Dr. Michael Stich

Richter des Bezirksgerichts Hernals

 

 

An das

Präsidium des Nationalrats

 

per E-Mail an begutachtungsverfahren@parlament.gv.at

 

 

Betrifft: Stellungnahme zum Entwurf des 2. Erwachsenenschutz-Gesetzes

 

Wien, am 8. 9. 2016

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Zu dem vorliegenden Ministerialentwurf des 2. Erwachsenenschutz-Gesetzes, genauer zu einigen geplanten Bestimmungen desselben, möchte ich als langjährig mit Familien- und damit auch Sachwalterschaftssachen befasster Richter wie folgt Stellung nehmen. Meine daraus hervorgehende teilweise Skepsis soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich den Versuch, durch das neue Gesetz die Autonomie der betroffenen Personen zu stärken, im Prinzip begrüße.

 

Was die materiellrechtlichen Bestimmungen des Gesetzentwurfes betrifft, verweise ich zur Gänze auf die mir zur Kenntnis gelangte Stellungnahme des Amtes der Wiener Landesregierung vom 31. 8. 2016, deren Bedenken ich durchaus teile.

 

Es mag sein, dass der Begriff der „Erwachsenenvertretung“ hübscher klingt als der angeblich belastete der „Sachwalterschaft“, aber drängt sich nicht die - sicher nicht gewollte - gedankliche Assoziation mit der „Vertretung von Erwachsenen“ durch sonstige professionelle oder nicht professionelle Rechtsvertreter (zB Rechtsanwälte, Notare, sonstige Bevollmächtigte) auf? Ich würde etwa die Begriffe des „Beistands“ oder des „Erwachsenenbeistands“ vorziehen, deren mögliche Belastung durch die ehemalige, bis 1984 in Geltung gestandene  Entmündigungsordnung wohl durch deren längst erfolgtes Vergessensein aufgewogen wird. Aber sei 's drum...

 

 

Die hauptsächliche Absicht des Gesetzesentwurfs stellt die Zurückdrängung der derzeitigen Sachwalterschaft, also der vom Gericht durch Einsetzung eines gesetzlichen Vertreters verfügten Beschränkung der Geschäftsfähigkeit der von geistiger Behinderung oder psychischer Krankheit betroffenen Personen dar. An dieser Stelle sei der zarte Hinweis erlaubt, dass die in den vergangenen Jahren merkbare Zunahme der Sachwalterschaften wohl nicht auf den unkontrollierten „Furor“ der Gerichte und der mit der Ausübung der Sachwalterschaften betrauten Personenkreise zurückzuführen ist, sondern eher auf die schlichten Tatsachen der zunehmenden Überalterung der Bevölkerung und des Rückganges familiären Zusammenhalts.

 

Das Sachwalterschaftsgesetz 1985 beruhte wesentlich auf den gleichzeitig ins Leben gerufenen Sachwaltervereinen, die für den Fall, dass für die Übernahme einer Sachwalterschaft geeignete Angehörige der betroffenen Person nicht zur Verfügung standen, außenstehende (hauptberufliche und ehrenamtliche) Sachwalter und Sachwalterinnen bereitstellen sollten. Neben manchen seither erfolgten Namensänderungen ging die Entwicklung dieser vom Staat subventionierten Vereine im Wesentlichen dahin, dass im Laufe der Jahre - zumindest in dem von mir beobachteten Wiener Bereich - von diesen Vereinen immer weniger solche Personen nominiert wurden und werden.

 

Diesem verschwindenden Prozentsatz von Fällen, die auf diese Weise abgedeckt werden können, steht ein enormer finanzieller Aufwand gegenüber, den der Bund zu tragen hat. Die aktuellen Zahlen sind mir nicht bekannt, ich erinnere mich aber an eine Zusammenkunft vor etwa zwanzig Jahren, bei der die für die Sachwaltervereine zuständige Vertreterin des Bundesministeriums für Justiz eine jährliche Subventionssumme von ATS 90,000.000,-- für österreichweit durch die Vereine betreute 2.500 SW-Fälle bekanntgab. Als noch nicht computer-verdorbener Kopfrechner kam ich damals auf einen Kostenaufwand von ATS 36.000,-- pro Fall und Jahr, wobei als „Fall“ auch gezählt wurde, wenn der bzw. die Betroffene gleich wenige Tage nach der Bestellung eines einstweiligen Sachwalters verstorben war (vgl. aber die aliquote Kürzung des Entschädigungsanspruches eines sonstigen Sachwalters bei nicht ganzjähriger Tätigkeit). Zusätzlich haben die Vereine seit vielen Jahren auch noch einen Entschädigungsanspruch wie jeder andere Sachwalter, der in einem Prozentsatz des Einkommens und des Vermögens der betroffenen Person besteht.

 

Als Quasi-Ersatz für die bei weitem nur ungenügende Zahl von Nominierungen von Sachwaltern und Sachwalterinnen bieten die Sachwaltervereine den Gerichten seit Jahren ein der Bestellung des (einstweiligen) Sachwalters vorgeschaltetes Clearingverfahren an. Diese Möglichkeit wird derzeit meines Wissens in durchschnittlich 43 % der neu anfallenden SW-Verfahren genützt. Dabei beträgt der Zeitwert pro Clearing für den oder die Vereinsmitarbeiter bzw. -mitarbeiterin 7 (sieben!) Stunden. Im Vergleich dazu wird die gesamte richterliche Tätigkeit in einem SW-Akt, also von dessen Anfall bis zur endgültigen Erledigung (durch Einstellung oder Aufhebung der Sachwalterschaft oder Tod der betroffenen Person) laut PAR (Personal-Anforderungsrechnung, einer Art Belastungsrechnung für Richter) - inklusive der richterlichen Tätigkeiten zur Abklärung, ob überhaupt eine Weiterführung des SW-Verfahrens erforderlich ist (=Clearing) - wesentlich geringer bewertet; dies zur Effizienz beider Institutionen.

 

Durch das 2.ErwSchG soll ein obligatorisches Clearingverfahren eingeführt werden, das keine Ausnahmen - etwa für komatöse oder geistig schwerst behinderte Personen - kennt (§ 117a AußStrG neu). Andererseits hat das Gericht, anders als nach dem geltenden  Gesetz, gemäß § 120a AußStrG neu nur dann einen Sachverständigen zu bestellen, wenn es dies für erforderlich hält oder die betroffene Person dies beantragt - ein Wertungswiderspruch?!

 

Allein diese Ausweitung der Tätigkeit der SW-Vereine bedingt mehr als eine Verdoppelung ihrer darauf bezogenen erforderlichen Ressourcen. Dazu kommen - neben anderen -  noch ihre neu geschaffenen Aufgaben bei der Errichtung und Registrierung von Vorsorgevollmachten (§§ 262f ABGB neu), gewählten - (§§ 266f ABGB neu) und gesetzlichen  Erwachsenenvertretungsbefugnissen (§ 270 ABGB neu). Fast hätte ich es zu erwähnen vergessen: auch künftig soll dazu natürlich noch die Führung gesetzlicher Erwachsenenvertretungen kommen (auch wenn diese, wie oben dargestellt, in Wien auch in Zukunft leider kaum ins Gewicht fallen dürften).

 

Irgendwann - wann, wenn nicht gerade in Zeiten wie diesen? - wird der Staat nicht darum herumkommen, auch die Frage der Effizienz seiner eingesetzten Mittel zu stellen. Es ist zu erwarten, dass dieses Gesetz, mit dem die „Erwachsenenvertretung“ auf neue Beine gestellt werden soll - nämlich nicht zuletzt auf die der Sachwaltervereine - eine enorme Aufstockung von deren Personalzahl erforderlich macht. Und trotzdem (oder gerade deswegen) wage ich die Prognose: auch noch so viele Arbeitsstellen mehr dort werden nicht zu einer gesteigerten Übernahme von Erwachsenenvertretungen durch die Vereine führen (siehe oben).

 

Mangels geeigneter und dazu bereiter Angehöriger der betroffenen Person oder dieser nahestehender Personen bleibt also praktisch auch künftig als oft einzige Alternative die viel geschmähte Bestellung von Angehörigen eines Rechtsberufes. Dass es unter diesen Berufsgruppen, auch was die Führung von Sachwalterschaften betrifft, „schwarze Schafe“ gibt, kann nicht geleugnet werden - aber die existieren, wie meine leidvolle Erfahrung beweist - auch bei den Vereinen. Ein gewisses „Qualitätsmanagement“ des Gerichts durch die Auswahl und gegebenenfalls auch die Umbestellung des Vertreters und das Nachgehen von Beschwerden, die immer wieder an das Gericht herangetragen werden, vermag hier, wie ich meine, durchaus Abhilfe zu schaffen.

 

Wie mir selbst einmal von einer Vereinssachwalterin berichtet wurde, unterscheidet sich die Führung einer Sachwalterschaft durch einen SW-Verein eigentlich nicht von der durch einen (guten - siehe oben) Rechtsanwalt oder Notar. Was rechtfertigt dann eigentlich die Diskriminierung der Rechtsberufe bzw. die Privilegierung der Sachwaltervereine?

 

In der Praxis können Vereine es sich aussuchen, ob bzw. welche SW-Fälle sie übernehmen. In jedem einzelnen Fall werden gerichtliche Ersuchen um Nominierung verlangt, und die allenfalls in Ausnahmefällen zugesagte Übernahme erfolgt oft erst nach Einsichtnahme in den konkreten Akt. Der Effizienz der Arbeit der Vereine wird offensichtlich kaum ein Augenmerk geschenkt, während - erwiesenermaßen in jeder Hinsicht „gute“ und engagierte - freiberufliche Sachwalter und Sachwalterinnen geradezu in Verruf geraten, wenn bekannt wird, dass sie oft eine große Anzahl von betroffenen Personen betreuen.

 

Während die freiberuflichen Sachwalter ihre Kosten zu 100% aus den vom Gericht zugesprochenen Entschädigungsbeträgen bestreiten müssen, leben die Vereine - denen, wie gesagt, in gleicher Weise Entschädigungsansprüche gegen die von ihnen betreuten Personen zustehen - wie ich erfahren habe, zusätzlich zu 90% von Mitteln der öffentlichen Hand.

 

Dazu kommt sogar noch eine im Gesetz ziemlich gut versteckte „Querfinanzierung“ der Vereine auf Kosten der durch sonstige Sachwalter vertretenen Betroffenen: Die Novelle zum Gerichtsgebührengesetz 2014 (TP 7 lit c) bestimmt eine (feste) Gerichtsgebühr für Entscheidungen über die Genehmigung von Rechtshandlungen Pflegebefohlener (§ 132 AußStrG) und eine Gebühr für Entscheidungen über die Bestätigung der Pflegschaftsrechnung (§ 137 AußStrG) mit einem Viertel der Sachwalterentschädigung. Man kann durchaus die Meinung vertreten, diese Gebühr nehme in manchen Fällen konfiskatorische Ausmaße an, zumal sich der Aufwand für die Prüfungstätigkeit des Gerichts wohl regelmäßig in Grenzen hält, aber nichtdestotrotz die Gerichtsgebühr mit einem Viertel der Entschädigung für die Arbeit des Sachwalters bemessen wird, der die betroffene Person über ein ganzes Jahr hinweg oft umfassend betreut! Diese Gebühreneinnahmen aus TP 7 lit c sind nunmehr zur Förderung der Vereine im Sinne des § 1 VSPBG, also der Sachwaltervereine, zu verwenden. (Welch ein Trost für die betroffene Person, wenn vielleicht gerade hinsichtlich ihrer ein Nominierungsersuchen des Gerichts an den Sachwalterverein von diesem, wie üblich, abschlägig beschieden worden ist!)

 

Die einseitige Bevorzugung und Förderung der SW-Vereine erscheint jedenfalls fragwürdig angesichts einer Zahl engagierter, hoch motivierter Vertreter der Rechtsberufe, die zur Übernahme von Sachwalterschaften bereit sind. Dass für diese die Tätigkeit als Sachwalter nicht attraktiv sein dürfte, zeigen allein schon die Ergebnisse einer vor einigen Jahren von der richterlichen Fachgruppe Familienrecht durchgeführten Erhebung, wonach von einigen Tausend Rechtsanwälten nur etwa 30 sich bereit erklärten, „freiwillig“ Sachwalterschaften zu übernehmen. Trotzdem muss man nicht unbedingt gleich im Gegenzug, um die Effizienz der eingesetzten Geldmittel zu erhöhen, einen einmal gehörten Vorschlag aufgreifen, nämlich die SW-Vereine ersatzlos aufzulösen und mit der Hälfte der eingesparten Budgetmittel einen Fonds zu dotieren, aus dem freiberufliche, engagiert und oft gratis arbeitende Sachwalter teilweise entschädigt werden, wenn sie von mittellosen Betroffenen keinen Kostenersatz zugesprochen erhalten...

 

Vielleicht lässt sich zusammenfassend sagen: Die Reform des Sachwalterschafts- bzw. Erwachsenenvertretungsrechts ist, was ihre differenzierte Sicht und die möglichste Wahrung bzw. Förderung der Autonomie der betroffenen Person angeht, grundsätzlich zu begrüßen, setzt aber in mancherlei Hinsicht „auf's falsche Pferd“!

 

P.S.: In den Gesetzesentwurf dürfte sich ein sinnstörender Schreibfehler eingeschlichen haben. In § 243 Abs 1 ABGB neu sollte es - statt „Die Handlungsfähigkeit einer vertretenden Person wird durch eine Vorsorgevollmacht oder eine Erwachsenenvertretung nicht eingeschränkt“ -  wohl lauten:  „Die Handlungsfähigkeit einer vertretenen Person wird durch eine Vorsorgevollmacht oder eine Erwachsenenvertretung nicht eingeschränkt.“

 

Dr. Michael Stich

 

  REPUBLIK ÖSTERREICH

 

Dr. Michael Stich
Richter


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