön und befriedigend, aber zumindest finanziell betrachtet eher undankbar, da schlecht bis gar nicht bezahlt.

Wer wirklich fürs politische Geschäft Feuer fängt, begabt ist und die Politik zum Beruf machen will, nimmt irgendwann potenzielle Karrierewege ins Visier – das ist normal und keineswegs verwerflich. Das Problem dabei ist: Je tiefer man sich in einen Parteiapparat begibt, je weiter man in der Parteihierarchie nach oben steigt, desto mehr scheint man dazu zu tendieren, die viel beschworene BürgerInnennähe zu verlieren, gilt es doch, sich im Parteikörper zurechtzufinden, Positionen abzugleichen, eine gemeinsame Sprache zu finden, schlussendlich für die eigene Partei zu kämpfen – immer mehr leben für die Parteiwirklichkeit. Immer mehr Zeit und Energie werden investiert, um die eigenen Stellungen und Einflussbereiche – die sogenannten Pfründe – zu sichern. Immer weniger Zeit und Energie bleiben dem einzelnen Parteimenschen für so etwas wie eine unabhängige und freie Meinungsbildung. Die Offenheit für die Welt außerhalb der Parteiwirklichkeit wird immer geringer.

Ich denke, wie gesagt, dass dieses den Parteien so immanente Streben nach Machterhalt der Hauptfeind neuer Formen von echter Bürgerbeteiligung ist. Daher mein Appell: Haben Sie doch mehr Mut zur Lockerheit, Mut zur Verunsicherung durch die Welt außerhalb der Partei! Haben Sie Mut zum Machtverlust! Das ist nicht undenkbar, es bedeutet auch nicht Chaos und Untergang, sondern wäre eigentlich die Voraussetzung für Lebendigkeit.

Wer hier heute nicht eingeladen ist, ist die IG Demokratie, eine NGO mit vielen guten Vorschlägen, wie ich meine. Ich möchte Ihnen einen davon unterbreiten: Österreich leistet sich eine überaus gut dotierte Parteienförderung auf Bundes- und Landesebene. Jeder Wahlberechtigte leistet dazu einen Beitrag, aber nicht jeder Wahlberechtigte geht zur Wahl. Nicht jeder Wahlberechtigte findet im derzeitigen Angebot noch eine Partei, die ihm zusagt. Es wäre daher eigentlich folgerichtig, den Parteien nur einen aliquoten Förderungsbeitrag auszubezahlen, der eben den NichtwählerInnenanteil berücksichtigt. Der Anteil, der der Partei der NichtwählerInnen zusteht – das wäre kein kleiner –, sollte dann in Projekte zur Stärkung der Demokratie gesteckt werden. Da gibt es viel zu tun, zuvorderst wohl die flächendeckende Einführung des Faches Politische Bildung an allen Schultypen.

Um diesen Vorschlag der IG Demokratie umzusetzen, bräuchte es allerdings schon eine sehr große Portion an Mut zum Machtverlust. Die solchermaßen empfindlich reduzierte Parteienförderung hätte natürlich auch einen starken Rückbau der Parteiapparate zur Folge. – So weit die Idee der IG Demokratie.

Sie gewinnen aber auch überhaupt nicht, wenn Sie versuchen, im jetzigen System zu bleiben oder mit kosmetischen Oberflächenbehandlungen davonzukommen. Das Maß an Frustration in der Bevölkerung wächst seit Jahren und die Toleranz für machtpolitisches Gerangel sinkt und sinkt. Es macht zum Beispiel keinen Spaß mehr, das mittlerweile jahrzehntelange Hickhack um die Bildungsreform mitzuverfolgen. Es ist nur noch bitter. Die Einzigen, die Sie mit Schauspielen dieser Art gewinnen, sind weitere NichtwählerInnen oder im besseren Fall überparteiliche AktivistInnen!

Sachpolitik und Reformpolitik ohne Rücksicht auf Verluste – ohne Rücksicht auf Stimmenverluste – unter verstärktem Einbezug der Bevölkerung, das brächte frischen Wind ins Land und in die Parteien, und das bräuchten wir dringend, wie ich finde.

In diesem Sinne: Mut zu einer Lockerungsübung, Mut zum Machtverlust und hin zu neuer Partnerschaftlichkeit mit Ihrem Souverän, dem Volk! (Beifall.)

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Dr. Peter Kostelka (Österreichischer Seniorenrat): Der Österreichische Seniorenrat, dessen Position ich hier zu vertreten habe, hat sich sehr eingehend mit der Problematik, den Vorschlägen und dem in Verhandlung stehenden Entwurf und Initiativantrag befasst. Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich festhalten, dass wir einige Perspektiven, die in diesem Antrag enthalten sind, als außerordentlich positiv empfinden, wie beispielsweise die Öffnung der Petition für den elektronischen Zugang, aber auch die elektronische Wählerevidenz, die es Österreichern ermöglicht, nicht nur an ihrem Wohnort, sondern überall – auch im Ausland – ihre Stimme für ein Volksbegehren abzugeben, was, wie wir vorhin gehört haben, außerordentlich wichtig ist im Sinne eines gewissen Wahlgeheimnisses.

Wir haben aber nicht unwesentliche Einwände und Bedenken im Zusammenhang mit den vorgeschlagenen konkreten Maßnahmen. Das fängt mit ganz einfachen legistischen – fast würde ich sagen: plumpen – Problemen an, nämlich die ziemlich stark auffallende Verwendung von unbestimmten Gesetzesbegriffen. Das stellt eine sehr große Gefahr dar, denn mit Inhalt erfüllt werden sie auf jeden Fall, aber nicht von jenen, die entsprechende politische Meinungen zu bilden haben, sondern von Gerichten, die von ganz anderen Perspektiven ausgehen.

Was heißt: offenkundiger Verstoß gegen das Recht der EU? – Für mich als Jurist ist es klar, dass es einen Verstoß oder einen Nicht-Verstoß gibt, aber einen Verstoß, der einem fürs Erste auffällt oder nicht auffällt, den kenne ich nicht. Anders formuliert: Heißt das, dass die unrühmlich bekannt gewordene Gurkenkrümmungsverordnung, weil sie jeder kennt, ein offenkundiger Verstoß gegen EU-Recht wäre, aber ein Verstoß gegen die Verordnung der höchstzulässigen Traktorsitzschwingungen, die keiner kennt, keinen offenkundigen Verstoß darstellt?

Eine weitere Formulierung lautet: eine erhebliche Belastung der Finanzen des Bundes. Was ist das? – 1 Promille, 1 Prozent, 3 Prozent, 5 Prozent? Heißt das, dass eine einmalige Belastung des Bundeshaushalts unerheblich und eine permanente Belastung erheblich ist? Was bedeutet der Bedeckungsvorschlag, der in diesem Zusammenhang gemacht wird? Reicht es, hinzuschreiben: Und du, liebe Republik Österreich, finanziere dich aus nicht gezahlten, hinterzogenen Steuern und aus der Verwaltungsreform!?  Solche Beispiele gibt es genug. Ich glaube nicht, dass das ausreicht.

Die Frage der unbestimmten Gesetzesbegriffe ist ein Aspekt. Es geht aber darüber hinaus auch noch um nicht unwesentliche Bereiche der systembezogenen Problematiken, die wir zu behandeln haben. Der Antrag enthält Filter – die Erheblichkeit des politischen Willens, der zum Volksbegehren und dann zur Volksabstimmung führen soll, wird vorausgesetzt. In diesem Zusammenhang ist von finanziellen Belastungen und Ähnlichem die Rede, wobei ein Teil der Grundrechte darunterfällt, nämlich jener Teil, der vertraglich abgesichert ist. Das Staatsgrundgesetz wäre frei disponibel. Was uns in diesem Zusammenhang ganz wesentlich erscheint, ist aber, dass auf diese Weise das Einzelrecht, der Schutz des Vertrauens des Bürgers in die Rechtsordnung nicht entsprechend berücksichtigt wird.

Auch andere systematische Schwächen wären zu diskutieren, wie beispielsweise dass der Verfassungsgerichtshof viel zu spät zur Entscheidung gerufen wird.

Machen wir aber einen ganz kurzen Befund aufgrund der Empirie! In den letzten 70 Jahren hätten sechs Volksbegehren die Voraussetzung für ein qualifiziertes Volksbegehren erfüllt und vier weitere jene für ein einfaches Bundesgesetz. Rund die Hälfte wäre an den vorher genannten Filtern gescheitert. Bei einer Propagierung des Plebiszits muss man sich dessen bewusst sein, dass solche formalen Diskussionen an den Kern der Glaubwürdigkeit des Plebiszits gehen, aber auch an den Kern der Glaubwürdigkeit des politischen Systems.

Ich bin fest davon überzeugt, dass Nationalrat und Bundesrat als Gesetzgeber gut beraten sind, mit NGOs und der Zivilgesellschaft möglichst häufig in Kontakt zu treten. Aus diesem Bereich kommen wesentliche Ideen und sehr starke aktuelle politische Anliegen. NGOs vertreten sehr pointiert bestimmte Interessen, Perspektiven, Überlegungen und gesellschaftliche Notwendigkeiten, per definitionem sind sie jedoch eines mit Sicherheit nicht, nämlich repräsentativ und für die Gesamtgesellschaft zu legitimieren. Ich glaube daher in diesem Zusammenhang, dass es notwendig ist, die Gespräche, wie sie auch hier stattfinden, zu intensivieren, ich zweifle aber daran, dass man diesen Schritt im Sinne einer Gesamtänderung der Bundesverfassung tatsächlich in dem vorgeschlagenen Ausmaß setzen sollte.

Die Erfahrungen der Republik sind in diesem Zusammenhang sehr reich. Sie umfassen 37 Anwendungsfälle derartiger direktdemokratischer Instrumentarien in den letzten 50 Jahren, sodass wir von der Empirie ausgehend Schritt für Schritt in Richtung Akzeptanz gehen sollten. (Beifall.)

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Helga Schattauer: Für mich ist die kleinste Demokratie die Familie, im Normalfall wird da alles entschieden. Es ist aber in Österreich schon in den Bezirken – was dort die kleinstmögliche Demokratie wäre – sehr schwierig, Gehör zu finden, wenn man eine kleine Initiative starten möchte.

So wie bei uns, zum Beispiel, die Schnellstraße in Hirschstetten: Was für unsere Initiative sehr unverständlich ist, betrifft Frau Vassilakou, die immer wieder Rad- und Fußgängerbeauftragte einsetzt, aber ein großer Befürworter dieser Schnellstraße ist. Sie nimmt nicht nur unseren Lebensraum weg, sie verkleinert den Reservegarten, der, glaube ich, für seine Weihnachtsmärkte, Ausstellungen und jetzt sogar als Hochzeitslocation und so weiter bereits in ganz Wien bekannt ist. In Hirschstetten haben wir einen ganz kleinen Altstadtkern mit uralten Häusern, von denen ich leider nicht weiß, ob sie unter Denkmalschutz stehen, die aber besonders geschützt gehören.

Wer trägt diese Ausgaben in Millionenhöhe für ein Projekt, das meiner Meinung nach unnötig ist? Als man die Seestadt gebaut hat – und es läuft immer wieder darauf hinaus, dass die Leute irgendwie auch dorthin kommen müssen –, wurde ja schon die U2 gebaut und bis dorthin verlängert. Gerade Frau Vassilakou betont immer wieder, man solle auf die öffentlichen Verkehrsmittel zurückgreifen, daher verstehe ich nicht, warum man die U2 nicht mehr nutzen sollte. Sie könnte vielleicht in kürzeren Intervallen und nicht nur alle 14 Minuten dorthin fahren.

Zur direkten Demokratie möchte ich Folgendes sagen: Als Bürgerin habe ich immer wieder das Gefühl, dass einfach über einen „drübergefahren“ wird. Vielleicht liest man in den Parteien wenig Tageszeitungen oder Kommentare auf Facebook, Twitter und so weiter, sodass man nicht weiß, was die Bevölkerung eigentlich fühlt. Man hört dann immer wieder, man kann das Volk nicht befragen, es kennt sich nicht aus. Ich glaube, wir haben alle eine Meinung und diese sollte man auch hören – nicht von jedem Einzelnen, das ist schon klar, das geht nicht. Eine Volksbefragung, die ja nicht rechtsbindend ist, könnte jedoch eigentlich von jedem Meinungsforschungsinstitut durchgeführt werden – aber natürlich nicht so, wie diese berühmte Sonntagsbefragung in der „Kronen Zeitung“: 600 Leute werden gefragt. Ich frage mich jeden Sonntag: Welche 600 Leute werden bei diesem Barometer befragt?

Es kommen oft Politiker vor, die kennt man – also ich zumindest – nicht, weil sie eigentlich viel zu wenig präsent sind. Es kommt aber nicht nur auf die Präsenz an, sondern auch auf den Inhalt, was der einzelne Mensch verkörpert oder was er als Politiker uns, der Bevölkerung, sagen möchte. Deswegen finde ich halt, dass diese Volksbefragung eigentlich wahnsinnig viel Steuergeld verbraucht – die Broschüren, Kampagnen, Plakate und so weiter. Im Endeffekt macht man sein Kreuzerl irgendwohin, und dann werden die Stimmen von Menschenhand ausgezählt.

Ich erwähne das, weil immer wieder dieses E-Voting genannt wird und dass man es wegen irgendwelcher Verletzungen nicht durchführen kann. Das finde ich nicht, denn wenn man jetzt den dreihundertsten Zettel in der Hand hat und über Stunden hinweg festhalten muss, ob da bei der Frage 1 Ja oder Nein angekreuzt wurde, dann sagt man halt: Ja, Ja, Ja – und der andere macht das Stricherl. Aber wer überprüft, ob da wirklich ein Ja gestanden ist oder nicht? – Das wäre wieder ein Personalmehraufwand, der immenses Geld kostet, das eigentlich anderweitig viel mehr gebraucht würde, zum Beispiel für unsere Bildungsreform, mit der es von Jahr zu Jahr steil bergab geht.

Ich habe selbst zwei Kinder mit sechs Jahren Altersunterschied. Sie haben denselben Schultyp besucht, man kann aber in Bezug auf den Bildungsstandard vom Großen zur Kleinen eigentlich nicht nachvollziehen, welche Verluste da zu tragen waren, wenn man als Elternteil nicht dahinter war oder nicht die Zeit hatte, sich am Samstag, Sonntag, Feiertag hinzusetzen und mit den Kindern zu lernen.

Und überhaupt: Warum wird so wenig Allgemeinwissen vermittelt? Die Kinder werden getrimmt auf Algebra, auf irgendwelche Zeichnungen, ob der Kreis rund ist – also dass der Kreis rund ist, weiß man, aber irgendwelche Hypotenusen oder sonst irgendetwas –, und wenn man sie nach drei mal drei fragt, kommt keine Antwort. Das kann es nicht sein, denn es ist lebensnotwendig, dass man die Grundformen hat und nicht irgendein Spezialwissen. Nicht jeder kann studieren, und es wäre auch für unsere Gesellschaft fatal, wenn wir nur mehr Studierte hätten und keine Handwerker. (Beifall.)

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Prof. Herwig Hösele (Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform): Ich spreche für die Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform. Wir haben uns im Jahr 2008 gegründet, es waren hauptsächlich viri probati, also ältere Herren, in Sorge über eine zunehmende Demokratieverdrossenheit und verstärkte Protestphänomene.

Wir haben im Jahr 2008 unsere ersten Vorschläge gemacht, haben unmittelbar vor der Nationalratswahl alle Parlamentsfraktionen kontaktiert und gebeten, uns mitzuteilen, ob sie bereit wären, für eine Enquete-Kommission in der XXIV. Legislaturperiode, die 2008 begann, einzutreten. Natürlich sind damals alle dafür eingetreten, sie ist allerdings erst fünf oder sechs Jahre später gekommen.

Inzwischen sind die Protestphänomene leider etwas größer geworden, wie das letzte Nationalratswahlergebnis von 2013 gezeigt hat, um das kurz in Erinnerung zu rufen. Erstmals wurden die Nichtwähler in Österreich zur größten Gruppe, größer als die Sozialdemokratie. Die Wahlbeteiligung ist trotz Ausfächerung des Parteienspektrums noch einmal gesunken.

Schon davor, im Jahr 2012, habe ich die Möglichkeit gehabt, in der Arbeitsgruppe Parlamentarismusreform, Untergruppe Direkte Demokratie, unter dem Vorsitz von Frau Nationalratspräsidentin Prammer darum zu ersuchen, doch Initiativen zu setzen. Im Jahr 2013 ist das Demokratiepaket beschlossen worden, das auf Druck des Establishments – sage ich –, angeführt vom sehr ehrenwerten und von mir hochgeschätzten Herrn Bundespräsidenten und Nationalratspräsidenten außer Dienst und dem Herrn Verwaltungsgerichtshofspräsidenten außer Dienst und unter Beifall vieler Bedenkenträger in die nächste Legislaturperiode verschoben wurde.

Ich würde Sie dringend bitten, zumindest den vorliegenden Kompromiss am Ende dieser Enquete-Kommission noch einmal ernsthaft zu bedenken und auch zu beschließen.

Wir – und das ist jetzt die Position unserer Initiative – befürworten den Ausbau der direkten und partizipativen Demokratie auch unter Einbeziehung der Möglichkeiten der digitalen Demokratie. Direkte Demokratie ist aber kein Allheilmittel für alle Probleme des politischen Systems in Österreich. Wir brauchen eine neue Balance von selbstbewussten Parlamentariern und engagierten Bürgern. Neben der Einführung stärkerer partizipativer Elemente, die zu einer ernsthafteren Befassung mit Ergebnissen von Volksbegehren führen, ist ein persönlichkeitsorientiertes Wahlrecht, das den Einfluss der Parteiapparate zurückdrängt, unabdingbar.

Systemrelevant für eine vitale Demokratie sind daher auch Unabhängigkeit, Qualität und Vielfalt der Medien sowie lebenslange politische Bildung. Ich möchte das insbesondere auch deswegen unterstreichen, weil hier durchaus berechtigte Sorgen geäußert wurden, dass es Kampagnenmöglichkeiten gibt. Die Argumentationskraft der gewählten parlamentarischen Vertreter und eine durch systemrelevante qualitative Medien informierte Öffentlichkeit sind die Immunisierung dagegen.

Es ist ja auch so, dass die Bertelsmann-Studie „Partizipation im Wandel“ aus dem Jahr 2014 für Deutschland ergeben hat, dass die partizipative Demokratie in Wirklichkeit zur Stärkung der Demokratie im Allgemeinen führt. Daher möchte ich abschließend festhalten: Vertrauen ist das Kapital der Demokratie – das Vertrauen der Bürger in die Politik und in die Institutionen, aber auch das Vertrauen der Institutionen und der Politik in die Bürger. Daher kann ich nur sagen: Fürchtet euch nicht vor dem Volk!

Endlose Diskussionen ohne Umsetzung, also die sogenannte unendliche Geschichte, wie wir sie bei der Bundesstaats- und Föderalismusreform erlebt haben, schwächen das Vertrauen in die Demokratie, statt es zu stärken, und uns eint wohl alle der Wunsch nach einer Stärkung und Vitalisierung der Demokratie in Österreich. (Beifall.)

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Heinz Emhofer: Ich spreche hier als Bürger, weil Österreich ein Land der Sachverständigen, der Spezialisten und der Berater ist und Bürger sehr selten zu Wort kommen. Wir haben das Glück, hier sprechen zu können.

Um die politischen Interessen des Volkes zu verbessern und die Demokratie zu stärken, muss die Politik durch Aufklärung, Ehrlichkeit, Offenheit und Transparenz ihr Image verbessern. Ich möchte dazu einige Beispiele bringen, die das Volk oder die Bürger negativ beeinflussen.

Anneliese Rohrer schrieb im Jänner 2015 über „Die verkrampfte Demokratie“: „Die Befindlichkeit von Politikern: Angst vor jedem Machtverlust, Ahnungslosigkeit in den Beziehungen zu Bürgern und Argwohn allen gegenüber außer sich selbst.“

Die Frage ist: Woher kommt in Österreich diese tief sitzende Angst der Politiker vor direkter Demokratie und den Bürgern?

In einigen Schlagzeilen der letzten Wochen war vom Ignorieren von Einsparungspotenzialen und Empfehlungen des Landesrechnungshofs in Oberösterreich zu lesen. Man spricht davon, dass Landespolitiker Empfehlungen zu Förderrichtlinien des Landesrechnungshofes Oberösterreich ignorieren, von einem Kampf gegen Windmühlen bezüglich der Reformen, aber auch von den Privilegien der Nationalbank mit vielen Sozialleistungen trotz eines Durchschnittsgehaltes von zirka 100 000 € pro Jahr. Ergebnis: null!

GÖD – jetzt kommt es; eine aus meiner Sicht schockierende Ansage –: Kampfmaßnahmen wegen neuem Besoldungsgesetz, Verlust beim Jahreseinkommen von zirka 0,6 Promille. – Bei den Senioren geht es oft um Prozente, da geht es um 0,6 Promille! – Und die Reaktion des Staatssekretariates: Anpassung an Einkommen wird vorbereitet.

Nächste Schlagzeile: Faymann und Mitterlehner auf gefährlichem Kurs. – Dazu einige Beispiele, die von mir persönlich angedacht sind: Im Zusammenhang mit der Diskussion über die Zentralmatura wird ein Vorwurf gegen die Ministerin erhoben und ihr Rücktritt gefordert. Meine persönliche Meinung: Die Frau Ministerin ist keine IT-Fachfrau. Der Fehler liegt bei der technischen Abteilung. Wieso hat jedoch noch niemand gesagt, diese technische Abteilung muss ausgewechselt werden? Vielleicht handelt es sich um Sabotage durch Mitarbeiter? Weiß man es?

Rechnungshof: Zusammenlegung von Bezirksgerichten – Urgenz, noch immer nicht erledigt. – Eine dilettantische Organisation! In meiner Heimatstadt Perg wurde das Bezirksgericht per Gesetz mit jenem von Mauthausen zusammengelegt, und dann hat sich herausgestellt, wir brauchen ein neues Bezirksgericht, die Räume sind zu klein. Es wurde dann von heute auf morgen das Grundbuch entfernt, und seit zwei Jahren haben wir in Perg keine Möglichkeit mehr, als Bürger das Grundbuch einzusehen, nur mehr Rechtsanwälte und Notare können dies bei gerichtlichen Angelegenheiten tun.

Die oberösterreichische Landesregierung hat jetzt reagiert. Seit kürzester Zeit gibt es – weil ja an den Schulen die politische Bildung nicht funktioniert – eine Webseite „Fit fürs Wählen“. Als älterer Herr muss ich sagen: Das ist ein Armutszeugnis! Wenn man das liest – und das würde ich Ihnen empfehlen –, so stellt man fest, dass das eine Anleitung für Kinder ist und nicht für 16-jährige Schüler, die das Recht haben, über Österreich abzustimmen.

Im zweiten Teil meiner Ansprache werde ich Ihnen zwei persönliche Beispiele bringen, die zeigen, was Reformen und Gesetze der verschiedenen Bundesländer für Bürger bedeuten. (Beifall.)

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Mag. Erwin Mayer (mehr demokratie! die parteiunabhängige initiative für eine stärkung direkter demokratie): Ich möchte darauf eingehen, wie wir repräsentative Demokratie erreichen können und was dazu notwendig ist. Es wurde bisher – als erstes Resümee – ja sehr oft betont, dass die repräsentative Demokratie zu stärken ist und dass diese ganz wichtig ist.

Dazu sagen wir von mehr demokratie!: Ja, genau das sollte es sein, wir brauchen repräsentative Demokratie, sie muss nur noch viel repräsentativer werden! Und dazu braucht es die direkte Demokratie. Das heißt, wir wollen wirklich Demokratie vom Volk für das Volk. Und das ist nicht nur so leicht dahingesagt, sondern das bezieht sich explizit auch genau auf die Spielregeln und auf das Gestalten der Spielregeln und des Designs für die direkte Demokratie. Das heißt, der Souverän sollte sich mittel- bis langfristig in Österreich aussuchen können, welche Verfassung es in Österreich gibt und wie direkte Demokratie gestaltet wird.

Wenn darauf verwiesen wird, wie 1918/1919 die Verfassungsväter die Demokratie festgelegt haben – es ist interessant, das auch in einem VfGH-Urteil nachzulesen –, dann denke ich mir: Schön für diese Generation, aber warum bindet uns das heute? Wir können heute eine ganz andere Verfassung schreiben, wenn wir als Souverän das wollen!

Und bei der direkten Demokratie kommt es jetzt wirklich darauf an, wer diese Verfassung schreibt. Bislang ist es ja so – auch wenn man sich den dieser Enquete-Kommission vorausgegangenen Prozess noch einmal in Erinnerung ruft, die letzten drei Jahre, die diversen Anträge, die eingebracht wurden, und die Stellungnahmen, die auf der Parlamentshomepage nachzulesen sind –, dass sich die großen Parteien ebenso wie all diese Stellungnahmen in Summe ganz klar gegen den Ausbau der direkten Demokratie – im Sinne von Verbindlichkeit, niedrige Hürden, keine Themenausschlüsse und all diese Dinge – aussprechen. Das wurde mehrheitlich abgelehnt, auch von den Sozialpartnern und allen großen Interessenvertretungen.

In dieser Enquete-Kommission haben wir von Professor Haller aber auch über die Umfrage von vor drei Jahren, von 2012, gehört, und da kommen Werte heraus, wonach 70, 80 Prozent für direkte Demokratie, für den Ausbau der direkten Demokratie, für Verbindlichkeit, für niedrige Hürden sind und – auf die entsprechende Frage hin – im Hinblick auf die direkte Demokratie in Österreich explizit ein Schweizer System haben wollen.

Jetzt frage ich mich: Wenn all diese Aussagen und Umfragen repräsentativ sind, wie geht das zusammen? Wie geht sich das aus, wenn die Seniorenvertreter in diesen Stellungnahmen sagen, wir sollen bei den bisherigen Systemen bleiben, wir brauchen keine direkte Demokratie von unten, sie muss nicht verbindlich sein, wenn das ÖGB und Arbeiterkammer sagen, die drei Millionen und mehr ArbeitnehmerInnen vertreten, wenn das Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung, Wirtschaftsbund und alle, die hier Stellung genommen haben, vertreten, also alle Unternehmer dieser Meinung sein müssen?

Das heißt, die Summe all dieser Stellungnahmen sagt: Mehr brauchen wir nicht, mehr ist nicht notwendig! Und auch im Parlament war bisher der Konsens, dass nicht mehr notwendig ist. Die Bevölkerung sieht das aber ganz klar anders.

Wir meinen, dass man sich einen Prozess überlegen muss, wie man diese Lücke schließt, wie auch das Parlament wieder repräsentativer werden kann. Im Idealfall wollen wir eine Volksabstimmung, bei der es einen Vorschlag aus dem Parlament gibt und – wie es in der Schweiz üblich ist, wo es meistens zwei Vorschläge gibt, also auch einen Alternativvorschlag – einen Vorschlag, der von der Zivilgesellschaft erarbeitet werden und ebenfalls zur Abstimmung kommen soll. Und der Souverän entscheidet dann, ob tatsächlich der Parlamentsvorschlag jener ist, der das Volk repräsentiert, oder ein anderer Vorschlag, der aus der Zivilgesellschaft kommt.

In der Schweiz ist es durchaus so, dass in zwei Dritteln der Fälle bei den Abstimmungen die von der Regierung initiierten oder von der Regierung befürworteten Vorschläge die Mehrheit finden. Es ist nicht immer so, dass nur die anderen die Mehrheit bekommen; aber das wäre der korrekte Weg.

Wenn mir dann Verfassungsrechtler sagen, dass es sich – wenn wir zu dieser Endausbaustufe der direkten Demokratie mit Verbindlichkeit, mit verbindlichen Volksabstimmungen kommen wollen – um eine Totaländerung der Bundesverfassung handelt, wozu ohnedies eine Volksabstimmung notwendig ist, dann meine ich: Tun wir das doch endlich! Gehen wir in diese Richtung!

Es kann aber nicht so sein, dass man sagt: Ja, das ist der große Schritt, der ist weit weg in dieser Enquete-Kommission, und unmittelbar danach wird es diesen Beschluss nicht geben, also kann man den Willen der Bevölkerung nicht ermitteln! Wir machen daher einen konkreten Vorschlag, und darauf erwarte ich mir dann eine Antwort von allen Parlamentsparteien: Wir wollen, dass alle Parlamentsparteien zusammen gemeinsam mit den BürgerInnenvertretern, gemeinsam mit den NGOs, eine repräsentative Umfrage in Auftrag geben, in der diese Knackpunkte, über die hier diskutiert wurde, konkret abgefragt werden. Und: Ja – ich habe das selbst schon mehrmals gemacht, mit großen Medien oder auch alleine –, die Bevölkerung kann darauf antworten. Das Wissen ist bereits ausreichend hoch.

Welche Fragen wären das, die da der Bevölkerung gestellt werden sollten? – Soll ab 50 000, 100 000, 300 000, 600 000, 900 000 Unterschriften unter einem Volksbegehren eine Volksabstimmung folgen? Welche Unterschriftenanzahl ist notwendig, um ein Vetoreferendum auszulösen? Soll es nur ein Initiativrecht oder auch ein Vetoreferendumsrecht geben? Sollen die Befragungen unverbindlich – das heißt, Befragungen – oder sollen sie auch Volksabstimmungen sein? Soll es Beteiligungsquoren von 30 Prozent, 50 Prozent oder darunter geben?

All diese entscheidenden Fragen müssen der Bevölkerung gestellt werden. Es würde mich sehr freuen, wenn wir am Ende dieser Enquete-Kommission eine solche gemeinsame repräsentative Umfrage in Auftrag geben, denn ich will wirklich wissen: Was denken die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen? Was denken die Arbeitgeber? Was denken Senioren? – Wenn nur nach der Meinung der jeweiligen Repräsentanten gefragt wird, dann scheint es so zu sein, dass diese nicht 1:1 dem Willen entspricht, der sozusagen tagtäglich von der Bevölkerung zum Ausdruck gebracht wird.

Stellen wir diesen Willen fest! Gehen wir dabei so vor, dass das Ergebnis repräsentativ ist – und entscheiden wir dann auch repräsentativ! (Beifall.)

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Dr. Tina Olteanu (Universität Wien): Zunächst einmal möchte ich betonen, dass eine solche Enquete-Kommission im österreichischen Parlament sehr erfreulich ist. Ich hoffe, sie wird tatsächlich als eine Art Initialzündung für eine demokratiepolitische Innovation genutzt und stellt nicht bereits den Endpunkt dar. Das scheint hier ein bisschen im Fluss zu sein, wenn ich die Redebeiträge so höre.

Ich wurde gebeten, in diesem Beitrag etwas über Bürgerhaushalte zu sagen. Dem Bürgerhaushalt werden letztendlich für die Demokratie sehr viele positive Effekte zugeschrieben, etwa – nur um ein paar Stichworte zu nennen – Transparenz, vielleicht auch mehr soziale Gerechtigkeit in Entscheidungen, eventuell auch mehr Rechenschaftspflicht von Politikern gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, eine Verwaltungsreform, Korruptionsbekämpfung, Legitimierung von Sparmaßnahmen. Es gilt also ein bisschen als ein Wundermittel und ein Allheilmittel gegen Politikverdrossenheit und andere Probleme.

Ganz so einfach ist das natürlich nicht. Ich möchte auf einige Probleme hinweisen und im Sinne von Best-Practice-Beispielen ein paar, wie ich meine, wichtige Dinge anführen, die beherzigt werden müssen, wenn ein Bürgerhaushalt in Österreich einen bestimmten Wert bekommen soll. Es ist nämlich so: Der Begriff „Bürgerhaushalt“ löst bei vielen Bürgerinnen und Bürgern positive Assoziationen aus. Er suggeriert immerhin, dass ihnen Mitspracherechte eingeräumt werden, ebenso Entscheidungskompetenzen, und ist unzweifelhaft relevant: Schließlich geht es ums Budget. Wenn dann nur Empfehlungen ausgesprochen werden dürfen, die womöglich in der klaren Haushaltsplanung keine Berücksichtigung finden, ist es natürlich nicht verwunderlich, dass sich Frustration breitmacht.

Bei Politikern und Politikerinnen trifft dieser Vorschlag nicht unbedingt auf sehr viel Zustimmung – auch das ist nachzuvollziehen. Die Gründe sind vielfältig, wenn man daran denkt, dass ihnen eine ihrer zentralen Kompetenzen genommen wird beziehungsweise sie diese teilen müssen.

Zudem muss man auch sagen, dass der bestehende Spielraum bei angespannten Budgets sowieso nicht groß ist. Mit anderen Worten: Worüber will man eigentlich beraten, wenn die Budgetplanung zu einem großen Teil von Sachzwängen dominiert ist? Die ohnehin marginalen Handlungsmöglichkeiten jetzt auch noch einem solchen Verfahren zu unterziehen oder vielleicht, salopp gesagt, zu opfern, ist natürlich ein Problem für PolitikerInnen.

Das andere Problem ist die Verwaltung, die bei solchen demokratiepolitischen Überlegungen häufig nicht mitbedacht wird: Für sie bedeutet ein Bürgerhaushalt auf jeden Fall einen Mehraufwand, aber nicht unbedingt mehr Anerkennung. Ihre Organe müssen das Ganze aufbereiten, die komplexen Prozesse so darstellen, dass sie für Fachfremde, sprich für die Bürgerinnen und Bürger, transparent und nachvollziehbar sind.

Sie sehen also, dass der Bürgerhaushalt letztendlich eine sehr schöne Vorstellung ist, aber ziemlich viele Pferdefüße hat, die in irgendeiner Form mitbedacht werden müssen. Deswegen – wir hatten es ja schon in den Debatten – dienen Bürgerhaushalte sicherlich nicht einer Art Pseudopartizipation: Das kann es nicht sein, dafür sind sie viel zu anspruchsvoll und zu komplex.

Es stellt sich die Frage, was Bürgerhaushalte tatsächlich leisten können, damit sie zu einem Instrument der Demokratiestärkung werden und nicht eventuell noch mehr Politikverdrossenheit auslösen.

Das Erste ist ganz klar: Es muss ein klarer politischer Wille zu Bürgerhaushalten bestehen. Man kann sie sozusagen nicht den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern aufs Auge drücken.

Der zweite Punkt wurde auch schon häufiger hier genannt: Trauen Sie den Bürgerinnen und Bürgern mehr zu! Die verbindliche Umsetzung von Vorschlägen ist vielleicht rechtlich manchmal nicht möglich, aber es muss in dieser Hinsicht zumindest eine klare politische Verpflichtung, eine Selbstverpflichtung, geben.

Des Weiteren: Online-Abstimmungsverfahren sind keine dialogbasierten Austauschforen und dienen auch nicht dazu, einen Bürgerhaushalt sinnvoll zu gestalten. Wir müssen Bürgerinnen und Bürger nicht einfach nur abstimmen lassen, sondern sie müssen die Möglichkeit haben, sich mit Politikern/Politikerinnen und Verwaltungsangestellten auszutauschen.

Ganz bestimmt bieten BürgerInnenhaushalte auch eine Chance auf Inklusion: Wir gucken immer nach Porto Alegre – das Besondere ist dort, dass gerade marginalisierte Gruppen sehr stark in diesen Prozess eingebunden waren, es ging sehr stark um soziale Gerechtigkeit, deswegen, könnte man sagen, gibt es hier noch einen guten Angriffspunkt.

In dieser Hinsicht muss man sagen: BürgerInnenhaushalte bedeuten auch, kontinuierlich zu lernen. Man muss diesen Prozess begleiten, ihn evaluieren und Bürgerinnen und Bürger in jede Etappe dieses Prozesses sinnvoll und ernsthaft einbinden. (Beifall.)

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Gerhard Schuster (Volksgesetzgebung jetzt!): Vor sieben Jahren, im Februar 2008, haben wir von der Aktion Volksgesetzgebung jetzt! eine Bürgerinitiative in den Nationalrat eingebracht, mit der wir die Idee der dreistufigen Volksgesetzgebung – ich meine, zum ersten Mal – im österreichischen Parlament vorgestellt haben. Es freut mich sehr, dass sieben Jahre später darüber gesprochen wird, dass es eine Enquete-Kommission gibt, in der auch ein solcher direktdemokratischer Prozess Thema sein kann.

Als im Jahr 2013 kurz vor der Nationalratswahl der sogenannte Kompromissvorschlag auf den Tisch kam und Gesetz zu werden drohte, haben wir uns sehr massiv dagegen ausgesprochen. Warum? – Weil das Ergebnis, auf das der demokratische Prozess hinauslief, Volksbefragungen sein sollten.

Warum sind wir so massiv gegen Volksbefragungen? – Volksbefragungen sind sowohl in Richtung der Volkssouveränität als auch in Richtung der repräsentativen Demokratie ein eigentlich undemokratisches Instrument. Das Volk ist nach unserer Verfassung, Artikel 1, der Souverän: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus“, heißt es da.

Wenn das Volk spricht, wenn es sich in einem hoheitsstaatlichen Prozess wie einer Volksbefragung äußert, dann entscheidet es auch. Man kann den Souverän eigentlich nicht unverbindlich befragen. Der Souverän entscheidet, wenn er spricht. Das ist bei Wahlen so, und das muss auch im direktdemokratischen Prozess so sein. Insofern ist also eine Volksbefragung – wenn nicht verbindlich entschieden werden kann – dem Souverän gegenüber ein antidemokratisches Instrument.

Aber auch die Organe der repräsentativen Demokratie, die Abgeordneten, die Volksvertreterinnen und Volksvertreter werden durch eine Volksbefragung eigentlich fast genötigt, nämlich gerade zu dem, wozu sie sich eigentlich schon einmal negativ geäußert haben: Das, was sie nicht wollen, soll nach einer anderslautenden Volksbefragung von den Abgeordneten anders entschieden werden? Wie geht das eigentlich? Es ist ein Pingpongspiel zwischen Souverän und Volksvertretung. Und das wollen wir nicht.

Wir wollen eine dreistufige Volksgesetzgebung, einen wirklichen direktdemokratischen Gesetzgebungsprozess, der vorsieht, dass am Ende verbindliche Entscheidungen stehen. Wir verstehen das im Sinne einer komplementären Demokratie, in der die repräsentative Demokratie und die direkte Demokratie als zwei unabhängige, autonome, aber zusammenwirkende Säulen der Demokratie nebeneinanderstehen. Beide können aus ihren eigenen Prozessen heraus zu Entscheidungen gelangen, die verbindlich sind.

Die repräsentativen kennen wir – die haben wir seit Jahrzehnten und Jahrhunderten geübt –, und die direktdemokratischen Entscheidungen brauchen auch gesunde Lebensprozesse, um den Gemeinwillen des Volkes zur Darstellung zu bringen. Deshalb fordern wir als direktdemokratische Säule im komplementärdemokratischen Geschehen – eben als dreistufigen Prozess – Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid.

Die Volksinitiative soll einen Vorschlag in den Nationalrat bringen – da ist die Brücke zwischen der Volksvertretung und der Initiative –, und erst wenn der Nationalrat ein solches Anliegen ablehnt oder nicht entsprechend beschließt, soll es über ein Volksbegehren zum Volksentscheid kommen. Dabei ist wichtig, zu beachten, dass in unserem Vorschlag vorgesehen ist, dass für die demokratische Willensbildung auch die Medien mit in die Pflicht genommen werden müssen. Die Medienbedingung in unserem Vorschlag sieht vor, dass Bedingungen geschaffen werden, dass vor einer Volksabstimmung das Pro und Kontra gleichberechtigt und umfassend diskutiert werden kann. Nur so ist gewährleistet, dass sich aus der Mitte der Rechtsgemeinschaft heraus, im ganzen Volk, der Wille demokratisch bildet.

Wir brauchen funktionierende demokratische, direktdemokratische Prozesse, die – als selbständige Säule eines komplementären Geschehens – der repräsentativen Demokratie ergänzend zur Seite gestellt werden. (Beifall.)

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Michelle Missbauer: Ich muss sagen, ich war überrascht, als ich im Internet ein bisschen geguckt habe: Slowenien hat am 3. März die Ehe für Lesben und Schwule geöffnet – vor Österreich! In einem demokratischen Land wie Österreich müssen wir da jetzt wirklich sozusagen anziehen, damit auch wir endlich Gleichberechtigung haben. Ich würde mir wünschen, dass spätestens mit 1. Jänner 2016 die Möglichkeit zur gleichgeschlechtlichen Ehe in Österreich eröffnet wird. Die Definition soll nicht unbedingt lauten „Verbindung zwischen Mann und Frau“, sondern eher „Verbindung zwischen zwei Personen ungeachtet des Geschlechts“. Und da frage ich mich allen Ernstes, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wovor haben Sie Angst? – Dass ich vielleicht eines Tages glücklich mit einer Frau aus dem Standesamt komme? Anmerkung: Ich bin zwar zurzeit Single, aber das kann sich ja noch ändern.

Wir brauchen die direkte Demokratie jetzt, und zwar wirklich jetzt! Wir leben im Jahr 2015, und ich denke mir: Es ist wirklich an der Zeit, dass wir jetzt darangehen, die Leute miteinzubeziehen. Die Leute draußen wollen mitreden, das Volk will nicht mehr von unseren Entscheidungen ausgeschlossen werden.

Im Jahr 1789 – das war nicht erst gestern, das war schon vor langer Zeit – wurden die Menschenrechte formuliert. Ich bin im Abendgymnasium in der Brünner Straße, und wir besprechen im Geschichtsunterricht gerade das Thema direkte Demokratie. Da gibt es immer sehr interessante Meldungen von meinen Mitschülern, da kann man viel Wissenswertes erfahren.

Wussten Sie zum Beispiel, dass die Ersten, die Menschenrechte verfasst haben, Aufklärer waren? Das bedeutet, es wurden zuerst die Männerrechte explizit betont. Die Frauenrechte wurden erst viel später hinzugefügt, und zwar von einer Dame, die Olympe de Gouges hieß. Sie hat sich mit diesen Rechten befasst und diese dann sozusagen in die Form „Mensch“ gebracht, sodass jetzt in der Formulierung „Menschenrechte“ das Wort „Mensch“ drinnen steht. Da steht nicht drinnen homosexueller Mensch, heterosexueller Mensch, reicher Mensch, armer Mensch, sondern da steht das Wort „Mensch“ im Sinne von „jeder Mensch“ drinnen.

Also: Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und so weiter. Daher sollte jeder Mensch gleich behandelt werden und wirklich gleiche Rechte und Pflichten haben. Es geht da nicht nur um Mann und Frau, sondern wirklich explizit um jeden Menschen.

Ein sehr großes Anliegen ist mir auch Folgendes: Es gibt Themenbereiche, in die Bürger aktiv miteinbezogen werden können, zum Beispiel Zuchtverbot von Katzen und Hunden bei Tierversuchen. Dieses Thema kann man auch einer Volksabstimmung unterziehen. Oder: Mitbestimmung beim Geld, zum Beispiel bei Sanierungen, wie Frau Schattauer es erwähnt hat. Auch zu diesem Thema könnte man eine Volksabstimmung machen.

Ich habe mich ein bisschen – wie soll man sagen? – amüsiert, als ich auf Facebook den Artikel darüber gelesen habe, dass ein Taubenfütterungsverbot ausgesprochen wird. Ich denke nicht, dass die zeitlichen und die personellen Ressourcen vorhanden sind, um die Einhaltung dieses Verbots zu kontrollieren. Dazu kann ich Folgendes sagen, weil ich es selber oft beobachtet habe: Es ist in Wien zum Beispiel eine Strafe vorgesehen, wenn man eine Zigarette auf den Boden schmeißt, ich habe aber bis jetzt noch keinen einzigen Mitarbeiter der WIENER LINIEN oder einen Polizisten gesehen, der dies mit einer Strafe geahndet hätte. Meistens sind es nur Verwarnungen, die ausgesprochen werden.

Was spricht dagegen, wenn wir in unserer heutigen Zeit das Volk in die Entscheidungen aktiv miteinbeziehen und wirklich Volksabstimmungen durchführen? Es gibt viele Themen, bei denen die Bürger mitentscheiden wollen, auch prickelnde Themen, wie ich es schon in meiner letzten Rede angesprochen habe. Ein Beispiel wäre das Thema Geld. Geld ist eine Sache, bei der ich die Leute aktiv miteinbeziehen würde, denn Geld kann auch über sehr viel entscheiden: über Traurigkeit, über Reichtum. Bei vielem hat das Geld die Macht, zu entscheiden: etwa, ob jemand essen darf oder nicht. In den Menschenrechten steht zum Beispiel auch nicht drinnen: Jeder Mensch muss Geld haben, um zu wohnen, jeder Mensch muss Geld haben, um satt zu werden, aber: Wir brauchen das Geld!

Ich begrüße den Vorschlag, dass der Nettolohn, wie ich es in der Zeitung gelesen habe, ein bisschen höher sein sollte, denn mit 1 300 € brutto lässt es sich halt schwer leben.

Ein weiteres Beispiel, bei dem ich Holland als Vorbild genommen habe: Die Holländer haben jetzt eine eigene Tierschutzpolizei ins Leben gerufen. Was spricht dagegen, eine solche auch in Österreich einzuführen? Lassen wir doch das Volk darüber abstimmen!

Oder: In Deutschland gibt es zum Beispiel ein Ordnungsamt. Was spricht dagegen, auch in Österreich ein Ordnungsamt zu organisieren? Oder: Was spricht dagegen, neue Berufe zu entdecken, neue Berufe zu entwickeln?

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir brauchen die direkte Demokratie hier und jetzt! Das Volk hat eine Aufgabe: nämlich bei den Gesetzen mitzubestimmen. Und da nenne ich als Vorbild die Schweiz. (Beifall.)

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Mag. Hans Asenbaum (Attac Österreich, AG Demokratie): Ich bin von Attac Österreich, der Name „Attac“ bedeutet Vereinigung für die Finanztransaktionssteuer im Interesse der Bürger und Bürgerinnen. Das klingt nach einer Single-Issue-NGO, ist es aber nicht. Wir sind thematisch sehr breit aufgestellt und diskutieren zu vielen verschiedenen Themen, darunter eben auch zur Demokratie und zu möglichen alternativen Partizipationsformen. Ich werde jetzt ganz kurz unseren Ansatz skizzieren und dann noch einmal konkret auf das Demokratiepaket eingehen.

Unsere zentralen Themen sind zum Beispiel die Einführung der Finanztransaktionssteuer, von Vermögensteuern oder eines bedingungslosen Grundeinkommens. All diese Dinge sehen wir auch als demokratiepolitische Maßnahmen. All das braucht es, um eine gewisse Ressourcenumverteilung vornehmen zu können, damit eben für jeden Bürger und jede Bürgerin eine Grundlage geschaffen werden kann, damit sie überhaupt an Entscheidungsprozessen teilnehmen können.

Darüber hinaus versuchen wir, Demokratie in möglichst vielen gesellschaftlichen Bereichen zu denken, das heißt, uns zu überlegen: Was bedeutet zum Beispiel Demokratie in der Wirtschaft? Was bedeutet Mitbestimmung am Arbeitsplatz? Was bedeutet Demokratie in den Medien? Was bedeuten einerseits pluralistische Medien, andererseits aber auch selbstverwaltete, selbstbestimmte Medien? Demokratie ist auch ganz wichtig im Bildungssystem: nämlich einerseits die Mitbestimmung der Schülerinnen und Schüler und auch der Eltern, der Lehrerinnen und Lehrer in diesem System, aber andererseits auch die Erziehung zur Demokratiefähigkeit.

Das ist also ein ganz breiter Ansatz. Wir denken Demokratie im Wesentlichen als Prozess, nicht als Abstimmungsverfahren, als Abstimmungsmoment, sondern als Prozess des Dialogs! Und das ist ganz wichtig, wenn wir jetzt an das Demokratiepaket herangehen und uns anschauen, was da bis jetzt diskutiert wurde. Da ist das alles sehr wertvoll.

Die Herangehensweise ist vor allem, den Volkswillen quantitativ zu erheben, nämlich dass Kreuzerln gemacht und diese Kreuzerln dann gezählt werden. Eine wertvolle Herangehensweise darüber hinaus, die hier auch schon öfter angesprochen wurde, wäre es, den Volkswillen auch qualitativ zu erheben.

Ich bin sehr froh, dass heute die BürgerInnenräte, nämlich die Bürgerhaushalte angesprochen wurden. Das ist solch ein wichtiges Verfahren. Die Bürger- und Bürgerinnenräte halte ich für ein ganz besonders wertvolles Instrument, weil da wirklich in die Bevölkerung hineingehört werden kann. Das heißt: 12 bis 16 Bürger und Bürgerinnen werden zufällig ausgewählt, und sie diskutieren dann miteinander zum Beispiel eineinhalb Tage lang ein vorgegebenes Thema. Das bedeutet für die Politik, dass sie ganz bewusst und themenspezifisch in die Bevölkerung hineinhorchen kann.

Man könnte die BürgerInnenräte aber auch – und so war es vom Erfinder eigentlich ursprünglich vorgesehen – regelmäßig, sagen wir einmal, jedes halbe Jahr, automatisch einberufen, und es wird ganz themenoffen miteinander diskutiert. Das würde bedeuten, dass man ganz offen in die Bevölkerung hineinhorchen könnte, was gerade die wichtigen Themen sind. Das wäre aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Input.

Da wird natürlich immer das Argument vorgebracht: Um solche wichtigen Themen zu diskutieren, braucht es auch Expertise! – Dafür gibt es andere Foren, im Rahmen derer Expertinnen und Experten hinzugezogen werden, die Bürgerinnen und Bürger den Experten Fragen stellen können und diese dann die Themen gemeinsam diskutieren können.

Neben den Bürgerhaushalten, die schon erwähnt wurden, ist natürlich auch das Internet ein ganz wichtiges Instrument, um Demokratie, um auch dialogische Demokratie, nämlich diskursive Demokratie umzusetzen.

Wir meinen, dass es ein ganz breites, umfassendes Demokratiepaket braucht, in dem die dreistufige Volksgesetzgebung ein ganz wesentliches Instrument ist, in dem aber darüber hinaus auch die verschiedenen Partizipationsverfahren inbegriffen sind. Ich glaube, es wäre ein großer, positiver Schritt, wenn jetzt dieses Thema in dieser Weise angegangen werden würde. Wichtig ist, dass – wie von Frau Olteanu schon angesprochen wurde – keine Scheinverfahren dabei herauskommen, sondern die Verfahren mit möglichst viel Verbindlichkeit ausgestattet werden. Meiner Meinung nach muss der Prozess, in dem dieses Paket geschnürt wird, möglichst partizipativ gestaltet sein.

Diese Enquete-Kommission wäre, denke ich, ein ganz wertvoller Anfang dieses Prozesses, und ich hoffe, dass er positiv weitergeht. (Beifall.)

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Dr. Claudia Rosenmayr-Klemenz (Abteilung Rechtspolitik der Wirtschaftskammer Österreich): Die Wirtschaftskammer Österreich hat in ihren Stellungnahmen zum Demokratiepaket zum einen Überlegungen zur Optimierung der Instrumente der direkten Demokratie grundsätzlich begrüßt, so insbesondere die Vorschläge zur Aufwertung der parlamentarischen Behandlung von Volksbegehren und auch die Möglichkeit der elektronischen Einbringung und Unterstützung von Volksbegehren. Zum anderen wurde jedoch zum Abänderungsantrag noch weiterer Diskussions- und Abänderungs- oder Überarbeitungsbedarf geortet.

Wie nicht zuletzt auch die Stellungnahmen in den bisherigen Sitzungen der Enquete-Kommission gezeigt haben, ist es insbesondere die Stärkung des Dialogs zwischen Politik und Bürgern, die dem der Diskussion zugrundeliegenden Befund – nämlich Politikverdrossenheit, niedrige Wahlbeteiligung und insgesamt Unzufriedenheit mit dem politischen System – entgegenwirken können. Die Vorschläge des Demokratiepakets 2013 zielen daher laut Begründung im Abänderungsantrag auch darauf ab, die bestehenden Instrumente der Mitbestimmung durch die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger auszubauen und damit den Parlamentarismus zu stärken.

Fraglich könnte nun allerdings sein, ob die vorgelegten Vorschläge diesem Ziel und insbesondere dem angesprochenen Dialogerfordernis ausreichend Rechnung tragen. Sieht man nämlich den Austausch von Argumenten und Gegenargumenten, letztlich auch den Kompromiss, als ein wesentliches Element der Demokratie, dann stellt sich die Frage, ob das vorgesehene Verfahren im Falle des qualifizierten Volksbegehrens dem wirklich ausreichend gerecht werden kann. Zwar enthält das vorgesehene Verfahren sehr wohl Dialogelemente, wie zum Beispiel parlamentarische Behandlungen, zwei Volksbegehren-Sitzungen, den besonderen Ausschuss und im Falle des qualifiziert unterstützen Volksbegehrens auch die verpflichtende Begutachtung, letztlich kommt es aber dann bei qualifiziert unterstützten Volksbegehren nur dann nicht zu einer Volksbefragung, wenn der Nationalrat einen diesen Volksbegehren entsprechenden oder einen davon bloß unwesentlich abweichenden Gesetzesbeschluss fasst.

Eine Verhandlungslösung, ein Kompromiss – im Idealfall natürlich auch unter Einbeziehung und Berücksichtigung der im Begutachtungsverfahren vorgebrachten Argumente – wäre aber wohl kaum eine bloß unwesentlich Abweichung. Auch der für die Volksbefragung mögliche Alternativvorschlag – grundsätzlich auch ein sehr wichtiges Dialogelement – wäre nicht, oder wahrscheinlich nur in den seltensten Fällen, die Kompromissvariante.

Auch wenn das Ergebnis der Volksbefragung letztlich nicht rechtlich bindend ist, wäre der schon vielfach konstatierte politische Druck zu seiner Umsetzung sehr hoch. Und damit wäre auch fraglich, ob – obwohl rechtlich möglich – nach erfolgreicher Volksbefragung noch eine Verhandlungslösung gesucht wird.

Hinsichtlich der möglichen Inhalte des direktdemokratischen Verfahrens hat die Wirtschaftskammer Österreich in der Stellungnahme zum Demokratiepaket insbesondere die Einbeziehung von Verfassungsrecht als höchst problematisch betrachtet. Verfassungsbestimmungen sollen eine hohe Bestandsgarantie haben, nicht durch Kampagnen, die unter Umständen tagespolitisch motiviert und emotionalisiert sind, infrage gestellt werden können und brauchen auch eine breite Unterstützung.

Die Vorschläge, die im Abänderungsantrag vorliegen, sehen nun keine verpflichtende Mindestbeteiligung vor, sondern für Verfassungsrecht bekanntlich nur die 15-Prozent-Schwelle in Bezug auf das vorangegangene Volksbegehren. So könnten bei entsprechend niedriger Abstimmungsbeteiligung kleine Bevölkerungsteile Einfluss auf die Verfassung nehmen, wenn der Nationalrat dem Ergebnis Rechnung trägt. Möglich wäre im Wege des Instrumentariums aber sogar eine Gesamtänderung der Bundesverfassung und nicht zuletzt auch eine Abänderung dieses Instrumentariums selbst – in jede Richtung.

Nach Ansicht der Wirtschaftskammer Österreich sollten daher Änderungen von Verfassungsrecht generell nicht Inhalt eines Automatismus einer Volksbefragung sein. Daneben wären aber auch in einigen einfachgesetzlich zu regelnden Bereichen Vorkehrungen zu treffen, vorrangig im Bereich des Steuerrechts und auch in dem mit hohen Ausgaben verbundenen Sozialbereich. Auch diesbezüglich scheint nach Ansicht der Wirtschaftskammer Österreich eine Ergänzung des Ausnahmekatalogs oder zumindest eine Erhöhung der hier vorgesehenen 10-Prozent-Hürde erforderlich.

Insgesamt tritt die Wirtschaftskammer Österreich für eine Verbesserung bestehender Instrumente und eine behutsame Vorgehensweise bei der Entwicklung neuer Instrumente direkter Demokratie ein – dies, damit zum einen keine durch eine vielleicht zunächst zu hohe Dosis an direkter Demokratie unerwünschten Effekte eintreten, zum anderen aber die Kultur der direkten Demokratie in Österreich gestärkt werden kann und damit zumindest ein wenig zum Abbau der eingangs genannten Politikverdrossenheit beigetragen werden kann. (Beifall.)

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Leonore Gewessler (GLOBAL 2000): GLOBAL 2000 hat sich als unabhängige Umweltschutzorganisation gemeinsam mit Greenpeace und SOS Mitmensch schon sehr früh in einer Stellungnahme in diesen Enquete-Prozess eingebracht. Ich werde jetzt einige Punkte aus dieser Stellungnahme noch einmal herausgreifen und ausführen. Im zweiten Teil meines Diskussionsbeitrags werde ich auf eine Stellungnahme von 17 NGOs, zivilgesellschaftlichen Organisationen, eingehen, die neben der Stärkung der direkten Demokratie auch Vorschläge für eine verstärkte Einbeziehung von Nichtregierungsorganisationen entwickeln.

GLOBAL 2000 ist keine Organisation, die sich ständig und ausschließlich mit der Weiterentwicklung der direkten Demokratie beschäftigt, und dennoch äußern wir uns sehr bewusst zur Stärkung der direktdemokratischen Instrumente und zur Stärkung der Demokratie. Wir tun das bewusst aus der Praxis unserer täglichen Arbeit und Erfahrung heraus, die zu einem ganz wichtigen Teil darauf aufbaut, gemeinsam mit Menschen Verantwortung für die Gestaltung unseres Gemeinwesens zu übernehmen, gemeinsam aktiv zu werden, sich einzubringen und auch gemeinsam politische Veränderung im Sinne des Umweltschutzes anzustoßen. Und gerade aus dieser Praxis heraus sind wir überzeugt, dass es für die Fortentwicklung und Stärkung der Demokratie auch eine Stärkung der direktdemokratischen Instrumente braucht.

Daher möchte ich mich jetzt weniger mit dem Ob beschäftigen, das haben einige meiner Vorredner – Erwin Mayer, Hans Asenbaum und viele andere – schon sehr gut und ausführlich getan, sondern ich möchte mich mit drei Punkten des Wie beschäftigen: also nicht, ob direkte Demokratie, sondern wie. Und das sind drei Punkte aus unserer Stellungnahme: zum Ersten die Frage der Hürden, zum Zweiten die Frage der möglichen Themen und zum Dritten die Frage der Finanzierung und deren Transparenz.

Zu den Hürden haben wir heute schon einiges gehört. Die im Demokratiepaket von Ihnen vorgesehene Hürde von 10 Prozent der Wahlberechtigten – nämlich rund 635 000 bis 640 000 UnterzeichnerInnen, 642 000 laut der letzten Nationalratswahl – zur Erreichung einer Volksbefragung ist aus unserer Sicht viel zu hoch, vor allem für kleine, finanzschwache und parteiunabhängige Initiativen. Ich nehme an, einige von Ihnen haben in Ihrer Laufbahn schon einmal Unterschriften gesammelt – ich kann Ihnen versichern, wir tun es regelmäßig. GLOBAL 2000 als große etablierte Organisation mit Angestellten hat es in seiner Geschichte mehrere Male geschafft, für Petitionen Unterschriften in einer Größenordnung zu sammeln, die Ihren Anforderungen gerecht wird. Wir haben über 600 000 Personen dazu motiviert, ein Begehren zum Atomausstieg zu unterzeichnen. Über 500 000 Unterschriften sammelten wir letztes Jahr gegen die geplante EU-Saatgutverordnung.

Für kleinere Initiativen bedeutet die Hürde, die Sie hier vorschlagen, aber schlicht und einfach einen faktischen Ausschluss von direktdemokratischen Instrumenten. Eine derartige Hürde bedeutet also de facto, dass nur mehr große Organisationen, Interessenvertretungen und etablierte Organisationen das schaffen könnten. 100 000 UnterstützerInnen – so sehen wir das in unserer Stellungnahme –, nämlich 2 Prozent der Wahlberechtigten, wären für die Auslösung einer unverbindlichen Volksbefragung vollkommen ausreichend. Eine realistische Hürde ist unserer Meinung nach eine Voraussetzung, die es erst ermöglicht, eine differenzierte Diskussion und einen tatsächlichen Dialog zu führen und auch die leisen Stimmen zu hören.

Zur Frage der möglichen Themen möchte ich Ihnen nur ein Beispiel aus unserer Sicht geben, und zwar folgendes: Gerade im Jahr 2015 ist eines der Hauptthemen, das uns alle beschäftigen wird, der Klimawandel. In diesem Zusammenhang ist das Abkommen zum neuen Weltklimavertrag in Paris 2015 ein wichtiger Punkt. Das ist ein Thema, das massive Auswirkungen auf Österreich haben wird, das massive Auswirkungen auf den Alltag und auf viele der politischen Entscheidungen, die Sie hier treffen werden, haben wird. Warum sollte es aus einem direktdemokratischen Prozess ausgeschlossen sein, wenn es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt? Warum sollten sich Österreicherinnen und Österreicher nicht zu diesem Thema äußern können, wenn es darum geht, wie sich Österreich auf einer internationalen Bühne präsentiert?

Aus unserer Sicht ist es ganz klar, dass alle Rechtsakte, an denen die österreichische Bundesregierung und das österreichische Parlament beteiligt sind, auch für direktdemokratische Instrumente offen sein sollen. Klar ist aber auch, dass direkte Demokratie zu keiner Abschwächung von Minderheiten- und Menschenrechten führen und zu keiner Spielwiese für Populismus und menschenfeindliche Hetze werden darf.

Abschließend noch kurz zu Finanzierung und Transparenz: Wir haben uns in Europa lange damit beschäftigt, wie wir repräsentative Demokratie so finanzieren, dass sie nicht zu einem Recht des finanziell Stärkeren wird. Genau dasselbe müssen wir uns für die Instrumente der direkten Demokratie überlegen. Auch direkte Demokratie darf nicht zu einem Recht dessen, der es sich leisten kann, werden. Daher müssen wir uns darüber unterhalten, wie wir es tatsächlich auch kleineren Initiativen ermöglichen, Gesetzesvorschläge zu erarbeiten. Dazu sind juristische Unterstützung und Kostenersatz notwendig.

Ich glaube, mit einer Ausgestaltung der direkten Demokratie als Instrument, das nur wenigen einen Zugang ermöglicht, werden wir genau das Gegenteil von dem erreichen, was wir alle hier gemeinsam vorhaben – nämlich Menschen in den demokratischen Prozess zu holen, vielleicht sogar zurückzuholen. In diesem Sinne appelliere ich an Sie, diese Gedanken eines offenen, transparenten, beteiligungsfreundlichen Zugangs auch in den weiteren Diskussionen in den Mittelpunkt zu stellen! (Beifall.)

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Univ.-Doz. Dr. Paul Luif (Fraktionsexperte): Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich heute wieder an dieser Sitzung der Enquete-Kommission teilnehmen darf. Die Beiträge zur Diskussion waren für mich zum Großteil sehr interessant. Ich will mich jetzt auch nicht als Wissenschaftler ausbreiten, sondern nur kurz einige zusammenfassende Eckpunkte vorbringen.

Es geht bei der Demokratiereform natürlich sowohl um die Reform der repräsentativen Demokratie des Parlamentarismus als auch um die Reform der direkten Demokratie. Die Reform des Parlamentarismus ist in Österreich relativ schwierig, weil die Regierung von der Mehrheit des Parlaments abhängig ist. Das heißt, dass Minderheitsrechte nur zu einem gewissen Grad ausgebaut werden können.

Das zweite Problem in Österreich – das ist heute schon von einigen Teilnehmern angesprochen worden – sind die Medien. Das Parlament kann nur wirklich leben, wenn sich das Leben in den Medien widerspiegelt. Das ist leider in Österreich nicht wirklich der Fall.

Es gibt zwei Systeme der direkten Demokratie: einerseits Top-down, andererseits Bottom-up. In Österreich haben wir im Moment nur das Top-down-System der direkten Demokratie, was bedeutet, dass letztendlich die Mehrheit des Parlaments über Initiativen entscheidet und nicht das Volk in verbindlichen Volksabstimmungen.

In Österreich hat die direkte Demokratie bis jetzt eher einen dekorativen Charakter. Es gibt zwar sehr viel, worüber in der Bevölkerung gejammert wird, aber Volksbegehren, die ein Element der direkten Demokratie sind, haben sich in der Praxis nicht wirklich bewährt. Wenn man sich die letzten Volksbegehren anschaut, muss man feststellen, dass das keine sehr erfolgreichen Begehren waren. Das Problem ist, Volksbegehren führen zu keiner verbindlichen Entscheidung, weswegen sie maximal Petitionen sind, aber keine Mitbestimmung der Bevölkerung bei den Entscheidungen gewährleisten.

Es gibt nun in der Literatur oder auch in dieser Diskussion mehrere Argumente gegen verbindliche Referenden. Einerseits wird behauptet, dass es in der Demokratie eigentlich gar keinen Souverän mehr gibt, weil die verschiedenen Gruppen durch den Verfassungsstaat im Handeln eingeschränkt sind. Das ist nicht vereinbar mit der österreichischen Bundesverfassung, wonach das Recht vom Volk ausgeht. Außerdem ist paradox, dass die wichtigste Entscheidung über eine Totalreform der Verfassung in die Hände des Bundesvolkes gelegt wurde und dass trotzdem viele sagen, dass es nicht geht, dass wir das Schweizer Modell der Bottom-up-Demokratie übernehmen, sondern dass wir hier nur ganz vorsichtige Schritte machen sollen. – Ich glaube, die Österreicher sind nicht dümmer als die Schweizer, und wir können doch ein bisschen mehr wagen, als nur Minischritte in Richtung direkte Demokratie zu gehen.

Als negatives Beispiel wird immer wieder die Schweiz genannt, aber wenn man sich die Literatur und die empirischen Untersuchungen zu den Volksabstimmungen in der Schweiz anschaut, wird klar, dass in der Schweizer Abstimmungsdemokratie keine Tyrannei der teilnehmenden Minderheit gegenüber den der Abstimmung Ferngebliebenen vorhanden ist. Man muss also keine Angst vor dem Tyrannen der Minderheit, der sich an der Volksabstimmung beteiligt, haben.

Die dreistufige Volksgesetzgebung, die hier immer wieder angesprochen wird, ist okay, aber das Problem ist – auch das wurde von einigen Teilnehmern erwähnt –, dass sie letztendlich nicht verpflichtend ist und wieder – Top-down – das Parlament das letzte Wort hat. So wird auch dieser dreistufigen Volksgesetzgebung das Schicksal der Volksbegehren widerfahren. Am Anfang sind alle dafür und wollen mitmachen, aber sobald sich zeigt, dass diese Aktivität unverbindlich ist, wird es leider wieder keine Möglichkeit geben, die Demokratie zu verlebendigen.

Es bedarf letztendlich einer Verfassungsänderung, nämlich eines Zweidrittelbeschlusses im Nationalrat, und einer Volksabstimmung, weil der Verfassungsgerichtshof sagt, dass direkte Demokratie einer Totaländerung der österreichischen Verfassung bedarf. Ich glaube, dem können wir nicht entgehen. Alle nur kleinen Schritte werden aus meiner Sicht als Wissenschaftler nicht wirklich erfolgreich sein. Natürlich ist eine Demokratiereform nie ein Allheilmittel, die Bürger und Bürgerinnen müssen diese Mittel auch annehmen. (Beifall.)

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Mag. Erwin Leitner (Fraktionsexperte): Wenn wir uns die Entwicklung unserer Verfassung ansehen, dann ist zu sagen, dass die Bürgerinnen und Bürger darin bislang nie eine Rolle gespielt haben. Weder nach dem Ersten Weltkrieg noch nach dem Zweiten Weltkrieg konnten die Bürgerinnen und Bürger bei der Formulierung der Verfassung mitgestalten. Es gab auch keine Volksabstimmung, und es wurden auch keine Instrumente eingebaut, um die Verfassung nachträglich abändern zu können. Wir haben in Österreich keine Bürger- und Bürgerinnenverfassung, laut der die BürgerInnen das letzte Wort haben, sondern wir haben eine Parteienverfassung, die sich die Parteien selbst gegeben haben.

Was sagt dies nun über das Verhältnis unserer Verfassung zu den Bürgerinnen und Bürgern aus? – Die Bürger können keine Entscheidung selbst herbeiführen. Es ist nicht möglich, dass die Bürger und Bürgerinnen eine Volksabstimmung initiieren. In Artikel 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes steht: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ In der Verfassungswirklichkeit und in deren Auslegung ist das aber genau umgekehrt und bedeutet so viel wie, dass ihr Recht nie direkt vom Volk ausgehen darf.

Was heißt das für die Bürgerinnen und Bürger? – Die Bürger müssen sich vertreten lassen, sie können nicht selbst entscheiden. Im Privatrecht und im Zivilrecht gibt es dazu auch eine Figur, nämlich die Besachwalterung. Jeder weiß, wie viel es geschlagen hat, wenn man besachwaltet ist. Wir sind in unserem politischen System besachwaltet und leben in einer Verfassung, in der wir nicht selbständig Volksabstimmungen herbeiführen können. Wenn wir durch diese Enquete-Kommission dieses bestehende System ändern wollen, dann sollten wir auch nicht auf halbem Weg stehen bleiben, dann reicht es nicht, unverbindliche Volksbefragungen zu schaffen, sondern dann sollten wir es auch möglich machen, dass die Bevölkerung selbst verbindliche Volksabstimmungen auslösen kann.

„Polity matters“, sagen die Angloamerikaner; Spielregeln machen etwas mit uns, vor allem auch die verfassungsrechtlichen Spielregeln. Wenn Sie wollen, dass die Bevölkerung und die gewählten Politiker auf Augenhöhe miteinander umgehen können, dann braucht es verbindliche Volksabstimmungen, die die Bevölkerung selbst auslösen kann.

Die schwierigste politische Übung, die es gibt, ist, Macht zu teilen. Aber gibt es etwas Schöneres, als die Macht mit der Bevölkerung zu teilen? – Wir sollten daher – und das ist mein Wunsch für diese Enquete-Kommission – zu einer Bürger- und Bürgerinnenverfassung kommen, die Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gibt, verbindliche Volksabstimmungen auszulösen. Damit wird unsere Verfassung grundlegend geändert und diese Änderung auch noch durch eine Volksabstimmung eingeführt. (Beifall.)

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Mag. Martin Müller (Referat Rechts- und Kollektivvertragspolitik des Österreichischen Gewerkschaftsbundes für Grundsatz und Organisation): Nicht nur in Österreich ist und war der Kampf für Demokratie immer fester Bestandteil der Programmatik der Gewerkschaften. Die österreichischen Gewerkschaften waren immer vorne dabei, wenn es darum gegangen ist, die Demokratie in Österreich zu verteidigen. Selbstverständlich sind wir auch vorne mit dabei, wenn es darum geht, die Demokratie in Österreich weiterzuentwickeln.

Wir sind jedoch nicht der Ansicht, dass direkte Demokratie jedenfalls und unbedingt und immer besser ist als repräsentative Demokratie. Wir haben in Österreich ein System, das auf Wahlen aufbaut, das auf Parteien aufbaut, das auf Listen, die man gründet, um bei Wahlen anzutreten, aufbaut. Es ist in Österreich relativ einfach, eine Partei zu gründen, es ist auch relativ einfach, eine Liste zu gründen und bei einer Wahl anzutreten. In den Parteien sind Bürgerinnen und Bürger aktiv, und hoffentlich können wir davon ausgehen, dass die Meinungsbildung in den Parteien natürlich demokratisch, unter Beteiligung der dort organisierten Bürgerinnen und Bürger passiert.

Das österreichische System der Sozialpartnerschaft ist auch Teil unserer repräsentativen Demokratie. Die Institutionen der Sozialpartnerschaft sind demokratisch organsiert. Selbstverständlich ist auch unsere Position eine, die unter Beteiligung der Mitglieder, die wiederum Bürgerinnen und Bürger sind, zustande gekommen ist.

Nicht zuletzt – auch das ist nicht selbstverständlich – gibt es in Österreich auch ein System einer Vertretung auf betrieblicher Ebene, das man mit Ausnahme von Deutschland sonst überall vergeblich suchen wird.

Ja, wir sehen Schwächen im österreichischen System der repräsentativen Demokratie. Wir sehen aber auch – vielen Dank dem Kollegen für das aktuelle Beispiel aus der Schweiz – Schwächen im Modell der direkten Demokratie in der Schweiz. Wenn wir schon Vergleiche der Systeme anstellen, dann sollen wir vielleicht auch einmal die Frage danach stellen, wie sie denn historisch entstanden sind. Die Verfassung in der Schweiz hatte zu Beginn durchaus die Funktion, die auseinanderstrebenden Kantone zusammenzuhalten. Die Verfassung in Österreich hatte eine andere Funktion. Es ist darum gegangen, einem absolut regierenden Monarchen Mitbestimmungsrechte abzutrotzen. Zum Zeitpunkt, als Österreich zur Republik geworden ist, gab es bereits gewisse demokratische Traditionen – auch eine gewisse Tradition der repräsentativen Demokratie.

Teil unserer repräsentativ demokratischen Tradition ist das 1919 geschaffene allgemeine Wahlrecht für Männer und Frauen. In der Schweiz, unserem Beispiel, war das Frauenwahlrecht lange nicht selbstverständlich. Dort hat es bis 1990 gedauert, bis sich die Frauen in allen Kantonen und Unterkantonen an den Wahlen haben beteiligen dürfen. Das ist damals natürlich alles direktdemokratisch abgesichert gewesen.

Wir sind in Österreich natürlich noch lange nicht am Ende der Entwicklung unserer Demokratie. Selbstverständlich sind wir der Ansicht, dass man auch mehr Elemente direkter Demokratie gut gebrauchen könnte. Das beginnt beim möglichst niederschwelligen Zugang zu verschiedenen Elementen der BürgerInnenbeteiligung und zu Volksbegehren. Das bedeutet unter anderem auch den Abbau möglicher finanzieller Hürden, die Möglichkeit der Einbringung und Unterstützung auf elektronischem Weg und die Aufwertung der Behandlung von Volksbegehren im Parlament – zum Beispiel im Rahmen einer verpflichtenden Enquete im Parlament. Dort sollen dann auch die Vertreterinnen und Vertreter der Volksbegehren ein Rede- und Mitspracherecht haben, und auch die Möglichkeit, sich hier wirklich aktiv einzubringen. Eine weitere Möglichkeit wäre das Schaffen einer BürgerInnen-Fragestunde im Nationalrat oder von BürgerInnenanfragen an die Bundesregierung. Natürlich braucht es nicht zuletzt mehr Transparenz beim Ablauf der Behandlung der BürgerInnenbeteiligung in den Gremien.

Wir, der Österreichische Gewerkschaftsbund, treten für die Stärkung der Demokratie und für die Stärkung der direkten Demokratie ein, indem wir Instrumente wie Volksbegehren ausbauen und BürgerInnenanfragen schaffen. Das Parlament soll sich verstärkt mit den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger auseinandersetzen, und das soll dann auch transparent gemacht werden. (Beifall.)

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Prof. Herwig Hösele (Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform): Es geht ja jedem, der hier spricht, so – vor allem wenn er nicht ständiges Mitglied dieses Hohen Hauses ist –, dass er mehr vorbereitet hat, als er zeitlich unterbringen kann.

Ich wollte noch einige wenige Argumente für den Kompromiss des Jahres 2013 bringen. Ich habe einige von mir wirklich hochgeschätzte Herren des Establishments genannt, die Sorge um die repräsentative Demokratie haben. Ich habe diese bei Weitem nicht. Ich glaube, dass durch verstärkte Bürgerbeteiligung, wo auch immer und wie immer sie stattfindet, die Legitimation der Demokratie und das Vertrauen in die Demokratie gestärkt werden.

Ich sehe auch, dass der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, ganz im Gegensatz zum Altpräsidenten des Verwaltungsgerichtshofes, zu dieser Frage immer wieder Stellung nimmt, meistens beim Verfassungstag am 1. Oktober, wo er wiederholt Folgendes gesagt hat: Alle Dinge liegen auf dem Tisch, nur müssen sie umgesetzt werden. – Er hat sich sowohl für ein persönlichkeitsorientierteres Wahlrecht ausgesprochen als auch für eine Aufwertung von Volksbegehren und Volksbefragungen. Ich zitiere ihn in diesem Zusammenhang:

„Ich plädiere auch für eine Aufwertung der Volksbegehren. Die Bürger sollten unter gewissen Umständen über Volksbegehren abstimmen können.“

Ich glaube, es ist ein sehr, sehr wichtiges Korrektiv, dass nach der Volksbefragung hier in diesem Hohen Haus der wirkliche Beschluss gefasst wird. Wenn dann – Politik ist ja oftmals ein schwieriger Erklärungsprozess – noch immer die Mehrheit der Abgeordneten sagt: Hier stehe ich, ich kann nicht anders, ich kann zusammen mit dem Volk nicht irren!, glaube ich, dass man sich auch Respekt erwerben kann, falls es diese Problematik überhaupt geben sollte. Ich glaube das ja nicht.

Es wird immer gesagt, dass durch Augenblicksstimmungen Schreckliches passieren kann. Ein Volksbegehren hat eine Vorlaufzeit von einigen Monaten, dann folgen der parlamentarische Behandlungsprozess und noch einmal ein paar Monate Diskussion. Es kann schon sein, dass drei Tage davor zufällig ein schwerwiegendes Ereignis passiert, aber generell, glaube ich, gibt es ja gerade hier monatelang eine Argumentationsmöglichkeit. Da vertraue ich erstens auf die Kraft der Parlamentsparteien und zweitens schon auch auf die Medienlandschaft im Allgemeinen.

Ich glaube, das Gefährlichste ist, wenn man sich vor den Medien zu sehr fürchtet. Ich sage es ganz ehrlich: Es ist ja erlaubt, wenn man eine erfolgreiche Zeitung machen will, Boulevardzeitungen zu machen. Wenn man vor dem Boulevard allerdings einen Kotau macht, erwirbt man sich keinen Respekt. Es gibt gute Beispiele, wo gegen die veröffentlichte Meinung meinungsträchtiger Medien Politik gemacht werden konnte. Das sollte man tun.

Dann wollte ich noch um eine Sache bitten. Meine große Hoffnung wäre, dass wir einmal einen großen Wurf zustande bringen. So, wie die Diskussion heute bei den Rednern der sechs Parlamentsfraktionen abgelaufen ist, sehe ich aber keinen ganz großen Konsens, um es vorsichtig zu formulieren. Bitte setzen Sie wenigstens kleine Schritte, ermöglichen Sie Möglichkeiten zur digitalen Unterschrift, und zwar nicht auf dem Weg über die Bürgerkarte. Man müsste vielmehr einen niederschwelligen Zugang ermöglichen.

Ermöglichen Sie mehr Information und Zugangsmöglichkeiten für die Bürger! Ermöglichen Sie wenigstens stärkere Diskussionsmöglichkeiten, denn das Schlimmste bei den bekannten Volksbegehren der letzten Jahrzehnte war, dass man das Gefühl hatte, es ist sinnlos zu unterschreiben, da jeweils ein Begräbnis erster oder dritter Klasse zu erwarten ist! Wir wollen aber eine erstklassige Demokratie in Österreich. (Beifall.)

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Mag. Erwin Mayer (mehr demokratie! die parteiunabhängige initiative für eine stärkung direkter demokratie): Wir haben jetzt erneut viele Befürchtungen gehört, was denn bei echter direkter Demokratie passieren könnte. Dazu sollte eigentlich eine pauschale Frage gestellt werden – ob das jetzt die Finanzierung, die Ungleichheit, das Kaufen, Kampagnisieren, die Medien et cetera betrifft –: Welche Aspekte davon sind direktdemokratiespezifisch und welche Aspekte sind demokratiespezifisch? – Alles, was Sie aufzählen, ob das große Medien sind, die Einfluss haben, ob das Millionäre oder Milliardäre sind, die sich Parteien oder Parlamentarier kaufen können, ob das Völkerrechtsfragen, Minderheitenfragen, Menschenrechtsfragen sind, ist nicht spezifisch für die direkte Demokratie.

Das betrifft auch diese aktuelle Initiative in der Schweiz. In diesem Zusammenhang frage ich mich immer: Darf ein Parlamentarier in der Schweiz diese Initiative als Antrag einbringen? Gibt es vor dem Antritt von Parlamentariern eine Prüfung mithilfe einer Liste, ob sie jemals so eine Frage einbringen könnten und ob daher ihr Wahlantritt zu untersagen ist? Gibt es eine Prüfung all dieser Anträge? – Nein, das gibt es nicht! Es gibt im Nachhinein eine Prüfung von Anträgen durch den Verfassungsgerichtshof, gerade auch dann, wenn ein Beschluss gefasst wird, und der kann das dann aufheben.

Es ist gut so und üblich, dass zwingend das Völkerrecht und Menschenrechtsfragen hier einen Mindestmaßstab darstellen, aber ich frage mich bei all diesen Befürchtungen, die Sie äußern: Was wird denn besser, wenn das im Parlament passiert? – Fragen Sie sich das einmal aus der Sicht eines Opfers, wenn zum Beispiel Minderheitenrechte eingeschränkt werden oder ein Asylant eine schlechtere Behandlung zu befürchten hat. Was hat der Asylant davon, dass diese Bestimmung im Parlament zustande gekommen ist und nicht in einer Volksabstimmung?

Wenn Sie Themen ausschließen wollen, dann bitte präzisieren Sie diese! Präzisieren Sie genau, wie Sie das prüfen wollen, auch schon bei jeder Gesetzeswerdung im Parlament! Machen Sie aber nicht immer folgenden Unterschied: Parlamentarier entscheiden stets weise – da kann das Völkerrecht gar nicht verletzt werden, da kann es zu keinen Minderheitenrechtsverletzungen kommen –, aber wenn das Volk abstimmt – so, wie in der Schweiz oder wie in Deutschland auf Landesebene –, dann kann alles Mögliche passieren.

Fast alle Bedenken, die Sie hier vorbringen, sind nicht direktdemokratiespezifisch, sondern demokratiespezifisch, und ja, sie sind zu lösen. Dazu haben wir schon einige Vorschläge gehört, wovon ich nur ein paar noch einmal unterstreichen möchte.

Es braucht eine faire Finanzierung von Demokratie, und da kann es nicht so sein, dass wir nur 200 Millionen € für Parteienfinanzierung zur Verfügung stellen, sondern man muss einen Teil von diesem Geld sehr wohl – wie auch der Vorschlag von Attac ist – der Zivilgesellschaft zur Verfügung stellen, aber natürlich nicht für irgendetwas, sondern genau dann, wenn direktdemokratische Instrumente ergriffen und eingeführt werden. Abhängig davon, wie weit man in diesem dreistufigen Prozess kommt, gibt es dann natürlich eine Kostenrückerstattung mit voller Transparenz. Da soll sich niemand bereichern können et cetera, das ist wichtig, es muss aber Teilhabe an der Demokratie auch finanziert werden können.

Wenn Gesetzesvorschläge, die außerhalb von Landtagen und Parlamenten entwickelt werden, wie wir es bei unseren deutschen Freunden regelmäßig erleben, letztendlich auch zu Gesetzen werden, wie zum Beispiel in Hamburg, dann sind das ja keine schlechteren Gesetze als die, die in Landtagen oder Parlamenten entstanden sind. Da muss die Vergütung für das Zustandekommen des Gesetzes genau so sein, wie wenn es aus dem Parlamentarismus, aus den Parteien oder aus den Ministerien kommt.

Was die Medien betrifft, gibt es genauso ein probates Mittel aus der Schweiz. Sie wissen, am 8. Dezember war wieder eine Volksabstimmung – es gibt ja vier Abstimmungstage in der Schweiz –: Da wurde über zwei wesentliche Fragen zur Familienförderung und zur Energiesteuer abgestimmt. Dazu gibt es ein Abstimmungsbuch – und dieses Abstimmungsbuch ist wirklich fair gestaltet, mit Pro- und Kontra-Argumenten –, das an alle Haushalte geschickt wird.

Es gibt Umfragen in der Schweiz, wie sich die Schweizer vor einer Abstimmung ihre Meinung bilden, denn natürlich gibt es auch dort kampagnisierende Zeitungen, ich sage jetzt nur „Blick“, natürlich gibt es dort Millionäre, die kampagnisieren und Plakate aufhängen können – all das gibt es auch in der Schweiz, das ist nicht nur in Österreich so –, diese Umfragen zeigen aber, dass die Meinungsbildung der Bürger und Bürgerinnen hauptsächlich über das Abstimmungsbuch erfolgt. Darauf verlässt man sich. Das bekommt jeder Haushalt zugesandt, hier haben Sie also teilweise schon Fairness erreicht. Dass sie die Angelegenheit mit dem Einfluss des Geldes bei Abstimmungen nicht ganz geregelt haben, das wissen die Schweizer selbst. An dieser Stelle liegt es aber eben wieder am Souverän, sich Bestimmungen einfallen zu lassen, um diese dominante oder zu starke Einflussnahme von Millionären und Milliardären zurückzudrängen.

Jeder kennt die Initiativen von Herrn Blocher und Co. – Ja, das ist ein Thema, in der Schweiz käme aber auch bei den Sozialdemokraten – und Andi Gross ist ja hier gesessen, er wurde auch schon zitiert – niemand auf die Idee, deswegen zu sagen, direkte Demokratie ist gefährlich. Man sagt stattdessen: Direkte Demokratie soll es geben, sie hilft auch Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, aber wir müssen uns überlegen, wie wir sie so fair gestalten, dass sie wirklich allen gleichermaßen zur Verfügung steht. – Darüber muss man nachdenken, anstatt das Instrument selbst abzulehnen!

Es wurde hier wieder gesagt, die Wirtschaftskammer habe eine bestimmte Position, der ÖGB habe eine bestimmte Position. – Lassen Sie mich hier Zweifel anbringen, dass das die Mitglieder auch so sehen. Ich habe diese Zweifel. Ich habe im politischen Prozess ja schon vieles erlebt und führe häufig Gespräche mit einfachen Mitgliedern, mit Repräsentanten: Das ist oft nicht dasselbe. Es kommt darauf an, wie diese Interessenvertretungen intern organisiert sind, welchen demokratischen Prozess sie durchlaufen, um zur Meinungsbildung zu kommen.

Ich wiederhole jetzt mein Eingangsstatement, und dann schließe ich: Wie kann es sein, dass in Umfragen 70 bis 80 Prozent für direkte Demokratie, niedrige Hürden, Verbindlichkeit und Schweizer System sind, sich dann aber immer wieder Interessenvertreter herstellen und sagen: Wir haben drei Millionen, wir haben hunderttausend Mitglieder, wir haben diese Anzahl an Wählerstimmen bei der letzten Nationalratswahl bekommen, und wir meinen das jetzt so! Wir haben uns das ja auch intern überlegt!

Da kann ich nur sagen: Nein, die Mitglieder sehen das anders als ihre Repräsentanten. Es ist genau so, wie es Frau Ruhsmann erklärt hat. Es gibt offensichtlich einen Prozess bei der Delegation des Willens. Von unten nach oben geht dabei etwas verloren, und auf einmal sind nicht mehr Partizipation, Mitbestimmung und Gleichheit angesagt, sondern plötzlich geht es um Parteierhalt, um Karrieren und um Einflussnahme. All diese Dinge sind dann auf einmal wichtiger. Genau deswegen brauchen wir zur Ergänzung direkte Demokratie.

Der erste Schritt wäre: Machen wir eine Umfrage, in der wir ermitteln, wie die Österreicher zu den Fragen, die wir hier gestellt haben, stehen! Wir müssen das erfahren. Wenn Sie das nicht wissen wollen, wie wollen Sie dann repräsentativ sein? (Beifall.)

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Gerhard Schuster (Volksgesetzgebung jetzt!): Ich möchte in meinem zweiten Beitrag ein bisschen auf die Frage eingehen, was eigentlich diese Enquete-Kommission gebracht hat und wie es in diesem Land mit der Frage der direkten Demokratie in der Diskussion weitergehen könnte.

Zuerst möchte ich sagen, dass die Enquete-Kommission für mich etwas sehr Gutes ist und einen wirklichen Fortschritt bedeutet, zumal wir uns ja sehr gegen den Kompromissvorschlag ausgesprochen haben. Die Entscheidung, zu dieser umstrittenen Frage einen längerfristigen Prozess anzuregen und durchzuführen, finde ich sehr gut.

Wenn man sich allerdings ansieht, wie in den Medien darüber berichtet wird, ob man darüber etwas hört, muss man sagen: Es ist noch nicht gelungen, dieses Thema, bei dem es ja um die Volksgesetzgebung, um die Beteiligung der Bevölkerung geht, medial so unterzubringen, dass sich die Menschen dafür interessieren können. Momentan wissen sie gar nichts davon.

Warum halte ich es trotzdem für wichtig und auch für notwendig, dass daran weitergearbeitet wird? – Etwas, das mir immer wieder auffällt, ist – man kann diese Erfahrung in Gesprächen machen –, dass in Bezug auf die direkte Demokratie mit Argumenten wie noch vor 30, 40 Jahren argumentiert wird. Ich habe letztens in einem Gespräch folgenden Vergleich gezogen: Würde man in Gesprächen mit Wissenschaftlern, Politikern, Menschen auf der Straße, wem auch immer, Aussagen zum Klimawandel machen wie noch vor 30 Jahren, würde man sich völlig disqualifizieren. Man kann aber Aussagen zur direkten Demokratie machen und Bedenken zur direkten Demokratie äußern wie noch vor 30 Jahren, ohne dass es auffällt, obwohl es viele Argumente und Gegenargumente dazu und viel Diskussion darüber gibt. Das liegt daran, dass das Thema noch nicht wirklich durchgearbeitet ist.

Wie schaut es mit den Hürden, mit den Quoren aus? Wie schaut es mit Ausnahmekatalogen aus? Warum kann man eigentlich aus guten Gründen nicht für Ausnahmekataloge bei Volksabstimmungen sein? Warum sind Beteiligungsquoren und Zustimmungsquoren undemokratisch? – Das sind alles Fragen, die noch nicht auf dem Niveau diskutiert werden, wie man es sich eigentlich erwarten müsste.

Zum Thema Popularvorbehalt: Warum sind Entscheidungen eines Parlaments in einem ausschließlich repräsentativen System nicht volldemokratisch legitimiert? Wahlen legitimieren Personen, ihr freies Mandat zu ergreifen und ihren Willen im parlamentarischen Prozess zu äußern, aber in der Wahl kann ich immer nur zu einem ganzen Konvolut von Punkten pauschal meine Stimme abgeben, nicht zu konkreten Einzelentscheidungen. Schon Rousseau hat gesagt, dass der Wille nicht delegierbar ist. Erst wenn der parlamentarische Entscheid strukturell durch einen direktdemokratischen Prozess unter dem Popularvorbehalt steht, ist auch der repräsentativdemokratische Entscheid legitimiert. All das sind Fragen, die weiter besprochen werden müssen.

An dieser Stelle möchte ich über die Zukunftsperspektive sprechen. Einige Freunde – die Kolleginnen und Kollegen aus der Zivilgesellschaft, einige der Abgeordneten hier in diesem Haus, einige Personen aus der Wissenschaft – haben schon erste Gespräche geführt und sich überlegt, ob es nicht sinnvoll wäre, eine Plattform – sozusagen im Fahrtwind der Enquete-Kommission – auf die Beine zu stellen, eine gemeinsame Webseite einzurichten, wo die verschiedensten Positionen zur direkten Demokratie aus den Parteien, aus der Wissenschaft, aus der Zivilgesellschaft, aus Kunst und Kultur, aus allen Bereichen der Gesellschaft zusammenkommen. „www.direkte-demokratie.at“ könnte dafür zur Verfügung gestellt werden.

Wir schaffen eine Plattform und laden alle ein, sich zu beteiligen, um sozusagen aus einem Rohr, aus einem medialen Kanal heraus, die Öffentlichkeit erreichen zu können. Vielleicht könnte das ein Schritt sein, um die über Jahrzehnte diskutierte Sache der direkten Demokratie auch einmal – wie Daniela Musiol ja vorhin gesagt hat – auf den Boden bringen zu können. (Beifall.)

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Leonore Gewessler (GLOBAL 2000): Ich möchte mich in meinem zweiten Beitrag – wie schon angekündigt – als Vertreterin einer Nichtregierungsorganisation noch einmal ganz dezidiert zu Wort melden als eine, die die Zielsetzung der Enquete-Kommission zur Stärkung der direkten Demokratie unterstützt. Es braucht diese Ausgestaltung der Instrumente der direkten Demokratie. Ich glaube, wir haben heute sehr viele sehr gute Argumente gehört, warum das sinnvoll ist und wie es umzusetzen ist.

Ich möchte aber in einem zweiten Schritt daran erinnern, dass Beteiligung auch die Teilhabe der organisierten Öffentlichkeit, also von Nichtregierungsorganisationen, über partizipative Prozesse miteinschließt, denn immer mehr Menschen organisieren sich, nehmen am politischen Prozess in einer Nichtregierungsorganisation teil und wählen diese Organisationsform. Ich glaube, in einer demokratischen Gesellschaft fungieren Nichtregierungsorganisationen auch als ganz wichtige Kanäle zur Artikulation von verschiedenen Werthaltungen und Interessen. Sie machen auch jene leisen Stimmen, die ich vorhin erwähnt habe, hörbar, die ohne dieses Engagement oft untergehen würden, das betrifft zum Beispiel von Armut und Umweltzerstörung betroffene Menschen, Minderheiten und Menschen mit Behinderungen.

Direkte und partizipative Elemente sind für mich zwei ergänzende Bausteine zur Stärkung der Demokratie. Beide müssen ihren Platz haben, beide müssen aber auch so ausgestaltet werden, dass sie echte Teilhabe an Entscheidungen überhaupt erst ermöglichen. Ich möchte den heutigen Termin auch nutzen, um für die weitere Arbeit zur Stärkung der Demokratie in dieser Enquete-Kommission und vor allem zur Stärkung der Arbeit des Parlaments noch Vorschläge einzubringen, die GLOBAL 2000 gemeinsam mit 17 anderen Nichtregierungsorganisationen – von Alpenverein, Caritas, Diakonie, Greenpeace et cetera bis hin zu Volkshilfe, Vier Pfoten und WWF – in einer gemeinsam erarbeiteten Stellungnahme abgegeben hat.

Während in Österreich, wie es auch Herr Müller vorhin so schön präsentiert hat, die Beteiligungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände – also der soziale Dialog, die Sozialpartnerschaft – sehr gut gewährleistet sind, gibt es für Nichtregierungsorganisationen noch einiges an Nachholbedarf. Aus unserer Sicht ist der zivile Dialog noch ausbaufähig.

Ich möchte hier, wenn ich für beteiligungsfreundliche, wirksame, transparente und chancengerechte Beteiligungsinstrumente, für direkte Demokratie die Lanze breche, dasselbe auch für die Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft einfordern und vier Punkte hervorheben. Diese sollte man am besten auf Basis einer kohärenten Evaluierung und dann auch eines kohärenten Monitorings weiter ausgestalten.

Der erste Punkt betrifft die Transparenz. Das gilt für direktdemokratische Verfahren genauso wie für die Partizipation von Nichtregierungsorganisationen. Eine offene und demokratische Gesellschaft basiert unabdingbar auf der Interaktion von Staat und seinen BürgerInnen auf Basis der Transparenz im Gesetzgebungsprozess. Das hieße für uns, dass Gesetzesvorhaben aus dem Parlament oder aus der Regierung von Anfang an kommuniziert werden, dass alle Entscheidungsgrundlagen, Stellungnahmen, Studien, Rechtsfolgenabschätzungen auch tatsächlich barrierefrei und einfach zugänglich sind.

Ein aus unserer Sicht ganz wichtiger Punkt: Mehr als 80 Staaten haben Informationsfreiheitsgesetze. Österreich hat das noch nicht. Es ist damit Schlusslicht bei der Auskunftspflicht. Der politische Prozess zur Abschaffung des Amtsgeheimnisses – auch das möchte ich ganz bewusst hier sagen – sollte daher wirklich mutig auch von Ihnen weitergeführt und ehestmöglich abgeschlossen werden. Das ist eine Voraussetzung dafür, ob es direktdemokratische oder partizipative Elemente sind.

Über den Ausbau von Online-Partizipationsmöglichkeiten haben wir heute schon viel gehört. Ich möchte das unterstreichen, was viele meiner VorrednerInnen gesagt haben: Im 21. Jahrhundert braucht es den Ausbau von Partizipationsmöglichkeiten über das Internet. Dazu gibt es ganz viele verschiedene Möglichkeiten.

Der letzte Punkt, den ich hervorstreichen möchte, betrifft die Öffnung des Parlaments. Die Notwendigkeit, Nichtregierungsorganisationen als organisierte Zivilgesellschaft schon möglichst frühzeitig mit ihrer Expertise und mit ihrem Wissen ins repräsentative System zu involvieren, ist vielfach beschlossen. Zum Beispiel in den „Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung“, die der Ministerrat beschlossen hat. Leider wird dies nur sehr selten angewendet, und ich denke, gerade das Parlament trägt die große Verantwortung, sicherzustellen, dass sich BürgerInnen über aktuelle Gesetzentwürfe und Beteiligungsmöglichkeiten informieren können.

Wenn wir über eine Stärkung der partizipativen Demokratie im Rahmen der Aufwertung der parlamentarischen Arbeit sprechen, müssen wir auch dringend darüber sprechen, wie man dieses Parlament auch für die Expertise und das Wissen von NGO-VertreterInnen öffnen kann – zum Beispiel über das Laden von NGO-VertreterInnen als Auskunftspersonen in Ausschuss- oder Plenarsitzungen, um die Expertise, die in der Zivilgesellschaft vorhanden ist, auch tatsächlich in den Gesetzgebungsprozess einzubringen.

Die Harmonisierung der Beteiligungspraktiken von Ministerien ist eine Baustelle, an der wir, glaube ich, ganz dringend arbeiten müssen. Ich darf Sie dazu auch auf unsere gemeinsame Stellungnahme verweisen. Es muss die Möglichkeit geben, gemeinsame Standards und transparente Verfahren in Konsultationsprozessen für Nichtregierungsorganisationen zu haben.

Direkte und partizipative Elemente – und es ist mir wichtig, das am Schluss noch einmal zu sagen – sind sich ergänzende Modelle zur Stärkung der Demokratie. Beide müssen ihren Platz haben, beide müssen gestärkt werden, und beide müssen aber auch so ausgestaltet werden, dass echte Teilhabe und Mitentscheidung möglich ist. – Herzlichen Dank! (Beifall.)

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Mag. Hans Asenbaum (Attac Österreich, AG Demokratie): Ich würde gern auf eine Problematik eingehen, die vorhin schon ziemlich oft angesprochen wurde, das ist die Inanspruchnahme oder mögliche Instrumentalisierung von direktdemokratischen Verfahren durch populistische Kräfte oder auch durch besonders ressourcenstarke Personen.

Ich habe vorhin bereits von einem umfassenden Demokratiepaket gesprochen, in dem es verschiedene partizipative Formate wie BürgerInnenreden geben soll. Darüber hinaus ist uns von Attac aber auch die dreistufige Volksgesetzgebung unter bestimmten Vorzeichen wichtig.

Die Probleme, die hier aufgezeigt wurden, die populistische Vereinnahmung dieser Instrumente, stellt natürlich eine große Gefahr dar, für die auch schon Lösungsansätze skizziert wurden. Ich denke, man kann das ruhig ein bisschen konkreter machen, denn ich glaube, dann können wir uns auch ein bisschen weiter bewegen.

Zum einen sehe ich die Problematik, dass diese Instrumente, die eigentlich für Bürgerinnen und Bürger gedacht sind, vielfach von Parteien instrumentalisiert oder vereinnahmt werden. Das sieht man in der Schweiz auch sehr stark. Ich denke, da gibt es ganz einfache Mechanismen, dem entgegenzuwirken. Man kann es ja gesetzlich verankern, dass es zum Beispiel keine Geldflüsse zwischen Parteien und solchen Volksinitiativen geben darf.

Ich glaube, da können alle Parteien gewinnen, denn man muss sozusagen dann auch die Konkurrenzpartei nicht fürchten, die eine solche Volksinitiative instrumentalisieren könnte. Ich finde, dasselbe sollte auch für die Vorfeldorganisationen gelten. Man muss darauf achten, dass eben diese Initiativen wirklich aus dem Volk kommen können.

Zum anderen, was heute auch schon öfter angesprochen wurde, sind die finanzstarken Einzelakteure eben einzelne Personen, aber auch einzelne Unternehmen. Hier muss man schauen, dass es diese Geldflüsse in dem Maße nicht gibt. Da kann man zwei Sachen machen, nämlich einerseits das Gesamtbudget für so eine Volksinitiative limitieren, wie das auch in Nationalratswahlkämpfen neuerdings gemacht wird, und andererseits muss es ein Limit geben. Wenn eine Volksinitiative reicheren Menschen besonders zugutekommen würde, sollen die nicht alle ihr Geld da hineinstecken dürfen. Man muss auch die Einzelbeiträge limitieren, dass diese eine gewisse Höhe nicht überschreiten dürfen, damit eben einzelne Menschen sich solche Volksinitiativen nicht kaufen können.

Es stellt sich jetzt natürlich die Frage, woher das Geld kommen soll. Das wurde jetzt auch schon mehrfach angesprochen: Wenn Bürgerinnen und Bürger diese Instrumente tatsächlich selbst nutzen sollen, dann muss es natürlich von staatlicher Seite auch ein gewisses Budget, gewisse Zuschüsse geben, die diese Kampagnen finanzieren. Darüber hinaus muss es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine gewisse reservierte Sendezeit für die Pro- und Kontra-Argumente geben. Es muss, wie auch schon von der Initiative mehr demokratie! angesprochen wurde, diese Abstimmungsbroschüre geben, die Pro- und Kontra-Argumente darlegt. Ich glaube, das ist auch ein ganz wesentlicher Beitrag.

In diesem Sinne kann direkte Demokratie tatsächlich ein Instrument der Bevölkerung werden. Man muss, finde ich, die eine Seite sozusagen limitieren und einschränken und die andere Seite, die Bevölkerung, fördern; dann kann das wirklich funktionieren.

Ich glaube, dass diese Maßnahme, die dreistufige Volksgesetzgebung, in dieser Form und in Kombination mit partizipativen Elementen wie BürgerInnenreden, Bürgerhaushalt und Ähnlichem tatsächlich ein großer, positiver Schritt in diesen Krisenzeiten sein kann.

Natürlich wissen wir, wir befinden uns allgemein in der großen Krise und hier braucht es mal ein positives Zeichen, speziell in Österreich sind aber die Stimmung von Stillstand und der ewige mediale Diskurs über den Stillstand schon sehr erdrückend. Ich glaube, hier kann ein großer Reformschritt gesetzt werden, hier kann ein großes Paket geschnürt werden, das tatsächlich ein positives Signal ist. (Beifall.)

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Dr. Tina Olteanu (Universität Wien): Ich möchte mich jetzt gern mit einer Perspektive beschäftigen, mit der ich mich sehr viel in meiner Forschung beschäftige und die, wie mir scheint, immer wieder angeklungen, aber noch nicht richtig aufgemacht worden ist. Das Thema ist nämlich jetzt für mich: unkonventionelle Formen der Partizipation.

Es lässt sich eine Tendenz beobachten, dass wir bei der Stärkung der Demokratie sehr häufig von Abstimmungsprozessen ausgehen. Diskurs und andere Sachen kommen immer wieder am Rande vor, sind aber sicherlich nicht zentral. Das finde ich ein bisschen problematisch, und ich möchte daher eine andere Perspektive einnehmen.

Es ist interessant, bei der Krisendiagnose ist eine ganz bestimmte Lesart besonders häufig anzutreffen – wir haben sie schon gehört –: BürgerInnen partizipieren immer weniger in konventionellen Beteiligungsformen, etwa bei Wahlen, und die Anzahl der Mitglieder in Parteien sinkt. Daraus wird eine Art Politikverdrossenheit oder sogar eine Apathie abgeleitet. Was dabei jedoch aus dem Blick gerät, sind meines Erachtens vielfältige Beteiligungsformen, die unterhalb ansetzen. Darauf möchte ich den Fokus legen. Diese Beteiligungsformen werden häufig belächelt oder als weniger relevant wahrgenommen, weil sie nicht originär politisch, sondern vielleicht sozial sind, oder, was wir heute auch schon gehört haben, vielleicht sind sie auch Schwachsinn. Ich meine, Schwachsinn ist sicherlich ein Kriterium, das für Menschen generell gilt und nicht unbedingt spezifisch für BürgerInnen. Also muss man vielleicht auch darauf achten, wie man diese Mechanismen bewertet.

Bürgerinnen und Bürger beteiligen sich nämlich heutzutage eher themenbezogen und eher kurzfristig. Das heißt, es ist, überspitzt formuliert, schwierig, Bürgerinnen und Bürger an Parteien zu binden und zu erwarten, dass sie in Wahlkampfzeiten auf Märkten die Flyer verteilen. Sie möchten viel stärker selber die politische Agenda setzen. Und es kam ja schon einmal zum Ausdruck, dass es vielleicht auch ein Problem mit innerparteilicher Demokratie geben könnte.

BürgerInnen nehmen zwar an Demonstrationen teil, aber sie organisieren zum Beispiel ebenso Flashmobs oder organisieren sich in Nachbarschaftstreffen. Vieles bekommt auch eine eigene Dynamik, wie etwa Hashtag-Kampagnen, und wir sehen es ja auch hier. (Die Rednerin deutet auf die Twitter-Wall.) Durch das Web 2.0 sind viele organisatorische Barrieren einfacher zu überwinden, Diskussionen werden dezentral geführt, und die Informationen sind immer besser zugänglich. Dies erleichtert spontane, weniger formalisierte Partizipation. Manche Instrumente werden aber auch einfach als Lifestyle abgetan, wenn es eben zum Beispiel um KonsumentInnen-Boykott geht.

Teilweise wurde diese Entwicklung ja auch von etablierten Parteien erkannt, und sie versuchen vermehrt, solche unkonventionellen Instrumente einzusetzen. So hat beispielsweise die FDP in Berlin einmal versucht, im Wahlkampf Graffitis zu sprühen, um auf sich aufmerksam zu machen. Gleichzeitig hat sie im Wahlprogramm darauf hingewiesen, dass solche Schmierereien natürlich nicht sein können. Sie sehen, diese Übernahme neuer Partizipationsinstrumente ist natürlich auch ein Risiko für Parteien.

Oder wir stellen dann ganz häufig die Frage nach der Effektivität: Wie effektiv war denn jetzt das Ganze? Was ist übrig geblieben von #unibrennt oder Occupy Wall Street? Was bewirken Postings in Online-Foren oder was machen Graffitis an den Wänden?

Wenn wir Demokratie als einen Prozess verstehen, wie Hans Asenbaum auch schon formuliert hat, in dem es um öffentliche Willens- und Meinungsbildung geht, so ist unkonventionelle Partizipation sicherlich nicht zu unterschätzen. Es geht darum, gesellschaftliche Veränderungsprozesse einzuleiten, es geht darum, Alternativen aufzuzeigen, und es geht darum, zu diskutieren. Klassische Aspekte wie Agenda Setting oder Entscheidungsfindung sind natürlich mit dabei.

Aus einer individuellen Perspektive darf auch nicht unterschätzt werden, was es für Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Foren ausmacht, wenn sie einmal hier aktiv sind und wie es den Blick auf ihre Rolle in der Gesellschaft vielleicht auch verändert.

Unkonventionelle Partizipation kann demnach also als ein Anspruch auf Teilhabe gelesen werden, den Bürgerinnen und Bürger verstärkt formulieren. Sie wollen das Gemeinwesen gestalten, sich einbringen und verändern. Sie möchten auch auf bestimmte Missstände aufmerksam machen. Das Problem ist nur, dass diese Art dieser neuen Partizipationsform leider ein Problem nicht löst, und das ist die Frage nach dem Zugang zu Partizipation: Wer partizipiert?

Letztendlich müssen wir es kritisch sehen und sagen, dass es eine Erweiterung des Repertoires für einige Bürgerinnen und Bürger ist, dass aber andere BürgerInnen weder diese konventionellen noch diese unkonventionellen Partizipationsformen wahrnehmen. Das Problem ist damit eigentlich, dass Partizipation immer noch sehr stark vom Bildungsgrad oder von sozioökonomischen Merkmalen der Einzelnen abhängt. Da muss eben auch angesetzt werden. Und ich glaube, das ist ziemlich dringend!

Es gab ja schon hie und da die Anmerkung, dass politische Bildung vielleicht wichtig ist. In diesem Sinne würde ich dafür plädieren, dass politische Bildung an den Schulen als eine demokratische StaatsbürgerInnen-Kultur verankert wird. Wir haben hier bei diesen Hashtags auch immer wieder Begriffe wie „Schülerparlamente“ gelesen. – Ja, Demokratie kann man nicht nur in irgendeiner Form vorgesetzt bekommen, man muss sie auch selber üben und einmal austesten. (Beifall.)

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Marlen Ondrejka: Es ist mittlerweile die vierte Sitzung, in der wir Bürgerinnen und Bürger unsere Vorschläge an die Parteien kundgetan haben. Es ist heute gefallen: wieder mehr Bürgerbeteiligung auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene. Ich denke, dass dies nicht von allen Parteien gewünscht ist. Man sieht es teilweise an den Gesichtsausdrücken, wenn ich das so sagen darf.

Das Wort „E-Voting“ ist heute auch des Öfteren gefallen. – Man hat nichts gehört von Missbrauch et cetera.

Ich finde auch, die Schere zwischen Arm und Reich sollte geschlossen werden. Es kann nicht sein, dass Arme immer ärmer werden und Reiche immer reicher werden.

Was mir ebenfalls ein Anliegen ist, ist das Frauenpensionsalter. Ich habe zwar selber noch keine Steuerzahler in die Welt gesetzt, doch meine Mutter hat zwei Steuerzahler in die Welt gesetzt. Und wenn man dann hört: Frauen mit 67, 68 Jahren in Pension!, dann weiß ich nicht, ob Sie sich da nicht ins eigene Fleisch schneiden.

Was mir auch noch ein Anliegen ist und worüber man viel hört: die Hypo. Ich finde es nicht richtig, das auf dem Rücken des Volkes auszutragen. Wenn ich Schulden habe, muss ich sie auch selber zurückzahlen. Wenn ich einen Kredit habe, zahlt mir diesen auch niemand zurück.

Es ist angesprochen worden, dass Gemeinden bürgernah sind. Das würde ich nicht so sagen. Ich komme selber aus einer kleinen Gemeinde, und wenn man etwas braucht von der Gemeinde, dann hört man nur: Macht euch das selber aus, wir sind dafür nicht verantwortlich! – Das hat meiner Meinung nach nichts mit Bürgernähe zu tun.

Ich denke auch – teilweise sieht man es –, dass die Parteien Angst vor Meinungen aus dem Volk haben.

Ein großes Anliegen ist mir auch die Arbeitslosigkeit. Ich denke, dadurch ist auch die Politikverdrossenheit sehr groß. Da stellt sich für mich die Frage: Wenn Wahlen sind, wen wähle ich? – Es wird vor den Wahlen immer kundgetan: Ja, wir machen das, wir machen dieses und jenes! Nach den Wahlen herrscht dann aber Stillschweigen.

Was hier auch noch ein großes Thema ist: keine Zweiklassenmedizin! Man hat es heute gehört, das AKH steht für vier Stunden still, es gibt nur Notbetrieb in den Ambulanzen. – Das kann es nicht sein in Österreich!

Ich würde mir wünschen, dass nach Abschluss dieser Enquete-Kommission Vorschläge, die von uns eingebracht worden sind, ausgearbeitet und angenommen werden – für Österreich. (Beifall.)

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Dr. Susanne Fürst (Fraktionsexpertin): Meine persönliche Zwischenbilanz nach drei Sitzungen der Enquete-Kommission lautet: mehr direkte Demokratie für Österreich! Die vorgebrachten zahlreichen Argumente gegen die Einführung einer verstärkten direkten Demokratie konnten zumindest mich nicht überzeugen.

Wir haben bei der letzten Sitzung einen Blick über die Grenzen nach Deutschland und in die Schweiz gemacht – beides friedliche, wirtschaftlich sehr erfolgreiche Länder, man kann sich vieles von ihnen abschauen. Was die Gestaltung der direkten Demokratie betrifft, würde ich raten, nach Westen zu sehen, in die Schweiz. Warum? – Deutschland ist kein Vorbild in dieser Hinsicht, haben wir heute schon gehört, es gibt keine direkte Demokratie auf Bundesebene. – Das ist richtig, aber auch falsch, meiner Ansicht nach.

Deutschland kämpft, vielleicht auch wie Österreich, mit einer veralteten Parteienstruktur. Die Großparteien CDU und SPD sehen sich dem Vorwurf der Abgehobenheit und der Wählerentfernung ausgesetzt. Sie verlieren Wählerschichten, und sie hinterlassen frustrierte Bürger, die sich von niemandem mehr vertreten fühlen. Diese und eine große Anzahl der Noch-Wähler würden gerne ihre Meinung zu vielen Fragen deponieren. Bei vielen wichtigen Entscheidungen, die ihre gesellschaftliche Situation betreffen, ihr Geld betreffen, würden sie gerne gefragt werden. Doch die deutschen Machthaber verspüren keine Lust, sich der zunehmenden Anzahl ihrer Wutbürger zu stellen und ihre Entscheidungen zu rechtfertigen. Wie lange das noch gutgeht, wie lange sie ihre Entscheidungen noch als alternativlos hinstellen können, wird man sehen.

Auf die deutsche Situation zielt der französische Schriftsteller Houellebecq ab, wenn er meint, die wahre Bedrohung der Demokratie liege in der wachsenden Kluft zwischen dem Volk einerseits und den politischen und medialen Eliten andererseits, die in seinem Namen zu sprechen vorgeben. Dies wird zu Unruhe und Destabilisierung führen.

Schauen wir daher lieber in die Schweiz! Dort wird es sicherlich auch unzufriedene Bürger geben, aber diese Kluft zwischen Politik und Bevölkerung ist, wie ich meine, nicht vorhanden. Das ist kein Wunder, denn die Schweizer werden zu sämtlichen relevanten Themen befragt, und auf diese Weise werden fast alle gesellschaftspolitischen und auch wirtschaftlichen Themen von der Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen.

Alle Vorurteile gegen die direkte Demokratie, wie – in Stichworten – Irrationalität, zu viele Emotionen, rückschrittliche Tendenz, Entscheidungen ohne Sachverstand, Unterdrückung von Minderheiten, die Missbrauchsgefahr durch Demagogen und so weiter, sind meiner Ansicht nach mühelos widerlegt.

Der Einwand, dass in der Schweiz das System ja auch schon eine sehr, sehr lange Tradition hat, kann meines Erachtens nicht dazu führen, dass die direkte Demokratie bei uns nicht verstärkt eingeführt wird, denn mit einer Tradition muss man irgendwann beginnen.

Auch die heute schon angesprochene neue Initiative in der Schweiz, mit der das Landesrecht über das Völkerrecht gestellt werden soll, oder eben der Schutz der Minderheiten, diese Angst vor unangenehmen Themen, Angst vor unerwünschten Ergebnissen kann kein Argument gegen die direkte Demokratie sein, denn diese Instrumente führen dazu, dass solche Ideen auf ordentlichem Weg kanalisiert werden, dass sie besprochen und diskutiert werden und nicht auf der Straße ausgetragen werden. Die Rechtsschutzkontrolle über die Gerichtshöfe, die nachträgliche Kontrolle ist ja vorhanden. Dies gilt für alle Gesetze, die vom Parlament beschlossen worden sind, und genauso für Gesetze, die vom Volk initiiert werden. Und alles, was völkerrechtswidrig ist, ist rechtswidrig.

Der Schweizer Professor Cocca, der in Linz an der JKUlehrt, meint, dass sein Heimatland, die Schweiz, anders sei: „Im Unterschied zu vielen anderen westlichen Ländern ist das Verhältnis zwischen Staat und Bürger ein besonderes. Der Staat dient dem Bürger“, und der Bürger vertraut dem Staat. Das ist eine schöne Vision, denke ich, auch für Österreich und für viele andere Länder.

Offensichtlich ist die rein repräsentative Ausgestaltung nicht ganz das richtige Konzept oder zumindest nicht mehr. Die Bürger als Vertretene haben eindeutig den Wunsch, verstärkt in die Politik einzugreifen, und sie haben meiner Meinung nach jedes Recht dazu. Dies sollte nicht als Schwächung des parlamentarischen Systems gesehen werden, so wie das viele Politiker, aber auch einige der Experten, die wir gehört haben, sehen. Es kann keine Schwächung sein, wenn die Vertretenen eine eigene Idee haben, die bisher von den Volksvertretern ignoriert wurde oder anders gesehen wurde, vielmehr haben sich die Vertreter dieser Ideen anzunehmen, sie weiterzuentwickeln, zu diskutieren, und auch dafür zu sorgen, dass sie zum Durchbruch kommen.

Die rein repräsentative Ausgestaltung war eine geliehene Macht. Jetzt wollen die Vertretenen wieder mehr selbst entscheiden – unter gewissen Rahmenbedingungen natürlich –, und dies ist zu gewähren.

Das denkbar schlechteste Ende dieser Enquete-Kommission wäre ein Finale à la Salzburg. Dort wurde in letzter Minute das beschlussreife und fortschrittliche dreistufige Modell, welches in der zweiten Sitzung präsentiert wurde, gekippt. Der Grund: Die Regierenden sorgen sich um den Zugriff von Bürgern und Bürgerabstimmungen auf öffentliche Unternehmen. Die Bürger könnten in ausgelagerte Betriebe, wie zum Beispiel Flughafen oder Messe, „hineinregieren“ – Zitat – oder dort ihre privaten Eigeninteressen vertreten, wie zum Beispiel die Flugzeiten gleich einmal einschränken.

Natürlich kann man darüber diskutieren, wie weit Bürger in öffentlichen Unternehmen oder überhaupt in finanziellen Angelegenheiten mitreden sollen, doch den Bürgern pauschal zu unterstellen, sie würden nur und ausschließlich ihre höchstpersönlichen Interessen verfolgen und sich mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Belangen nicht im Geringsten auseinandersetzen, ist meines Erachtens doch sehr überheblich. Es ist aber nicht nur überheblich, sondern auch sehr mutig von den Politikern, angesichts der eigenen wirtschaftlichen Performance – wenn ich das so sagen darf – bei der Führung staatsnaher Betriebe, Stichwort ÖBB, oder auch im wirtschaftlichen Umgang mit Geld generell; ich sage nur: Hypo Alpe-Adria, Swap und Salzburger Finanzskandal.

Also ein bisschen mehr Bürgerbeteiligung, in Form von ganz einfachem Sachverstand, würde hier, glaube ich, nicht schaden, zumindest schlechter könnten es die Bürger auch nicht machen.

Es sollte daher Mut zu mehr Beteiligung, zu echter Beteiligung, niedrige Hürden, geringe thematische Beschränkungen plus Verbindlichkeit geben. Keine Sorge, die nötige Abfederung aufgrund einer nachträglichen Kontrolle durch die Gerichtshöfe – sei es innerstaatlich oder auch auf EU-Ebene – ist gegeben. Daher steht meiner Ansicht nach mehr direkter Demokratie nichts im Weg. (Beifall)

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Harald Petz: Ich habe für heute nichts vorbereitet, weil ich eigentlich Ihren Zwischenstand der Enquete-Kommission anhören wollte. Ich zitiere hier frei einige Punkte aus dem Zwischenstand.

Es gibt Problemstellungen: Wie schütze ich Minderheiten vor Mehrheiten?; die Einflussnahme durch finanzstarke Organisationen; es kann passieren, dass letztendlich auch kleine Änderungen nicht durchgeführt werden; die Politikverdrossenheit und dadurch ein Sinken der Wahlbeteiligung.

Es gibt Ziele: Die Bürger sollen auch während der Legislaturperiode Einfluss nehmen können; nicht nur planen und diskutieren, sondern umsetzen; Bürgerbeteiligung ist die Ergänzung zum parlamentarischen System; am Ende der Enquete-Kommission tatsächlich gesetzliche Änderungen auch gegen innerparteiliche Widerstände beschließen; ein Ergebnis, auf das wir stolz sein können; dauerhaft Parlament offen gestalten; Bürger dauerhaft in politische Prozesse einbinden; im Mittelpunkt müssen Bürgerinnen und Bürger stehen; E-Voting ermöglichen.

Mein Resümee, meine Damen und Herren: Anscheinend wissen Sie ja, worauf es ankommt. Packen Sie es an! Packen wir es an! Lassen Sie aus dieser Enquete-Kommission einen Erfolg werden! (Beifall)

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Feri Thierry (Fraktionsexperte): Ich glaube, das tatsächlich häufigste Thema, das in dieser Enquete-Kommission zur direkten Demokratie vorgekommen ist, ist bislang die Angst der Politik vor den Bürgerinnen und Bürgern. – Die teile ich nicht. Gott sei Dank haben das einige Vorrednerinnen und Vorredner auch schon zum Ausdruck gebracht. Ich glaube, dass wir tatsächlich Mut brauchen, aber dass dieser Mut sich auszahlt.

Insofern finde ich es auch durchaus problematisch, wenn ich höre, dass es in einer Stellungnahme der Wirtschaftskammer Österreich heißt, dass man hier sehr vorsichtig vorgehen sollte, dass man sozusagen keine überraschenden und unerwünschten Effekte durch die demokratische Einbindung der Bürgerinnen und Bürger erzielt. Da frage ich: Was ist denn unerwünscht an einer demokratischen Entscheidung? Wer beurteilt, ob eine Entscheidung dann unerwünscht ist oder nicht? Also da, glaube ich, haben wir schon im Grundsatz ein Problem, wobei ich – wenn Sie mir diese Nebenbemerkung erlauben – bei der Wirtschaftskammer ohnehin – in Anbetracht der Ergebnispräsentation der Wirtschaftskammerwahl, insbesondere in Wien – nicht ganz sicher bin, wie stark das demokratische Bewusstsein ausgeprägt ist.

Aber lassen Sie mich zu einem ganz konkreten Beispiel kommen, das auch schon öfters hier Thema war und von dem ich glaube, dass es tatsächlich ein Mehr an Demokratie und Transparenz bringt und auch gerade die Zivilgesellschaft stärker einbindet! Das ist das Thema des Bürger- und Bürgerinnenhaushalts: Wie könnte so ein Bürger- und Bürgerinnenhaushalt konkret ausschauen? – Ich glaube, dass es hier drei Phasen braucht:

Zum einen eine Phase der Transparenz, sozusagen eine Information für die Bürgerinnen und Bürger, wie dieses Budget konkret ausschaut: Wie ist die finanzielle Situation in der Gemeinde, in der Stadt? Wofür geben wir Geld aus? Wie schauen unsere Einnahmen aus? – Es ist wichtig, diese Dinge einmal offenzulegen. Den meisten Bürgerinnen und Bürgern ist nicht klar, wofür die Gemeindeführung Geld ausgibt. Das heißt, ich halte es für die Aufgabe Nummer eins, diese Information, diese Transparenz zu schaffen, wenn man einen seriösen Bürger- und Bürgerinnenhaushalt auf die Beine stellen will. Das kann man über Online-Foren machen, das kann man über Veranstaltungsformate machen, über Aushänge. Welche Formate hier auch immer sinnvoll sind, sie sollten genutzt werden, um damit möglichst viele Menschen zu erreichen.

In einem zweiten Schritt geht es um die Konsultation, das heißt, um die konkrete Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern. Da können diese Bürgerforen – die heute auch schon öfters Thema waren – ein gutes Format sein, um Ideen für die Politik zu sammeln, wie ein Budget gestaltet werden kann, welche Projekte den Bürgerinnen und Bürgern wirklich ein Anliegen sind, wo auch zusätzliche Einnahmen gehoben werden könnten, wo gespart werden kann. All das kann ein Thema in einer Phase der Konsultation sein. Und dann könnte der Gemeinderat daraus zum Beispiel drei bis fünf Vorschläge auswählen, die dann auch einer Abstimmung zugeführt werden könnten. Wenn es jetzt eine Gruppe innerhalb der Gesellschaft, innerhalb der Bevölkerung, in einer Gemeinde gibt, die sagt: Das sind aber nicht unsere Vorschläge, wir haben eigentlich noch ganz andere Ideen, die aber der Gemeinderat nicht ausgesucht hat!, dann soll es auch die Möglichkeit geben, hier eine Eigeninitiative zu starten, damit auch diese zu einer Abstimmung gebracht werden kann.

Eine dritte Phase, wenn die Entscheidung getroffen ist, wie das Budget vergeben werden soll, wäre die Phase der Rechenschaft. Beim Budget geht es nicht nur um sozusagen freies Budget, also Projektbudget – denn es gibt auch Gemeinden, die so verschuldet und budgetär so am Limit sind, dass sie gar keine freien Budgetmittel mehr haben –, sondern es geht auch darum, was man mit dem Budget, das vorhanden ist, macht, wie man das verteilt. Wenn man diese Phase hinter sich gebracht hat, würde die dritte Phase der Rechenschaft folgen, in der der Gemeinderat und der Bürgermeister, die Bürgermeisterin Rechenschaft darüber ablegt, was mit den Vorschlägen passiert ist, wie der Gemeinderat entschieden hat, was nun mit den Budgetmitteln tatsächlich konkret passiert. Dann ist man wieder beim Kreisschluss, dann ist man wieder bei der Phase eins, der Transparenz.

Ich glaube, dass das funktionieren kann. Es gibt europaweit mittlerweile einige Hundert Gemeinden, die das probieren, von ganz kleinen Gemeinden bis hin zu großen Pariser Bezirken, das heißt, das funktioniert auf verschiedenen Ebenen. In Österreich hat man – ganz vorsichtig – einmal mit einer Gemeinde in Oberösterreich gestartet. Dort funktioniert es mittelprächtig, das muss man ehrlicherweise auch sagen. Das liegt aber auch daran, dass dort die Landesregierung offensichtlich nicht sehr kooperationswillig ist, dieses Projekt wirklich zum Durchbruch zu bringen. Da braucht es von allen Seiten auch ein entsprechendes Engagement.

Ich glaube, dass der Bürger- und Bürgerinnenhaushalt ein sehr gutes Mittel wäre, um mehr Transparenz zu schaffen, um Bürgerinnen und Bürger tatsächlich ernsthaft einzubinden und um die Entscheidungen der Politik zu verbessern, weil Ideen aus der Bevölkerung miteinbezogen werden, und letzten Endes auch, um die Akzeptanz für politische Entscheidungen zu erhöhen. Wenn Bürgerinnen und Bürger rechtzeitig eingebunden waren, wenn sie verstehen, wie der Entscheidungsprozess abläuft und sie dort auch involviert waren, dann können sie es auch eher akzeptieren, wenn zum Beispiel eine Entscheidung nicht so ausfällt, wie das der Einzelne, die Einzelne vielleicht möchte. (Beifall.)

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Heinz Emhofer: Ich möchte nach meiner ersten Rede noch einmal etwas erklären, und zwar zum Image der Politik. Ich möchte Ihnen zwei Beispiele bringen. Das eine Beispiel habe ich selbst erlebt, und das kann man nur erklären, wenn man es selbst mitgemacht hat, nämlich: Wie Gesetze in Österreich durch Landesgrenzen verändert werden, und wie man dadurch in ein Loch fallen kann, wenn man nicht ein Bürger ist, wie ich, der sich traut, überall anzuklopfen und zu schimpfen und zu werken, und dadurch ein positives Ergebnis erreicht. Das zweite Beispiel zeigt, warum manche Politiker trotzdem Angst vor Reformen haben.

Ich möchte mich beim Vorstand der österreichischen Pensionsversicherungsanstalt bedanken. Ich habe eine Anfrage an die Pensionsversicherungsanstalt gestellt und innerhalb einer Woche Antwort bekommen. Meine Anfrage lautete: Wie viele Direktoren gab es vor der Zusammenlegung der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter und der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten? Wie hoch war der Personalstand, und wie hoch war der Verwaltungs- und Verrechnungsaufwand? Das Ergebnis war für mich schockierend.

Vor der Zusammenlegung gab es 22 Direktoren. Dann habe ich zu mir gesagt: Okay, neun Bundesländer, neun Direktoren, zwei Generaldirektoren, das sind dann 11, zwei Anstalten, dann sind es 22. Nach der Fusion – eine kleine positive Sache, aber trotzdem – gab es nur mehr 19 Direktoren. Österreich hat aber nicht 19 Bundesländer, es hat nur 9. Der Personalstand lag im Jahr 2002 bei 3 997 Personen, 2003 lag er bei 3 653 Personen, also 300 Personen weniger, im Jahr 2005 war wieder die ursprüngliche Anzahl erreicht, nämlich 3 967.

Die dritte Frage betraf den Verwaltungs- und Verrechnungsaufwand. Ich weiß nicht, ob er Ihnen bekannt ist, aber er wird Sie wahrscheinlich schockieren. Vor der Zusammenlegung beider Anstalten lag er bei 212 Millionen €. 2003, nach der Zusammenlegung, lag er bei 245 Millionen €, das bedeutet ein Plus von 33 Millionen €, obwohl zwei Anstalten zu einer Anstalt zusammengelegt wurden. Im Jahr 2004 kam es zu einer Senkung, und im Jahr 2005 lag er wieder bei 245 Millionen €. Wenn so etwas in der Privatwirtschaft passiert, dann würde irgendwer zur Rechenschaft gezogen werden. Was macht die Politik? Die verschweigt das. Der Minister nimmt das anscheinend halt zur Kenntnis. Das ist ein Punkt, der meiner Meinung nach zum schlechten Image der Politik beiträgt.

Für das zweite Beispiel muss ich kurz etwas zu meiner Person erklären: Ich stamme aus dem Mühlviertel. Ich bin in einer Stadt mit 8 000 Einwohnern geboren, und ich habe diese Stadt wohnmäßig noch nie verlassen, das heißt, ich bin heute immer noch Perger. Ich habe eine Schulbildung genossen, habe eine schultechnische Ausbildung gemacht, als sogenannter Facharbeiter. Auf dem Land im Mühlviertel gibt es keine Arbeit, so war ich bei Großbetrieben in Österreich tätig. Mein Arbeitsplatz war fast immer ganz Österreich. Der Sitz der Firmen, in denen ich gearbeitet habe, war in Vorarlberg, Salzburg, Graz und Wien.

Ich hatte 25 Jahre lang kein Problem, dann war ich bei einer Wiener Firma, und da ist Folgendes passiert: Der Chef dieser Wiener Firma hat die Firma verkaufen wollen, er hat sie zergliedert und Teile der Firma verkauft. Auf einmal habe ich einen Brief bekommen, dass ich ab diesem Datum bei einer Salzburger Firma angestellt sei, mit allen Rechten und Pflichten. Darauf habe ich gesagt: Okay, der Arbeitsplatz ist gleich geblieben, die Tätigkeit ist gleich geblieben! Dann kam das erste Problem: Ich war auf einmal bei der Salzburger Gebietskrankenkasse und nicht mehr bei der Oberösterreichischen.

Das zweite Problem: Meine Tochter ist sehkrank. Die Haftschalen, die sie vom Spital verordnet bekommen hat, wollte die Salzburger Gebietskrankenkasse nicht bezahlen. Für einen Familienvater von vier Kindern sind 5 000 Schilling sehr viel. Ich bin dann für eine Rechtsauskunft zu meiner gesetzlichen Vertretung, zur Arbeiterkammer Oberösterreich, gegangen. Die Rechtsauskunft war so, dass mir gesagt wurde: Herr Emhofer, tut uns leid, für Sie ist die Arbeiterkammer Salzburg zuständig. Worauf ich gesagt habe: Die ist ja 150 Kilometer von mir weg! – Ja, tut uns leid, aber Sie bekommen keine Rechtsauskunft. Daraufhin habe ich gesagt: Okay, ich bin Gewerkschaftsmitglied! Ich bin also in Linz zur Gewerkschaft gegangen, und zu meiner Überraschung ist das Gleiche passiert: Heinz, tut mir leid, für dich ist die Gewerkschaft Salzburg zuständig, du bekommst keine Auskunft! Niemand hat mir geholfen.

Ich habe von der Zeitung den Spitznamen „Rebell von Zeitling“ bekommen, weil ich mir nichts gefallen lasse. Ich bin aufgrund der Schwierigkeiten nach Salzburg zur Gebietskrankenkasse gefahren, und habe dort einen Beamten getroffen, der mir geholfen hat. Der hat gefragt: Heinz, arbeitet deine Frau? Worauf ich gesagt habe: Ja. Dann meinte er: Ich melde die Kinder um, deine Kinder sind ab sofort bei der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse versichert, und es wird alles bezahlt. Ich habe mich bedankt. Dann bin ich zu meinem Chef gegangen und habe ihn gefragt, warum ich bei der Salzburger Gebietskrankenkasse versichert sei. – Seine Antwort lautete: Wenn du bei der Oberösterreichische Gebietskrankenkasse versichert wärst, dann müsste ich Mitglied der Wirtschaftskammer Oberösterreich werden und dann müsste ich einen Mitgliedsbeitrag bezahlen. Das will ich aber nicht, darum bist du Salzburger geworden! – Aber das war 150 Kilometer von meinem Arbeitsplatz weg!

Als Rebell habe ich begonnen, jede Woche mit dem Dienstwagen nach Salzburg zu fahren. Ich habe zum Chef gesagt: Guten Tag, ich bin heute in Salzburg, ich brauche Rechtsauskunft von der Gewerkschaft! Da hat er geschaut. Dann bin ich wieder heimgefahren. Eine Woche später bin ich hingefahren und habe gesagt: Ich brauche Rechtsauskunft von der Arbeiterkammer, ich bin ja Mitglied dort! – Nach fünf Wochen war ich bei der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse, das habe ich durchgesetzt. Ich glaube aber, es gibt viele Bürger, die solche Probleme nicht lösen können. Ich habe sie Gott sei Dank gelöst, aber für das Image der Politik ist das nicht gut gewesen. (Beifall.)

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Michelle Missbauer: Meinen zweiten Redebeitrag möchte ich nutzen, um Ihnen noch ein paar allgemeine Dinge näherzubringen. Wenn ich so auf die Straße rausgehe und die Leute erfahren, dass ich im Parlament in der Enquete-Kommission ein Rederecht habe, fragen mich viele: Michelle, was machst du da eigentlich? Ich wecke das Interesse der Leute. Unlängst stehe ich bei der MA 40 und unterhalte mich mit einem Herrn, der mir auch ein paar sehr interessante Dinge erzählt hat, so allgemeine Sachen. So hat er mir unter anderem erzählt: Bei mir hat sich in meiner Wohnung ein Unbekannter angemeldet, und ich weiß nicht warum! – Da denke ich mir: Na ja, kann man jetzt einfach zum Meldeamt gehen und sich an einer x-beliebigen Adresse anmelden? Wahrscheinlich schon! Meine Idee dazu: Man sollte vielleicht den Mietvertrag zur Grundlage nehmen, dann könnten solche Datenschutzangelegenheiten besser gehandhabt werden. Okay, habe ich mir gedacht, das ist vielleicht auch ein Thema, das das Volk interessieren könnte: Datenschutz.

Des Weiteren finde ich die Idee von Herrn Leitner sehr gut, dass sich die Bürger im Parlament beteiligen können sollen. Warum eigentlich nicht? Das Volk kann ja auch Themen, Vorschläge oder Ideen einbringen. Wenn ich bedenke, dass die letzte Volksabstimmung 1994 – die über den EU-Beitritt – war, so ist das doch schon eine Weile her, würde ich sagen. Da könnte man direkt wieder einmal eine Volksabstimmung in Österreich starten.

Wenn ich so nachdenke, so ist an der Geschichte Österreichs sehr interessant, dass sie sehr stark von Männern geprägt wurde. Ich kann mich gar nicht erinnern, dass es jemals eine Bundespräsidentin oder eine Bundeskanzlerin in Österreich gegeben hätte. Könnten Sie sich vorstellen, Frau Musiol, Sie sind Bundespräsidentin, oder Sie, Frau Steger? Das würde sicher einmal ein sehr interessantes Amt für Sie sein.

Schlussendlich möchte ich mich jedoch bei Ihnen bedanken, dass das Parlament die Idee zu dieser Enquete-Kommission realisiert hat. Es ist eine sehr gute Idee gewesen, dass wir Bürger uns auch aktiv einbringen können, unsere Ideen darstellen können. An die Ausführungen von Frau Ondrejka anschließend hoffe ich, dass unsere Ideen verwirklicht und eventuell auch umgesetzt werden. Das wäre natürlich sehr fein.

Ich möchte noch ein kleines Zitat – das könnte ich auch ausdrucken – einer 17-jährigen Mitschülerin aus dem Gymnasium bringen. Das hat sie mir mitten im Biologieunterricht so wunderschön auf einen Zettel geschrieben: Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe für alle, sowohl Mensch als auch Tier! Nur gemeinsam sind wir stark, und nur gemeinsam erreichen wir das, wofür wir auch wirklich kämpfen!

Wofür kämpfen wir denn in Österreich? Für Gleichberechtigung? Wir wollen alle eine Stimme haben; wir wollen nicht einfach nur alle vier oder sechs Jahre in ein Wahllokal gehen und unser Kreuzerl machen – und damit ist unsere Pflicht als Bürger dann getan. Nein, die Pflicht als Bürger soll sich nicht darin erschöpfen. Die Bürger sollen hier ein Rederecht haben, es braucht Bürgerbeteiligung, mittels derer Ideen verwirklicht werden können. Warum eigentlich nicht?

Das Volk sollte in einer Demokratie das Sagen haben. Wenn das Volk miteinbezogen wird, wird man auch das Interesse wecken. Ich merke das immer, wenn ich mit den Leuten über die Tätigkeit, die ich hier in der Enquete-Kommission ausübe, rede. Da habe ich das Interesse der Bürger schon ein bisschen geweckt. Auch im Gymnasium war das der Fall, als die Leute erfahren haben, dass ich im Parlament tätig und in der Enquete-Kommission dabei bin. Jeder wollte wissen, was das ist. Die Leute wussten es gar nicht. Die Leute haben es nicht gewusst! Die Leute wussten nicht, was eine Enquete ist; die Leute wussten nicht, was eine Enquete-Kommission ist. Was machst denn du da eigentlich, Michelle? – Ja gut, dann erkläre ich es den Leuten, den Bürgern eben.

Ich bin hundertprozentig davon überzeugt: Wenn wir in Österreich die Bürger aktiv in die Politik miteinbeziehen, dann wird auch das politische Interesse der Österreicherinnen und Österreicher geweckt, sie werden auch wieder zahlreicher zur Wahl gehen und sie werden sich auch ganz, ganz sicher wieder bei den Wahlen beteiligen.

Mein Leitsatz wäre: Lassen wir Volksabstimmungen nach dem Vorbild der Schweiz auch in Österreich zu! Volksabstimmungen dienen dazu, Bürgernähe auszudrücken. Die Volksabstimmung sollte in der österreichischen Bundesverfassung ganz oben stehen. Die direkte Demokratie ist wirklich eine sehr gute Initiative des österreichischen Parlaments und sollte auch gelebt werden. Der Nachteil der direkten Demokratie ist, dass man vielleicht ein bisschen Angst vor der Umsetzung der Ideen und den Volksabstimmungen hat, weil das Volk dann eben doch seine Meinung präsentieren und auch etwas davon durchsetzen möchte. Der Vorteil der direkten Demokratie ist natürlich, dass das Volk miteinbezogen ist, dass das Volk ein Mitspracherecht hat, und das Volk soll ja auch ein Mitspracherecht haben.

In diesem Sinne hoffe ich sehr, dass wir ab sofort die direkte Demokratie in Österreich leben und uns am Vorbild der Schweiz orientieren. Wenn wir in Österreich Volksabstimmungen als oberste Priorität umsetzen, werden andere Länder unserem Beispiel sicherlich folgen. (Beifall.)

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Mag. Barbara Ruhsmann: Ich muss jetzt doch noch einen Eindruck artikulieren: Es gibt ja Dinge, die man hört, und Dinge, die man sieht. Es gibt den Fall, dass Menschen etwas sagen, aber ihre Körpersprache oder Mimik etwas anderes zum Ausdruck bringen. Das ist für die ZuhörerInnen eine verwirrende Situation, und genau in einer solchen befinde ich mich gerade. Wir haben zu Beginn die Statements der einzelnen Fraktionen zur Bürgerbeteiligung gehört, und jetzt diskutiert eigentlich schon sehr lange die Zivilgesellschaft, die organisierte und die nicht organisierte, mehr oder weniger unter sich, während die Abgeordneten zunehmend den Saal verlassen haben. (Abg. Musiol: Ich werde mich auch noch zu Wort melden!) – Okay, Gott sei Dank! Herr Thierry war bis jetzt nämlich der Einzige, der die Regel in dieser Hinsicht ein bisschen durchbrochen hat.

Ich wollte das jetzt einfach einmal sagen, denn das war schon ein merkwürdiger Eindruck. Das Bild war wirklich, jetzt, da die organisierte Zivilgesellschaft diskutiert, die InteressenvertreterInnen, verlässt sozusagen die Politik den Saal. Ich weiß nicht, welche Hintergründe das hat, ob es eine Parallelveranstaltung gibt oder andere Gründe. Es handelt sich dabei um ein merkwürdiges Gegenbild zum Bild, das sich bei Wahlen zeigt: Dort, wo die Politik auftritt, verlassen die Bürgerinnen und Bürger die Szene, indem sie eben nicht mehr zur Wahl gehen – auch wenn es jetzt vielleicht einen Grund dafür geben sollte, eine Parallelveranstaltung oder was auch immer, der diesen Auszug bewirkt hat.

De facto ist es einfach so: Es waren noch bei keiner Sitzung der Enquete-Kommission so wenige Repräsentanten des politischen Systems im Saal. (Abg. Cap: Ich habe mich auch zu Wort gemeldet!) – Sie greife ich ja gar nicht an! Es fällt mir nur auf, dass so wenige da sitzen wie während der letzten drei Sitzungen kein einziges Mal. Das erweckt in mir den Eindruck, dass das Problem doch größer zu sein scheint, als die offiziellen Reden vermuten lassen, es vielleicht doch mehr Probleme mit dem Thema Bürgerbeteiligung, direkte Demokratie gibt, als man glauben machen möchte. – Das ist der Eindruck, der sich mir heute leider präsentiert. (Beifall.)

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Obfrau-Stellvertreter Präsident Ing. Norbert Hofer weist Frau Mag. Ruhsmann darauf hin, dass die Mehrzahl der Mandatare im Saal sei, an der Debatte teilnehme, zuhöre, sich interessiere, sich auch in den Klubs und in den Ausschüssen mit den Fragen beschäftige. Das Interesse scheine gerade an diesem Thema besonders groß zu sein, und zwar sowohl von jenen, die das Modell befürworten, als auch von jenen, denen es ein bisschen zu weit gehe.

Obfrau-Stellvertreter Präsident Ing. Hofer erteilt als nächster Rednerin Frau Abgeordneter Mag. Musiol das Wort.

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Abgeordnete Mag. Daniela Musiol (Grüne): Es ist spannend, was Sie da jetzt eingebracht haben, Frau Mag. Ruhsmann. Es ist genau das, was ich am Anfang angesprochen habe. Vorhin gab es gerade einen Tweet zu den Ausführungen von Herrn Poier – den ich jetzt gerade nicht sehe –, im Sinne von: Man muss sich erst daran gewöhnen, aufeinander zuzugehen. Ich zum Beispiel habe mich jetzt absichtlich mit einer Wortmeldung zurückgehalten, weil ich mir gedacht habe, ich habe ohnehin regelmäßig Gelegenheit, meine Meinung kundzutun, und ich habe es auch in den letzten Enquete-Kommissionen überwiegend so gehalten, dass ich hier gesessen bin, um mir Argumente anzuhören und eben auch auf das eine oder andere zu antworten. Ich hatte mich jedoch schon vor Ihrer Rede zu Wort gemeldet, ich hatte also schon das Bedürfnis, heute noch einmal etwas zu sagen, zumal ja auch konkrete Fragen gestellt wurden, die auf eine Beantwortung warten.

Ich nehme das noch einmal auf, was Sie und einige andere auch letztes Mal schon hier angesprochen haben: Natürlich ist das hier kein Setting, in dem man das Gefühl hat, sein/ihr Argument wurde gehört, und man gespannt darauf ist, was das Gegenüber jetzt mit seinem/ihrem Argument wohl macht. Wir alle gehen hier heraus und tun etwas kund. Manche im Publikum schauen wohin auch immer, aber sicherlich nicht hierher zum Rednerpult. Das heißt aber nicht, dass sie mir nicht zuhören. Das habe ich nach sieben Jahren Parlament mittlerweile gelernt, denn wenn man ein böses Wort einflicht, dann merkt man schon, dass zugehört wird.

Es stimmt jedoch schon, dass das Setting wahrscheinlich nicht zwingend geeignet ist, sofort das Gefühl zu vermitteln, man sei hier in einem guten Austausch. Das wurde ja heute auch schon angesprochen. Es geht ja nicht nur um die konventionelle Beteiligung wie Wahlen, Kreuzerlmachen und Abstimmen – Frau Olteanu hat das angesprochen –, sondern es geht natürlich auch um die Frage, wie wir diesen Dialogprozess gestalten können, und der braucht Zeit.

Das war auch die Kernaussage in der letzten Sitzung mit den internationalen ExpertInnen. Der Faktor Zeit hat sich durch die gesamte Debatte gezogen. Wenn man die österreichischen direktdemokratischen Instrumente, so wie sie derzeit existieren, beispielsweise mit den Initiativen in der Schweiz vergleicht, dann sieht man, wir haben in Österreich acht Tage, in denen die Eintragungsfrist läuft. In der Schweiz dauert es eineinhalb Jahre, bis es dann tatsächlich zu einer Abstimmung kommt.

Es gibt dann aber auch irgendwann einmal den Punkt, an dem man fragt: Jetzt haben wir schon total viel geredet, und was machen wir jetzt damit? Und an diesem Punkt bin ich jetzt zum Beispiel. Wir haben in unserem Fahrplan nächstes Mal noch die Bedeutung der Medien, und dann sind wir eigentlich fertig, was die Themen und die ExpertInnenanhörungen betrifft. Spätestens nach der nächsten Sitzung im April, in der wir uns mit der Bedeutung der Medien beschäftigen, müssen wir anfangen, konkret zu werden. Letztes Mal stand ja auch im Raum, dass es schon geheime Verhandlungen gibt. – Also falls ja, dann sind sie so geheim, dass auch ich sie nicht mitbekommen habe, was nicht heißt, dass es sie nicht gibt, aber ich bin jedenfalls an keinen Verhandlungen beteiligt.

Bei aller Anerkennung des Bedürfnisses nach Zeit und Austausch müssen wir dann in konkrete Gespräche, in konkrete Verhandlungen gehen. Heute ist auch schon angesprochen worden, dass das unter Einbeziehung der BürgerInnen stattfinden sollte. Das halte ich für eine sehr gute Idee. Am Ende werden dann trotzdem vor allem die einzelnen Fraktionen und die einzelnen Abgeordneten entscheiden müssen, wie sie sich zu diversen Vorschlägen positionieren. Das sollte sich nicht über den Sommer hinziehen, wir sollten da auch nicht ewig lang warten. Wir wissen ja, wie lange diese Prozesse dauern, und sollten daher spätestens nächstes Mal damit anfangen, ganz konkret entlang von Fragestellungen Entscheidungen zu treffen.

Zur Frage einer Meinungsumfrage: Ich kann mich sehr dafür erwärmen, eine solche Meinungsumfrage durchzuführen. Selbst ich, die ich hier stehe und behaupte, das so und so viele Menschen direkte Demokratie wollen, kann das eigentlich nicht wirklich beurteilen. Wichtig dabei ist – das hat Herr Mayer schon angesprochen –, dass die Fragestellungen gemeinsam erarbeitet werden. Wir haben bei der Befragung zur Wehrpflicht gesehen, wie schwierig es ist, wenn man Fragestellungen vorgelegt bekommt, bei denen man eigentlich auf keine wirklich antworten möchte, aber trotzdem muss, wenn man sich beteiligen will. Wir sollten also gemeinsam die Fragestellungen erarbeiten.

Eines möchte ich schon auch noch in Richtung BürgerInnen sagen: Eine meiner Mitarbeiterinnen hat sich die Arbeit angetan, die Protokolle durchzusehen und aus ihren Redebeiträgen eine Liste von Vorschlägen zusammenzustellen. Das ist mittlerweile eine ganz schön lange Liste, da sind auch Widersprüche drinnen, so wie auch bei uns Widersprüche drinnen sind. Man kann nicht davon ausgehen, dass acht BürgerInnen das Gleiche wollen, und das zeigt sich hier auch. Genauso wenig kann man davon ausgehen, dass fünf Fraktionen – oder wie viele Fraktionen auch immer – das Gleiche wollen. Auch vor diesem Hintergrund ist so eine Umfrage wahrscheinlich sinnvoll. Auch Sie sind schließlich als Einzelpersonen hier; Sie erheben auch gar nicht den Anspruch, dass Sie hier alle BürgerInnen vertreten, genauso wie ich nicht den Anspruch erheben kann, dass ich hier alle vertrete, die jemals die Grünen oder mich gewählt haben.

Machen wir also Nägel mit Köpfen! Spätestens nach unserem Termin betreffend die Medien sollten wir zu ganz konkreten Vorschlägen, Maßnahmen kommen, in Verhandlungen eintreten. Diese werden aufgrund der Reden, die wir heute hier gehört haben, notwendig sein. Irgendwer hat das ohnehin schon angesprochen: Viel Konsens ist hier noch nicht herauszuhören! Ich bin jedoch guter Dinge, dass wir zumindest hinter den Mindeststandard, den wir 2013 schon einmal herausverhandelt haben, nicht zurückfallen werden, Herr Kollege Cap. Auch Sie gelangen ja noch zu Wort und können das aufklären. (Beifall.)

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Abgeordneter Dr. Josef Cap (SPÖ): Bevor das auf der Leinwand weg ist – (der Redner deutet auf die Twitter-Wall) –: Wir sind natürlich auch dafür, dass es Schülerparlamente gibt. Ich sage das nur zur Sicherheit dazu. Ich diskutiere gern, und daher ist es auch ganz interessant, wenn man ein bisschen kontroversiell an die Sache herangeht. Wir sitzen ja alle da, weil wir an dem Thema interessiert sind, und ich habe ja auch gemeinsam mit Kollegen Kopf den Antrag eingebracht, der die Basis für diese Enquete-Kommission ist.

Erstens einmal von unserer Seite, von meiner Seite her: Es gibt keine Angst vor dem Bürger! Das ist ein Unsinn! Es gibt lediglich eine Angst vor der Nichtbeteiligung des Bürgers, vor dem Einschlafen der Demokratie, davor, dass man sagt: Ach Gott, das soll irgendwer irgendwann irgendwo entscheiden, aber mir ist das fast schon egal oder ich kann das ohnehin nicht beeinflussen! Dafür gibt es so viele Argumentationsmuster. Das ist die wahre Angst. Deswegen sitzen wir heute da, nämlich um nachzudenken, wie man die repräsentative Demokratie entwickeln kann, weiterentwickeln, modernisieren, attraktiver darstellen kann und zugleich auch Elemente der direkten Demokratie dabei hat.

Was mich an manchen Beiträgen ein bisschen gestört hat – das war wahrscheinlich nicht so gemeint –, ist, dass aus dem Blick zu geraten droht, dass es schon eine Legitimation des Parlaments als repräsentativdemokratische Einrichtung gibt. Es ist schon so, dass die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher sich an den Wahlen beteiligt hat. Es ist schon so, dass die Parteien, die gewählt wurden, damit auch legitimiert sind, hier zu sitzen. Und sie müssen sehr wohl die Bedürfnisse derer, von denen sie gewählt wurden, berücksichtigen, denn sonst gibt es die Rechnung am nächsten Wahltag oder schon zwischenzeitlich durch Abstimmungen auf den verschiedensten Ebenen, auf denen dann nicht nur über Landespolitik oder über Gemeindepolitik abgestimmt wird.

Es ist mir schon wichtig, das nicht so darzustellen, als wäre es eigentlich nicht mehr legitimiert, dass hier Gesetze gemacht werden. Man plädiert dann für eine radikal andere Lösung, am besten unter Umgehung des Parlaments. Bei dieser Position werden wir uns nicht finden, denn ich meine, dass diese Einrichtung, der solidarische, ausgleichende Staat, der Konflikt- und Interessenmanagement betreiben muss, wichtig bleibt. Das ist nämlich nicht so einfach. Man muss letztlich immer zu Lösungen kommen, die dann auch umsetzbar sind, lebbar sind, von den Behörden zum Beispiel.

Der zweite Punkt, der mich stört, ist die Abstraktion der Begriffe „Volk“ und „Bürger“. Die gibt es in dieser abstrakten Form nämlich nicht. Nehmen Sie zum Beispiel irgendeine Region: Da gibt es die Interessen A, B und C. Jetzt kann man schon versuchen, das mit Elementen der direkten Demokratie zu vertiefen, näher an die BürgerInnen heranzukommen. Wenn Sie aber eine geringe Beteiligung haben und eine ziemlich aggressive Minderheit etwas will – aggressiv jetzt im positiven Sinn –, dann haben Sie umgekehrt wiederum andere, die das nicht wollen. Dann gibt es vielleicht eine Mehrheit, die das schon gar nicht will, aber nicht zur Abstimmung geht. Das ist also nicht so einfach zu beantworten. Es braucht trotzdem den Bürgermeister, der das managen muss. Er muss ja letztlich dann zu einer Entscheidung kommen.

Da kommt dann der dritte Punkt zum Tragen. Wir haben einfach drei verschiedene Ebenen: Die erste Ebene ist die Gemeindeebene mit den Bürgermeistern, die natürlich keine Gesetzgebungskompetenz haben. Die zweite Ebene sind die Landtage mit einer ganz geringen einschränkenden Gesetzgebungskompetenz, und dann gibt es den Nationalrat mit der umfassenden Gesetzgebungskompetenz bis dahin, dass er Verfassungsgesetze macht.

Das müssen wir also schon differenzieren, wenn wir jetzt in Verhandlungen den Weg beschreiten wollen, Elemente direkter Demokratie in unser politisches System einzubauen. Um diese notwendige Differenzierung geht es mir, weil wir sonst fehlerhaft agieren und dann im Endeffekt Handlungsunfähigkeit die Konsequenz ist. Eine Demokratie, die sich blockiert oder die handlungsunfähig ist, die die geschilderten Spannungsverhältnisse nicht verarbeiten kann, wird scheitern. Und dann kommt der Ruf nach autoritären Strukturen. Da haben dann Sie nichts mitzureden und wir nichts mitzureden, und das wollen wir schon gar nicht.

Auf diese Punkte muss man also schon Rücksicht nehmen. Das ist nicht Angst vor dem Bürger, schon gar nicht Vermeidung von Machtverlust. – Was ist übrigens „die Politik“? – Die Wahrheit ist, dass in den letzten Jahren und Jahrzehnten verschiedene politische Entscheidungsträger schon längst Machtverlust haben akzeptieren müssen. Längst schon! Schauen Sie sich doch den Einfluss von einzelnen oder vielen oder von mir aus von allen Medien an, die schon in die politischen Entscheidungsprozesse einbezogen sind!

Vielleicht sind das jetzt nicht einmal – da hat es auch schon Veränderungen gegeben, wie wir gesagt haben – die Sozialpartner. Das ist übrigens ein System, um das uns viele in anderen Ländern beneiden, auch um die Elemente der direkten Demokratie, die wir schon eingeführt haben. Darum beneidet man uns in anderen Ländern. Ich war einmal in der Nationalversammlung in Paris, da hat einer gesagt: Hören Sie, wir versuchen da gerade, eine Lösung zu finden! Die Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses, eine Sozialistin übrigens, sagte, sie hätten sich mit neun Gewerkschaften geeinigt, aber mit einer nicht. Und die eine stehe jetzt gerade auf der Straße und mache einen riesigen Streik. – Sie haben eben ein anderes politisches System!

Wir haben ein System, in dem letztlich am Ende des Tages Kompromissfähigkeit gegeben ist. Das kann man mögen oder nicht mögen, einzelne Teile der Organisationsstruktur dieses Systems wollen das, andere wollen es nicht. Das ist das Wesen einer Demokratie, dass das immer so ist. Man muss jedoch am Ende des Tages in dieser komplexen Welt – in der wir Mitglied der Europäischen Union sind, in der manche Entscheidungen rasch erfolgen müssen, in der sich auch das Anspruchsdenken in der Bevölkerung weiterentwickelt hat, das befriedigt werden will – zu Entscheidungen kommen. Man will als Bürger nicht dauernd in ein Abstimmungslokal latschen und einmal repräsentativ wählen und dann wieder direkt wählen. Am Ende des Tages wird der Bürger sagen: Wann kommt jetzt endlich das, was ich mir vorstelle? Das ist außerdem widersprüchlich, ziemlich individuell und sehr gegensätzlich, weil nicht alle einer Meinung sein können. Es ist auch nicht so, und jetzt ist es die Kunst von uns allen, dass wir uns nach dieser Enquete-Kommission hinsetzen und alles das, was hier an wirklich fantastischen Ideen geäußert wurde, in ein handhabbares, praktikables Modell hineinbringen.

Mir ist es nur um diese Differenzierung gegangen, weil ich nicht glaube, dass es gut ist, wenn es hier Mythen gibt oder wenn man ideale Bilder, Projektionen an die Wand wirft, wo man dann sagt: Ja, wenn das dann ist, dann ist das alles perfekt! – Es ist nie perfekt. Diktaturen haben immer versucht, uns zu erklären, dass es dann perfekt ist; das war immer das Mieseste, Schlechteste und ist immer am meisten gescheitert. Das unterstelle ich niemandem, sondern ich sage es nur.

Das ist also meine Bitte, und deswegen habe ich mich jetzt zu Wort gemeldet. Ich freue mich auf die nächsten Beiträge. Wir werden ja am Schluss ein Resümee ziehen, und es muss etwas herauskommen, das ist ohnehin klar. (Beifall.)

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Obfrau-Stellvertreter Präsident Ing. Nobert Hofer dankt allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für die spannenden Diskussionsbeiträge und schließt die Debatte.

Nach dem Hinweis darauf, dass die nächste Sitzung der Enquete-Kommission, in der man sich dem Thema „Politik – Medien – Bürgerinnen und Bürger“ zuwenden werde, für Mittwoch, den 15. April 2015, 10 Uhr, in Aussicht genommen ist, erklärt er die Sitzung für geschlossen.

Schluss der Sitzung: 13.42 Uhr