987/A(E) XXVI. GP

Eingebracht am 03.07.2019
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Rücknahme der unverhältnismäßig eingesetzten Kontrollen an der ös­terreichischen Staatsgrenze

Durch ein Schreiben an die Europäische Kommission teilte der ehemalige österreichi­sche Innenminister im Oktober 2018 mit. dass Österreich die 2015 installierten Kontrol­len an der Staatsgrenze Österreichs um weitere sechs Monate verlängern wird. Als Gründe dafür nannte Kickl "nicht ausreichende Stabilität" der Lage bezüglich Sekundär­migration und innerer Sicherheit. Mitte April 2019 verlängerte er diese Kontrollen erneut mit der Begründung von "nach wie vor zu hoher Zahlen von Aufgriffen illegal eingereister bzw. aufhältiger Personen" und einer "latenten Terrorgefahr".

Der Schengenraum ist eigentlich ein Gebiet ohne Binnengrenzen und entsprechende Kontrollen an diesen. Gemäß dem Schengener Grenzkodex (Art. 25 ff. VO 2016/399) ist es den Schengen-Staaten in absoluten Ausnahmesituationen gestattet, temporär und nur bei ernsthafter Bedrohung der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung, Grenzkontrollen an den nationalen Grenzen einzuführen. Das Schengen-Abkommen macht klar, dass von dieser Möglichkeit nur in einer absoluten Notsituation als letztes Mittel Gebrauch gemacht werden darf, denn es geht dabei um die Einschränkung der Freiheit von Bürger_innen. Der Text des Abkommens besagt: "Die vorübergehende Wie­dereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen darf in Umfang und Dauer nicht über das Maß hinausgehen, das zur Bewältigung der ernsthaften Bedrohung unbedingt erforderlich ist."

Die von der Bundesregierung vorgebrachten Gründe für die Verlängerung der Grenzkon­trollen konstituieren keine solche Ausnahmesituation. Seit dem Höhepunkt der Flücht­lingskrise 2015 sind die illegalen Grenzgänge europaweit um 95% gesunken. Gleichsam ist die Zahl der Asylanträge in Österreich zuletzt stark zurückgegangen: Im Jahre 2018 wurden in Österreich 13.400 Asylanträge gestellt und damit die Obergrenze nicht einmal zur Hälfte ausgeschöpft. Eingeführt wurden die Grenzkontrollen 2015. Damals re­gistrierte Österreich von Jänner bis August noch 46.144 Asylanträge. Von einer anhal­tenden Notsituation kann also nicht mehr die Rede sein.

Walter Obwexer, Europarechtsexperte an der Universität Innsbruck, weist daraufhin, dass Mitgliedstaaten Kontrollen gemäß Schengener Grenzkodex nur vorübergehend und bis zu einer Dauer von zwei Jahren einführen dürfen und diese einmalig um 6 Monate verlängern dürfen (ORF Tirol, 12.09.18). Diese Zeit ist für Österreich im Mai 2018 abge­laufen. Auch der Asyl- und Europarechtsexperte Jorrit Rijpma von der Universität Leiden nannte die zeitgleich stattfindenden deutschen Kontrollen an der Grenze zu Österreich illegal, da die Fristen im Mai 2018 ausgeschöpft waren (SZ, 23.06.18). Experten zufolge sind also Österreichs Verlängerung der Kontrollen also seit Mai 2018 europarechtswid­rig.

Ein Wiedereinführen der nationalen Grenzen im Schengenraum wirkt sich auf direktem Wege negativ auf die Wirtschaft aus. Expert_innen gehen von hohen Kosten aus, die durch Wartezeiten an den Grenzen verursachen werden: Pönalzahlungen bei Lieferver­zögerungen, ausbleibende Tourist_innen und andere Hindernisse für Unternehmer_in­nen, etwa die Notwendigkeit einer Personalverdoppelung z.B. bei Buschauffeur_innen und LKW-Fahrer_innen, aufgrund geltender Arbeitszeitbeschränkungen. Kontrollen an den österreichischen Grenzen führen zu vermehrten Verkehrsstaus und großen Zeitver­lusten für privat oder beruflich Reisende. Sie sind ein Hindernis für die Arbeitskräftemobi­lität und eine Behinderung für jedes Unternehmen, das grenzüberschreitend Dienstleis­tungen anbietet. Die Bundesregierung verursacht diesen finanziellen Schaden entweder völlig bewusst oder mangels einer Folgenabschätzung der gesetzten Maßnahme.

Die Wirtschaftskammer bezifferte den Schaden für die Transportwirtschaft 2017 auf­grund der bisherigen Grenzkontrollen an einigen Grenzübergängen mit mindestens 3,2 Mio Euro pro Stunde. Mehr als die Hälfte des österreichischen Wohlstands wird im Aus­land erwirtschaftet, mehr als die Hälfte der österreichischen Wertschöpfung basiert auf Export. Der Großteil der österreichischen Exporte entfällt auf EU-Staaten bzw. andere Schengen-Länder. Das deutsche ifo-Institut hat errechnet, dass Kontrollen an allen Schengengrenzen das Handelsvolumen um 4,25% schrumpfen lassen würden und das BIP um 790 Mio bis 1,96 Mrd niedriger wäre.

Negative Effekte der Grenzkontrollen und Wartezeiten an den österreichischen Grenzen betreffen besonders den Tagestourismus. Mit 565 Staus im Sommerreiseverkehr - ei­nem Plus von 12,1% gegenüber dem Vorjahr - bilanzieren die ÖAMTC-Mobilitätsinfor- mationen den Sommerreiseverkehr 2018. Diesen Daten zufolge waren für beinahe 10% der Staus die Grenzkontrollen verantwortlich. Von den 97 Mio Übernachtungen, die Nicht-Österreicher_innen jährlich hierzulande buchen, entfallen 82 Mio auf andere Mit­gliedstaaten. Touristennächtigungen sind nach der Schengen-Erweiterung beträchtlich angestiegen und werden nun zu einem Teil Opfer der Angstpolitik der Bundesregierung. In Grenzregionen leidet besonders der Schitourismus unter Rückgängen. Schätzungen für Westösterreich gehen von einem Rückgang zwischen 10 und 30% aus, wobei nicht alle Gebiete gleich stark betroffen sind.

Gleichzeitig stellt der Assistenzeinsatz des Österreichischen Bundesheeres an der Grenze, der als Maßnahme unverhältnismäßig ist, eine große zusätzliche Belastung für das ohnehin desolate Heer dar, die aufgrund der eindeutig beruhigten Situation nicht mehr rechtfertigbar ist.

Insgesamt ist durch diese neuerlich verlängerten Kontrollen an den nationalen Grenzen von einem nennenswerten Schaden für die Wirtschaft, Verkehrsbehinderungen, Schä­den an der Umwelt und einer völlig unverhältnismäßigen Einschränkung der Personen­freizügigkeit, also einem Schaden für Österreich in vielerlei Hinsicht, auszugehen.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler und der Bundesminister für In­neres, wird aufgefordert, die Verlängerung der Kontrollen an den österreichischen Staatsgrenzen sofort zurückzunehmen. Die österreichische Bundesregierung wird außer­dem aufgefordert, ihre Verantwortung wahrzunehmen, auf eine europäische Einigung zur Rückkehr zum Normalzustand im Schengenraum und damit ein Ende der Binnengrenz­kontrollen auch durch andere Staaten hinzuwirken."

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für innere Angelegenheiten vorgeschlagen.