Wien, am 28.4. 2017

 

Stellungnahme zum Gesetzesentwurf zur Bildungsreform 2017

A Z 3 lit. c, § 27a – Zentrum für Inklusiv- und Sonderpädagogik):

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Eine Gruppe von acht PsychagogInnen des Rudolf Ekstein Zentrums übermittelt ihre Stellungnahme zum gegenständlichen Entwurf.

Grundsätzlich begrüßen wir die Verwirklichung der Inklusion über eine zukünftige österreichweite Bildungsreform als eine notwendige und richtige Zielsetzung. Eine auf Inklusion ausgerichtete Bildungslandschaft sieht sich schrittweise veränderten organisatorischen und pädagogischen Anforderungen gegenüber, die sich auch in der geplanten Verwaltungs- und Strukturreform widerspiegeln. Eine Maßnahme des vorliegenden Gesetzesentwurfs betrifft die Auflösung der Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik (ZIS).

Warum diese Auflösung bewährter und gelingender Organisationsstrukturen einer inklusiven Beschulung eher entgegenwirkt als sie zu fördern, wird am Beispiel von Schülerinnen und Schülern mit erheblichen emotionalen und sozialen Problemen dargestellt.

Für Wiener Pflichtschulen gibt es seit 40 Jahren ein inklusives Unterstützungssystem aus BeratungslehrerInnen und PsychagogInnen (LehrerInnen in besonderer Verwendung), die organisatorisch acht Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik zugeordnet sind. BeratungslehrerInnen und PsychagogInnen haben zusätzlich zu ihrer Lehramtsbefähigung in einer speziellen Ausbildung aus Theorie, Praxisreflexion und Selbsterfahrung Kompetenzen erworben, um die emotional-soziale Entwicklung erheblich belasteter Kinder und Jugendlicher zu fördern, sowie Erziehungsberechtigte, LehrerInnen, SchulleiterInnen und andere Bezugspersonen zu beraten. Neben Gewaltprävention, Krisenintervention und Vernetzung mit schulischen und außerschulischen Institutionen ist die kontinuierliche Betreuung von belasteten SchülerInnen durch ein verlässliches Beziehungsangebot ein Arbeitsschwerpunkt dieser Tätigkeit.

Die VerfasserInnen dieser Stellungnahme arbeiten in unterschiedlichen Arbeitsbereichen im ZIS 20 (Rudolf Ekstein Zentrum, kurz. REZ genannt).[1] Wir gehören zu einer Gruppe von 26 AbsolventInnen, die 2013 erstmalig einen neukonzipierten Universitätslehrgang zur schulischen Integration von Kindern und Jugendlichen mit erheblichen emotionalen und sozialen Problemen unter der Lehrgangsleitung von Universitätsprofessor Wilfried Datler abgeschlossen haben (Universitätslehrgang „Psychagogik“). Diese psychoanalytisch-pädagogisch orientierte Ausbildung ermöglichte es uns, besondere Kompetenzen im Verstehen von Beziehungsprozessen zu entwickeln. Die spezifische Bedeutung von auffälligem, aber auch unverständlichem Verhalten erheblich belasteter Kinder und Jugendlicher einzuordnen, differenzierter zu verstehen und schrittweise Veränderungen anzustoßen sind zentrale Aspekte unserer Tätigkeit.

An den Einsatzschulen sind wir als PsychagogInnen für die schulische Integration von Kindern und Jugendlichen mit emotional-sozialen Problemen zuständig und werden als sehr hilfreich und unterstützend wahrgenommen. Dies liegt daran, dass unsere beratende und  betreuende Funktion auch mit einem Zentrum für Inklusiv- und Sonderpädagogik (ZIS) in Verbindung gebracht wird. In vielen Jahren professioneller inklusiver Arbeit hat sich das Rudolf Ekstein Zentrum einen Ruf als Kompetenzzentrum für die Inklusion emotional-sozial belasteter Kinder und Jugendlicher erarbeitet, der über Fachtagungen, Vorträge und Publikationen auch über die Grenzen Österreichs reicht. Die PädagogInnen des REZ werden als SpezialistInnen für Kinder mit emotionalen und sozialen Problemen wahrgenommen, weil sie eine gemeinsame Ausbildung und eine Haltung eint, die dem individuellen So-Seins jedes Kindes gerecht wird, sie in einem besonders hohen Maße Zusatzqualifikationen erworben haben und durch kontinuierliche Fortbildungen ihre Professionalisierung weiterentwickeln.

Unsere Arbeit wird unter anderem auch deshalb in den Einsatzschulen gut angenommen, weil wir im Grundberuf PädagogInnen sind und das Zentrum, dem wir angehören, auch schulische und pädagogische Organisationsstrukturen (Schulleitung, LehrerInnenteam, Teamkonferenzen, Großgruppenkonferenzen, Schulentwicklungsprozesse, ...) aufweist. Diese bekannten Strukturen erzeugen in den Beteiligten der Einsatzschulen Vertrauen. Dieser Vertrauensvorschuss ist eine gute Basis für unsere Arbeit.

Die Integration von Kindern mit emotional-sozialen Problemen erfordert viel Professionalität, aber auch die Begegnung auf persönlicher Ebene und die Präsenz von Personen, deren fachlicher und pädagogischer Expertise man vertraut. So können sich etwa LeiterInnen unserer Einsatzschulen mit der Leiterin des ZIS 20 rasch und niederschwellig auf einer Ebene austauschen, sie kennen sich durch gemeinsame Sitzungen und Fallbesprechungen. Das Rudolf Ekstein Zentrum ist regional für einige Wiener Bezirke zuständig und dort bestens vernetzt. Die beteiligten Personen schulischer und außerschulischer Institutionen arbeiten eng zusammen.

Diese professionenübergreifende Vernetzung im Sinn von BündnispartnerInnen ermöglicht die Entwicklung von individuellen Lösungs- und Fördermöglichkeiten für das betreffende Kind. Ziel dieses gemeinsamen Nachdenkprozesses ist es,  verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen die passende schulische Unterstützung zu bieten, damit Entwicklungsschritte im emotional sozialen Bereich gelingen. Die Leiterin des REZ hat in diesem Prozess eine wichtige Aufgabe. Mit ihrer sonderpädagogischen Expertise, dem Wissen über vorhandene Ressourcen, die klare Bestimmung von Aufgaben, Rollen und Einsatzbereichen wird sie zu einer wichtigen Fürsprecherin für die Bedürfnisse emotional-sozial auffälliger Kinder und Jugendlicher.

Mit der Auflösung der Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik würde es auch das Rudolf Ekstein Zentrum nicht mehr geben. Damit würde nicht nur ein wesentlicher regionaler und überregionaler Bündnispartner im Sinne der Inklusion wegfallen. Auch das Kompetenzzentrum REZ mit seinem spezifischen Fortbildungsangebot für den Pflichtschulbereich (in Kooperation mit dem 18. Inspektionsbezirk und der PH Wien) würde es nicht mehr geben. Schließlich wäre auch die inklusive Qualitätssicherung empfindlich betroffen, denn Teams des Rudolf Ekstein Zentrums arbeiten in unterschiedlichen Arbeitsbereichen zusammen, und erzeugen so auf verschiedenen Ebenen einen differenzierten Verstehenszugang zum auffälligen Verhalten von Kindern und Jugendlichen. Nur mit dieser „gebündelten Teamkraft“ werden bereits begonnene Inklusionsprozesse vorangebracht, neue inklusive Prozesse angestoßen und diese in ihrer schulischen Umsetzung unterstützt und begleitet.

Wenn man die schulische Integration verhaltensauffälliger Kinder mit dem Legen eines Mosaikbildes gleichsetzt, soll damit nicht nur ein mühsamer und langatmiger Prozess, der von allen Beteiligten viel Geduld und Gelassenheit erfordert, beschrieben werden. Es soll auch nachvollziehbar werden, dass der Erfolg dieser schulischen Inklusion wesentlich davon abhängt, dass nicht nur Einzelpersonen diese Mosaikteilchen aufnehmen, sondern ein gut ausgebildetes und aufeinander abgestimmtes Team in einer speziellen und bewährten Weise zusammenarbeitet.

Die Komplexität von Verhaltensauffälligkeiten benötigt spezifisches Expertenwissen und Angebote von verschiedenen Institutionen, Kompetenz- und Beratungszentren. Nur in der Weiterentwicklung guter Vernetzungen sowie dem Ausbau von kooperativen Unterstützungskonzepten kann die emotionale und soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen dauerhaft unterstützt werden.

Wir möchten unsere Sorge darüber zum Ausdruck bringen, dass mit der Auflösung gelingender Organisationsstrukturen (Auflösung des ZIS 20) die inklusive Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit erheblichen emotionalen und sozialen Problemen empfindsam erschwert, in vielen Fällen sogar verunmöglicht würde. Die geplante Strukturreform könnte damit einen gegenteiligen Effekt erzeugen und der angedachten Intention, ohnehin benachteiligte Kinder und Jugendliche schneller zu integrieren bzw. zu inkludieren, zuwiderlaufen.

 

Hochachtungsvoll

Dipl. Päd. Regine Prinz, MA (Psychagogik), MEd

 

im Namen von

Dipl. Päd. Karl-Heinz Bujnoch, MA (Psychagogik); Dipl. Päd. Elke Koschitz, MA (Psychagogik); Dipl. Päd. Monika Morgenbesser MA(Psychagogik); Dipl. Päd. Barbara Peyrl, MA (Psychagogik); Nina Setaffy, BEd, MA (Psychagogik); Dipl. Päd. Kathi Skoumal, MA (Psychagogik); Dipl. Päd. Tijana Wandl, MA (Psychagogik)                     



[1] Bitte wenden Sie sich an das Rudolf Ekstein Zentrum, wenn Sie Fragen zu den Aufgabenbereichen dieses Zentrums für Inklusiv- und Sonderpädagogik haben. Leiterin: Dipl. Pädagogin Madeleine Castka

(01 3346734;www.rez.at)