Die IGO vertritt  die Interessen von aktuell  49 gemeinnützigen Organisationen.

Stellungnahme

betreffend das „Bundesgesetz, mit dem das Versammlungsgesetz 1953 geändert wird“

Übermittelt am 12. April 2017 an die Parlamentsdirektion katharina.klement@parlament.gv.at, begutachtungsverfahren@parlament.gv.at, bmi-III-1@bmi.gv.at

Zusammenfassung

Die Versammlungsfreiheit in Österreich ist verfassungsrechtlich in Artikel 12 Staatsgrundgesetz (StGG)  sowie Artikel 11 Europäische  Menschenrechtskonvention verankert und wird im Versammlungsgesetz (VersG) völlig ausreichend geregelt.  „Die Ausübung dieser Rechte darf keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden als den vom Gesetz vorgesehenen, die im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind." Art 11 Abs 2 EMRK

Wir sehen nicht, wo die geplanten Gesetzesänderungen eine der oben genannten Voraussetzungen erfüllen, und lehnen sie ab. Wir fordern den Gesetzgeber und die Behörden auf, stattdessen den Weg des Dialogs mit der Zivilgesellschaft zu nutzen, um die beabsichtigten Ziele einer leichteren Administration von Versammlungen in Österreich zu erreichen.

·         §2 Absatz 1: Änderung der Anzeigefrist von 24 auf 48 Stunden führt zu mehr Rechtsunsicherheit für Zivilgesellschaft und Exekutive. Die Exekutive wird mit einer Ausdehnung der Anzeigefrist auf 48 Stunden mit höherer Wahrscheinlichkeit Versammlungen unterbinden, bei denen keiner der im Art 11 Abs 2 EMRK angeführten Umstände vorliegt.

·         §2 Absatz 1a: Ebenso problematisch ist die Ausweitung der Anzeigefrist auf eine Woche, bei der "beabsichtigte[n] Teilnahme von Vertretern ausländischer Staaten, internationaler Organisationen und  anderer Völkerrechtssubjekte." Rechtliche Graubereiche werden mit diffusen Begrifflichkeiten eröffnet.

·         §6 Absatz 2: Die inhaltliche Interpretation und Bewertung von Versammlungen einzuräumen, öffnet der Willkür von Regierungen Tür und Tor und ist damit demokratiepolitisch höchst bedenklich.

·         §7a: Die Einrichtung von so genannten Schutzbereichen kann

-          die Abhaltung von legitimen zeit- und ortsnahen Gegenkundgebungen  verhindern.

-          zur Anzeige von Scheinkundgebungen führen, die beabsichtigen, eine Versammlung räumlich "zu verdrängen".

Zu den Änderungen im Detail:

§2 Absatz 1: Änderung der Anzeigefrist von 24 auf 48 Stunden führt zu mehr Rechtsunsicherheit für Zivilgesellschaft und Exekutive.

Versammlungen bedürfen in Österreich keiner Genehmigung, sondern sind lediglich 24 Stunden vor ihrem Beginn bei den Sicherheitsbehörden anzuzeigen - eine Ausdehnung dieser Frist auf 48 Stunden führt zu mehr Rechtsunsicherheit für Zivilgesellschaft und Exekutive. Bereits jetzt werden geplante Versammlungen von Seiten der Zivilgesellschaft meist auf freiwilliger Basis zu einem frühen Zeitpunkt (d.h. mindestens  48 Stunden vor ihrem Beginn) angezeigt.

Im Falle einer spontanen Erregung hat die Bevölkerung jedoch das Recht sich spontan zu versammeln.  Daher können unangezeigte  Versammlungen nicht automatisch untersagt bzw. aufgelöst werden, sofern sie friedlich sind. ›Liegt keiner der im Art 11 Abs 2 EMRK  angeführten  Umstände  vor,  kann  eine  Spontanversammlung  nicht untersagt (bzw aufgelöst) werden (§ § 13, 14  VersG). Die unterlassene Anzeige der Versammlung stellt jedoch eine Verwaltungsübertretung des ad-hoc-Veranstalters dar (§ § 2, 19 VersG), wenn nicht im Einzelfall Schuldausschließungs- oder Rechtfertigungsgründe  (iSd  VStG)  zum  Tragen  kommen.‹  (Giese 2010: 78)[1]

Nicht angezeigte Versammlungen sind in der Praxis jedoch für die Behörden schwerer einzuschätzen. Das bedeutet, dass sie eher von einer Auflösung bzw. Untersagung betroffen sind. Gegen diese Untersagung kann zwar Beschwerde eingelegt werden, jedoch nutzt das dem demokratischen Recht auf Versammlungsfreiheit nicht mehr. Die Exekutive wird mit einer Ausdehnung der Anzeigefrist auf 48 Stunden mit höherer Wahrscheinlichkeit Versammlungen unterbinden, bei denen keiner der im Art 11 Abs 2 EMRK  angeführten  Umstände  vorliegt.

Außerdem werden jene BürgerInnen, die von ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch machen wollen, sich aber kurzfristig dazu entscheiden in ihrer Freiheit eingeschränkt. Viele BürgerInnen werden es nicht mehr wagen, Kundgebungen offiziell "verspätet" anzuzeigen, und damit ganz auf eine Anzeige verzichten. Das wiederum wird die Arbeit der Behörden erschweren.

In der Praxis würde diese Gesetzesänderung völlig untauglich sein. Sinnvoller wäre ein Dialog mit der Zivilgesellschaft, in dem die Notwendigkeit einer frühen Anzeige von Versammlungen für die Behörden betont wird.

§2 Absatz 1a: Ebenso problematisch ist die Ausweitung der Anzeigefrist auf eine Woche, bei der "beabsichtigte[n] Teilnahme von Vertretern ausländischer Staaten, internationaler Organisationen und anderer Völkerrechtssubjekte."

Der Begriff "beabsichtigte Teilnahme" eröffnet einen rechtlichen Graubereich. Denn diese Beabsichtigung kann nur schwer nachgewiesen werden. Die einfache Teilnahme eines UNHCR- oder UNEP-Vertreters wird bei einer Versammlung zum Thema Asyl oder Umwelt wahrscheinlich immer willkommen sein.  Ähnlich sieht es mit Vertretern des Heiligen Stuhls und vielen anderen aus. Nichtsdestotrotz kann man sie nicht als "beabsichtigt" bezeichnen. Veranstalter von Versammlungen können über die TeilnehmerInnen nicht entscheiden, schließlich ist es der Wesenskern einer Versammlung, dass sie keinen Zugangsbeschränkungen unterliegt.

§6 Absatz 2: Die inhaltliche Interpretation und Bewertung von Versammlungen einzuräumen, öffnet der Willkür von Regierungen Tür und Tor und ist damit demokratiepolitisch höchst bedenklich.

Die Möglichkeit einzuräumen, eine Versammlung  "die der politischen Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen dient und den außenpolitischen Interessen, anerkannten internationalen Rechtsgrundsätzen und Gepflogenheiten oder den völkerrechtlichen Verpflichtungen oder den demokratischen Grundwerten der Republik Österreich zuwiderläuft" zu untersagen, setzt eine inhaltliche Interpretation und Bewertung von Versammlungen voraus. Eine solche inhaltliche Interpretation von Versammlungen ist mit einem demokratischen Staat nicht zu verbinden. Hier eröffnen sich Willkürmöglichkeiten für den Staat. Die in der EMRK für ein Unterbinden von Versammlungenen vorgesehenen Umstände, reichen für die Interessen der nationalen und öffentlichen Sicherheit, die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verbrechensverhütung, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten (vgl. Art 11 Abs 2 EMRK)  anderer völlig aus.  

§7a: Die Einrichtung von so genannten Schutzbereichen kann

a. die Abhaltung von legitimen zeit- und ortsnahen Gegenkundgebungen verhindern.

b. zur Anzeige von Scheinkundgebungen führen, die beabsichtigen eine Versammlung räumlich "zu verdrängen".

Die Versammlungsfreiheit wurde hart erkämpft und gehört bewahrt. Bei von Seiten der Behörden wahrgenommenen Missständen empfiehlt sich der Dialog mit der Zivilgesellschaft. Dieser ist sicherlich zielführender als rechtliche Graubereiche zu schaffen und politischer Willkür neue Möglichkeiten einzuräumen.

Für die IGO - die Stimme der Gemeinnützigen

DI Franz Neunteufl

 



[1] GIESE, KARIM (2010): Versammlungsrecht. In: Bachmann, Susanne/Baumgartner, Gerhard/Feik, Rudolf/Giese, Karim/Jahnel, Dietmar/ Lienbacher, Georg (Hrsg.): Besonderers Verwaltungsrecht. 8 Aufl., Wien: Springer, 71– 95.