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An das

Bundesministerium für Justiz

Museumstraße 7

1070 Wien

 

22. 5. 2014

 

 

Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Strafprozessordnung 1975, das Jugendgerichtsgesetz 1988, das Suchtmittelgesetz, das Staatsanwaltschaftsgesetz, das Geschworenen- und Schöffengesetz 1990 und das Gebührenanspruchsgesetz geändert werden (Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2014);

Begutachtung, Stellungnahme

 

 

 

Die Gewaltschutzzentren Österreich nehmen in offener Frist zum o.a. Gesetzesentwurf Stellung, wobei im Wesentlichen auf Neuerungen eingegangen wird, die für die Arbeitsbereiche der Gewaltschutzzentren und deren Zielgruppe Opfer von Gewalt von Bedeutung sind.

 

Zu Z 1, 2, 3, 12, 13 und 16 (§§ 1 Abs. 2 und 3, 2 Abs. 1, 48 Abs. 1 und 2, 91 Abs. 2): Zurücklegung der Anzeige

Vorgesehen ist bei einer vagen Verdachtslage die Einführung des Begriffes “Verdächtiger” mit der Möglichkeit, “eine ausdrückliche Grundlage für das Zurücklegen einer Anzeige im Sinne des Absehens von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu schaffen”. Dagegen haben Opfer kein Rechtsmittel im Unterschied zu einer Einstellung eines Verfahrens. Die Gewaltschutzzentren sehen dieses Instrument nur dann problematisch, wenn die Zurücklegung einer Anzeige anstelle der Einstellung des Verfahrens durchgeführt wird.

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Zu Z8 (§ 35c Änderung des Staatsanwaltschaftsgesetzes)

Im Falle der Zurücklegung der Anzeige wird künftig der (bekannte) Anzeiger hiervon verständigt und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass diesem die Möglichkeit der Stellung eines Antrages auf Fortführung nach § 195 StPO nicht zukommt. Nun sind jedoch auch Konstellationen vorstellbar, bei denen die anzeigende Person und das Opfer nicht ident sind (zB wird eine Körperverletzung von einer Nachbarin oder dem Krankenhaus angezeigt). Um die Informationsrechte des Opfers gebührend zu wahren, ist es notwendig, neben der anzeigenden Person auch das Opfer von der Zurücklegung der Anzeige zu verständigen. Neben der Verständigung vom Absehen der Einleitung des Ermittlungsverfahrens könnten die Rechte und Interessen der Opfer angemessen berücksichtigt werden, wenn die Möglichkeit geschaffen wird, einen Antrag auf Begründung der Zurücklegung der Anzeige zu stellen (in Anlehnung an § 194 StPO). Durch eine solche Begründung wird die Entscheidung der Staatsanwaltschaft für das Opfer nachvollziehbar und das Strafverfahren kann emotional besser abgeschlossen werden.  

Zu Z 23, 24, 25, 33 und 35 (§ 126 Abs. 3, 4 und 5, 222 Abs. 3 und 249 Abs. 3): Privatgutachten des Beschuldigten

Die Auswirkungen für die Opfer durch die Stärkung der Beschuldigtenrechte, nämlich durch die Mitwirkung bei der Bestellung eines Sachverständigen und durch die direkte Fragemöglichkeit eines Privatgutachters in der Hauptverhandlung an den bestellten Gutachter, sind noch nicht abzuschätzen. Aus Sicht der Gewaltschutzzentren wäre die Möglichkeit für die Opfer, gegen die Bestellung eines Sachverständigen wegen Befangenheit oder Zweifel an der Sachkunde Einwände vorbringen zu können, ein Vorteil. Allerdings ist das oberste Ziel, dass die bestellten Sachverständigen über die erforderliche Professionalität, Fachkenntnis und Objektivität verfügen sollten, unabhängig von wem sie bestellt werden. Um die Opfer nicht zusätzlich zu belasten, ist besonders wichtig, dass Gutachten über die Person des Opfers zeitnah zur Straftat und nur einmalig durchgeführt werden.

 

 

Zu Z 4, 9, 29, 30, 31 und 32 (§§ 26 Abs. 2, 37 Abs. 2, 204 Abs. 1 und 3, 205 Abs. 2 und 5) iVm Zu Z 44 (§ 491): Diversion

 

Mit der Intension, die Strafgerichte zu entlasten, sollen wieder mehr Verfahren in der Diversion, insbesondere im Tatausgleich, erledigt werden können, und für Verfahren, die u.a. wegen der Schwere nicht in der Diversion erledigt werden können, wird das Mandatsverfahren wieder eingeführt.

Die Gewaltschutzzentren sehen in den diversionellen Möglichkeiten einen Vorteil, wenn dadurch die Spezialprävention – Sicherheit für die gefährdeten Menschen - gefördert wird. Besonderes der Rücktritt von der Verfolgung einer Straftat unter Bestimmung einer Probezeit in  Verbindung mit den Weisungen des Kontaktverbotes oder/und einem opferorientierten Anti-Gewalt-Training kann eine wichtige Sicherheitsmaßnahme sein, wird aber kaum durchgeführt. Ebenso wird in der Praxis die im Gesetz vorgesehene Wiedergutmachung des Schadens und der Ausgleich der Folgen der Tat als Voraussetzung für die Diversion nach

§§ 200, 201, 203 praktisch nicht berücksichtigt.

Die Gewaltschutzzentren regen daher an, im Entwurf zum Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2014 zu präzisieren, dass die Gerichte und Staatsanwaltschaft Opfer über die vorgesehene diversionelle Maßnahme informieren und ihre Interessen (Wiedergutmachung, Weisungen) erhoben und berücksichtigt werden. Die Berücksichtigung der Opferinteressen ua. auch der Spezialprävention inkludiert auch die Verständigung des Opfers über die angeordnete Maßnahme in Verbindung mit den angeordneten Weisungen, wie zB. über einen „Rücktritt von der Verfolgung unter Bestimmung einer Probezeit“ in Verbindung mit Weisungen des Kontaktverbotes zum Opfer und des Besuchs eines Anti-Gewalt-Trainings. Es macht keinen Sinn, zB. ein Kontaktverbot anzuordnen, ohne die Person, die der Beschuldigte nicht kontaktieren soll, darüber zu informieren.   

 

Vollkommen kontraproduktiv bei Delikten Häuslicher Gewalt sind die Geldbuße als diversionelle Maßnahme und die Geldstrafe als Urteil. Zu befürchten ist, dass es mit dem Mandatsverfahren zu einem Anstieg von Geldstrafen kommen wird, die bei Delikten Häuslicher Gewalt immer einen finanziellen Nachteil für die Familienangehörigen bedeuten oder bei aufrechter Beziehung vielleicht auch noch die Opfer selber zahlen. 

 

Im Hinblick auf den Tatausgleich bei familiärer Gewalt sieht der Einführungserlass (zweiter Teil) zur Strafprozessnovelle 1999 ("Diversion") folgendes vor:

Zu Gewalthandlungen im familiären Bereich hält der Bericht des Justizausschusses (1615 BlgNR XX.GP, 2) fest, dass sicherzustellen ist, dass das Gesetzesvorhaben den Bestrebungen des Gesetzgebers und der Bundesregierung nach wirkungsvoller Bekämpfung der sogenannten "Gewalt in der Familie" nicht zuwiderläuft. Um dem Aspekt der Normenverdeutlichung und den typischen Problemstellungen in diesem Kriminalitätsfeld gerecht zu werden, wird sehr genau auf die Ursachen und die tatsächliche Bereitschaft zur Verhaltensänderung, aber auch auf entsprechende Information der verletzten Person über die ihr zustehenden Möglichkeiten Bedacht zu nehmen sein. Wie in § 38a Abs. 4 SPG ("Wegweisung und Betretungsverbot bei Gewalt in Wohnungen") vorgesehen, wird es sich daher empfehlen, die verletzte Person von der Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO und über geeignete Opferschutzeinrichtungen (§ 25 Abs. 2 SPG) zu unterrichten. Darüber hinaus sollte, auch soweit ein Kontakt der verletzten Person mit Opferschutzeinrichtungen nicht aktenkundig ist, nach Möglichkeit vor Einleitung eines Ausgleichsversuchs der örtlich zuständigen Interventionsstelle Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt werden.

Alle Gewaltschutzzentren stellen inzwischen im Einzelfall mit standardisierten Programmen den Grad der Gefährdung fest, der weder von der Strafverfolgungsbehörde, dem Gericht noch dem Tatausgleich ermittelt werden kann/wird. Umso wichtiger ist in Fällen häuslicher Gewalt und Gewalt im sozialen Umfeld eine standardisierte Kooperation mit Neustart und den Gewaltschutzzentren im Einzelfall.

Die  Gewaltschutzzentren sehen in der Bestimmung, von der Verfolgung zurückzutreten, wenn das Verfahren dem Tatausgleich zugewiesen wird, kein Problem, solange auch die neu geschaffene Möglichkeit der Fortsetzung des Strafverfahrens Anwendung findet, wenn der Tatausgleich das Verfahren mangels General – oder Spezialprävention an die Staatsanwaltschaft oder das Gericht zurückweist.

 

Die Gewaltschutzzentren regen an in Übereinstimmung mit dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt[1], den Begriff “Konfliktregler” durch einen Begriff zu ersetzen, der Gewalt und strafbare Handlungen nicht als “Konflikt” bagatellisiert. Es sollte insbesondere bei Gewalt gegen Frauen und Häuslicher Gewalt jeder Anschein einer Mediation anstelle eines Strafverfahrens vermieden werden.

Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt  Art 48

(1) Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um verpflichtende alternative Streitbeilegungsverfahren, einschließlich Mediation und Schlichtung, wegen aller in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Formen von Gewalt zu verbieten.

 

 

Zu Z 44 Einführung eines neuen Mandatsverfahrens (§ 491)

Die (Wieder)einführung des Mandatsverfahrens im Entwurf des § 491 StPO ist in Hinblick auf Gewaltopfer, insbesondere solche im Beziehungszusammenhang bzw. sozialen Nahraum, entschieden abzulehnen, dies wie folgt aus mehreren Gründen.

 

Vorausgeschickt wird, dass in Österreich jährlich über 16.000 Gewaltopfer von den Gewaltschutzzentren beraten werden. In den überwiegenden Fällen erfolgten auch Strafanzeigen wegen strafbarer Handlungen und im Vorjahr wurden 3.372 Gewaltopfer als Zeuginnen und Zeugen mit vom Bundesministerium für Justiz finanzierter psychosozialer und juristischer Prozessbegleitung betreut.

 

Im Entwurf ist die Rede von einem gänzlich neuen Mandatsverfahren. Dieses war allerdings bereits von 1873 bis 1999 mit diversen Neuerungen in Anwendung[2].

 

Ein Erfahrungswert aus der jüngeren Zeit des Mandatsverfahrens ist die intensive Nutzung dessen, auch in Verfahren wegen häuslicher Gewaltdelikte. Mitarbeiterinnen der Gewaltschutzzentren haben zum Teil als Rechtspraktikantinnen bei den Gerichten selber eingehende Erfahrungen damit gemacht, viele Strafverfügungen zur Entscheidung für den Richter/die Richterin vorzubereiten, neben strafrechtlichen Verkehrsdelikten nicht wenige wegen familiärer Gewalt.

 

Mit Einführung der Diversion 1999 wurde dieses Institut abgeschafft. Zuletzt wurde etwa ein Drittel aller Straffälle wurde damit erledigt. Strafrechtlich relevante Sachverhalte, die hinreichend geklärt und keinen schweren Schuldvorwurf beinhalteten, konnten weiterhin ohne förmliches Gerichtsverfahren abgehandelt werden. Im Fokus stand dabei, die Strafverfügung als eine im Schnellverfahren ergangene Verurteilung vor allem von Fahrlässigkeits-Straftätern im Straßenverkehr abzulösen. Laut Regierungsvorlage[3] war es an der Zeit, „vor allem im Bereich der Kleinkriminalität anstelle (vornehmlich) der Geldstrafe alternative Maßnahmen einzusetzen, die unnötige Stigmatisierungseffekte vermeiden und zugleich den Interessen des Tatopfers, vor allem jenem auf Schadensgutmachung, effizienter und rascher dienen zu können.“

In der Regierungsvorlage hieß es damals weiter zur Begründung der Abschaffung des Mandatsverfahrens, dieses entfalte „…die Wirkung eines Strafurteils, was dann problematisch ist, wenn sie durch postamtliche Hinterlegung zugestellt wurde. In diesem Fall kann es daher zu einer gerichtlichen Verurteilung kommen, von der der Betroffene –zunächst – keine Kenntnis hat, ja sich unter Umständen nicht einmal des konkreten Anklagevorwurfs bewusst ist. Das Mandatsverfahren ist aber darüber hinaus schon deswegen grundsätzlich problematisch, weil es lediglich aufgrund der Aktenlage und ohne dass der Verdächtige gehört wird, also ohne dass das Gericht einen persönlichen unmittelbaren Eindruck vom Verdächtigen und den Beweismitteln gewinnt, zu einer gerichtlichen (Vor-)entscheidung kommt, gegen die der Verdächtige aktiv werden und die Einspruchsfrist wahren muss, um eine gerichtliche Verurteilung zu verhindern. Im Falle eines Einspruchs ist er aber wieder mit demselben Richter bzw. derselben Richterin konfrontiert, die gegen ihn eine Strafverfügung erlassen hat und demgemäß von ihm als nicht unbefangen angesehen werden könnte. Diese seit längerem bekannte und mehrfach kritisierte Problematik könnte nur dadurch entschärft werden, dass anstelle der Umstellung der Strafverfügung auf dem Postweg eine persönliche Übergabe an den Beschuldigten und dessen rechtliche Belehrung durch Gerichtsorgane  angesehen würde. Der damit verbundener Verfahrensaufwand würde jedoch den administrativen Einsparungseffekt des Mandatsverfahrens gegenüber dem ordentlichen Verfahren minimieren.“

Weiter ist nachzulesen: „Aus all diesen Gründen erweist sich das Mandatsverfahren somit angesichts der vorgeschlagenen beträchtlichen Erweiterung der strafrechtlichen Reaktionspallette als entbehrlich. Da es überdies auf rechtsstaatliche Bedenken stößt und bei einem Nebeneinander von Strafverfügung und „Geldbußen“-System regional und individuell voneinander beträchtlich abweichende Sanktionisierungsstile zu besorgen wären,  vorgeschlagen, das Mandatsverfahren gänzlich entfallen zu lassen…“

Warum will man nun diesem zugestandenermaßen rechtsstaatlich bedenklichen Verfahren wieder Geltung verschaffen? Apropos „Kleinkriminalität“: So würden Geld- und Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr im Bereich der „Kleinkriminalität“ ressourcenschonend und rasch ohne vorausgehende Hauptverhandlung mittels Strafverfügung möglich sein zu verhängen. Es käme voraussichtlich insbesondere auch im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt und Gewalt im sozialen Nahraum zum Tragen, dies bei Delikten mit schwerem Unrechtsgehalt und durchaus relativ hohen Strafdrohungen: u.a. (schwere) Körperverletzung, Nötigung, Gefährliche Drohung, Fortgesetzte Gewaltausübung, Stalking, Freiheitsentziehung. Ausgenommen sind hier etwa aufgrund der Zuständigkeit des Schöffengerichts nur die Sexualdelikte der §§ 201, 202, 205, 206, 207 StGB (Vergewaltigung, geschlechtliche Nötigung, Sexueller Missbrauch von wehrlosen bzw. unmündigen Personen), weiters Qualifikationstatbestände der vorher angeführten Delikte. Eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr wird nicht wegen Bagatelldelikten verhängt!

 

Nach dem neuen Entwurf würden entgegen dieser damaligen Bedenken wiederum in Verfahren vor dem Bezirksgericht und der Einzelrichterin/dem Einzelrichter des Landesgerichts im großen Umfang schriftliche Entscheidungen nur auf Basis Aktenlage ermöglicht – laut Entwurf dort, wo eine diversionelle Regelung nicht möglich ist, die Sach- und Rechtslage aber eine rasche Verfahrensabwicklung gestatten würde. Diese Zielformulierung im Entwurf ist hier jedoch sehr widersprüchlich zur damaligen Begründung der Abschaffung des Mandatsverfahrens. Es geht im jetzigen Entwurf, vor allem angesichts der erfassten Delikte jedoch nicht um „Kleinkriminalität“ sondern vielfach um schwere Kriminalität, die damals bei der Abschaffung der Strafverfügungen jedenfalls dem förmlichen Verfahren vorbehalten geblieben ist.

Mit dem Ziel der Beschleunigung von Verfahren kommen die Opferrechte unter die Räder. Bei allen legitimen Überlegungen, das Justizpersonal vom überbordenden Arbeitsanfall zu entlasten kann ein Mandatsverfahren in manchen Belangen nicht das Mittel der Wahl sein, vor allem beim Thema Gewaltprävention und Opferschutz. Dazu hat in den letzten zehn Jahren ein Prozess mit Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung eingesetzt, der auch vor der Justiz nicht halt gemacht hat. Mehr und mehr wurden gerade bei Delikten aufgrund Beziehungsgewalt deren Besonderheiten – Gewaltdynamik, Traumafolgen, Gefährdungslage, Sicherheitsüberlegungen – im Wissen der StaatsanwältInnen und RichterInnen verankert und zogen ein immer adäquateres Vorgehen mit entsprechender Verhandlungsführung nach sich. Opferschonung, Durchsetzung deren Ansprüche und Rechte, vor allem durch psychosoziale und juristische Prozessbegleitung wurde tägliche Übung. Bezüglich der Wahlmöglichkeit, ein förmliches Strafverfahren durchzuführen oder eine Strafverfügung auszusprechen, können die Staatsanwaltschaften und Gerichte womöglich ressourcenmäßige und nicht inhaltliche Überlegungen stärker motivieren, ein Mandatsverfahren zu beantragen.

 

Das Strafrecht und Strafprozessrecht hat lange auf die Opfer „vergessen“. Jahrhundertelang stand es in der Tradition, ein Opfer ist bestenfalls Zeuge/Zeugin als Mittel zur Wahrheitsfindung des Staates. Das hat sich im Zuge der Diskussion um Menschen- und Frauenrechte und zur Gleichstellung der Geschlechter besonders seit den 1970er Jahren gewandelt und mündete in zahlreiche internationale und nationale Gesetzesreformen: Familien- und Strafrechtsreform, UN-Konvention zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen, Gewaltverbot in der Erziehung, Recht von Opfern auf kontradiktorische Einvernahme, Gewaltschutzgesetz um nur einige zu nennen. Zuletzt sind sehr maßgebliche europäische Richtlinien auf den Weg gebracht worden, nämlich 2011 die Europäische Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt des Europarates[4] sowie die Opferschutzrichtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2012 über Mindeststandards für Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten[5].

Die Istanbul-Konvention verlangt in Art 45, dass die im Übereinkommen umschriebenen Straftaten mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionen bedroht werden, die ihrer Schwere Rechnung tragen. Art 46 sieht Strafschärfungsgründe bzw. erschwerende Umstände u.a. bei Gewalt in Partnerschaften und bei Kindern, nach Artikel 49 Abs 1 sind die Rechte des Opfers in allen Abschnitten des Strafverfahrens zu berücksichtigen, in Art 56 Abs 1 lit d sind Schutzmaßnahmen vorzusehen, die „den Opfern in Übereinstimmung mit den Verfahrensvorschriften des innerstaatlichen Rechts die Möglichkeit geben, gehört zu werden, Beweismittel vorzulegen und ihre Ansichten, Bedürfnisse und Sorgen unmittelbar oder über eine Vermittlerin beziehungsweise einen Vermittler vorzutragen und prüfen zu lassen:“

Die Gewaltschutzzentren Österreich haben in ihren Reformvorschlägen 2014 bereits sehr eingehend zur Istanbul-Konvention Anregungen für Verbesserungen erstellt.[6]

 

In einem Mandatsverfahren wie im Entwurf ist ein Opfer als Zeugin/Zeuge und noch weniger als Beweismittel kein Thema mehr – ein weiterer Schritt zurück: es spielt schlichtweg überhaupt keine Rolle mehr. Ein Antrags- und Einspruchsrecht gibt es nur seitens der Staatsanwaltschaft und ein Einspruchsrecht nur seitens des Beschuldigten und nicht eines Opfers, davon hängt es letztlich ab, ob ein Opfer gehört wird.

Im Widerspruch dazu kam bisweilen von richterlicher Seite das Argument des Unmittelbarkeitsgebots sogar dann zum Tragen, wenn Opfer bereits per kontradiktorischer Einvernahme ihre Aussage vor Gericht gemacht haben. Erkennende Richterinnen/Richter bestanden manchmal sogar bei Inanspruchnahme des Aussageverweigerungsrechts für die Hauptverhandlung darauf, das Opfer nochmals dort zu sehen, um sich einen unmittelbaren Eindruck zu verschaffen. In einem Mandatsverfahren ist es das genaue Gegenteil, indem ein Eindruck vom Opfer nicht mehr nötig erscheint.

 

Es ist zu befürchten, dass Gewaltdelikte, die über ein Mandatsverfahren abgewickelt werden, mangels Auseinandersetzung und Konfrontation in einer Hauptverhandlung vor Gericht vor allem für Beschuldigte nicht so schwerwiegend bzw. verharmlosend wirken bzw. so in ihrer Dimension mit Vorstrafe und deren Folgen oft verkannt werden. Dies, obwohl ein Mandatsverfahren auch bei Untersuchungshaft möglich ist und eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr verhängt werden kann, auch bei Delikten mit mehrjähriger Strafdrohung.

Dazu war ein Grundgedanke bei der Abschaffung des Mandatsverfahrens 1999: keine Vorstrafe ohne Gerichtsverhandlung!

 

Der vorliegende Gesetzesentwurf zum Mandatsverfahren stellt einen massiven Rückschritt dar und stellt die Errungenschaften des Ausbaus der Opferrechte und des Opferschutzes in der StPO seit 2004 sehr in Frage.

Im Wesentlichen geht es darum, dass im Mandatsverfahren Opfer außen vor bleiben, obwohl § 10 StPO die Beteiligung von Opfern vorsieht. Fraglich ist grundsätzlich, wie weit den Prinzipien eines Strafprozesses Rechnung getragen wird: Unmittelbarkeit, Mündlichkeit und Öffentlichkeit, Gebot eines fair trials mit rechtlichem Gehör nach Art 6 EMRK, was konkret im Normalfall mit einer entsprechenden mündlichen Verhandlung einhergeht. Nicht gesichert ist jedenfalls schon in der jetzigen Praxis, dass Opfer im Ermittlungsverfahren eine Information über ihre Rechte erhalten.

Die Istanbul-Konvention sieht in Art 56 lit c vor, dass Opfer über ihre Rechte und die ihnen zur Verfügung stehenden Dienste und über die aufgrund ihrer Anzeige veranlassten Maßnahmen, die Anklagepunkte, den allgemeinen Stand der Ermittlungen oder des Verfahrens und ihre Rolle sowie die in ihrem Fall ergangene Entscheidung“… unterrichtet werden. Ebenso sieht das der EU-Rahmenbeschluss in Punkt 25 der Standards vor:

„Die Opfer sollten so genau informiert werden, dass sichergestellt ist, dass sie eine respektvolle Behandlung erfahren und in Kenntnis der Sachlage über ihre Beteiligung am Verfahren entscheiden können. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Unterrichtung des Opfers über den Stand des Verfahrens. Dies gilt auch für Informationen, die es dem Opfer ermöglichen zu entscheiden, ob es die Überprüfung der Entscheidung, auf eine Strafverfolgung zu verzichten, beantragen soll. Sofern nicht anders bestimmt, sollte es möglich sein, die Informationen dem Opfer mündlich oder schriftlich - auch auf elektronischem Weg - zu erteilen.“[7]

Hingegen ist im Entwurf nicht geregelt, dass Gewaltopfer von einem Mandatsverfahren erfahren bzw. ist ihr Einbezug nicht vorgesehen. Sie werden wenig damit anfangen können, sich als Privatbeteiligte anzuschließen bzw. psychosoziale und juristische Prozessbegleitung zu erhalten, weil nicht vorgesehen ist, dass sie in diesem Verfahren gehört werden. Wesentliche Opferrechte sind Informations-, Auskunfts-, Beteiligungs-, Mitwirkungs- und Entschädigungsrechte wie auch der Anspruch auf psychosoziale und juristische Prozessbegleitung, diese sind nur im Zuge einer mündlichen Verhandlung adäquat umsetzbar. Sie können nur wahrgenommen werden, wenn über ein Verfahren informiert und auch die Mitwirkung ermöglicht wird. Wesentlich ist weiters, dass über Privatbeteiligungsansprüche wie Schadenersatz und Schmerzengeld von Opfern möglichst im Strafverfahren und nicht erst in einem Zivilverfahren entschieden wird. Nach Maßgabe des § 366 StPO soll ein Zuspruch erfolgen können, wenn der Angeklagte zu den privatrechtlichen Ansprüchen gehört wurde, andernfalls wird jedenfalls auf den Zivilrechtsweg verwiesen: das heißt, dass vermehrt Opfer kein Schmerzengeld beanspruchen können, sondern gleich verwiesen werden. Wegen des Kostenrisikos und der Dauer ein Verweis auf den Zivilrechtsweg eine Zumutung für die Opfer. Dies bringt weiters eine Mehrbelastung für die Zivilgerichte, wenngleich zu befürchten ist, dass Opfer gesamt gesehen weniger Schadenersatz bekommen, weil die wenigsten ein Zivilverfahren anstrengen werden. Art 30 der Istanbul-Konvention gebietet die Sicherstellung, dass Gewaltopfer das Recht haben, von Tätern/Täterinnen Schadenersatz zu fordern.

 

Auch die EU-Richtlinie sieht  in Art 16 vor[8]: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Opfer einer Straftat das Recht haben, im Rahmen des Strafverfahrens innerhalb einer angemessenen Frist eine Entscheidung über die Entschädigung durch den Straftäter zu erwirken, es sei denn, dass diese Entscheidung nach einzelstaatlichem Recht im Rahmen eines anderen gerichtlichen Verfahrens ergehen muss.“

 

Ein Mandatsverfahren ist eine Beeinträchtigung des Gebots des fairen Verfahrens nach Art 6 EMRK. Im Zivilverfahren gibt es eine starke Tendenz, sogar in Eilverfahren nach der Exekutionsordnung beide Parteien im Zivilverfahren zu hören. (siehe EGMR-Entscheidung 2009[9]). Im Gegensatz dazu wird im Strafverfahren davon abgegangen, das Opfer zu hören.

 

Wenn jemanden eine vorsätzlich begangene Straftat vorgeworfen wird, durch die eine Person Gewalt oder gefährlicher Drohung ausgesetzt oder in ihrer sexuellen Integrität beeinträchtigt worden sein könnte, sollte das Mandatsverfahren ausgeschlossen sein.

 

 

Vorschlag:

 

1. Absehen von der Wiedereinführung des Mandatsverfahrens

 

2. Sollten diese vorgenannten Überlegungen und Einwände gegen das im Entwurf vorgesehene Mandatsverfahren zumindest in dieser Hinsicht nicht zum Tragen kommen, so wäre es konsequent, eine generelle Ausnahme des Mandatsverfahrens hinsichtlich Gewaltopfer gemäß § 65 Abs 1 lit a StPO bzw. diese Ausnahme zumindest auf Opfer von Gewalt in der Familie und im sozialen Nahraum vorzusehen.

 

3. Wenn dem nicht beigepflichtet wird, sind zusätzliche Opferrechte iSd der Istanbul-Konvention, die im August 2014 nach Ratifizierung durch mindestens 10 Mitgliedsstaaten bindend wird, auch für Österreich umzusetzen:

 

3.1. Demgemäß sollte das Opfer eine Information erhalten, ob ein Mandatsverfahren oder  ein förmliches Verfahren durchgeführt wird. Wenn ein Mandatsverfahren vorgesehen ist, sollte das Opferrecht zur Äußerung anstelle des Rechtes nach § 66 Abs. 1 Z 7 StPO „während der Hauptverhandlung anwesend zu sein und Angeklagte, Zeugen und Sachverständige zu befragen sowie zu ihren Ansprüchen gehört zu werden“, eingeführt werden. Die Information und die Aufforderung sich zu äußern, könnte gemeinsam mit der Übermittlung der Anklageschrift erfolgen. Weiters sollte das Opfer, wie bereits bei den diversionellen Maßnahmen ausgeführt, eine Information über den Ausgang des Verfahrens, eventueller Weisungen und des Privatbeteiligtenzuspruchs erhalten. Dadurch würde der Gesetzgeber auch Artikel 56 c) Istanbul-Konvention entsprechen:

Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um die Rechte und Interessen der Opfer, insbesondere ihre besonderen Bedürfnisse als Zeuginnen und Zeugen, in allen Abschnitten der Ermittlungen und Gerichtsverfahren zu schützen, indem sie insbesondere diese nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts über ihre Rechte und die ihnen zur Verfügung stehenden Dienste und über die aufgrund ihrer Anzeige veranlassten Maßnahmen, die Anklagepunkte, den allgemeinen Stand der Ermittlungen oder des Verfahrens und ihre Rolle sowie die in ihrem Fall ergangene Entscheidung unterrichten.

3.2. Bei Verletzung dieser vorgenannten Rechte sollte eine Einspruchsmöglichkeit von Opfern bestehen mit der Folge einer mündlichen Verhandlung

 

3.3. Da zu befürchten ist, dass im Mandatsverfahren die Opfer mit ihren Privatbeteiligtenansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen werden, sollte die juristische Prozessbegleitung im Zivilverfahren wie bereits ursprünglich im zweiten Gewaltschutzgesetz vorgesehen zur Wahrung der Opferrechte eingeführt werden.

 

Abschließend sei noch einmal auf die Reformvorschläge der Gewaltschutzzentren 2014 verwiesen, worin  der Verbesserungsbedarf in den gegenständlichen, aber auch darüber hinaus in weiteren strafrechtlichen und strafprozessualen Belangen erörtert und mit Anregungen versehen wird.[10]

 

Drin. Renate Hojas, Gewaltschutzzentrum Salzburg

Maga. Maria Schwarz-Schlöglmann, Gewaltschutzzentrum OÖ

(Delegierte des Bundesverbandes der Gewaltschutzzentren Österreich und der Wiener Interventionsstelle)



[1] Europäische Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt des Europarates („Istanbul- Konvention“), Übereinkommen und Erläuternder Bericht, http://www.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=51544;

[2] Reichsgesetzblatt für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder.XLII. Stück. – Ausgegeben und versendet am 30. Juni 1873.

(397) 119. Gesetz vom 23. Mai 1873, betreffend die Einführung einer Strafproceß-Ordnung. Ursprünglich war eine Strafverfügung in sehr engem Rahmen vorgesehen, nämlich bei einer Gesetzesübertretung, „… welche im Gesetze nur mit Arrest von höchstens einem Monate oder nur mit einer Geldstrafe bedroht ist, so kann der Richter, insoferne er Arrest von höchstens drei Tagen oder eine Geldstrafe von höchstens fünfzehn Gulden zu verhängen findet…“

Novellen: Wiederverlautbarung StPO 1945 BGBl 133/1945,  BGBl 98/1960, BGBl 631/1975.

[3] 1581 der Beilagen zu den Stenopraphischen Protokollen des Nationalrates XX.GP

[4] Übereinkommen und Erläuternder Bericht, http://www.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=51544

 

[5] RICHTLINIE 2012/29/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 25. Oktober 2012

über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI http://db.eurocrim.org/db/de/doc/1829.pdf

 

 

[6] www.gewaltschutzentrum.at/ooe/aktuell

 

[7] RICHTLINIE 2012/29/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 25. Oktober 2012

über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI

[8]http://db.eurocrim.org/db/de/doc/1829.pdf

 

[9] EGMR 15.10.2009 (Micaleff/Malta) Nr17056/06

[10] www.gewaltschutzentrum.at/ooe/aktuell