Bundesministerium für Bildung
Minoritenplatz 5
1010 Wien
per E-Mail: begutachtung@bmb.gv.at
begutachtungsverfahren@parlament.gv.at
Wien, am 28. April 2017
Betrifft: BMB-12.660/0001-Präs.10/2017
Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz, das
Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 hinsichtlich des Schulwesens,
das Bundesverfassungsgesetz über die Begrenzung von Bezügen
öffentlicher Funktionäre, das Unvereinbarkeits- und
Transparenz-Gesetz, das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz und das
Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 geändert werden, ein Bundesgesetz
über die Einrichtung von Bildungsdirektionen in den Ländern erlassen
wird, das Ausschreibungsgesetz 1989, das Schulorganisationsgesetz, das Land-
und forstwirtschaftliche Bundesschulgesetz, das
Pflichtschulerhaltungs-Grundsatzgesetz, das Schulzeitgesetz 1985, das
Minderheiten-Schulgesetz für das Burgenland, das Minderheiten-Schulgesetz
für Kärnten, das Bundesgesetz BGBl. Nr. 420/1990, das Schulunterrichtsgesetz,
das Schulunterrichtsgesetz für Berufstätige, Kollegs und
Vorbereitungslehrgänge, das Hochschulgesetz 2005, das Schulpflichtgesetz
1985, das Berufsreifeprüfungsgesetz, das
Pflichtschulabschluss-Prüfungs-Gesetz, das Schülerbeihilfengesetz
1983, das Privatschulgesetz, das Religionsunterrichtsgesetz, das
Bildungsdokumentationsgesetz, das Schülervertretungengesetz, das
BIFIE-Gesetz 2008 sowie das Bildungsinvestitionsgesetz geändert werden und
das Bundes-Schulaufsichtsgesetz aufgehoben wird (Bildungsreformgesetz 2017
– Schulrecht); Begutachtungsverfahren
Sehr geehrte Damen und Herren!
Der Behindertenanwalt dankt für die Übermittlung des vorliegenden Entwurfes eines Bildungsreformgesetzes 2017 und nimmt dazu wie folgt Stellung:
I. Präambel
Der Behindertenanwalt ist zuständig für die Beratung und Unterstützung von Personen, die sich im Sinne des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes oder des Behinderteneinstellungsgesetzes diskriminiert fühlen.
Darüber hinaus führt der Behindertenanwalt im Rahmen des § 13c Bundesbehindertengesetz Untersuchungen durch und gibt Empfehlungen und Berichte zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung ab.
II.
Teilhabe von Menschen mit Behinderung
Bildung bzw.
Ausbildung stellt einen soziographischen Faktor dar, welcher in großem
Ausmaß über berufliche Chancen und soziale Mobilität
entscheidet.
Menschen mit Behinderung können die im österreichischen Schulsystem
angebotenen Bildungs- und Ausbildungschancen in geringerem Maße
ergreifen, als dies Schülerinnen und Schülern ohne Behinderung
möglich wäre.
Dieser Befund findet seinen Niederschlag in vielen weiteren Bereichen der Gesellschaft, beispielsweise beim Zugang zum ersten Arbeitsmarkt.
In diesem Zusammenhang verweist der Behindertenanwalt auf die von Österreich im Jahre 2008 ratifizierte und damit völkerrechtlich verpflichtende UN-Behindertenrechtskonvention, insbesondere auf Art. 4, in authentischer Fassung lautend:
„[States parties shall] (…) adopt all appropriate legislative, administrative and other measures for the implementation of the rights recognized in the present Convention; (…) take all appropriate measures, including legislation, to modify or abolish existing laws, regulations, customs and practices that constitute discrimination against persons with disabilities; (…) take into account the protection and promotion of the human rights of persons with disabilities in all policies and programmes; (…)”
Diese Anforderungen sind insbesondere mit Verweis auf Art. 4 Zif. 2 im Sinne einer progressiven Entwicklung mit dem Ziel der vollumfänglichen Teilhabe von Menschen mit Behinderung gem. der vorliegenden Konvention zu verstehen.
Der in Art. 24 der vorliegenden Konvention verankerte Anspruch auf inklusive Beschulung ist im Sinne der Konvention in folgender Weise zu operationalisieren:
„a.) Persons with disabilities are not excluded from the general education system on the basis of disability, and that children with disabilities are not excluded from free and compulsory primary education, or from secondary education, on the basis of disability;
b.) Persons with disabilities can access an inclusive, quality and free primary education and secondary education on an equal basis with others in the communities in which they live;“ (Art. 24 Zif. 2)
In diesem Lichte soll der vorliegende Gesetzesentwurf als Chance verstanden werden, gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilhabechancen von Menschen mit Behinderung zu stärken. Um diese Chance zu realisieren, regt der Behindertenanwalt folgende Ergänzungen an:
III.
Empfehlungen des Behindertenanwaltes
a) Grundsätzliches
Im
Zusammenhang mit dem geplanten Bildungsreformgesetz sollen die Grundlagen
für das Erfordernis eines inklusiven Schulwesens im Sinne der
UN-Behindertenrechtskonvention weiter ausgebaut werden.
So wird die Möglichkeit zur Bildung von Schulclustern und zur der
Ausdehnung der Schulautonomie grundsätzlich positiv gesehen, wenn damit
auch Ressourcen für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung im
Unterricht sowie im Rahmen der Nachmittagsbetreuung besser verfügbar und
effektiver eingesetzt werden können.
In diesem
Zusammenhang wird angeregt, die in den Erläuternden Bemerkungen
dargestellten Vorteile der Schulcluster (etwa im Allgemeinen Teil, Z 3),
insbesondere auch den stärkenorientierten Einsatz von Lehrkräften um
den bedarfsorientierten Einsatz von GebärdensprachdolmetscherInnen bzw.
gebärdensprachkundlichen Lehrkräften sowie Assistenkräften,
falls – beispielsweise im Rahmen chronischer Erkrankungen – keine
ausreichende Betreuung durch die Lehrkräfte möglich erscheint, zu
ergänzen.
b) Zu den Art. 7 (§ 19); Art. 16 Z 8 (§ 8 Abs. 1) und Art. 16 Z 27 (§ 32 Abs. 2)
Ad Art. 7, § 19:
Die Übertragung der Agenden der bisher an den Sonderschulen angesiedelten Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik an eine Organisationseinheit der neu zu errichtenden Bildungsdirektionen (Abteilung Pädagogischer Dienst) wird als Schritt zu einem zusehends inklusiv zu gestaltenden Bildungssystem grundsätzlich begrüßt.
In diesem Zusammenhang ist nach dem vorliegenden Entwurf auch eine Neuregelung des SPF-Verfahren vorgesehen. Für die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs sollen zukünftig die Bildungsdirektionen zuständig sein.
Von Seiten vieler Eltern behinderter Kinder bestehen Bedenken hinsichtlich einer unzureichenden Ressourcenausstattung, welche ernst zu nehmen sind.
Um den Prozesses einer zunehmenden Inklusion zu realisieren, bedarf es neben Schaffung der Rahmenbedingungen und Strukturen auch der Sicherstellung der erforderlichen Ressourcen.
Damit
einhergehend wird erneut darauf hingewiesen, dass sich die Zuweisung der personellen
Ressourcen an die Bundesländer für den sonderpädagogischen
Unterricht im Rahmen des Finanzausgleiches nach einem fiktiven Prozentsatz (2,7
Prozent der PflichtschülerInnen) als äußerst problematisch
erwiesen hat. Die Ressourcenzuteilung sollte vielmehr anhand des
tatsächlichen Bedarfes (gemessen an der tatsächlichen Zahl der Kinder
mit festgestelltem sonderpädagogischen Förderbedarf) erfolgen.
Ad Art. 16 Z 8, § 8 Abs. 1:
In den
Erläuternden Bemerkungen wird im Zusammenhang mit Aufnahms- und
Eignungsprüfungen die Diskriminierungsfreiheit ausschließlich im
Kontext körperlicher Behinderung begründet.
Demzufolge birgt der Verweis auf § 18 Abs. 6 Schulunterrichtsgesetz als
Grundlage zur Anwendung einer abweichenden Prüfungsmethode eine Definition
von Behinderung, welche ausschließlich auf körperliche
Behinderungsmerkmale abstellt.
Im Sinne einer inklusiven Betrachtung von Behinderung gemäß UN-Behindertenrechtskonvention und unter Bedachtnahme auf § 8 Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz wird angeregt, den in § 18 Abs. 6 Schulunterrichtsgesetz genannten Behinderungsbegriff durch die Definition von Behinderung gemäß § 3 Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz zu ersetzen:
„Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.“
Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass neben körperlichen Behinderungen auch andere Behinderungsformen möglich sind, welche eine adäquate Berücksichtigung finden sollen.
Ad Art. 16 Z 27, § 32 Abs. 2:
Die in § 32 Abs. 2 vorgeschlagene Änderung ermöglicht Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf die Absolvierung eines freiwilligen 11. und 12. Schuljahres nunmehr auch im Rahmen einer zuvor besuchten integrativen Schulform.
Diese Erweiterung auf das Regelschulwesen wird von der Behindertenanwaltschaft begrüßt.
Aus Erfahrung der Behindertenanwaltschaft war es für Betroffene bislang sehr schwierig, die Zustimmung der Schulbehörde zum fortgesetzten Schulbesuch zu erhalten. Die Behindertenanwaltschaft geht davon aus, dass die Öffnung künftig auch mit einer bedarfsorientierten Bewilligungspraxis für das freiwillige 11. und 12. Schuljahr einhergehen wird.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Hansjörg Hofer
Stellvertretender Behindertenanwalt