MMag. Dr. Wilfried Grießer

Friedrich Schiller-Straße 83

2340 Mödling

 

 

An das

Bundesministerium für Justiz

Museumstraße 7

1070 Wien

 

 

Betreff:  Stellungnahme zur Strafgesetznovelle 2017

 

 

Als Mitglied der österreichischen Gesellschaft für Strafrecht erlaube ich mir, zur StGB-Novelle 2017 Stellung zu nehmen.

 

 

Zu § 207a:

 

Die Ausweitung der Straffreiheit durch Absatz 6 ist zu begrüßen. Die Formulierung „pornographische Darstellung einer (un)mündigen minderjährigen Person von sich selbst“ ist allerdings sprachlich unschön, da die (un)mündige minderjährige Person zunächst als Objekt erscheint (nämlich als das Abgebildete), um mit dem Zusatz „von sich selbst“ Subjekt gewesen sein zu müssen. (Dies betrifft auch den bereits bestehenden Absatz 5 Z. 1a.)

Eine Alternative wäre: „pornographische Darstellung der (un)mündigen minderjährigen eigenen Person“, bzw. sofern die Sequenz „einer (un)mündigen minderjährigen Person“ beibehalten werden soll, „pornographische Darstellung von sich selbst als einer (un)mündigen minderjährigen Person“.

 

 

Zu § 246a:

 

Mit § 246a wird neben der „staatsfeindlichen Verbindung“ (§ 246 StGB) die „staatsfeindliche Bewegung“ eingeführt.

Absatz 1 scheint auf den ersten Blick durchaus restriktiv formuliert: Die Bewegung muß darauf ausgerichtet sein, die Hoheitsrechte der Republik Österreich, der Bundesländer oder der Gemeinden und ihrer Organe nicht anzuerkennen oder sich solche Hoheitsbefugnisse selbst anzumaßen; ferner muß es deren (wenn auch nicht ausschließlicher) Zweck sein, auf gesetzwidrige Weise die Vollziehung von Gesetzen, Verordnungen oder sonstigen Entscheidungen der Behörden zu verhindern, und diese Ausrichtung muß sich in zumindest einer tatsächlichen Handlung gegenüber einer Behörde für diese eindeutig manifestiert haben.

(Grammatikalisch sei bemerkt, daß das Komma vor „oder sonstigen Entscheidungen“ fehl am Platz scheint.)

Zur Strafbarkeit genügt also, so scheint es zunächst, keineswegs die (nach außen getretene) individuelle Gesinnung einer Nichtanerkennung von Hoheitsrechten, sondern es muß erstens eine Bewegung vorliegen, die zweitens nicht nur ihre Ausrichtung, sondern nachgerade ihren Zweck darin hat, die Vollziehung von Gesetzen usw. konkret zu verhindern. Drittens muß diese Verhinderung auf gesetzwidrige Weise erfolgen (und nicht etwa durch eine angemeldete Demonstration gegen den Vollzug bestimmter Gesetze), und viertens muß es zu zumindest einer „einschlägigen“ Handlung tatsächlich gekommen sein.

 

Demgegenüber gab es schon im Vorfeld massive Bedenken gegen diesen neuen Straftatbestand, da gesetzwidrige Handlungen gegen den Vollzug von Gesetzen usw. in aller Regel ohnedies strafbar sind, wovon auch jüngst ergangene Verurteilungen einzelner Proponenten solcher Gruppierungen wegen Nötigung, Erpressung, gefährlicher Drohung u.ä. zeugen. Greift das gerichtliche Strafrecht nicht, greift in vielen Fällen das Verwaltungsstrafrecht, das z.B. die Behinderung einer Amtshandlung pönalisiert.

Die bei konkreten Handlungen zumeist also ohnehin gegebene Strafbarkeit (daher auch die Formulierung des Absatzes 3) läßt befürchten, daß hinkünftig auch oder sogar vorwiegend solche Handlungen pönalisiert werden sollen, die keine Nötigung, Erpressung, Drohung u.ä. – jedenfalls nicht durch die beschuldigte Person – beinhalten. Sondern Handlungen, die in der mitunter nur verbalen Manifestation einer Gesinnung bestehen – etwa in „Sinnlos-Eingaben“ an Behörden oder gar nur in theoretischen Überlegungen.

 

Diese Bedenken scheinen berechtigt: In Absatz 1 ist fraglich, ob die geforderte Handlung gegenüber einer Behörde überhaupt durch den Beschuldigten selbst begangen worden sein muß und nicht bloß durch irgendein Mitglied der jeweiligen Bewegung.

Selbst wenn die Handlung durch den Beschuldigten persönlich begangen werden muß, bleibt, daß sich in ihr nur die „staatsfeindliche“ Ausrichtung der Bewegung manifestieren muß und nicht auch deren spezifischerer Zweck, den Vollzug von Gesetzen usw. in gesetzwidriger Weise zu verhindern. Damit scheinen in der Tat bereits „Sinnlos-Eingaben“ an Behörden erfaßt, wenn durch sie eine „staatsfeindliche“ Gesinnung erkennbar ist und der Beschuldigte einer bestimmteren Bewegung zuordenbar ist.

 

Absatz 2 nimmt den Passus der geforderten Handlung erst gar nicht auf – was die These stützt, daß die Begehung der geforderten „staatsfeindlichen“ Handlung durch irgendein Mitglied der Bewegung bereits ausreicht. (Denn wenn es konstitutiv zur Bewegung gehört, daß zumindest eine einschlägige Handlung tatsächlich begangen wurde, wäre es redundant, in Absatz 2 nach dem Passus „an einer solchen Bewegung teilnimmt“ die zu begehende Handlung nochmals zu erwähnen.)

Damit aber gilt: Selbst wenn die Handlung der Bewegung (sprich: irgendeines Mitglieds) eine gesetzwidrige sein müßte (und nicht bloß eine Sinnlos-Eingabe o.ä.), kann dasjenige, was die Teilnahme an der Bewegung erweist, nur weiter gefaßt sein.

 

Ausnehmend weiter Begriff von „Bewegung“ in Absatz 4

 

Absatz 4 lautet: „Eine Bewegung ist eine größere Zahl von Menschen, die auf die gleiche Gesinnung oder das gleiche Ziel ausgerichtet ist.“

 

Zu dieser Bestimmung ist zunächst grammatikalisch zu bemerken, daß eine Zahl (welcher Größe auch immer) auf keine Gesinnung und auf kein Ziel ausgerichtet sein kann, sondern daß nur Menschen dies sein können. Es sollte daher heißen: „Eine Bewegung ist eine größere Zahl (besser: „Anzahl“) von Menschen, die auf die gleiche Gesinnung oder das gleiche Ziel ausgerichtet sind.“

 

Zum Inhalt von Absatz 4: Es leuchtet ein, daß es im Zeitalter des Internet umwillen einer wirkmächtigen und an Zulauf gewinnenden gemeinschaftlich koordinierten Betätigung keiner straffen Organisationsform und auch keiner physischen Treffen der Mitglieder mehr bedarf. Dennoch geht es entschieden zu weit, letztlich schon im zufälligen Vorliegen der gleichen (manifesten) Gesinnung bei mehreren Menschen unabhängig voneinander eine „Bewegung“ ersehen zu wollen.

Folgt man der medialen Berichterstattung im Vorfeld der Kreation dieses neuen Straftatbestands, scheint die Sache tatsächlich so weitgefaßt gemeint, war doch die Rede davon, auch „staatsfeindliche“ Einzelpersonen, die keiner bestimmteren Gruppierung angehören, bestrafen zu wollen.

Die geforderte Ausrichtung dieser größeren Anzahl an Menschen auf die gleiche Gesinnung oder das gleiche Ziel deutet zwar eine überindividuelle Koordinierung an, expliziert eine solche jedoch nicht. Absatz 4 sollte zumindest lauten: „Eine Bewegung ist eine größere Anzahl von Menschen, die in koordinierter Weise auf das gleiche Ziel ausgerichtet sind.“

(Die „Gesinnung“ hat in einem liberalen Rechtsstaat ohnehin nichts verloren. Sie einzufordern, ist Kennzeichen eines Totalitarismus.)

 

Rückwirkung von Absatz 4 auf die Absätze 1 und 2


Mit der sehr weiten (und durch die Erläuterungen bestätigten) Formulierung des Absatzes 4 besteht die Gefahr, bestimmtere Ziele der Gruppierung A sowie manifest gewordene Handlungen eines Mitglieds der Gruppierung A bloß aufgrund der gleichen manifest gewordenen Gesinnung auch einem Mitglied der (noch nicht in Erscheinung getretenen) Gruppierung B bzw. einer Person, die gar keiner bestimmteren Bewegung angehört, zuzurechnen.

Durch diesen Kunstgriff sind die zunächst restriktiv scheinenden Vorgaben einer Strafbarkeit (bestimmterer Zweck einer gesetzwidrigen Verhinderung des Vollzugs von Hoheitsrechten, tatsächlich eingetretene Handlung) stets gegeben, da aggressiv auftretende „staatsfeindliche“ Gruppen in der Tat bestehen und es de facto auch zu einschlägigen Handlungen gekommen ist. Die zunächst restriktiven Vorgaben einer Strafbarkeit erscheinen spätestens mit Absatz 4 als „Beruhigungspille“.

 

Werden quer durch bestehende Gruppierungen hindurch „Bewegungen“ konstruiert oder gar

sämtliche „staatsfeindlichen“ Bewegungen zu einer einzigen „Bewegung“ zusammengefaßt, um jederzeit auch isoliert vorgehende Einzelpersonen einer „Bewegung“ zurechnen zu können, so ist schon strafbar, wer in bloß theoretischer Manier Hoheitsrechte in Frage stellt und diese Gesinnung gegenüber zumindest einer Person nach außen trägt.

Nur eher ist strafbar, wer unter Absprechung von Hoheitsrechten eine Eingabe an eine Behörde richtet. Er verursacht hierdurch mitunter erheblichen Verwaltungsaufwand, doch sollte das gerichtliche Strafrecht sich als ultima ratio verstehen. Wer nicht nötigt, erpreßt oder droht, ist zwar lästig, begeht jedoch kein crimen, zumal auch andere absurde „Begründungen“ für Einsprüche gegen Strafverfügungen u.ä. in Betracht kommen.

 

Weder muß eine Person an Treffen einer bestimmten Organisation teilnehmen noch erfundene Ausweise verwenden oder auch nur mit sich führen, sondern es reicht, Ideen, die den Staat und dessen hoheitliche Vollzüge in Abrede stellen, gegenüber auch nur einer Person nach außen zu tragen, um an einer „staatsfeindlichen Bewegung“ im Sinne von Absatz 2 teilzunehmen.

So heißt es in den Erläuterungen: „Eine Bewegung gründet derjenige, der staatsfeindliche Gedankenkonstrukte erfindet oder solche Theorien aufstellt und diese anschließend anderen zugänglich macht.“

Weiter geht es kaum – und hier ist, wohlgemerkt, von der mit höherem Strafmaß bedachten Gründung die Rede! In der getroffenen Formulierung fehlt jeder Verweis auf ein vorliegendes Konkretionsstadium, sowie darauf, überhaupt eine Bewegung gründen zu wollen, ferner der Zweck, hoheitliche Vollzüge gesetzwidrig verhindern zu wollen. Auch muß die Zugänglichmachung bloßer Gedanken und Theorien keinen Aufforderungscharakter haben, ja nicht einmal von affektiver Zustimmung getragen sein. Wer aus Spaß die Theorie aufstellt, Österreichs eigentlich legitime Regierung seien grüne Zwerge am Jupiter, und dies (ohne es als Spaß erkennen zu lassen) einem Freund mitteilt, könnte sich strafbar machen.

Zur (bloßen) Teilnahme an einer solchen Bewegung erklären die Erläuterungen: „Es reicht aus, wenn eine Person beispielsweise Eingaben an Behörden richtet, welche auf dieser staatsfeindlichen Gesinnung beruhen“ oder wenn sie sich „auf die Theorien dieser Bewegungen beruft bzw. diese nach außen vertritt.“ Und zusammenfassend: „Die Person muss sich (...) der Gesinnung angeschlossen haben und dies auch in irgendeiner Form nach außen tragen.“

 

Ein „Verbotsgesetz light“

 

Auf diese Weise entsteht mit § 246a ein „Verbotsgesetz light“, bereits jedwede nach außen tretende Infragestellung staatlicher Hoheitsrechte als Teilnahme an einer „staatsfeindlichen Bewegung“ bestrafen zu können, auch wenn dies (wenigstens zunächst) vermutlich nicht der tatsächlichen Vollzugspraxis entsprechen wird.

Eine Analogie zum NS-Verbotsgesetz besteht schon darin, daß die Erläuterungen zu § 246a einleitend auf „Verschwörungstheorien“ Bezug nehmen und „staatsfeindliche Bewegungen“ erkennbar politisch „rechts“ verorten, gleich, ob dies in jedem einzelnen Fall tatsächlich zutrifft.

So, wie bloßer Deutschnationalismus unter Berufung auf Artikel 4 des Staatsvertrags von Wien lange Zeit im Vorfeld des Verbotsgesetzes verortet werden konnte, droht § 246a auch rein theoretische Manifestationen zu pönalisieren, die von „rechts“ kommen mögen und für die (trotz zuweilen „einschlägig“ klingender Selbstbezeichnungen wie „Reichsbürger“) das NS-Verbotsgesetz nicht hinreicht.

Es droht eine Ausweitung der Pönalisierung schon von bloßer (massiver) Systemkritik über die Grenzen des Verbotsgesetzes hinaus.

Indessen werden Gruppierungen, die z.B. Abschiebungen illegal aufhältiger Personen in gesetzwidriger Weise zu torpedieren versuchen, von § 246a nicht erfaßt, da sie sich zur Republik Österreich bekennen, obgleich auch sie sich oftmals anmaßen, gegen einen „faschistischen“ Staat das „wahre“, „demokratische“ Österreich zu repräsentieren.

Auch das weit verbreitete Phänomen, religiöse Gesetze über diejenigen des Staates zu stellen, gilt nicht als „staatsfeindliche Gesinnung“ im Sinne des § 246a, und zwar selbst dann nicht, wenn aus vorgeblich religiösen Gründen behördliche Akte torpediert werden sollten.

 

Welches Rechtsgut wird geschützt?

 

Das geschützte Rechtsgut des § 246a ist vor diesem Hintergrund zweifellos die Anerkennung der Republik Österreich und nicht (bzw. erst in zweiter Linie) der ordnungsgemäße Vollzug von Gesetzen und sohin des Rechtsstaats.

Ganz in diesem Sinne verstehen die Erläuterungen als „Bewegung“ eine größere Zahl von Menschen, „die mit der gleichen staatsfeindlichen Gesinnung den Staat nicht anerkennen oder sich dessen Befugnisse zu dem Zweck anmaßen, die Vollziehung von Gesetzen, Verordnungen oder Entscheidungen von Behörden zu verhindern“. Anders als im Wortlaut des Absatzes 1 scheint im ersten Fall der Nichtanerkennung des Staates der bestimmtere Zweck einer Verhinderung der Vollziehung von Gesetzen gar nicht gefordert. Dieser tritt erst im zweiten Fall der Anmaßung von Hoheitsrechten als Bedingung hinzu.

 

Tatsächlich sollte es sich in einem liberalen Rechtsstaat umgekehrt verhalten: Die Gesinnung, den Staat an sich sowie die Ausübung von dessen Hoheitsrechten zu bejahen oder nicht, sollte den Behörden gleichgültig sein. Sieht man einen tatsächlichen Bedarf für einen zusätzlichen Straftatbestand, so könnte dieser darin bestehen, organisiert und wiederholt den Vollzug von Gesetzen, Verordnungen usw. in gesetzwidriger Weise zu verhindern. Auf eine Anerkennung oder Nichtanerkennnung des Staates sollte kein Bezug genommen werden.

 

Renaissance der „Republikflucht“

 

Mit der Abhebung auf die Anerkennung der Republik Österreich bestraft § 246a StGB im Kern so etwas wie „Republikflucht“ – nicht sehen wollend, daß die „innere Emigration“ aus dem österreichischen Staat genau durch derartige „Gesinnungsparagraphen“ (einhergehend mit einer immer exzessiveren Anwendung des NS-Verbotsgesetzes[1] sowie der §§ 188 und 283 StGB) initiiert wird. Wird im Zeichen eines „Nanny-Staates“, der zu schützende Opfergruppen definiert und zu immer mehr Themen (Zeitgeschichte, Migration, sexuelle Identität und Orientierung) verbindliche Kategorien vorgibt, die Freiheit und Eigenverantwortung der Bürger zusehends beschnitten, gewinnen abstrakte Freiheitsvorstellungen à la „Freemen“ an Raum. Was der Staat vermittels § 246a StGB bestrafen möchte, befördert er dadurch, daß er es bestraft.

 

Berufen die Erläuterungen sich auf das Vertrauen der Bevölkerung in die Behörden, das durch die Duldung selbsternannter „Reichsbürger“ u.ä. erschüttert werde, so sei bemerkt, daß die Republik Österreich in der sogenannten „Flüchtlingskrise“ des Jahres 2015 von sich aus zentrale Hoheitsrechte über Monate aufgegeben hat. Durch nicht erfolgte Grenzkontrollen sowie die nicht erfolgte Registrierung der überwiegend illegal Einreisenden wurde das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat weit umfassender erschüttert, als dies eine Handvoll skurriler Außenseiter jemals erreichen könnte.

 

Auswirkung von Absatz 4 auf Absatz 5

 

Mit Absatz 4 verliert auch Absatz 5 jede Kontur. Denn wenn eine „Bewegung“ schon in der bloßen Tatsache besteht, daß mehrere Personen, auch unabhängig voneinander und ohne Kenntnis voneinander, auf die gleiche Gesinnung oder das gleiche Ziel ausgerichtet sind, ist der erfolgte bzw. nicht erfolgte Rückzug aus einer solchen Bewegung gleichsam eine zuhöchst unbestimmte Kategorie.

 

Konkurrenz zu § 282  StGB

 

§ 282 StGB stellt unter Strafe, auf eine Weise, daß es einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, zu einer mit Strafe bedrohten Handlung aufzufordern (Absatz 1) sowie eine vorsätzlich begangene, mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Handlung in einer Art gutzuheißen, die geeignet ist, das allgemeine Rechtsempfinden zu empören oder zur Begehung einer solchen Handlung aufzureizen (Absatz 2). Der Strafrahmen beträgt in beiden Fällen zwei Jahre Freiheitsstrafe.

 

Wie ist künftig zu verfahren, wenn jemand „staatsfeindliche“ Handlungen vor einer breiten Öffentlichkeit gutheißt? Zufolge § 246a Absatz 3 ist derjenige nach § 282 (2) StGB zu bestrafen und nicht nach § 246a (2). So tritt denn auch gegen die Außenwirkung bloß gegen eine Person das Merkmal der breiten Öffentlichkeit hinzu. Dem steht jedoch entgegen, daß die Gutheißung „staatsfeindlicher“ Handlungen (z.B. Bescheide nicht anzuerkennen oder keine Steuern zu zahlen) das zweifellos spezifischere Merkmal darstellt und rechtslogisch das spezifischere Gesetz zur Anwendung gelangen sollte – also § 246a (2).

 

Ein „Schnüffelparagraph“?

 

Mit der Weite und Unbestimmtheit seines Tatbilds kann § 246a StGB den Anlaß geben, aufgrund irgendwelcher „einschlägigen“ Manifestationen (z.B. Postings in Internetforen) einen Verdacht der strafbaren „staatsfeindlichen“ Betätigung zu erheben und eine Hausdurchsuchung durchzuführen. Wird dabei „staatsfeindliche“ Literatur gefunden, deren bloßer Besitz nicht strafbar ist, kann ein solcher Fund bereits der Erhärtung der subjektiven Tatseite dienen.

Mitunter geht es bei § 246a gar nicht darum, hinkünftig „Staatsfeinde“ sonder Zahl anzuklagen, sondern Kenntnisse über eine teils „rechtsaffine“ Szenerie zu erlangen.

 

§ 246a als abstraktes Gefährdungsdelikt

 

In aller Deutlichkeit zeigt sich, daß § 246a StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt konzipiert ist (so berufen sich auch die Erläuterungen auf eine angeblich große Gefahr zunehmend gewalttätiger Aktionen) und nicht bloß der nachträglichen Sanktionierung tatsächlich durch die beschuldigte Person getätigter Handlungen einer gesetzwidrigen Verhinderung behördlichen Handelns dient. § 246a stellt somit einen weiteren Schritt in die fragwürdige Richtung eines Präventionsstrafrechts dar, nicht erst die Tat, sondern schon die „böse Gesinnung“ zu bestrafen.

Ein Weiteres: Wurde mit der StGB-Novelle 2015 die „Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze“ (§ 281) gestrichen, so kehrt sie in Gestalt von § 246a flugs ins Strafrecht zurück.

 

Conclusio:

 

Sofern man überhaupt einen neuen Straftatbestand für notwendig erachtet, sollten folgende Punkte bedacht werden:

·        Der Begriff der „Bewegung“ in Absatz 4 muß konkreter gefaßt werden und mindestens eine interne Kommunikation und Koordination in Hinblick auf das „staatsfeindliche“ Ziel beinhalten.

·        Die in Absatz 1 geforderte eindeutige Handlung gegenüber einer Behörde sollte zwingend vom Beschuldigten begangen werden müssen. Nur so ist sichergestellt, daß nicht auch bloß theoretische Beiträge nicht organisierter Einzelner fernab einer Kontaktnahme mit Behörden aufgrund einer unterstellten „Gesinnung“ strafbar werden (und dies womöglich schon als „Gründung“).

·        Da eine solche Handlung nicht zwingend in der gesetzwidrigen Verhinderung behördlichen Handelns bestehen muß (dies muß lediglich ein Zweck der Bewegung sein, wogegen sich deren in der Handlung zu manifestierende „Ausrichtung“ auf die Bestreitung bzw. Anmaßung von Hoheitsrechten beschränkt), sollte überdies gefordert werden, daß es sich um eine gesetzwidrige Handlung des Beschuldigten handelt (und nicht etwa bloß um eine Sinnlos-Eingabe).

·        Kann der Gesetzgeber sich nicht zu einer geforderten bestimmten Handlung des Beschuldigten entschließen, müßte mindestens die tatsächlich erfolgte Handlung der Bewegung (sprich: eines anderen Mitglieds der Bewegung) eine gesetzwidrige Verhinderung des Vollzugs von Gesetzen sein und keine unbestimmtere Manifestation bloß einer „Ausrichtung“.

·        Auch sollte erst ein Gericht und nicht schon eine betroffene Behörde die „eindeutige“ Manifestation der „staatsfeindlichen“ Ausrichtung feststellen, da ansonsten eine Instanz der exekutiven Gewalt Feststellungen trifft, die dem Gericht vorbehalten sein sollten.

 

 

Zu § 270:

 

Die Erhöhung des Strafmaßes auf 2 Jahre stellt eine Vervierfachung des bisherigen Strafmaßes dar. Bedenkt man, daß massivere Angriffe, die nur zufällig ohne Verletzung des Beamten ausgehen, als (versuchte) Körperverletzung geahndet werden können, scheint – trotz des Anstiegs derartiger Delikte – eine Strafobergrenze von einem Jahr ausreichend.

 

 

Zu § 270a:

 

1) Sprachliches: Die Wortfolge „Kontrolle oder Lenkung“ wäre sinnvollerweise zu tauschen, da die Kontrolle eines Massenverkehrsmittels (bzw. eigentlich der Fahrgäste) dessen Lenkung voraussetzt.

Ein Schienenfahrzeug wird nicht „gelenkt“, sondern „geführt“ (siehe z.B. die Berufsbezeichnung „Triebfahrzeugführer“).

Kontrolliert werden die Fahrgäste eines Massenverkehrsmittels und nicht etwa das Fahrzeug als solches. (§ 270a zielt jedenfalls nicht auf den Schutz zur technischen Kontrolle abgestellter Organe ab.)

In dem Satz: „Mit der Kontrolle oder Lenkung eines Massenbeförderungsmittels betrautes Organ ist jede Person, die mit der Überprüfung der Einhaltung der jeweiligen Beförderungsbedingungen der Inbetriebnahme und Lenkung des

Massenbeförderungsmittels betraut ist“ fehlt vor „der Inbetriebnahme“ ein Komma, denn es geht nicht um Bedingungen der Inbetriebnahme.

 

2) Inhaltliche Bewertung: Sinnvoll wäre eine Ausweitung auf sämtliche als solche erkennbare Mitarbeiter von Massenverkehrsmitteln. Es leuchtet nicht ein, warum z.B. ÖBB-Verschubpersonal oder (wo noch vorhanden) Fahrdienstleiter keinen qualifizierten Schutz vor tätlichen Angriffen genießen sollen. Mit dem Zusatz „während der Ausübung seiner Tätigkeit“ scheint indes nicht einmal sichergestellt, daß ein Straßenbahnfahrer, der sich neben seiner Garnitur im Freien aufhält oder durch die Garnitur durchgeht, auch in dieser Situation vor tätlichen Angriffen geschützt ist.

 

Darüber hinaus sollte auch z.B. medizinisches Personal vor tätlichen Angriffen geschützt sein – auch gegen diese Berufsgruppe kommt es bekanntlich vermehrt zu Tätlichkeiten. Wenn § 270a mit der Schutzlosigkeit von Zugbegleitern, Fahrscheinkontrolloren oder Buslenkern begründet wird, so gilt dies nicht minder für Ärzte/Ärztinnen, Pflegepersonal in Spitälern usw., die im Gegensatz etwa zu Fahrscheinkontrolloren im Hinblick auf „brenzlige“ Situationen gar nicht eigens geschult werden.

 

Idealerweise sollte § 270a, um nicht am Ende tätliche Angriffe gegen jedwede Person mit zwei Jahren Freiheitsstrafe zu bedrohen, entgegen der Erläuterungen nicht auf die Schutzlosigkeit der Person im Moment eines tätlichen Angriffs abheben, sondern auf den Schutz wichtiger öffentlicher Infrastruktur. Während § 270 StGB „Beamte“ (also Staatsdiener im engeren Sinn) schützt, könnte § 270a auf den Schutz mit der Aufrechterhaltung öffentlicher Infrastruktur (Verkehrs-, Energie-, Gesundheits-, Bildungsinfrastruktur etc.) betrauter Personen vor tätlichen Angriffen abheben.

Unter den Titel „Strafbare Handlungen gegen die Staatsgewalt“ des neunzehnten Abschnitts des StGB fügt sich § 270a ohnedies auch im Begutachtungsentwurf nicht. Selbst wenn primär an große Verkehrsunternehmen der öffentlichen Hand gedacht sein sollte und ein Fahrscheinkontrollor in der Aufnahme von Personalien und der Ausstellung einer Vertragsstrafe „polizeiähnliche“ Handlungen vollzieht, läßt sich spätestens das Lenken eines Autobusses nicht unter den Titel „Staatsgewalt“ subsumieren. Hier verstattete der Oberbegriff öffentlicher Infrastruktur noch eher einen Bezug zum Staat, zumal ein tätlicher Angriff z.B. auf Spitalspersonal (ebenso wie auf einen Straßenbahnfahrer) meist auch eine (vorübergehende) Beeinträchtigung der öffentlichen Infrastruktur darstellt.

 

3) Zum Strafmaß: Während hinsichtlich der vor tätlichen Angriffen zu schützenden Personen für eine Ausweitung des § 270a auf sämtliche mit der Aufrechterhaltung öffentlicher Infrastruktur betrauten Personen plädiert wird, schiene beim Strafmaß Zurückhaltung geboten: Wenn ein tätlicher Angriff auf einen Polizisten recte einen Angriff auf den Staat darstellt, scheint bei § 270a, folgt man den Erläuterungen, mit der Schutzlosigkeit in der jeweiligen Situation argumentiert, um das gleiche Strafmaß wie bei § 270 StGB zu rechtfertigen. Dieses (implizite) Argument muß man allerdings relativieren: Die Schußwaffe nützt einem Polizisten bei einem plötzlichen Tritt, Stoß u.ä. gar nichts. Umgekehrt, werden Fahrscheinkontrollore und Zugbegleiter ebenfalls auf „brenzlige“ Situationen trainiert.

 

Sofern man § 270 StGB hinkünftig mit zwei Jahren Freiheitsstrafe bedenken möchte, scheint bei § 270a ein Strafmaß von sechs Monaten Freiheitsstrafe ausreichend – schon weil es sich um einen neu eingeführten (ergo noch nicht erprobten) Straftatbestand handelt und der tätliche Angriff nicht (auch) recte dem Staat gilt. Hinzu kommt, daß Polizist/innen umfassend ausgebildet werden, während Kontrollpersonal in Massenverkehrsmitteln (eine Aufgabe, für die oft auch private Security-Firmen engagiert werden) rechtlich wie tariflich im Schnellverfahren geschult wird – was ein unangemessenes Auftreten gegenüber Kunden und damit (leider auch) tätliche Angriffe begünstigen kann. Ein tätlichen Angriffen gegen Polizist/innen gleichgestelltes Strafmaß schiene allenfalls dann rechtfertigbar, wenn auch Security-Personal im Auftrag von Verkehrsunternehmen zu standardisierende rechtliche und sonstige Schulungen vorweisen muß.

 

 

Hochachtungsvoll,

Dr. Wilfried Grießer.

 

 

 

 



[1] Immer öfter erfolgen Verurteilungen bereits für eine singuläre Handlung, ohne daß neonazistische Vernetzung vorliegt oder belastendes Material bei Hausdurchsuchungen gefunden wird. Die Tatsache, daß bislang Unbescholtene für ein einziges unbedachtes Posting (aufgrund der Strafdrohung sämtlicher Paragraphen des Verbotsgesetzes) als Verbrecher verurteilt werden und sohin öffentlich als Verbrecher gelten, ist hochgradig geeignet, der österreichischen Staatsmacht die geistige Gefolgschaft zu entziehen. Völlig vergessen scheint die Judikatur des VfGH zur Abhebung des Verbotsgesetzes von der Verwaltungsstrafbestimmung des EGVG, die für ersteres den Vorsatz fordert, „in Österreich wieder ein nationalsozialistisches Regime zu installieren“, um allen sonstigen „Unfug“ dem Verwaltungsstrafrecht zuzuweisen (VfSlg. 12.002).

Auch die 2016 durch ein Sondergesetz beschlossene Enteignung einer Hausbesitzerin bloß daraufhin, daß in einem längst abgerissenen Nebengebäude ein Diktator zur Welt kam und die Besitzerin ihre Immobilie an dubiose Interessenten verkaufen könnte, ist ein Schlag ins Gesicht für jeden liberal-rechtsstaatlich denkenden Menschen.