Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin Mutter von zwei schulpflichtigen Kindern im Volksschulalter und seit mittlerweile doch einigen Jahren Volksschullehrerin in Wien. In dieser Zeit habe ich schon einige Veränderungen mitgemacht, sowohl gute, positive Veränderungen (z.B. Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen auf 25) als auch Verschlechterungen (z.B. Senkung der Begleitlehrerstunden). Ich sehe selbstverständlich, dass sich in unserem Schulsystem einiges gravierend ändern muss, dass Handlungsbedarf besteht um unsere Kinder fit für die Zukunft zu machen.

Diese geplante Schulreform betrachte ich momentan mit Bauchweh und glaube nicht, dass diese Reform für die Schüler auch nur irgendeine positive Veränderung mit sich bringen wird und genau um diese sollte es doch gehen. Wir wollen ihnen, nämlich allen Kindern, eine Zukunft ermöglichen, den Grundstein dafür legen, dass sie auf ihrem weiteren Lebensweg bestehen können, in ihrer Persönlichkeit, in ihrem Berufsleben, in der Gemeinschaft und im Miteinander.

Ich sehe in der geplanten Schulreform nichts, was dem gerecht wird. Stattdessen sehe ich ein Papier, von Theoretikern verfasst, dem Mund des einfachen, von Zeitungshetzen über „die faulen Lehrer“ nachgesprochenen Mannes (ich gender absichtlich nicht), welches sich für jeden, der nichts mit Schule zu tun hat, gut anhört. In der praktischen Durchsetzung aber ein Fragezeichen nach dem anderen aufwirft. Fragen, mit denen sich schulferne Theoretiker auch nicht beschäftigen müssen, denn diese müssen die Aufgaben ja auch nicht in die Tat umsetzen. Das dürfen dann Lehrer, Direktoren, oh pardon, Clusterleiter und …. achso, anderes Personal arbeitet ja nicht in der Schule, umsetzen.

 

Stichwortartig möchte ich nun zu den Eckpfeilern der Schulreform ein paar Gedanken aufschreiben. (Sollte einiges davon sarkastisch klingen, so glauben Sie mir, dass diese nicht meine Absicht war.)

Bezüglich Schulautonomie:

In der Arbeit mit 6 – 10 -jährigen Schülern ist eine Lehrperson, welche die Kinder möglichst vier Jahre begleitet und vom ersten Tage an eine emotionale Bindung mit den SchülerInnen aufbaut unumgänglich. Gerade in Zeiten, wo beide Elternteile berufstätig sind, die Kinder oftmals von 7-17:30 in der Schule sind, muss zumindest eine fixe Bezugsperson vorhanden sein.

 

Bezüglich Klassenschülerhöchstzahl:

Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Klassenschülerhöchstzahl auf 25 gesenkt wurde. Nun soll sie frei gegeben werden? In Wien bedeutet das hundertprozentig, dass die Klassenschülerzahlen steigen werden, denn die Schüler sind da, das Personal, die Räume und letztendlich das Geld aber nicht. Somit ist das eine reine Sparmaßnahme, sparen an Personalkosten und ein notgedrungenes Sparen an Klassenräumen, die in Wien ja komplett knapp sind. (Es ist schon sehr überraschend, dass sechs Jahre nach der Geburt die Kinder in die Schule kommen, d.h. abgesehen von unvorhergesehenen Flüchtlingsströmen könnte der in 6 Jahren notwenige Bedarf an Lehrpersonal als auch an Klassenräumen aus der Geburtenstatistik herausgelesen werden. Könnte.)

Ich stelle mir nun so eine durchschnittliche Klasse in Wien vor: 1 hochbegabtes Kind, 3 verhaltensauffällige Kinder, 5 Flüchtlingskinder (können nicht Deutsch und sind höchst traumatisiert), 15 Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen, die dem Unterricht nur schwer folgen können, 5 Kindern aus absolut bildungsfernen und/oder bildungsfeindlichen Familien, 5 gut geförderte Kinder aus Mittelstandsfamilien, … ach ja und dann kommen ja noch die Kinder aus dem ZIS. Auf diesen Spagat bin ich gespannt.

Ob so die Qualität des Unterrichts steigen wird? Und das ist doch das Ziel, oder habe ich da etwas nicht verstanden?

 

Bezüglich Sonderpädagogik/Auflösung der ZIS:

Ich nehme mal an, dass es einen guten pädagogisch-didaktischen Grund hat, Kind mit besonderen Bedürfnissen in kleinen Gruppen mit speziell ausgebildetem Personal zu beschulen. Bei einer Auflösung der ZIS müssen diese armen Kinder in, für sie, viel zu große Klassen eingebunden werden. Kein speziell ausgebildeter Lehrer kümmert sich um ihre Bedürfnisse. Eine „normale“ Volksschulklasse (siehe Klassenschülerhöchstzahl) wird zu einer, wie man sie heute noch nennt, Integrationsklasse, ohne zusätzliche Räume, ohne zusätzlichen Lehrer (abgesehen von den vielleicht zwei Stunden in der Woche), unterrichtet von einem nicht speziell geschulten Lehrer.

Aber auch das scheint die Qualität von Schule zu verbessern!

 

Bezüglich Schulcluster / Bereichsleiter

Das ist für mich ein einziges Schlachtfeld mit unzählig unbeantworteten Fragen. Ich glaube schon, dass die Idee der Clusterbildung in kleinen Gemeinden eine sehr gute Idee ist, um nämlich auch den Schulstandort im Dorf zu halten. Aber in einer Großstadt, wo jeder Schulstandort sowieso schon zwischen 300 und 400 Schüler, an die 40 Lehrpersonen und einige Freizeitbetreuer hat?

Um nur einige Fragen aufzuwerfen:

·         Wer macht die Schuleinschreibung (pro Schulstandort an die 100 Kinder)?

·         Wer spricht mit den Eltern bei dringlichen Fragen?

·         Wer spricht mit Lehrern bei dringlichen Fragenß

·         Wer macht die Supplierpläne? (Zeitfenster 7:40 – 7:45, max. 8Uhr)

·         Wer repräsentiert die Schule?

·         Wer kennt die Schüler und ihre Eltern?

·         Wer kennt die Lehrer?

·         Wer ist Ansprechperson für Eltern, Lehrer und Schüler? Bzw. WO ist diese?

·         Wer erledigt die administrative Arbeit, die schon für eine Schule kaum zu bewältigen ist? (Listen, Wision, Statistiken, etc.)

·         etc.

Ach, ich vergaß! Es gibt ja noch den Bereichsleiter! Natürlich, der unterrichtet ja eh bloß eine Schulklasse. Der wird das doch mit dem Handy in der Hand schaffen, 30 Schüler zu unterrichten, mit dem Clusterleiter in Verbindung zu stehen, sich um Lehrer- und Elternangelegenheiten zu kümmern und dazwischen kann er auch noch den Supplierplan schreiben! Würde er das nicht schaffen, wäre er doch genau die Sorte von Lehrern, wie sie in den Tageszeitungen dargestellt werden: faul und nur ferienorientiert.

 

Ich hoffe, dass noch einige Leute aufwachen und der Schulreform einen machbaren Sinn geben, nämlich eine Reform für Schüler und Lehrer zu sein und nicht nur für das Geldbörserl. Ich weiß, dass sich viele meiner Kollegen eine Veränderung wünschen, eine Veränderung zu mehr Qualität, zu einem JA für die Zukunft unserer Kinder. Ich würde mir wünschen, dass ich mit dieser Schulreform daran glauben könnte, auch im Sinne meiner eigenen Kinder. Jedoch befürchte ich, dass diese Schulreform ein entsetzlicher Schritt zurück ist und eine ganze Generation mit dieser Bürde verloren geht!

 

Ich erkläre mich mit der Veröffentlichung dieser Stellungnahme auf der Homepage des Österreichischen Parlaments ausdrücklich einverstanden.

 

Dipl. Päd. Maga. Yvonne HENEBICHLER