Gleichbehandlungsausschuss

 

 

 

 

Auszugsweise Darstellung

(verfasst von der Abteilung L1.4 – Stenographische Protokolle)

 

8. Sitzung

Dienstag, 12. März 2019

11.07 Uhr – 16.05 Uhr

Großer Redoutensaal


Beginn der Sitzung: 11.07 Uhr

Hearing zu:

Volksbegehren „Frauenvolksbegehren“ (433 d.B.)

Obfrau Gabriele Heinisch-Hosek nimmt die am 26. Februar 2019 vertagten Verhandlungen über das Volksbegehren „Frauenvolksbegehren“ zunächst nicht öffentlich wieder auf und begrüßt alle Anwesenden, insbesondere den gemäß § 37 Abs. 4 GOG-NR beizuziehenden Bevollmächtigten des Volksbegehrens, Herrn Christian Berger, sowie die von ihm nominierten Stellvertreterinnen, Frau Schifteh Hashemi Gerdehi und Frau Andrea Hladky.

Die Klubs, so die Obfrau, haben vereinbart, zu diesem Volksbegehren ein öffentliches Hearing mit Expertinnen und Experten durchzuführen. In dieser Sitzung werden die Themenbereiche 6 bis 9 des Volksbegehrens – Vielfalt leben, selbst bestimmen, Gewalt verhindern sowie Schutz gewähren – behandelt. Folgende Auskunftspersonen, über deren Beiziehung gemäß § 40 Abs. 1 GOG-NR Beschluss zu fassen ist, wurden nominiert: 

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mazal (Universität Wien),

Generalmajor Gerhard Lang, BA MA (Bundesministerium für Inneres),

Mag.Ina Holzinger (Bundesministerium für Inneres),

Mag.Maria Lee-Nowotny (Universität Wien),

Prim. Univ.-Prof.in DDr.in MMag.a Barbara Maier (Wilhelminenspital; Österreichische Gesellschaft für Familienplanung),

Ass.Prof.in Mag.a Dr.in Katharina Beclin (Universität Wien),

Sabine Stevanovic (Orient Express (Beratungs-, Bildungs- und Kulturinitiative für Frauen)),

Ao. Univ.-Prof. Dr. Peter Frigo (Universitätsklinik für Frauenheilkunde),

Mag.Dr.in Andrea Ranninger (Bundeskriminalamt),

Brigadier Gerald Tatzgern, BA MA (Bundeskriminalamt),

Katia Wagner (Kronen Zeitung),

Dr. Christian Fiala (Gynmed Ambulatorium),

DSAin Barbara Ille (Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie),

Maryam Alemi, BA MA (Caritas Wien),

Gerhard Wagner (He4She Austria),

Marlies Hübner,

Dr.in Laura Wiesböck, MA (Universität Wien),

und Marty Huber (Queerbase).

Frau Mag.Elisabeth Dieringer-Granza sei erkrankt und lasse sich entschuldigen, so Obfrau Heinisch-Hosek.

Sodann lässt die Obfrau über die Beiziehung der Auskunftspersonen abstimmen. – Einstimmige Annahme.

*****

Die Obfrau erklärt, dass während des öffentlichen Hearings Ton- und Bildaufnahmen zugelassen seien sowie dass über dieses Hearing eine Auszugsweise Darstellung verfasst werde.

Sodann erteilt die Obfrau den Abgeordneten Schimanek sowie Pfurtscheller das Wort zur Geschäftsbehandlung.

Abgeordnete Carmen Schimanek (FPÖ) erklärt, sie möchte darauf aufmerksam machen, dass man Auszüge aus der Twitter-Konversation zum Frauenvolksbegehren protokoliert habe, aus welchen hervorgehe, dass die Würde des Hauses durch einzelne AkteurInnen aus dem Publikum nicht gewahrt worden sei, da Abgeordnete und Experten diffamiert worden seien, was eben der Hausordnung widerspreche.

Weiters führt Abgeordnete Schimanek aus, dass sie es befremdlich finde, dass die InitiatorInnen des Frauenvolksbegehrens auf der einen Seite von den Ausschussmitgliedern einen respektvollen Umgang mit ihren Themen erwarten und wollen, dass diese ihre Forderungen wertschätzen sowie diesen dann auch nachkommen, auf der anderen Seite aber Abgeordnete der Regierungsparteien schlechtmachten.

Sie bitte darum, so Abgeordneten Schimanek, darauf hinzuweisen, dass die Würde des Hauses unbedingt zu wahren sei, da sie dieses Verhalten beschämend finde, und erklärt, dass sie die protokollierten Auszüge gerne der Obfrau übergeben könne.

Abgeordnete Dipl.-Kffr. (FH) Elisabeth Pfurtscheller (ÖVP) fügt hinzu, sie wolle untermauern, was Abgeordnete Schimanek ausgeführt habe, und vor allem für ihre Kollegin, die auf Twitter mit massiven Vorwürfen konfrontiert worden sei, weil sie mehrere Blätter zerrissen habe, einstehen. Es müsse einer Abgeordneten zugestanden werden, dass sie Ihre Unterlagen ordne und Blätter, die sie doppelt in der Mappe habe, zerreiße, ohne dass sie selbst von der Öffentlichkeit auf Twitter zerrissen werde. Sie finde es, so Abgeordnete Pfurtscheller, sehr beschämend, dass diese Kollegin gefilmt und ihr unterstellt worden sei, dass sie dem Volksbegehren keine Wertschätzung entgegenbringe, was überhaupt nicht stimme.

Daher bitte sie die Obfrau darum, so Abgeordnete Pfurtscheller, die Öffentlichkeit dahin gehend zu informieren, dass man nicht damit einverstanden sei, dass Abgeordnete während deren Arbeit gefilmt und dann für Dinge, die sie tun und die in diesem Haus ganz normal seien, kritisiert würden.

Obfrau Gabriele Heinisch-Hosek führt aus, dass die Würde des Hauses in jedem Fall zu wahren sei, und ersucht die Öffentlichkeit mit Verweis auf die eben ausgeführten Anregungen darum, dies entsprechend zu berücksichtigen.

*****

Es folgen geschäftsordnungsmäßige Mitteilungen sowie technische Mitteilungen betreffend Redeordnung.

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Sodann leitet die Obfrau zum öffentlichen Teil der Sitzung über und erklärt, sie ersuche wirklich dringend darum, dass auch in den sozialen Medien die rechtlichen Bestimmungen die Würde des Hauses betreffend eingehalten werden. Sie betont, dass Bild- und Tonaufnahmen möglich seien, dass jedoch bei deren Veröffentlichung eben auf die Wahrung der Würde des Hauses zu achten sei. (Ein Großteil der ZuschauerInnen sowie einige ExpertInnen, die den Sitzungssaal betreten, tragen – ebenso wie der Bevollmächtigte und dessen StellvertreterInnen sowie die Abgeordneten von SPÖ und JETZT – weiße beziehungsweise helle Kleidung.)

Die Obfrau leitet schließlich zur Behandlung der einzelnen Themenbereiche über.

Themenbereich 6: Vielfalt leben

Schifteh Hashemi Gerdehi: Sehr geehrte Ausschussvorsitzende! Sehr geehrte Abgeordnete! Herzlich willkommen, liebe Aktivistinnen und Aktivisten des Frauenvolksbegehrens! Es geht um Vielfalt leben, deshalb würde ich heute gerne mit einem kleinen gedanklichen Experiment mit Ihnen starten: Stellen Sie sich alle vor, Sie kommen nach einem langen Tag nach Hause, Sie sind todmüde, Sie schalten den Fernseher ein und haben Pech, es läuft gerade der Werbeblock! Wie so oft ist es eine Waschmittelwerbung, die uns aus den Fernsehschirmen anlacht. Jetzt stellen Sie sich vor, was Sie sehen! Ich glaube, wir sind uns fast alle einig, dass wir eine junge, hübsche Mutter sehen, die die Wäscheberge ihrer Kinder fürsorglich und freundlich lächelnd in die Waschmaschine stopft. Von ihrer Übermüdung, von ihrem Stress und vom Vater sieht man nichts.

Okay, es geht weiter, nächster Werbespot: Denken Sie an eine Autowerbung! Ich glaube, auch da sehen wir alle ein bestimmtes Bild: Ein Mann, so Mitte vierzig, topfit, sportlich, gut aussehend, steht mitten in seinem Leben, fährt einen schnittigen Audi A4, meistens durch eine schöne Landschaft. Können Sie seinen Elan spüren? – Ich schon.

Was wollen wir mit diesem Gedankenexperiment aussagen und warum ist das für diese Forderung relevant? – Werbung, Medieninhalte, aber leider eben auch Erziehungskonzepte und Bildungsinhalte sind noch immer unglaublich konsequent von Stereotypen und sexistischen Darstellungen geprägt, von Vorstellungen, die eine fürsorgliche Frau oder eben einen starken, topfitten Mann zeigen. Frauen sind meistens als Mütter dargestellt, schlank, fürsorglich und selbstlos und ganz oft leicht bekleidet, unabhängig davon, welche Werbung wir gerade vor uns haben; und sie sind vor allem meistens sexuell verfügbar.

Sie kennen alle die Werbung: Wenn Sie einen bestimmten Duft auftragen, dann bekommen Sie die Frauenherzen – und meistens die Herzen leicht bekleideter Frauen – auch noch dazu, wie zugeflogen, gratis. Frauen sind sexuell verfügbar. Männer hingegen werden meist als sportlich, beruflich erfolgreich, politisch aktiv und dominant abgebildet.

Viele andere Menschen, Minderheiten und Bevölkerungsgruppen sehen wir in diesen Werbungen, in diesen Bildungsinhalten, in diesen Erziehungskonzepten de facto gar nicht. Das betrifft Menschen mit Migrationshintergrund, homo- oder bisexuelle Menschen sowie Inter- und Transgenderpersonen, Menschen mit einer Behinderung, aber auch Menschen, die bloß keinen normschönen Körper haben. All diese Menschen, all diese Körperbilder kommen in unseren Bildungskonzepten, in der Werbung de facto nicht vor. Auch Regenbogenfamilien, die es zuhauf gibt, werden medial nicht sichtbar gemacht. 

Sie fragen jetzt vielleicht: Warum ist das alles wichtig? – Ganz einfach: Es ist halt leider nicht egal, mit welchen Bildern und geschlechtsspezifischen Vorstellungen wir zeitlebens konfrontiert werden. Ob es uns gefällt oder nicht, diese Bilder, die wir tagtäglich sehen, haben Auswirkungen darauf, wie wir uns sehen, welche Rollen wir uns im Leben zugestehen, was wir uns zutrauen und was wir uns eben nicht zutrauen. Diese Bilder limitieren uns. Diese Bilder nehmen uns Freiheit weg, sie nehmen uns die Freiheit weg, uns vorstellen zu können, was wir wirklich sind und was wir wirklich sein wollen.

Warum lassen wir das zu? Warum lassen wir zu, dass sogar schon die kleinsten Kinder mit diesen eindimensionalen Bildern konfrontiert werden? Warum sprechen wir von Freiheit, wenn wir uns diese Freiheit eigentlich selbst tagtäglich nehmen? (Beifall.)

*****

Mag. Maria Lee-Nowotny: Guten Morgen, sehr geehrte Damen und Herren! Als Juristin und Rechtswissenschaftlerin, die ihren Forschungsschwerpunkt sehr stark im Gleichheitsrecht hat, würde ich heute gerne drei Punkte einbringen.

Erstens: Der Gleichheitsgrundsatz ist ein fundamentaler Bestandteil der österreichischen Verfassungsordnung. Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist dort ganz fest verankert. Wieso sage ich das? – Es ist notwendig, das so stark zu betonen, weil als Gegenargument, als Argument dafür, dass man sexistische, sexualisierende Rollenbilder in den Werbungen, über die Medien perpetuiert, immer wieder eingebracht wird: Aber was ist denn dann mit der Meinungsfreiheit, was ist denn dann mit der Erwerbsfreiheit? – Ja, natürlich sind das wichtige Grundrechte, das ist ja selbstverständlich; nur das, was man dabei nicht vergessen darf, ist, dass das Grundrechte sind, die der Abwägung unterliegen, und zwar der Abwägung mit anderen Grundrechten, mit anderen Interessen, und der Gleichheitsgrundsatz ist so ein wichtiges Recht, ein wichtiges Interesse, das in der Verfassungsordnung fest verankert ist. Das bedeutet, dass Meinungsfreiheit und Erwerbsfreiheit bei einer Abwägung sehr wohl auch dem Gleichheitsgrundsatz unterliegen können; es gibt solche Fälle. Die Forderungen, die wir jetzt bei diesem Slot – Vielfalt leben – besprechen, sind ein solches Beispiel dafür.

Zweitens ein Beispiel zur Illustration, nämlich sexistische Werbung, die Frauen als sexualisierte Objekte darstellt, und zwar im Interesse von Unternehmen, zur Profitsteigerung: Bei solchen Werbesujets werden Frauen auf zweifache Weise zu einem Objekt degradiert, und zwar erstens als sexualisiertes Objekt für die Begierde der Männer und zweitens als Mittel zum Zweck des wirtschaftlichen Profits von Unternehmen. Diese Objektifizierung geschieht heutzutage so ziemlich sanktionslos im öffentlichen Raum. Bis auf ein paar ganz wenige Ausnahmen in den Mediengesetzen gibt es derzeit keine wirksame Handhabe, um gegen diese Darstellungen im öffentlichen Raum vorzugehen.

Es gibt im III. Teil des Gleichbehandlungsgesetzes derzeit eine sehr eingeschränkte Möglichkeit, gegen sexuelle Belästigungen vorzugehen, und zwar indem man sagt, dass man beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen in Form einer sexuellen Belästigung diskriminiert wird. Das ist allerdings nur in einem sehr eingeschränkten Rahmen bei einem konkreten Leistungszugang möglich, zum Beispiel wenn ein großes Werbeplakat auf dem Gelände eines Fußballklubs ausgestellt wird, auf dem eine sich auf dem Auto räkelnde halbnackte Frau dargestellt ist.

Im öffentlichen Raum gibt es diese Möglichkeit derzeit aber nicht. Konsequenterweise müsste man diesen Schutz vor sexueller Belästigung auch auf andere Bereiche ausweiten. Eine sehr einfache Möglichkeit zum Beispiel wäre – das ist nur ein Vorschlag –, in das UWG, das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, ein Verbot von sexistischer und sexualisierender Werbung aufzunehmen. Das würde sehr leicht gehen.

Drittens: Im Gleichheitssatz der Verfassung geht es letztlich um die gleiche Freiheit aller Menschen, so zu sein, wie sie sind, und in ihrem Sosein als gleichwertige Menschen in einer demokratischen Gesellschaftsordnung anerkannt zu werden. Wieso sage ich das? – Das ist so wichtig, weil es für alle Menschen die Möglichkeit geben muss, sich frei zu entfalten, und das geht nur dann, wenn diese restriktiven Geschlechternormen überdacht werden. Man sollte dabei auch bedenken, dass die Medien und die pädagogischen Einrichtungen eine besonders wichtige Verantwortung in diesem Zusammenhang tragen.

Es ist nämlich so, dass Menschen schon von frühester Kindheit an anhand dieser einengenden, ganz eng definierten Geschlechternormen geformt werden. Wenn es Abweichungen gibt, werden sie mehr oder weniger sanft korrigiert. In Wirklichkeit gibt es aber eine Vielfalt von Arten, Frau zu sein, Mann zu sein, ein Mädchen zu sein, ein Bub zu sein. Mädchen können rosa Glitzerkleidung mögen. Sie können gerne mit Puppen spielen, mit Barbie-Puppen spielen, nähen und häkeln und lieb sein. Sie können aber genauso gerne auch Judo machen, Fußball spielen, sich für naturwissenschaftliche Experimente interessieren; genauso wie Buben auch wild sein können, mit Laserschwertern spielen können, aber auch gerne mit Puppen spielen und nähen lernen können.

Es geht letztendlich beim Gleichheitsgrundsatz darum, diese Vielfalt des Menschseins anzuerkennen und zu respektieren. Das ist allerdings nicht unbedingt möglich, wenn der Alltag der Menschen von diesen stereotypen Geschlechterklischees durchzogen ist.

Einen letzten Punkt möchte ich noch ganz schnell anführen: Diese Geschlechterbilder, diese Objektifizierungen der Frauen, diese Geschlechterrollen, diese Hierarchisierungen, die in diesen Sujets enthalten sind, haben auch handfeste Auswirkungen in Form von Gewalt gegen Frauen. Wir werden später noch davon hören: Es ist dieses Frauenbild, das perpetuiert wird, das letztendlich dazu führt, dass es Männer gibt, die glauben, dass es in Ordnung ist, Macht über Frauen auszuüben. – Vielen Dank. (Beifall.)

Katia Wagner: Sehr geehrte Frau Ausschussvorsitzende! Sehr geehrte Abgeordnete! Ich freue mich sehr, dass ich mich heute als jemand, der mehr als 15 Jahre in dieser Branche tätig war, mit meinem Input in diesen Ausschuss einbringen darf.

Das Thema lautet Vielfalt leben. Vorweg sei gesagt: Auch eine andere Meinung zu akzeptieren gehört dazu, wenn man glaubwürdig für Vielfalt eintreten möchte.

Das Verbot von sexistischer und stereotyper Werbung macht in meinen Augen im Jahr 2019 keinen Sinn. Die Idee, dass man durch das Verbot von sexualisierter oder stereotyper Werbung eine bessere Gesellschaft erreicht, ist 1990er und blendet die Wirklichkeit einer ästhetisch durchglobalisierten Welt völlig aus.

Wenn Sie etwas ändern wollen, dann hören Sie sich um – und das am besten nicht in der Kantine des Nationalrates, am besten auch nicht in der eigenen geschützten Blase, sondern bei den ganz jungen Mädchen! Das Vorbild der ganz kleinen Mädchen ist heutzutage nämlich nicht mehr Claudia Schiffer, die in einem Wonderbra von einem Werbeplakat lächelt, sondern die Vorbilder von jungen Mädchen heißen heute Bianca Heinicke, Pamela Reif oder Nova Lanalove. Die Vorbilder von heute sind nicht mehr die Models auf den Werbeflächen, sondern Influencer, YouTuber oder TikTok-Stars. Das sind jene, die junge Mädchen beeinflussen und auch prägen, ob uns das jetzt gefällt oder nicht.

Wenn man nun konsequent weiterdenkt: Will man denn nun auch Influencer verbieten? Will man jedes Duckface-Selfie verbieten, weil es sexualisierend ist? Wo beginnt man denn mit dem Verbot und wo hört man auf? Und überhaupt: Wer entscheidet denn überhaupt, was stereotyp ist und was nicht stereotyp ist? Wer bestimmt das? Soll das eine Geschmacksbehörde sein, eine Geschmackspolizei vielleicht? Werden dann Strafen verhängt, wenn eine Frau auf einer Werbefläche stereotyp dargestellt wird? Wie hoch ist dann diese Strafe? Und vor allem: Wollen wir in einer liberalen, offenen und modernen Gesellschaft wirklich eine Art ästhetischer Vorzensur? Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren, ich möchte das jedenfalls nicht.

Auch wenn man dem Kern der Forderung, der Stärkung der Vielfalt von Weiblichkeit, durchaus etwas abgewinnen kann – und das tue ich –, ist der Glaube, dass ein Verbot von stereotyper Werbung unsere Gesellschaft auch nur ein Stück fairer oder besser macht, in meinen Augen völlig falsch und utopisch. Eine Antistereotypisierung ist nämlich auch immer eine Form der Stereotypisierung. Ein solches Verbot wäre nicht nur sehr schwer umsetzbar, sondern auch die Frage, was ein Stereotyp ist und was nicht, ist eben völlig subjektiv, fördert Missbrauch und ist deswegen in meinen Augen auch brandgefährlich.

Die Stereotypisierung und die Sexualisierung von Frauen sind ein Problem, da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Es ist aber keines, das man durch ein Verbot so einfach lösen kann, vielmehr braucht es die Forderung nach einer Förderung der Vielfältigkeit von Frauen. Es braucht Sensibilisierung, es braucht Bildung und es braucht Aufklärung. Es braucht eine Vielfalt an starken Frauen, an Vorbildern. Es braucht überhaupt mehr sichtbare Frauen, und das in allen Lebensbereichen. Um an dieser Stelle auch ein Lob auszusprechen: Wenn ich mich heute hier so im Nationalratssitzungssaal umsehe, dann muss ich sagen: Wir stehen, glaube ich, in diesem Punkt – starke Frauen als Vorbilder – sehr gut da.

Eines noch zum Schluss: Wer Vielfältigkeit wirklich erreichen will, kann zuallererst bei sich selbst anfangen, indem er sich an der Nase packt und Frauen unabhängig von ihrem Aussehen, unabhängig von ihrem Lebenskonzept und auch unabhängig von ihrer politischen Gesinnung akzeptiert und respektiert. Und das gilt nicht nur für Männer, sondern auch für uns Frauen untereinander, denn wer Vielfalt letztendlich einfordert, muss Vielfalt zuallererst auch selbst leben. – Vielen Dank.

Gerhard Wagner: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren des Frauenvolksbegehrens! Sehr geehrte Damen und Herren in Weiß im Publikum! Vielfalt zeichnet uns Menschen aus. Es ist unsere Vielfältigkeit, die uns als Gesellschaft stark macht, die uns immer wieder Neues erfinden lässt und uns voranbringt. Das volle Potenzial dieser Vielfalt können wir aber nur dann nutzen, wenn wir unsere Vielfalt auch zulassen und tatsächlich leben.

Was aber machen wir? – Wir sperren diese bereichernde Vielfalt weg, wir zwingen ihr bestimmte Rollen auf. Wir nehmen unserer Vielfältigkeit durch ein Zwangskorsett aus Erwartungshaltungen und Vorurteilen den Raum, um sich gebührend entfalten zu können. In solche Zwangskorsette stecken wir auch unsere vielfältigen Geschlechtsidentitäten und machen zwei Labels drauf: Weiblichkeit und Männlichkeit. Wir lassen unsere Kinder nicht erfahren, wer sie sind, sondern sagen ihnen, wie sie zu sein haben. Wir sagen unseren Burschen, dass sie stark sein, sich behaupten und durchsetzen müssen. Wir sagen ihnen, dass sie keine Gefühle, keine Verletzlichkeit, keine Schwäche zeigen dürfen. Und unseren Mädchen sagen wir das Gegenteil.

Wir geben unserer Vielfalt keine Chance, sondern zwängen sie in zwei klar vorgegebene Rollen, zwei Rollen, die einander entgegengesetzt konstruiert sind: eine Männlichkeit, die alles Weibliche und alles Nichtmännliche zu unterdrücken hat, und eine Weiblichkeit, die sich allem Männlichen unterzuordnen hat. Wir schaffen dadurch ein Dominanz- und Machtverhältnis und knüpfen es an das Geschlecht. Wir lehren unseren Burschen und Männern, dass sich ihre Männlichkeit darüber definiert, ob sie diesem Rollenbild gerecht werden oder nicht. Nur wenn sie stark sind, keine Schwäche zeigen, sich durchsetzen und Macht über andere, insbesondere über Frauen und Mädchen haben, sind sie echte Männer.

Viele können diesem Männlichkeitsbild nicht gerecht werden und zerbrechen daran. Statistiken zu Suizid, Alkohol- und Drogenmissbrauch sowie die niedrigere Lebenserwartung im Allgemeinen belegen das. Viele wollen diesem Männlichkeitsbild auch gar nicht gerecht werden, weil es ganz einfach nicht dem entspricht, wer sie sind. Wiederum andere streben verzweifelt danach, diese gesellschaftliche Idealvorstellung von Männlichkeit zu erreichen. In ihrem verzweifelten Streben greifen sie zum vermeintlich letzten Ausweg: Gewalt; Gewalt gegen sich selbst, Gewalt gegenüber anderen Männern, Gewalt aber vor allem gegenüber Frauen und Mädchen. Am Ende des Tages ist Gewalt meist nichts anderes als der verzweifelte Versuch, dieses Dominanzverhältnis herzustellen und die eigene Männlichkeit zu beweisen.

Diese Gewalt nimmt unterschiedliche Formen an: Catcalling auf der Straße, sexistische und sexualisierte Werbung im öffentlichen Raum, ein bissl Grapschen an der Bar, anzügliche Bemerkungen am Arbeitsplatz, Handgreiflichkeiten im Beziehungsstreit, Vergewaltigungen in der Ehe, Mord.

Pro Stunde werden in Österreich mindestens zwei Fälle häuslicher Gewalt gemeldet. Pro Tag gibt es zumindest vier Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung. Alle neun Tage wurde im letzten Jahr in Österreich eine Frau ermordet. Wir können all dem ein Ende setzen. Sie, wertes Hohes Haus, können all dem ein Ende setzen. Lassen wir Vielfalt zu! Lassen wir Männlichkeiten und Weiblichkeiten im Plural zu! Lassen wir Menschlichkeit zu!

100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts stehen wir hier und verhandeln weiterhin über die Gleichstellung von Frauen und Männern. 

In 100 Jahren werden unsere Kinder auf diesen Moment zurückblicken. Sie, geschätzte Abgeordnete, werden in die Geschichtsbücher eingehen, aber Sie entscheiden, unter welcher Überschrift.

*****

Abgeordnete Claudia Plakolm (ÖVP): Ich darf eingangs noch einmal, wie bereits in der letzten Sitzung angekündigt, unsere Bundesministerin Frau Juliane Bogner-Strauß entschuldigen. Sie hat bereits erklärt, wie diese Sitzungstermine zustande gekommen sind, und sich auch bereits in der letzten Sitzung entschuldigt. Sie ist heute bei der Frauenstatuskommission der Vereinten Nationen in New York, bei der es ebenfalls um die Gleichstellung von Frauen geht.

Nun zum Themenblock Vielfalt leben: Ich danke den Expertinnen und Experten vielmals für ihre Darstellungen, die ja die Grundlage für unsere Diskussion heute im Ausschuss bilden sollen.

Ich habe zwei Fragen vorbereitet.

Die erste ergeht an Frau Mag.a Lee-Nowotny zum Themenpunkt sexistische Werbung. Es gibt ja auch den Medienrat. Sind Ihnen Fälle bekannt und können Sie einschätzen, wie viele Fälle sexistischer Darstellungen in den Medien jährlich an den Medienrat herangetragen werden? Und: Wissen Sie, ob der Medienrat es auch schon dazu gebracht hat – und vor allem wie oft –, dass Unternehmen ihre Werbungen aufgrund der Stellungnahmen zurückziehen mussten?

Die zweite Frage ist an Herrn Wagner von der Kampagne He4She gerichtet: Wie läuft diese Kampagne und vor allem, von wie vielen und welchen Menschen wird sie weltweit unterstützt? – Vielen Dank.

Abgeordneter Mario Lindner (SPÖ): Hoher Ausschuss! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zu meiner Vorrednerin: Ja, es ist bekannt, dass die Frau Bundesministerin heute verhindert ist. Das nehmen wir natürlich zur Kenntnis, sie hätte aber trotzdem eine Vertreterin schicken können.

Ich darf mich wie schon bei der letzten Sitzung im Namen meiner Fraktion ganz herzlich beim Frauenvolksbegehren bedanken! Noch mehr bedanken darf ich mich bei den fast 500 000 Unterstützerinnen und Unterstützern, die dieses Volksbegehren unterschrieben haben, weil all diese Forderungen extrem wichtig sind. Liebe Frau Vorsitzende, ich glaube, es ist eine Auszeichnung für diesen Ausschuss, dass heute so viele Aktivistinnen und Aktivisten hier sind, und ich glaube, wir als Abgeordnete schulden diesen Aktivistinnen und Aktivisten einen Applaus. (Beifall.)

Ich zitiere: „Liebe Frauen. Anlässlich des Weltfrauentages wünsche ich Euch, dass Ihr als Frauen wahrgenommen werdet. Ihr nicht aus ideologischen Gründen männlich sein müsst und dafür Eure Männer ‚Weiber‘ sind. Eure Kinder in der Schule nicht gendern müssen, damit sie sich schwer tun Texte zu erfassen und als Folge teure Nachhilfestunden bezahlt werden müssen. Dass Toleranz keine Tugend ist, sondern der erste Schritt zur Unterwerfung. Dass das Kopftuch im Islam nicht lässig ist, sondern Eure Freiheit bedroht und Unisex keine Gleichberechtigung ist, sondern der erste Schritt zur Seelenlosigkeit . Kurzum, seid Frauen und lässt Euch nicht transformieren.“

Gesagt hat das der Leobener FPÖ-Gemeinderat Johann Peter Mogeritsch, und ich glaube, dass dieses Beispiel genau zeigt, wie wichtig die Forderungen des Frauenvolksbegehrens sind.

„8. März“ – ich zitiere weiter – „heute ist Weltfrauentag und damit gleich eine Gelegenheit, das Thema Frauen und Beruf näher zu beleuchten. Doppelbelastung von Frauen, durch Beruf und Familie, wird nicht entsprechend Rechnung getragen. Frauen leisten einen großen Dienst an der Gesellschaft, daher sollten Karenz- und Kindererziehungszeiten, die oft mit Teilzeitbeschäftigung einher gehen, für die Pension endlich besser bewertet werden. Weitere Themen sind die immer noch weit verbreitete Diskriminierung am Arbeitsplatz, die prekären Arbeitsverhältnisse und die teilweise unfairen Löhne, mit denen Frauen oft konfrontiert sind. Wir kämpfen für familienfreundliche Arbeitsplätze, mehr Flexibilität in der Arbeitswelt, das Recht auf Vollzeit, bessere Anrechnung für die Pension [...]“. Das kommt nicht von uns, das kommt von den Freiheitlichen Arbeitnehmern aus Wien. Ich glaube, genau dies sind Dinge, die im Frauenvolksbegehren drinnen sind.

Meine Damen und Herren, Vielfalt leben – da kann ich den Expertinnen und Experten des Frauenvolksbegehrens sowie meinen Vorrednerinnen und Vorrednern, den Expertinnen und Experten, wirklich recht geben –: Es ist wichtig, dass wir ein Verbot von Stereotypen erwirken und eine Entfaltung der jetzt beschränkten Darstellung in Text und Bild ermöglichen.

Meine Damen und Herren, ich kann für unsere Fraktion zusammenfassen: Die Forderungen des Frauenvolksbegehrens müssen umgesetzt werden – Vielfalt lieben, Vielfalt leben!

Abgeordnete Dr. Susanne Fürst (FPÖ): Für mich ist nicht so sehr die Waschmittelwerbung das Problem, denn dass eine Frau als Mutter und als fürsorglich dargestellt wird, ist für mich nicht abwertend, sondern hat eine positive Konnotation. Was für mich sehr wohl problematisch ist, sind Formate, in denen wirklich sehr, sehr junge Mädchen im Bikini dargestellt werden und dabei öffentlich bewertet – und auch abgewertet – werden. Das ist für Sie jedoch offensichtlich nicht so problematisch.

Wenn man noch genauer wissen möchte, was unter der Forderung Vielfalt leben wirklich verstanden wird, braucht man nur ins Ausland zu schauen. Dort gibt es eine Entwicklung, die der unseren mehrere Jahre voraus ist und die aus meiner Sicht vom Frauenvolksbegehren einfach 1 : 1 und sehr unreflektiert übernommen wurde: In den USA fühlt sich einer Studie zufolge bereits ein relativ hoher zweistelliger Prozentsatz der Jugendlichen keinem Geschlecht mehr zugehörig, sie wollen sich nicht mehr festlegen, ob sie Mädchen oder Junge sind. Es ist cool, sich da nicht festzulegen, und entsprechend wird das dann auch sexuell ausgelebt.

Diese Entwicklung schwappt jetzt auf Europa über – natürlich ist die Social-Media-Ebene dabei ein großer Multiplikator. In Großbritannien gibt es eine wirklich ganz breit angelegte Diskussion darüber – nicht nur eine Orchideendiskussion, wie man meinen würde –, wie man die Geschlechteridentitäten bei Schuluniformen auflösen kann. Buben, die im Sommer wegen der Hitze eine kurze Hose tragen wollen, werden aufgefordert, Röcke zu tragen, damit sich ihre Transgenderkollegen nicht diskriminiert fühlen. Zu solchen Aussagen führt das dann.

Natürlich wollen da auch Deutschland und Österreich nicht nachstehen. In Deutschland sind Schulbücher wirklich schon sehr weit verbreitet, in denen betont wird, es sei ein Teil von Aufklärung, dass es völlig in Ordnung ist, sich keinem Geschlecht zugehörig zu fühlen. Die klassische Familie mit Mann, Frau und Kindern wird gegenüber den diversen Mixvarianten nur noch als eine Alternative dargestellt. In Österreich befasst sich zum Beispiel die Akademie der bildenden Künste Wien, die ja wirklich einen wunderschönen Gegenstand hätte, mit dem sie sich befassen sollte, nämlich die bildenden Künsten, jetzt vielmehr mit einem Projekt, das im Vordergrund steht und dem alles untergeordnet wird: dem Projekt Non-Binary Universities.

Für mich ist das keine gute Entwicklung. Dafür stehen wir nicht. Für mich ist das Propaganda. Das hat nichts mit Toleranz und Vielfalt zu tun. Vielfalt ist für mich vor allem geistige Vielfalt, die wir unseren Kindern an den Schulen und Universitäten beibringen sollten, und der Geist der Bildung, des Wissens und der Leistung. Nur dies führt zu wirklich selbstbewussten jungen Menschen, die im Erwachsenenalter dann frei entscheiden können, wie sie leben möchten, und die sich dann auch gegenseitig wirklich großzügig akzeptieren.

Nicht sinnvoll sind Verbote, Gebote sowie eine oktroyierte Ausrichtung der großen Mehrheitsgesellschaft und jenes Modells, welches von dieser gelebt werden soll. – Danke schön.

Abgeordnete Claudia Gamon, MSc (WU) (NEOS): Ich möchte mich auch bei den VertreterInnen und den UnterzeichnerInnen des Frauenvolksbegehrens bedanken, da ich die Diskussion, wie auch schon im letzten Ausschuss, besonders wertvoll finde.

Ich möchte vorwegnehmen, dass ich Frau Kollegin Fürst in allem widersprechen muss, was sie gerade gesagt hat, unter anderem auch, weil es mir als liberaler Mensch einfach wichtig ist, in den Vordergrund zu stellen, dass es bei diesem Themenbereich darum geht, dass wir als Gesellschaft es jedem Menschen ermöglichen müssen, ein glückliches Leben zu leben, egal wie er oder sie sich fühlt, und zwar so, wie er oder sie es möchte. Darum geht es.

Außerdem möchte ich voranstellen, dass ich gerade bei diesem Themenbereich wirklich auch das Ziel sowie grosso modo eure Vorschläge zu den Wegen, um dort hinzukommen, teile. Das sage ich auch als selbst Betroffene, die ihr halbes Erwachsenenleben damit beschäftigt war, sich selber mit dem Versuch unglücklich zu machen, den eigenen Körper so unsichtbar wie möglich zu machen. Das ist etwas, was einen für den Rest des Lebens prägt – bis man lernt, damit umzugehen. Ich stimme mit vielem überein, gerade was den öffentlichen Raum und die öffentliche Sphäre – in dem Fall den Geldgeber – betrifft, gerade was das Thema der Bedeutung der Pädagogik betrifft.

Ich glaube, es ist auch wichtig, diese Forderung voranzustellen, unter anderem weil ich überzeugt davon bin, dass wir in diesem Bereich eine große – oder sagen wir, eine größere – Zustimmung in der Bevölkerung vorfinden würden, und das das Erste ist, was ganz dringend angegangen werden muss. Das glaube ich auch, weil ich weiß, dass es gerade in der FPÖ – wir kennen diese Diskussionen auch aus dem Wiener Landtag – dazu unterschiedliche Meinungen gibt. Umso wichtiger ist es, die Bevölkerung da mit ins Boot zu holen.

Die Anpassung der Presseförderung zum Beispiel ist etwas, was man diskutieren kann, denn genauso, wie meiner Meinung nach ein Bonus dafür, dass man sich mehr mit europäischen Themen beschäftigt, diskutabel ist, ist auch so etwas absolut zu diskutieren. Die Presseförderung müsste dafür aber komplett umgebaut werden.

Das Verbot sexistischer Werbung im privaten Bereich finde ich ehrlich gesagt schwierig. Da tue ich mir als liberaler Mensch einfach schwer, weil ich weiß, dass ich in einer Gesellschaft ohne Sexismus leben will, aber gleichzeitig der Meinung bin, dass die Gesellschaft uns dorthin bringen muss, dass wir ohne Sexismus leben können, und dass wir es nicht wegverbieten können.

Ich weiß, dass man da auch anderer Meinung sein kann, aber ich bitte, die dahin gehenden Argumente zu respektieren, unter anderem auch, weil ich die Argumente von Frau Wagner verstehen kann. Wir diskutieren hierbei ja auch über ein sehr anachronistisches Medien- und Werbebild und müssen uns stärker damit beschäftigen – und ich bin der Meinung, dass das nur auf gesellschaftlicher Ebene geschehen kann –, wie das in sozialen Medien und online passiert. Das ist nämlich etwas, was aktuellen Untersuchungen zufolge gerade für 13- bis 14-jährige Mädchen, die das konsumieren, im Hinblick auf deren Selbstbild und die Art und Weise, wie sie miteinander interagieren, unfassbar schlimme Folgen haben kann.

Zu der Frage, wie man das machen könnte, nur ein Hinweis: Auf anderer Ebene wird gerade eine Diskussion zum Thema Uploadfilter geführt, und ich halte diese Diskussion und die Installation einer solchen Infrastruktur für sehr gefährlich, weil man nicht weiß, was dabei herauskommen wird. Es gäbe aber beispielsweise keine andere Möglichkeit, das online zu bewerkstelligen.

Ich möchte deshalb an Frau Wagner die Frage richten, wie sie zu dem Punkt Presseförderung steht. Könnte dieses Thema einen Beitrag dazu leisten, dass man unabhängig von Verboten sexualisierter Werbung in diesem Bereich etwas bewegt?

Abgeordnete Stephanie Cox, BA (JETZT): Ein Hallo an die Aktivistinnen und Aktivisten – schön, dass ihr da seid! Ich glaube, es ist ein ganz, ganz wichtiges Zeichen, nicht nur, dass wir in Weiß da sind, sondern dass wir da sind, laut sind und diese Forderungen hier auf den Tisch bringen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebes Team vom Frauenvolksbegehren! Vor über einer Woche haben wir hier 100 Jahre Frauenwahlrecht gefeiert, aber nicht nur das Wahlrecht, sondern auch, dass ich zum Beispiel hier stehen darf – dass wir dieses Amt bekleiden dürfen!

Gestern wurde hier das erste SchülerInnenparlament, in dem 152 SchülerInnenvertreterInnen je 7 000 SchülerInnen repräsentieren, verankert. Das heißt, wir reihen uns heute mit der Diskussion zum Frauenvolksbegehren in wichtige Feiern und Vorgänge ein. 500 000 Menschen – das sind viele Menschen, die nicht nur dahinterstehen, sondern ganz wichtige Forderungen haben.

Auf den ersten Punkt würde ich gerne ganz kurz eingehen, und zwar auf das Thema geschlechtersensible Ausbildung. Im letzten Plenum habe ich dazu einen Antrag eingebracht: Eine Lisa zum Beispiel wird Sozialarbeiterin, ein Sven wird Informatiker – es geht um veraltete Rollenbilder in den Schulen und in den Köpfen vieler Lehrpersonen. Dazu gibt es überholte Schulmaterialien, und ein unkritischer Umgang vor allem mit Geschlechterrollen ist im Schulsystem fest verankert.

In Oberösterreich kam gerade eine Studie heraus. Darin haben 75 Prozent der befragten SchülerInnen – vor allem die Mädchen – gesagt, dass sie sich den Informatikunterricht nicht zutrauen. Warum ist das so? Warum trauen sich Mädchen – zukünftige Frauen – das nicht zu? – Die Lehrpersonen fragen sehr oft: Willst du das wirklich? Sie empfehlen ihnen: Mach doch etwas Soziales, etwas Kommunikatives, etwas, das eher frauenspezifisch ist! Da hat das Frauenvolksbegehren gerechtfertigterweise eine Forderung eingebracht, die ich sehr unterstütze.

Beispielsweise geht es darum, den Leitfaden für geschlechtersensible Pädagogik upzudaten. Das war Teil unserer Forderung. „Geschlechtersensible Pädagogik soll verbindlich und bundesweit einheitlich auch schon in der Ausbildung für ElementarpädagogInnen verankert werden.“ Das ist ganz, ganz wichtig.

Der Antrag liegt vor beziehungsweise ist er weitergeleitet worden. Damit im Zusammenhang würde ich gerne noch eine Frage an Herrn Wagner stellen:

Was kann man Ihrer Meinung nach gerade im Hinblick auf die Präsentation und Bewerbung gewisser Geschlechterstereotypen, vor allem in der Schule, tun?

Zuallerletzt, da meine Kollegin von der FPÖ das vorhin erwähnt hat und Frau Gamon darauf geantwortet hat: Es gibt nicht nur er und sie, es gibt auch noch andere Geschlechter. Das will ich an dieser Stelle noch anmerken. Das ist nicht nur ein Trend, das ist die Lebensrealität im Jahr 2019, und wir müssen auf politischer Ebene darauf eingehen.

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Mag. Maria Lee-Nowotny: Es war die Rede vom Geist der Bildung. Darauf würde ich gern als Erstes eingehen. Ich glaube, da sind wir alle dabei – natürlich ist das wichtig, wir möchten auch, dass unsere Kinder sich geistig weiterbilden.

Wenn wir aber schon davon sprechen, sollten wir uns vielleicht auch die neueren neurowissenschaftlichen Erkenntnisse genauer ansehen. Diese belegen nämlich, dass das Gehirn durchaus plastisch ist, formbar ist, dass es nicht gottgegeben ist und dass es auch nicht von der Natur gegeben ist, dass Mädchen unbedingt so sein müssen und Buben unbedingt so sein müssen, sondern dass auch äußere Einflüsse das Gehirn formen, sodass Geschlechterstereotypen, die an Kinder herangetragen werden, auch die Entwicklung des Gehirns beeinflussen. Das führt in der Folge dazu, dass die geistige Bildung der Kinder – und später der Erwachsenen – einseitig eingeschränkt wird, und zwar entlang dieser Geschlechterstereotypen. – Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt ist: Ich spüre hier sehr viel Angst; Angst vor Lebenskonzepten, die fernab der normalen, konservativen, als normal bezeichneten konventionellen Lebensentwürfe sind. Ich verstehe diese Angst aber nicht, weil diese anderen Lebenskonzepte ja nichts wegnehmen, und ich kann Ihnen versichern: Ich habe selber drei Kinder, und ich erziehe sie zu sehr offenen Menschen. Ich habe keine Angst, dass da irgendetwas passieren könnte.

Das Dritte ist die Frage zum Werberat. Ich würde Sie gerne auf die Website des Werberats verweisen. Dort ist eine Statistik zu finden, wie viele Beschwerden es im Jahr 2018 gab, wie viele eingestellt wurden und wie viele Stoppentscheidungen es gab. Aber darum geht es ja gar nicht! Es geht eigentlich darum, dass dieses System der Selbstkontrolle des Werberats ein ziemlich zahnloses System ist, weil es da keine wirklich wirksamen Sanktionen gibt. Dass sehr viele Werbetreibende dann das Sujet freiwillig herunternehmen, ist sehr erfreulich, aber erstens gibt es keine nennenswerten Konsequenzen, wenn sie es nicht tun, und zweitens: Selbst wenn sie es herunternehmen, ist der Schaden ja bereits passiert! Den Schaden gibt es ja bereits. Das Werbesujet war schon draußen. Es wurden Frauen sexuell belästigt, und es haben Leute dieses Sujet gesehen. Darum geht es. – Vielen Dank.

Katia Wagner: Die Frage nach der Presseförderung als Positivbeispiel ist schnell beantwortet: Ich finde, das ist eine sehr gute Idee. Das findet sich ja auch im Volksbegehren wieder.

Ich glaube, das ist ein guter Ansatz, dem man auch nachgehen sollte. Man könnte beispielsweise einen Bonus an jene Medien oder Formate auszahlen, die die Vielfältigkeit von Frauen abbilden und auch fördern. Ich glaube, das ist ein sinnvoller Ansatz. Es braucht überhaupt mehr positive Förderungen, in welcher Form auch immer. Da ist die Presseförderung, die genannt wurde, nur ein Beispiel.

Ich glaube, das sind die Punkte, bei denen man ansetzen sollte, wie ich ja auch in meiner Anmerkung schon gesagt habe – auch beim Thema Bildung; dazu wird uns Herr Wagner wahrscheinlich auch noch etwas sagen. – Danke.

Gerhard Wagner: Vielen Dank für die Fragen.

Als Erstes komme ich zu der Frage, wie die He4She-Kampagne läuft. Vielen Dank dafür – die läuft sehr gut! Es ist eine Kampagne von UN Women, eine internationale, globale Kampagne mit der Botschaft, dass Gleichstellung keine Frauensache ist, sondern uns alle betrifft und sich auch Männer in diese Debatte aktiv einbringen und für mehr Gleichstellung in unserer Gesellschaft aktiv und engagiert einsetzen müssen.

Ich habe gerade die aktuellen UnterstützerInnenzahlen herausgesucht. Es sind mittlerweile mehr als zwei Millionen, die auf der Onlineplattform der He4She-Kampagne unterschrieben haben. Man darf dabei nicht vergessen, dass das nur die Onlineunterschriften sind. Die Zahl derer, die die Kampagne unterstützen, ist weitaus größer. Das spüren wir auch in Österreich, weil sich viele unserer Supporter und Supporterinnen bei He4She Vienna, aber auch bei He4She Graz – das sind die beiden Vereine, die es in Österreich gibt – auf dieser Plattform online nicht eintragen, weil sie ganz klar sagen: Dieses Onlinecommitment bringt noch nichts, es muss im praktischen Leben etwas passieren!, und sich lieber so einsetzen.

Zur Frage nach dem Bildungsbereich: Wenn ich von sexualisierter Werbung im öffentlichen Raum gesprochen habe, dann ist dieser Werbebegriff viel breiter zu verstehen. Er beinhaltet alle Repräsentationen und Präsentationen unserer Rollenstereotypen und Geschlechterbilder, und das trifft insbesondere auf den Bildungsbereich zu, in dem gerade der Erlass zur Gleichstellung als Unterrichtsprinzip erneuert wurde, wobei diese Erneuerung nicht unbedingt als glorreiche Aktualisierung in die Geschichte eingehen wird.

In Schulbüchern braucht es mehr Vielfalt, in Schulbüchern braucht es mehr Präsentation dieser Vielfalt, und das brauchen wir nicht nur in den Schulbüchern, das brauchen wir auch in der Pädagogik, der Didaktik und der gesamten Lehre. Es gibt auch Beispiele, anhand derer sich sehr gut belegen lässt, dass das funktioniert: Bei Stellenbeschreibungen am Arbeitsmarkt funktioniert das sehr gut, bei Infobroschüren zu unterschiedlichen Jobausschreibungen funktioniert das sehr gut, dass sich, wenn auf den Bildern Vielfalt abgebildet wird, auch entsprechend mehr Frauen auf klassisch männliche Berufe und umgekehrt mehr Männer auf klassisch weibliche Berufe bewerben.

Genau das fängt aber schon viel früher an. Das fängt bei unseren Kindern an. Das fängt in der Schule an, wo wir diese Vielfalt leben müssen, diese Vielfalt lehren und auch dementsprechend vermitteln und abbilden müssen. Da braucht es mit Sicherheit ein breiteres Verständnis von Werbung, weil Werbung nicht nur das ist, was wir im Fernsehen oder auf öffentlichen Plakaten sehen, sondern da einfach viel, viel mehr dahintersteckt. – Danke schön.

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Schifteh Hashemi Gerdehi: Uns ist es ein Anliegen, noch einmal auf einen Aspekt einzugehen, weil uns genau dieses Thema eigentlich bereits im letzten Ausschuss und grundsätzlich beim Frauenvolksbegehren immer begleitet hat.

Unserer Meinung nach ist Politik immer Abwägungssache. Das müssen wir Ihnen, Herren und Frauen Abgeordnete, nie sagen. Verbote und Gebote sind Instrumente der Politik, sind Instrumente der Rechtsdurchsetzung. Wir haben hier von einer Expertin, von Frau Mag.a Lee-Nowotny, gehört, wie man diese Verbote und Gebote so gestalten könnte, dass diese Erwägungsspielräume genutzt werden, die uns das Recht auch zugesteht, und wir glauben, dass wir genau diese Instrumente auch nützen müssen, dass Sie als Abgeordnete sie nutzen dürfen.

Ein anderer Aspekt: Umsetzbarkeit und die Frage, ob etwas aktuell gerade leicht umsetzbar ist, darf nie ein Argument dafür sein, etwas nicht anzugehen. Das Frauenwahlrecht war vor 101 Jahren auch noch nicht durchgesetzt, und trotzdem haben wir es jetzt. Wir müssen uns anschauen, wie sich unsere Vielfalt, wie sich die Realität und das Leben entwickeln, und dementsprechend dann auch neue Gebote und Verbote im Sinne des Rechts setzen.

Zum Schluss möchten wir schon noch einmal die Frage stellen: Wenn es beispielsweise – und zu Recht – ein Rassismusverbot in der Werbung gibt, warum dann nicht auch ein Sexismusverbot? Wir haben dieses Verbot bereits, weil Verbote und Gebote Instrumente des Rechts und der Politik sind. (Beifall.)

Themenbereich 7: Selbst bestimmen

Schifteh Hashemi Gerdehi: Selbstbestimmung wird fälschlicherweise immer sofort mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch verbunden. Das bildet allerdings tatsächlich nur einen Teil unserer Forderung ab.

Es geht darum, jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, selbst über ihren eigenen Körper, über ihre Geschlechtsidentität und über ihre Sexualität zu bestimmen. Ja natürlich, auch das Recht, über Schwangerschaftsabbrüche entscheiden zu dürfen, gehört zu dieser Forderung, gehört zum Thema Selbstbestimmung.

Der zentrale Teil unserer Forderung und Voraussetzung, um überhaupt selbstbestimmt Sexualität leben zu können, ist jedoch, dass wir Zugang zu Informationen haben, dass wir lernen, wie unser eigener Körper funktioniert, und dass wir unsere Sexualität auch als Frauen tabulos entdecken dürfen. Das funktioniert aber eben nur, wenn junge Menschen in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen einen zeitgemäßen Unterricht zu genau diesen Themen – Sexualität, Verhütung, Schwangerschaft und Geschlechtsidentität – erhalten.

Es ist ehrlich gesagt beschämend, wie schlecht die Situation diesbezüglich in Österreich ist. Das ist nicht die Schuld der jungen Menschen – es ist uns auch wichtig, das dazuzusagen –, sondern es ist die Schuld eines Bildungssystems, das aufgrund einer falsch verstandenen und unangebrachten Scham nicht bereit ist, seinen Kindern den Zugang zu diesem Wissen zu geben, und zwar vor allem auch in geeigneter Form.

Umfragen unter Jugendlichen zeigen immer wieder auf, welche blinden Flecken es da gibt. Thema Menstruation: Die Hälfte der Burschen unter 18 Jahren wissen nicht, welche Rolle die Menstruation bei einer Frau spielt. Oder, weiteres Thema: Niemand von uns weiß beziehungsweise hat im Schulunterricht gelernt – ich nehme einmal an, das betrifft gerade diejenigen, die unter 30 sind –, was der korrekte Ausdruck für das weibliche Genital ist. Sehr geehrte Damen und Herren, das ist die Vulva, falls Sie das nicht wussten! Ich habe das im Unterricht nicht gelernt, und ich ärgere mich darüber, dass ich im Unterricht das Wissen zu meinem eigenen Körper nicht erhalten habe, obwohl ich hier in Österreich in den besten Schulen war.

Ganz ernsthaft: Wie sollen unsere jungen Menschen, insbesondere Frauen, selbst über ihren Körper bestimmen können, wenn ihnen diese banalen Informationen fehlen? Wie können wir Frauen die Liebe zu unserem Körper überhaupt erlernen, wenn wir nicht einmal wissen, wie unser Körper funktioniert?

Es ist wirklich erschreckend, wie wenig über weibliche Sexualität, über Geschlechtsidentitäten, über Verhütung gesprochen wird, und vor allem wie sehr weibliche Sexualität noch immer tabuisiert, kleingemacht und totgeschwiegen wird. Wir fordern daher staatlich finanzierte, rechtlich abgesicherte und anonyme, kostenfreie Beratungsstellen überall in Österreich in ausreichender Zahl, damit wir nicht erst im Alter von 30 Jahren lernen, wie unser Geschlechtsteil in Wahrheit heißt.

Wir fordern außerdem und ganz grundsätzlich, dass alle Menschen überall in Österreich Zugang zu diesen Informationen, Zugang zu Verhütung und Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen haben, frei von Gesundheitsrisiken und frei von finanziellen Hindernissen. – Danke.

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Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mazal: Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke für die Einladung. Ich teile die Auffassung, dass Objektifizierung und Stereotypisierungen wesentliche Grundprobleme sind. – Das ist keine Frage.

Das hat für mich unmittelbare Konsequenzen im Hinblick auf die vom Volksbegehren erhobenen Forderungen. „Die Verankerung und Finanzierung zeitgemäßer Bildung zu den Themen Sexualität, Verhütung und Schwangerschaft in Schulen und Bildungseinrichtungen“: Ja, das ist überhaupt keine Frage – die Menschen sollen als Personen imstande sein, diese Themen zu kennen und entsprechend für sich selbst zu entscheiden. Das ist für mich aber ein ganz wichtiges Thema, das mir in den Forderungen momentan zu kurz kommt. Das betrifft die biografische Einbindung von Schwangerschaft ins Leben, die Beziehungsfähigkeit zu Sexualpartnern, die Beziehungsfähigkeit zu potenziellen Kindern, und schlussendlich ist das nicht nur am Beginn des Lebens Thema, sondern natürlich auch an dessen Ende.

Wie geht man mit dem Körper, mit seiner eigenen Person in vielfältiger Weise um? Nicht nur der junge Mensch ist von Veränderungen im Körper, die auch Auswirkungen auf die Sexualität, auf die Physiologie in der Körperlichkeit haben, betroffen, sondern auch der ältere.

Das sind alles Themen, die aus meiner Sicht sehr breit dargestellt werden sollten. Dementsprechend sollte in den Bildungseinrichtungen nicht bloß Information, sondern auch das Erleben von Beziehungsfähigkeit als Thema gewährleistet sein.

„Staatlich finanzierte, rechtlich abgesicherte, anonyme, kostenlose Beratungsstellen“ zu den entsprechenden Fragen: grundsätzlich – ja, natürlich! Es fehlt in der Tat sehr viel, auch in den Familien, das möchte ich ausdrücklich ansprechen. Es ist aus meiner Sicht nicht nur eine Aufgabe des Staates, sondern sämtlicher Peergroups, sämtlicher Familien, die junge Generation entsprechend zu befähigen, ihr Leben zu führen.

Zur Frage, wieweit staatliche Einrichtungen das können: Das ist aus meiner Sicht immer ein bisschen defizitär, aber wenn die anderen Systeme versagen, dann wird es wohl auch staatliche Einrichtungen brauchen – staatlich finanzierte Einrichtungen. Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips bin ich nämlich der Auffassung, dass in diesem Bereich tatsächlich zivilgesellschaftliche Einrichtungen stark gefördert werden sollten, aber auch das Thema Leben mit Kindern sollte dazukommen, es sollte Verantwortung für die Geschlechtspartner als Personen vermittelt werden und auch angeregt werden, darüber zu reflektieren.

Für mich persönlich ist auch wichtig, dass das anonym geschieht. Deshalb ist das aus meiner Sicht eine gute Gelegenheit, sozioökonomische Grunddaten für die Situationen, in denen Menschen Beratung suchen, zu erheben, sodass der Staat weiß, wieweit tatsächlich Bedarf für Beratung sowie allenfalls für Maßnahmen besteht.

Damit sind wir beim nächsten Thema des Volksbegehrens: „Volle Kostenübernahme von Schwangerschaftstests, Verhütung[...]“ und so weiter, und „Schwangerschaftsabbrüchen durch Krankenkassen“.

Der Staat kann in seiner privatwirtschaftlichen Verantwortung alles finanzieren, was er will, sofern es nicht gegen gute Sitten oder das Gesetz verstößt. Gerade die Krankenkassen scheinen mir aber hier nicht der Punkt zu sein. Kompetenzrechtlich ist nämlich die Krankenversicherung auf Behandlungen von Krankheiten ausgerichtet. Der Verfassungsgerichtshof legt die Kompetenzbestimmungen sehr eng aus, nämlich so, wie sie im Jahr 1920 im Sinne des Versteinerungsprinzips angelegt wurden, und da ist die Aufgabe der Krankenversicherung die Behandlung von Krankheiten. Schwangerschaft ist keine Krankheit. Prävention ist auch nicht Aufgabe der Krankenversicherung. Insofern wäre das im Rahmen der bestehenden Kompetenzlage über die Sozialversicherung meines Erachtens nicht möglich.

Eine Finanzierung in bestehender Kompetenzlage wäre aber, abgesehen von Privatwirtschaftsverwaltung, über die Sozialhilfe möglich, im Rahmen der Hilfe in besonderen Lebenslagen. Das kennen wir ja. Hierfür ist allerdings die Berücksichtigung des Einkommens und der Vermögenslage Voraussetzung. Da stellt der Staat an sich Institutionen zur Verfügung, fragt aber – means-tested –, ob nicht eigene Leistungen möglich sind, um die Inanspruchnahme des Angebots zu finanzieren.

Letzter Punkt, „Angebot und Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen in allen öffentlichen Krankenanstalten“: Hierbei ist zu bedenken, dass es auch Rechtsträger geben muss, die Abtreibung in ihren Organisationen zulassen, und es Menschen geben muss, die Abtreibungen durchführen. Da geht es um viel konkretere Grundrechtseingriffe als bei Plakaten, weil persönliche Handlungen von Mensch zu Mensch zu setzen sind und deshalb die Betroffenheitsintensität sehr hoch ist.

Im Effekt kann es dazu kommen, dass man eine Rechtspflicht normiert, die aber nicht umgesetzt werden kann. Nach geltendem Recht – und ich glaube, das ist auch grundrechtlich in Form der Gewissensfreiheit klar abgesichert – kann man niemanden zwingen, die entsprechenden Handlungen zu setzen. Es könnte daher dazu kommen, dass sich bestimmte Rechtsträger, die für die öffentliche Gesundheitsversorgung wichtig sind, aus dieser zurückziehen und damit auf andere Weise ein Versorgungsdefizit entsteht. Allen öffentlichen Krankenanstalten eine generelle Verpflichtung aufzuerlegen, hielte ich daher für unzweckmäßig. – Ich danke.

Prim. Univ.-Prof. DDr. MMag. Barbara Maier: Sehr geehrte Vorsitzende! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf als Frau, als Frauenärztin, als Mutter einer erwachsenen Tochter und als Chefärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Wilhelminenspital in Wien zum Thema selbst bestimmen, sexuelle und reproduktive Rechte der Frau, zu Ihnen sprechen.

Meine Qualifikation bezieht sich nicht nur auf alle Fragen der Frauenheilkunde und Geburtshilfe, ich habe auch eine jahrzehntelange Erfahrung in der Betreuung von Frauen mit gewollter, aber auch mit ungewollter Schwangerschaft.

Als Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung sowie auch als langjähriges Mitglied der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt setze ich mich für die sexuellen und reproduktiven Rechte der Frau seit Jahrzehnten ein.

Was bedeutet nun reproduktive Selbstbestimmung, Autonomie? – Eine schwangere Frau kann entscheiden, ob sie die Schwangerschaft fortsetzen will, fortsetzen kann, oder nicht. Individuelle Selbstbestimmung, erst recht wenn es einen intimen Bereich wie den der Sexualität und Fortpflanzung betrifft, ist ein Menschenrecht und damit auch ein Frauenrecht.

Sie als verantwortliche, frauensolidarische PolitikerInnen haben aus meiner Sicht solche Rechte zu verteidigen. Eine Frau hat, wie jeder andere Mensch auch, das Recht, vor Bevormundung und Fremdbestimmung geschützt zu werden. Entscheiden sollen diejenigen – das ist ethisches Grundprinzip –, die von der Entscheidung am meisten betroffen sind, also die Frauen.

Eine Frau zu einer ungewollten Schwangerschaft zu zwingen, das heißt, einen Schwangerschaftsabbruch zu verweigern, ist Gewaltausübung gegen diese Frau, eigentlich eine Vergewaltigung ihrer Person. Keine Frau wird umgekehrt gezwungen, einen Abbruch durchzuführen – da sind wir uns ja einig.

Die natürliche Fruchtbarkeit von Frauen darf nicht, wie das die Suffragetten einmal genannt haben, in einen Gebärzwang münden, in eine Verweigerung von Verhütung und den Zwang zum Austragen einer nicht gewollten Schwangerschaft.

Frauen haben in Österreich die Möglichkeit, innerhalb der Fristenlösung einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. Wenn diese Frist verstrichen ist, gibt es die Möglichkeit, den Abbruch mit medizinischer Indikation, beispielsweise bei Vergewaltigung oder bei Fehlbildung des Embryos oder des Fötus – und es heißt im Gesetz embryopathische Indikation, nicht eugenische Indikation –, durchführen zu lassen.

Was die Motive betrifft, sind nicht die Meinungen verschiedenster Menschen gefragt, sondern die Meinungen der betroffenen Frauen. Zu den Motiven werden Beziehungsprobleme, finanzielle Schwierigkeiten, Schwierigkeiten am Arbeitsplatz und bereits abgeschlossene Familienplanung angegeben; und wie Frauen Schwangerschaftsabbrüche verarbeiten, dazu sind auch sie selbst zu befragen. Das hat eine amerikanische Studie, die Turnaway-Studie, getan. Dabei geht es auch um die Entmystifizierung von Abtreibungsmythen. Es wurden Frauen, die einen Abbruch vorgenommen haben, und solche, denen ein Abbruch verweigert worden ist, untersucht. Die Frauen mit Abbruch hatten deutlich weniger depressive Symptome und Probleme als die Frauen, denen der Abbruch verweigert worden war.

Sehr geehrte Damen und Herren, es ist deshalb so wichtig, die Selbstbestimmung der Frau ohne Bevormundung ihrer Fruchtbarkeit zu verteidigen, weil es in den Debatten offensichtlich immer wieder um Macht über die Fortpflanzung geht. In Zeiten, in denen wir 100 Jahre Frauenwahlrecht feiern, sollte die Selbstbestimmung, die von den Suffragetten im Außen, was den Job betrifft – equal pay, da sind wir eh noch lange nicht dort –, gefordert und erreicht worden ist, nicht in den intimsten Lebensbereichen wie dem der Sexualität und der Fortpflanzung zurückgenommen werden.

Sie als PolitikerInnen – Sie verzeihen mir, wenn ich das so an Sie richte – haben die Aufgabe, die Entscheidungsfreiheit von Frauen in diesem intimsten Lebensbereich nicht nur zu wahren, sondern zu garantieren.

Als kompetente Fachkräfte in der ÖGF, der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung, fordern wir auch: sexuelle Bildung von Anfang an – wir haben gerade ein Manual für PädagogInnen herausgebracht, „SEX, WAS?“, von der Frau Vorsitzenden dieses Ausschusses sehr unterstützt –; nachhaltige Verhütung auf Krankenschein – die Kostenhürde ist insbesondere am Beginn der Langzeitverhütung, sprich Spirale, absolut zu senken –; Abbruch auf Krankenschein – das würde bedeuten, dass wir zu den Schwangerschaftsabbrüchen in Österreich auch eine Statistik hätten –; Wartefristen und Zwangsberatungen hintanstellen, weil sie nichts bringen – 98 Prozent der Frauen sind entschlossen, wenn sie den Arzt aufsuchen und einen Schwangerschaftsabbruch nachfragen –; Theorie und Praxis enger aneinander angleichen – die Kosten sind immer noch 500 bis 1 000 Euro – und die Beratungspflicht auch abschaffen.

Da meine Redezeit zu Ende ist, komme ich nun zur Zusammenfassung: Eine soziale Frauenheilkunde in einer gerechten Gesellschaft engagiert sich für Frauenrechte im sexuellen und reproduktiven Bereich. Wenn Österreich, wie es 2009 in einem „Profil“-Artikel geheißen hat, im EU-Vergleich, im internationalen Vergleich das Abtreibungsland par excellence ist, dann muss man sagen, dass es darum geht, die Verhinderung und Behinderung von Prävention – Präventionsmaßnahmen werden oft aus ideologischen Gründen nicht durchgeführt – aufzuheben.

Ich darf Sie bitten: Handeln Sie zielorientiert, verantwortungsbewusst, geben Sie Widerstände gegen Präventionsmaßnahmen aus ideologischen Gründen auf! Unsere frauenheilkundliche wie gesellschaftspolitische Aufgabe ist es, Frauen und Paare in ihrem verantwortungsbewussten Lebensentwurf mit gewollten Kindern zu unterstützen. – Danke. (Beifall.)

Ao. Univ.-Prof. Dr. Peter Frigo: Sehr geehrte Vorsitzende! Meine Damen und Herren! Ich bin ebenfalls Gynäkologe und war als Gesundheitspolitiker auf vielen Ebenen tätig. Ich beschäftige mich tagtäglich in meiner Ambulanz mit Frauen und bin ein bisschen bestürzt, dass ich hier als Experte geladen bin; ich habe eigentlich nicht vor, eine politische Rede zu halten, und möchte mich ein bisschen an die Statistik halten. Ich bin auch Wissenschaftler, und die Statistik zeigt da ein bisschen einen Etikettenschwindel auf.

Der Etikettenschwindel bei dem ganzen Volksbegehren, kommt mir vor, ist ein bisschen die Beschönigung der Statistik, nämlich dass in Österreich eigentlich jede dritte Schwangerschaft abgetrieben wird; diese Dunkelziffer finde ich sehr hoch.

Man soll sich also da nicht übertrieben für die Abtreibung einsetzen, sondern im Gegenteil – und da bin ich ganz bei Ihnen, bei den ersten Punkten – für eine Aufklärung in den Schulen, Bildungseinrichtungen und Beratungseinrichtungen – aber doch um Gottes Willen nicht in übertriebenem Maße für die Abtreibung, noch dazu bei diesen Statistiken, dass in Österreich im Jahr gut 30 000 Abtreibungen stattfinden.

Auch die Untertreibung, dass eine Abtreibung so quasi eh kein Trauma für die Frau ist: Ich glaube, diejenigen unter Ihnen, die schon eine Abtreibung hinter sich haben, werden mir schon bestätigen können, dass eine Abtreibung für eine Frau durchaus ein traumatisches Ereignis ist. Ich will es jetzt vielleicht nicht als Trauma bezeichnen, aber es kann doch auch eine gewisse Veränderung im Leben einer Frau darstellen. (Abg. Erasim: Große Worte von einem Mann!) – In diesem Fall bin ich nicht als Mann, sondern als Experte geladen, und ich kann Ihnen als Frauenarzt versichern, dass ich durchaus Erfahrung damit habe und dass ich, wenn ich es auch nicht direkt fühle, durchaus empathisch mitfühlen kann. Dementsprechend kann ich Ihnen als Frauenarzt auch sagen, dass da auch Geld für Kind und Familie bereitgestellt werden sollte, zum Beispiel für junge Patientinnen, die ein Karzinom haben und die ein Medical Freezing – ein Einfrieren der Eizellen – brauchen würden. Das wird nämlich zum Beispiel nicht bezahlt.

Gehen wir aber noch einmal zur Geschichte mit den Beratungsstellen und den Gratisverhütungsmitteln, die Sie ja so quasi anfordern: Beratungsstellen? Wer soll da beraten? Eine Sekretärin oder irgendein Psychologe, oder was ist da die Vorstellung? Prinzipiell gibt es den Frauenarzt und die Frauenärztin, die beraten, gerade in Spezialfällen und individuellen Sachen, weil eine Frau eine individuelle Person ist, die vielleicht schon eine Erkrankung hat, die zum Beispiel besondere Erfordernisse hat. Sie hat ihren Frauenarzt, und da könnte man beim Frauenarzt gerade auch die Schwangerschafts- und Kontrazeptionsberatung als Kassenleistung einführen. Die wird nämlich auch nicht bezahlt.

Gratisverhütungsmittel in irgendwelchen Beratungsstellen zu verteilen – ich weiß nicht, wie da die Vorstellung ist: dass man quasi die Pille verteilen soll, die gibt Ihnen dann irgendjemand beim Kiosk oder bei der Beratungsstelle? Das kann ja auch nicht in Ihrem Sinn sein, das kann auch nicht im Sinn der Frauen sein. Auch das sollte eigentlich von Ärzten gemacht werden und nicht von irgendjemandem. Meinetwegen kann man Kondome verteilen, aber irgendwelche diffizileren Verhütungsmittel gratis irgendwo zu verteilen, halte ich natürlich auch nicht für den richtigen Weg.

Es gibt dann noch eine Forderung, die wahrscheinlich von der EU kommt, damals in diesem McCafferty-Bericht oder wie der geheißen hat, dass man quasi jeden Arzt in der EU zwingt, einen Schwangerschaftsabbruch zu machen. Das empfinde ich persönlich ebenso wie, so glaube ich, auch viele meiner Kollegen als unethisch.

Auch die Forderung, in allen öffentlichen Spitälern dementsprechend Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, ist schwierig, weil nicht jede Mannschaft und auch nicht jeder Arzt das machen möchte. Dementsprechend ist diese Forderung insofern ein bisschen schwierig zu erfüllen, weil es nicht in jedem Spital einen Arzt gibt – ich glaube, derzeit zum Beispiel in der Rudolfstiftung nicht , der einen Schwangerschaftsabbruch macht. Dementsprechend kann ich Ihnen sagen, dass das nicht so einfach durchzuführen ist. Natürlich, in den meisten Spitälern, aber in allen Spitälern: Dieser Forderung wird auch nicht so leicht nachzukommen sein, wenn man sich einer gewissen ethischen Grundeinstellung – und die haben wir ja hoffentlich alle – unterwirft.

Dementsprechend möchte ich mit den Worten schließen, dass man eigentlich gewisse Forderungen, die Sie stellen, durchaus unterstützen kann. Eine gewisse Aufklärung der Jugend kann man unterstützen, wenn ich aber den Worten von Professor Mazal folge, wurde diese Forderung hier wahrscheinlich leider Gottes am falschen Ort gestellt, weil das nicht in den Nationalrat gehört, sondern, glaube ich, Ländersache ist.

Ansonsten wehre ich mich dagegen, dass man den Schwangerschaftsabbruch vehement unterstützt und nicht vielleicht sinnvollere Projekte wie zum Beispiel das Medical Freezing.

Dr. Christian Fiala: Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte vorausschicken, dass ich einige Unterlagen, unter anderem auch mein Statement, in ausreichender Zahl mitgebracht habe und Ihnen nachher gerne zur Verfügung stelle.

Als praktischer Arzt und als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe betreue ich seit über 30 Jahren Frauen mit gewollten Schwangerschaften und mit ungewollten Schwangerschaften, schwerpunktmäßig seit 15 Jahren im Gynmed Ambulatorium Frauen mit ungewollten Schwangerschaften in Wien sowie in Salzburg. Ferner bin ich Mitglied der Forschungsgruppe zu Reproduktiver Gesundheit an der Universität Stockholm, weil es eine ähnliche Forschungsgruppe in Österreich nicht gibt.

Basierend auf dieser langjährigen beruflichen Erfahrung unter anderem in einigen anderen Ländern und in Kenntnis der zahlreichen nationalen und internationalen Fachpublikationen sowie von Studien zum Thema möchte ich wie folgt Stellung nehmen:

Das Ergebnis der letzten Jahrzehnte österreichischer Familienpolitik könnte nicht schlechter sein. Wir haben eine der niedrigsten Geburtenraten in Europa und gleichzeitig eine der höchsten Abtreibungsraten. Ich möchte das fast noch einmal betonen: eine der niedrigsten Geburtenraten und eine der höchsten Abtreibungsraten! Die Menschen wünschen sich in diesem Land im Durchschnitt zwar zwei Kinder, sie realisieren jedoch nur 1,5 – es gibt ausreichend Studien dazu, warum das so ist – während die Menschen zum Beispiel in Schweden und in Frankreich deutlich mehr Kinder bekommen.

Offensichtlich gibt es also zu wenig Unterstützung für das Leben mit gewollten Kindern in diesem Land und gleichzeitig zu wenig Prävention ungewollter Schwangerschaften. Ich möchte daran erinnern, dass Frauen etwa 35 Jahre lang fruchtbar sind und im Normalfall, ohne Verhütung, im Durchschnitt etwa 15 Schwangerschaften haben. Offensichtlich führt die schlechte Verhütung auch nicht zu mehr Geburten, sondern nur zu mehr Abtreibungen, wie unter anderem der aktuelle Österreichische Verhütungsreport zeigt. Auch diesen habe ich mitgebracht, und er steht Ihnen zur Verfügung.

Der Grund für dieses beschämende Ergebnis der österreichischen Familienpolitik ist die Tatsache, dass sie ideologisch bestimmt war und ist und die Bedürfnisse der Menschen weitgehend ignoriert. Dies versucht das vorliegende Volksbegehren zu ändern. Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung ist das Motto.

Es ist vorhin schon zur Sprache gekommen, dass die Selbstbestimmung, das Frauenwahlrecht, vor 100 Jahren eingeführt wurde. In den letzten 100 Jahren ist ein Trend hin zur Selbstbestimmung selbstverständlich geworden, insbesondere auch für Frauen. Absurderweise haben wir jedoch in den intimsten Lebensbereichen, der eigenen Fruchtbarkeit und der eigenen Sexualität, immer noch ein unglaubliches Ausmaß an Fremdbestimmung, welches aus der Monarchie und dem Faschismus stammt. Es sei daran erinnert, dass die letzte Frau, die in Wien exekutiert wurde, weil sie Abtreibungen gemacht hat, im Januar 1945 exekutiert wurde, weil im Dritten Reich die Abtreibung mit der Todesstrafe bestraft wurde.

Ich möchte ebenfalls daran erinnern, dass der Staat hinsichtlich der individuellen Sexualität und Fruchtbarkeit verständlicherweise keinerlei fachliche Kompetenz hat und staatliche Restriktionen in diesem Bereich deshalb negative bis katastrophale Konsequenzen haben, wie die Vergangenheit eindrücklich beweist, und ich bin gerne bereit, dazu zahlreiche Beispiele anzuführen.

Trotzdem gibt es immer noch zahlreiche Reste der aus der Monarchie stammenden Bevormundung insbesondere von Frauen und Paaren in den intimsten Lebensbereichen. Die Rolle des Staates sollte es aber nicht sein, den Menschen diesbezüglich Vorschriften zu machen, sondern es sollte seine Aufgabe sein, sie bei der Umsetzung selbstbestimmter Entscheidungen zu unterstützen. Genau diese überfällige Forderung stellt das Volksbegehren.

Ein wichtiger Aspekt, um die Prävention ungewollter Schwangerschaften zu stärken und Menschen in ihrem Bemühen um ein Leben mit gewollten Kindern zu unterstützen, ist unter anderem, und das wurde schon erwähnt, eine kostenfreie Verhütungsberatung für Jugendliche und Erwachsene. Es sei daran erinnert, dass die Wiener Gebietskrankenkasse vor zwei Jahren von den Ärzten, den Gynäkologen, das Honorar für Beratung zurückgefordert hat, wenn diese Ärzte über Verhütung beraten haben – ein absoluter Skandal!

Ferner ist eine weitere Forderung jene nach unbedingter Übernahme der Kosten für Verhütung, insbesondere für die sehr wirksamen Langzeitmethoden, weil dabei alle Kosten zu Beginn anfallen und dies für viele Frauen eine unüberwindbare Hürde darstellt, insbesondere für Frauen mit Kindern. Das heißt, die Kostenübernahme von Verhütung ist eine essenzielle familienpolitische Maßnahme.

Die Kostenübernahme auch für Schwangerschaftsabbrüche: Ich darf daran erinnern, dass Österreich das einzige Land in Westeuropa ist, in welchem Frauen Verhütung und Abbruch selbst bezahlen müssen. Die meisten Frauen, die zu einem Abbruch kommen, haben aber bereits Kinder. Deshalb werden sie von dieser unsozialen Maßnahme besonders getroffen. Überall sonst ist es eine selbstverständliche soziale Maßnahme und ein integraler Teil der Gesundheitsvorsorge und der Familienpolitik, auch die Kosten für den Schwangerschaftsabbruch zu übernehmen, beispielweise auch in Irland. Da wurde der Abbruch vor zwei Monaten legalisiert, wie Sie wissen, und auch dort wird der Abbruch von den Krankenkassen übernommen.

Eine weitere Forderungen ist noch jene nach ersatzloser Streichung der Androhung von einem Jahr Gefängnis. Ich finde es beschämend, in einem Land zu leben, in dem Frauen immer noch mit einem Jahr Gefängnis bedroht werden, wenn sie einen Abbruch selbst und ohne Arzt, zum Beispiel mittels der Abtreibungspille, durchführen. In Kanada, im Internet und in Indien gibt es die Abtreibungspille schon seit Jahren. Die Erfahrung zeigt, dass das gut funktioniert.

Eine letzte Forderung, die unbedingt zu erheben ist, bezieht sich auf die rezeptfreie Abgabe der Abtreibungspille. Das ist wie ein Spontanabort. Sehr geehrte Damen, Sie wissen, Sie managen Spontanaborte selbst. Es gibt eben diese Abtreibungspille schon rezeptfrei über das Internet oder in Indien. Die Erfahrung zeigt, dass Frauen auch einen medikamentösen Abbruch genauso gut selbst managen können wie einen Spontanabort.

Ein letzter Satz: Anstelle der zum Scheitern verurteilten Anmaßung des Staates, ungeborenes Leben mittels Bevormundung von Frauen bei ungewollter Schwangerschaft zu schützen, erwarten sich die Menschen in Österreich von der Regierung mehr Verständnis für Familien in unserer Gesellschaft, höhere Akzeptanz für Mütter am Arbeitsplatz, bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, höhere Familienbeihilfe und Familieneinkommen. Auch da gibt es genügend Umfragen und Studien, die das eindeutig zeigen.

Marlies Hübner: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrtes Frauenvolksbegehren! Liebe ZuseherInnen! Frauen in Österreich erleben unter Schwarz-Blau eine Regierung, die versucht, ihnen hart erkämpfte Rechte nach und nach zugunsten eines konservativen Rollenbildes zu nehmen. Manches, wie die Bewertung von Arbeitsuchenden via Algorithmus, der Frauen und Minderheiten automatisch schlechter einstuft, geschieht unter den Augen der Öffentlichkeit. Anderes, wie die parlamentarische Bürgerinitiative #fairändern, wird im Verborgenen vorangetrieben. Bei dieser Bürgerinitiative handelt es sich um einen Katalog an Forderungen, der Schwangerschaftsabbrüche und damit das Selbstbestimmungsrecht schwangerer Frauen empfindlich einschränken will. Unter den 56 000 UnterstützerInnen sind prominente VertreterInnen wie die besonders von Menschen mit Behinderung kritisierte ÖVP‑Behindertensprecherin Kira Grünberg, Ex‑Landeshauptmann Erwin Pröll und Verkehrsminister Norbert Hofer.

In diesem Forderungskatalog findet sich auch ein Angriff auf das Recht auf Schwangerschaftsabbruch bei embryopathischer Indikation. Das bedeutet, dass eine Schwangerschaft bis zum Zeitpunkt der Geburt beendet werden darf, wenn eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein wird. Gerechtfertigt wird dies mit der Floskel, man wolle die Diskriminierung von ungeborenen behinderten Kindern beenden.

Die Erstunterzeichnerin, Petra Plonner, sagt: „Ich möchte bewirken, dass sich in einem fortschrittlichen und fürsorglichen Land wie Österreich keine Frau zu einem Schwangerschaftsabbruch gedrängt fühlt.“ Das ist bereits für sich eine gewagte Aussage, aber angesichts des Umgangs Österreichs mit Behinderten an Zynismus kaum zu überbieten, denn Österreich ist kein behindertenfreundliches Land.

Als Frau mit einer Schwerbehinderung erlebe ich beinahe täglich Ausschluss und Benachteiligung, und das oft auch schon auf Gesetzesebene. Die Regelung hinsichtlich begünstigter schwerbehinderter Personen diskriminiert Betroffene auf dem Arbeitsmarkt. Barrierefreiheit und Inklusion werden auch nach der Unterzeichnung der UN‑Behindertenrechtskonvention, die im Oktober 2008 in Kraft trat, beschnitten statt ausgebaut. Förderschulen und Behindertenwerkstätten werden wieder vermehrt unterstützt und Menschen mit Behinderung somit aus der Mitte der Gesellschaft ausgeschlossen.

Im August 2018 wurde Menschen mit Behinderung die erhöhte Familienbeihilfe gestrichen. Das bedeutet eine erhebliche Einbuße von rund 380 Euro im Monat, was die Finanzierung eines selbstbestimmten Lebens noch schwerer macht.

Hinzu kommt die gesellschaftliche Stellung von Menschen mit Behinderung. Behinderungen werden als Makel, als Fehler betrachtet, und Eltern behinderter Kinder müssen sich nicht selten die Frage gefallen lassen, ob man das nicht hätte verhindern können.

Nicht wenige nicht behinderte erwachsene Personen hatten in ihrem Leben noch nie Kontakt mit behinderten Personen. Die Inklusion behinderter Kinder wird gerne als zu teuer oder zu aufwendig abgetan, was bei Betreuungsplätzen beginnt und bei der Schulbildung endet. Oft ist ihr Weg von Förderschulen bis zum Leben in Heimen und zum Taschengelderwerb in Werkstätten vorgezeichnet. All das findet am Rand der Gesellschaft in einer abgeschlossenen Parallelgesellschaft statt, aus der sie selbst keinen Ausweg finden.

Ein behindertes Kind zu bekommen, bedeutet für die Eltern nicht selten einen Ausschluss aus der Gesellschaft und eine finanzielle Mehrbelastung durch nicht gesicherte Pflege und Betreuung. Ist diese Belastung nicht leistbar, droht Armut und Verschuldung. Unfreiwillig ein behindertes Kind zu bekommen, setzt sie zusätzlich einer großen psychischen Belastung aus, denn sie konnten sich nicht freiwillig für diese Situation und die lebensverändernden Folgen für die kommenden Jahrzehnte entscheiden. Auch die Möglichkeit einer Adoption ist unter diesen Gesichtspunkten kein Argument, das betroffene Frauen wirklich entlastet – denn genau darum geht es: Freiwilligkeit, Entscheidungsfreiheit, Selbstbestimmung. All das zu haben, wertet das Leben mit einer Behinderung nicht ab. Im Gegenteil: Es ermöglicht eine bewusste Entscheidung dafür.

Österreich ist ein Land, das den Abbruch von Schwangerschaften bei embryopathischer Indikation, also beim Verdacht einer Behinderung, abschaffen möchte, das aber keine Strukturen schafft, damit Menschen mit Behinderung ein gleichberechtigtes Leben führen können. Bestehende Strukturen werden sogar eingeschränkt oder abgeschafft. Die tatsächliche Umsetzung einer Petition wie #fairändern wäre daher ein empfindlicher Eingriff in das Recht der Selbstbestimmung von Frauen und sollte zwingend verhindert werden.

Keine Frau beendet eine Schwangerschaft gerne oder leichtsinnig. Auch den Wert eines Lebens mit Behinderung wird der Großteil von ihnen vermutlich nicht infrage stellen. Die Anerkennung des Werts behinderten Lebens ändert aber nichts daran, dass Frauen ausnahmslos selbst bestimmen sollten, ob sie ein Kind bekommen möchten oder nicht, unabhängig von einer vermuteten Behinderung. Gleichzeitig muss das Leben von Menschen mit Behinderung zwingend in die Mitte der Gesellschaft verlegt werden und gleichberechtigt werden, was unter anderem die lückenlose Umsetzung der UN‑Behindertenrechtskonvention erfordert. Dann haben auch mehr Frauen die Möglichkeit, sich bewusst für ein Kind mit Behinderung zu entscheiden. (Beifall.)

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Abgeordnete Dr. Gudrun Kugler (ÖVP): Ein herzliches Grüß Gott an alle Gäste, die heute da sind, auch von mir.

Ich stimme der Überschrift dieses Kapitels aus vollem Herzen zu. Mädchen und Frauen sollen aufgeklärt, unabhängig und frei von Zwängen über ihren Körper und ihre Sexualität bestimmen können. Ich frage mich nur, ob Sie in der Ausarbeitung der Forderungen die richtigen Forderungen aufgreifen und warum dieses wichtige Thema auf die Finanzierung durch die öffentliche Hand beschränkt ist. Einiges, was wir hier gehört haben, fühlt sich an, als ob wir in die Fünfzigerjahre zurückgeworfen würden.

Frau Hashemi, Zugang zu Information: Selbstverständlich gibt es in Österreich Aufklärung und Sexualkunde in der Schule. Es ist Ihnen sicher bekannt, dass wir einen Grundsatzerlass dazu haben, aber – da bin ich ganz bei Ihnen – da besteht anscheinend wirklich Reformbedarf. Die Beratungsstellen sagen, es kommen immer wieder Mädchen, die gar nicht gewusst haben, dass man beim ersten Mal schwanger werden kann, und so weiter.

Darum sage ich: Reformbedarf für die Sexualerziehung, wie sie gemacht wird – absolut. Was sehen wir dort? Mir kommt vor, es wird im Sexualkundeunterricht mehr über sexuelle Experimente gesprochen als über die Körperfunktionen, über den verantwortungsvollen Umgang mit Sexualität und darüber, was Sexualität vielleicht mit Liebe und Stabilität von Beziehungen zu tun hat. Da treffen wir uns, da braucht es wahrscheinlich eine Reform. Dass es das gibt, habe ich Ihren Ausführungen nicht entnommen. Das muss man aber doch vorab einmal gesagt haben.

Zum Thema Finanzierung von Abtreibung ist schon gesagt worden, dass die österreichische Verfassung vorsieht, dass die Krankenversicherung wirklich nur die Finanzierung dessen übernimmt, was für eine Genesung notwendig ist. Das ist ein in Österreich in der Verfassung tief verankertes Prinzip.

Es wurde aber auch von vielen, auch von den Vertreterinnen und Vertretern des Frauenvolksbegehrens, gesagt, wie schade es ist, dass eine Statistik fehlt, dass wir vielleicht auch in der Beratung nicht umfassend genug beraten. Ich möchte eine Frage an Professor Mazal richten, nämlich, wie denn Information und Beratung aussehen sollten. Sozioökonomische Faktoren hat Herr Professor Mazal schon angesprochen.

Da darf ich vielleicht auch Frau Hübner antworten: Vielleicht ist es nicht passend, im Rahmen eines Volksbegehrens gegen eine Bürgerinitiative aufzutreten, weil wir alle Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen wollen.

Ich bin aber ganz bei Ihnen, dass wir für Menschen mit Behinderung alle Strukturen schaffen müssen, die es braucht, damit sie inkludiert in der Mitte der Gesellschaft, wie Sie sagen, leben können. Ich glaube, dass die Möglichkeit, behinderte ungeborene Kinder bis zur Geburt, bis zum Einsetzen der Wehen, abzutreiben, dafür keine Hilfe ist. Ich möchte diese Diskussion auch in den Raum stellen, denn ich glaube, das ist wichtig.

Ich möchte noch zu bedenken geben: Mehr, weit mehr als die Hälfte aller abgetriebenen Kinder sind Mädchen.

Ich muss noch kurz sagen, dass es zum Thema Finanzierung der Beratungsstellen einen Mythos gibt, auf den ich antworten möchte: Es wurden die Mittel für die Beratungsstellen für Frauen und Mädchen nicht gekürzt. Die gleichen 12 Millionen Euro werden weiterhin für die rund 400 Beratungsstellen zur Verfügung gestellt. (Abg. Lindner: Das stimmt doch nicht!) – Es ist sogar noch besser, als es vorher war, denn wir haben diesen Betrag auch bereits für das nächste Jahr zusagen können. Das ist wichtig für die Planungssicherheit.

Abgeordnete Katharina Kucharowits (SPÖ): Geschätzte Expertinnen und Experten! Geschätzte Aktivistinnen des Frauenvolksbegehrens! An euch alle: Das Recht auf Selbstbestimmung, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, sehr geehrte Damen und Herren, ist ein Frauenrecht und ist ein Menschenrecht. Sexuelle und reproduktive Rechte sind für uns einfach nicht verhandelbar, weil jede Frau das Recht hat, selbst zu entscheiden: Bekomme ich ein Kind? Mit wem bekomme ich ein Kind? Möchte ich überhaupt ein Kind?

Mit wem jeder Mensch Sex hat, kann er oder sie auch selbst entscheiden. Das geht uns überhaupt nichts an. Es braucht aber definitiv  deswegen ist es so super, dass diese Forderungen einfach im Frauenvolksbegehren drinnen sind – etwas ganz anderes. Es braucht, das haben einige Expertinnen und Experten untermauert, kompetente sexuelle Bildung. Das bedeutet zum einen das Fitmachen der Pädagoginnen und Pädagogen von Anfang an, aber es braucht auch externe Expertinnen, die kompetent sind, und nicht solche Anbieterinnen wie Teenstar, denn die gehören aus den Schulen verbannt, weil sie keine umfassende sexuelle Bildung machen, sondern diskriminieren und stigmatisieren und Menschen ins Eck stellen, die nicht in ihr Weltbild passen.

Frau Kollegin Kugler, jedes Kind hat das Recht, über den Körper Bescheid zu wissen, weil das ein Menschenrecht ist. Glauben Sie mir, externe Expertinnen wissen das! Dazu braucht es nicht Menschen aus der Politik, die da Zurufe tätigen, wie Sie es heute getan haben.

Das Zweite, was den Zugang zu kostenlosen Verhütungsmitteln anbelangt: Ich würde das auch gerne in eine Frage verpacken. Ich glaube, Österreich ist nicht nur im europäischen Kontext, sondern darüber hinaus eines der Länder mit den teuersten Verhütungsmitteln. Vielleicht, entweder Frau Professorin Maier oder Herr Dr. Fiala, könnten Sie das beantworten, wie sich da der internationale Vergleich wirklich gestaltet.

Ein dritter Punkt: Ganz ehrlich – das hat heute ein Experte auf dem Podium gesagt –, Schwangerschaftsabbrüche, entscheiden zu können: Bekomme ich ein Kind – ja oder nein?, das darf nicht davon abhängen, wie dick ein Geldbörsel ist, und das darf auch nicht davon abhängen, ob man im Burgenland, in Wien, in Vorarlberg oder in Tirol zu Hause ist. Deshalb braucht es ganz einfach den Zugang auch in den öffentlichen Spitälern.

Abgeordnete Carmen Schimanek (FPÖ): Werte Experten! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Liebe Vertreter des Frauenvolksbegehrens! Eines möchte ich vorweg ganz klar festhalten, weil es in der Diskussion immer ein wenig mitschwingt: Diese Bundesregierung kratzt nicht an der Fristenlösung. Ich möchte diese Diskussion mit dem heutigen Tag beenden, weil immer wieder bei gewissen Veranstaltungen behauptet wird, diese Bundesregierung wolle da Rückschritte einleiten. – Dem möchte ich mich hier und jetzt klipp und klar widersetzen.

Was mich aber auch betroffen macht, ist das, was heute Professor Frigo angesprochen hat: dass Österreich eines der Länder mit den meisten Abtreibungen in Europa ist. Das ist bedenklich, und darüber sollten wir uns auch Gedanken machen; jede dritte Schwangerschaft wird abgebrochen. Der Schutz des Lebens soll für uns alle im Fokus stehen, auch wenn das Recht auf Abtreibung bis zum dritten Monat in Österreich gesetzlich verankert ist.

Eine Abtreibung ist immer ein gesundheitlicher Eingriff. In jeder Diskussion über Abtreibung höre ich, egal über welche Parteigrenzen hinweg: Wir müssen versuchen, die Abtreibungen in Österreich einzudämmen, damit Frauen nicht solche Eingriffe vornehmen müssen. Auch wenn hier das Post-Abortion-Syndrom immer wieder geleugnet wird, wenn gesagt wird, das darf es nicht geben, kenne ich sehr viele Frauen, die sehr wohl ein Problem damit haben, wenn sie abgetrieben haben, und jahrelang danach immer wieder den Gedanken haben: Hätte ich das nicht gemacht, dann hätte ich jetzt ein Kind, das bei mir wäre und mich begleiten würde. Auch solche Frauen sollte man ernst nehmen, wenn man diese Forderungen so aufstellt.

Einen Satz möchte ich jetzt aber noch zu Frau Hübner sagen. Es hat mich sehr betroffen gemacht, dass Sie gesagt haben, wir dürfen nicht einmal über eugenische Indikation sprechen. Ich habe in meiner Schulzeit in Filmen gesehen, wie solche Abbrüche gemacht werden – mit dem Herzstich –, wie dann Kindern im Mutterleib die Knochen gebrochen werden und die dann auf die Welt kommen. Das hat mich sehr betroffen gemacht. Ich glaube, wir sind heute im Jahr 2019 in der Lage, Kinder erfolgreich im Leib der Mutter am Herzen zu operieren. Das wurde jetzt in Linz gemacht, das hat hervorragend funktioniert, diese Kinder sind gesund auf die Welt gekommen.

Man darf auch darüber diskutieren, ob man diese Frist hinsichtlich der medizinischen Indikation hinuntersetzt. Wir sollten aber niemanden verurteilen, wir sollten niemanden ächten, der darüber diskutieren möchte. Ich glaube, eine Diskussion, eine sehr sensible Diskussion darf in Österreich über alle Themen geführt werden.

Abgeordnete Claudia Gamon, MSc (WU) (NEOS): Mich machen die Diskussionen über dieses Thema im Nationalrat wirklich immer sehr betroffen – und wir haben sie nicht oft, weil das Thema sehr gerne umschifft wird –, weil ich sie für wahnsinnig verlogen halte. Ich schätze die Meinung der Kolleginnen von der ÖVP und der FPÖ sehr, dass sie die Anzahl der Abbrüche für ein Problem halten. Was tun Sie aber dafür, dass Frauen die Möglichkeit haben, über ihren Körper und ihre Sexualität wirklich selbst zu bestimmen? – Gar nichts. Da reden wir über das Thema Aufklärung, da reden wir über das Thema Verhütung, und da geht einfach nichts weiter.

Wie es Dr. Fiala gesagt hat: Wir sind das einzige Land, in dem weder der Abbruch noch die Verhütungskosten übernommen werden. Das führt geradewegs zu diesem Punkt, den Sie offensichtlich für problematisch halten. Im Übrigen finde ich es gut, dass Frau Kugler endlich die Möglichkeit hat, über ihr Leidenschaftsthema im Nationalrat zu sprechen, und wir auch endlich offen darüber sprechen können, was für fundamentalistische Ansichten sie auch im Bereich Abtreibung vertritt. Das sollte auch einmal an die Öffentlichkeit kommen – auch im Nationalrat.

Sexuelle Selbstbestimmung gibt es in Österreich nicht. Schauen wir einmal nach Vorarlberg, weil die Versorgung, auch was den Zugang zu einem Abbruch betrifft, in Wien wahrscheinlich vergleichsweise gut ist! Schauen wir nach Vorarlberg, wo in keinem öffentlichen Krankenhaus ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt werden kann. Sind Ihnen diese Frauen denn vollkommen egal, die in Vorarlberg und auch in Tirol kaum einen Zugang, jedenfalls keinen niederschwelligen Zugang, zu einem sicheren Abbruch haben?! Wer verhindert das? – Die ÖVP.

Ich kann mich an meine erste Landtagswahl in Vorarlberg erinnern, bei der ein Kandidat Wallner damals gesagt hat, sein wichtigster Punkt ist, dass es in Vorarlberg keine Abbrüche in öffentlichen Krankenhäusern gibt. Ich bin mir sicher, dass es nicht daran liegt, dass es keinen einzigen Arzt und keine einzige Ärztin in einem dieser Krankenhäuser gibt, die einen sicheren Abbruch durchführen würden, sondern daran, dass sich die Politik, die bei dieser Frage ausschließlich ideologisch getrieben ist, gegen die Selbstbestimmung der Frau wendet. Das muss auch einmal klar und offen ausgesprochen werden.

Im Übrigen sind es auch die Koalitionspartner der ÖVP in Tirol und in Vorarlberg, die sich seit Jahren plötzlich nicht mehr zu diesem Thema äußern. Das ist einfach nicht okay.

Dr. Fiala hat verdeutlicht, worum es wirklich geht. Wenn es uns ein Anliegen ist, dass wir über das Thema sprechen, sodass wir wirklich sagen können, Österreich ist auch ein familienfreundliches Land, aber es ist auch ein Land, wo Frauen selber bestimmen können, ob sie Kinder haben oder nicht, dann müssen wir unsere Herangehensweise an das Thema ganz grundsätzlich ändern, weil wir immer darüber urteilen: Wie geht es einer Frau? Hat sie das wirklich so gemeint? Ist sie sich ganz sicher, dass sie das so will? Es geht uns überhaupt nichts an, darüber zu urteilen, wie eine Frau entschieden hat. Wir müssen ihr die Möglichkeit geben, zu entscheiden, aber wir haben nicht darüber zu urteilen, wie es ihr damit geht, wie sie das entschieden hat. Es ist ihre eigene Entscheidung. Und wir müssen auch damit leben können, so wie wir grundsätzlich damit leben können müssen, wenn uns Entscheidungen anderer Menschen nicht passen.

Herr Mazal ist als unabhängiger Experte hier. Deshalb möchte ich Sie selber bitten, weil Sie sich ja hier als Jurist präsentieren, ob Sie uns nicht genauso, wie es Herr Dr. Fiala getan hat, einen transparenten Überblick über Vereine geben wollen, in denen Sie aktiv sind, die vielleicht auch einen Rückschluss auf Ihre Position bieten können, wie Ihre Involvierung in der Aktion Leben, im ÖIF oder in der katholischen Studentenverbindung Nibelungia, die ja auch zum Thema Abbruch ganz spezifische Positionen haben.

Abgeordnete Stephanie Cox, BA (JETZT): Ich werde das, was ich vorbereitet habe, gleich einmal über den Haufen werfen, weil hier schon vieles angesprochen wurde und ich manches gerne hinterfragen würde, vor allem, wenn wir von Trauma sprechen. Bevor ich aber zum Thema Trauma komme, möchte ich auch Frau Marlies Hübner verteidigen und mich dafür bedanken, dass sie als Betroffene hier spricht. Sie ist nicht nur eine Frau, sondern ein Mensch mit Behinderung, ein Mensch mit Autismus. Ich glaube sehr wohl, dass es wichtig ist, dass Sie hier gesprochen haben und auch sagen, welche Auswirkungen die jetzige politische Situation auf Betroffene hat.

Nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern gerade auch wir Frauen werden da sehr oft bevormundet. Uns wird gesagt, was wir brauchen, was wir machen sollen, gerade wenn es um das Thema Verhütung, wenn es um das Thema Schwangerschaftsabbruch geht. Deswegen würde ich auch gerne auf das Thema Trauma eingehen.

Herr Dr. Frigo, Sie haben das Trauma von Frauen an sich angesprochen. Mich würde interessieren, auf welche Studien Sie sich dabei beziehen, vor allem, weil Sie auch gesagt haben, Sie sind Wissenschaftler. Erst einmal würde mich die Studie interessieren, auf die Sie sich beziehen, wenn Sie sagen, jede dritte Schwangerschaft wird abgebrochen. Woher haben Sie diese Zahlen?

Zweitens, gerade was Trauma angeht: Wenn ich mir die Studien anschaue, zum Beispiel von Nancy Russo, die besagen, Depression und psychisches Wohlbefinden von Frauen sind unabhängig davon, ob sie einen Abbruch vornehmen lassen haben, heißt das, viele leiden ganz unabhängig von dem Schwangerschaftsabbruch an Depressionen und psychischen Erkrankungen. Oder Anne Gilchrist: Frauen nach einem Schwangerschaftsabbruch haben keine größeren psychischen Probleme als Frauen, die eine Schwangerschaft austragen.

Ich glaube, das muss man sich auch einmal anschauen, zum Beispiel die postnatale Depression. Da würde ich gerne die Frage an Sie richten, ob Ihnen das ein Begriff ist, weil ich glaube, auch Frauen, die eine Schwangerschaft ausgetragen haben, geht es nicht immer blendend. Deswegen kann man das nicht nur auf den Schwangerschaftsabbruch zurückführen.

Vor allem ist es, wenn man sich die Studien anschaut, auch so, dass viele, die den Abbruch durchführen, aus ungesunden Beziehungen kommen, eine Trennung hinter sich oder vor sich haben, eine Umgebung haben, in der sie nicht mit viel gesegnet sind, wenn es um Geld und Wohlstand geht. Das heißt, das hat viele, viele Gründe, und die muss man auch ansprechen, wenn man schon das Thema Trauma anspricht. – Ja, auch diese Dinge müssen einmal angesprochen werden.

Als Frau ist es mir noch einmal wichtig, zu sagen: Wir brauchen eine geschlechtersensible Pädagogik, wir brauchen eine progressive Sexualpädagogik. Wir haben gesehen – Teenstar war nur ein Beispiel dafür –, dass wir in Österreich noch nicht so weit sind.

Dritter Punkt: Frauen sind mündige Bürgerinnen. Ich bin eine mündige Bürgerin, und ich möchte selber entscheiden können, ob ich eine Schwangerschaft austrage oder nicht – Punkt. Davon dürfen wir keinen Millimeter abweichen, weil die Selbstbestimmung der Frau zu verteidigen ist, nicht nur im Jahr 2019, sondern für die vielen, vielen Jahre und die vielen, vielen Frauen, die nach uns kommen werden.

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Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mazal: Ich ersuche, meine Redezeit kurz überschreiten zu dürfen, um mich mit dem Argumentum ad hominem auseinanderzusetzen.

Ich möchte ganz kurz vorweg sagen: Ich verwahre mich gegen Stereotypisierungen. Ich bin der Auffassung, dass ich als Person so unabhängig bin, dass ich mich selbst entscheiden kann, in welchen Vereinen ich mitarbeite, und zu diesen Vereinen auch entsprechende persönliche Distanz haben kann, wenn sie etwas sagen, fordern und vertreten, was nicht meine Auffassung ist. Gerade was die Aktion Leben betrifft, halte ich es aber für legitim und identifiziere ich mich auch damit, dass ein Verein die Auffassung hat, dass an der Fristenregelung nicht gerüttelt werden soll, dass aber die Menschen, die Beratung suchen, auch entsprechend informieren werden – ergebnisoffen.

Das ist das, was ein Grundprinzip der Aktion Leben ist. Ich halte es auch für legitim, das nicht offenzulegen, weil ohnedies jeder, der das Internet kennt, nachschauen kann, und angeblich ist das ja relativ weit verbreitet.

Um auf die konkreten Fragen einzugehen: Zur Kostenerstattung: Auch in Deutschland ist keineswegs jede Frau berechtigt, kostenfrei Verhütung auf Krankenkassenkosten zu beziehen. Grundsätzlich zahlt in Deutschland, allerdings auch nur bis zum 20. Lebensjahr, die gesetzliche Krankenversicherung. Privat krankenversicherte Frauen jeden Alters müssen sich die Verhütung entsprechend selbst finanzieren – nur so viel zu Gerüchten.

Ich habe jetzt nicht den gesamten Überblick über alle Länder bei mir, aber es ist keineswegs so, dass das Österreich das einzige Land ist, in dem die Kosten für Verhütung nicht von den Krankenkassen übernommen werden. In der Tat ist das eben von Anfang an eine Frage des Bismarckschen Systems und seiner kompetenzrechtlichen Ausgestaltung: Was heißt Aufgabe der Krankenversicherung?

Was die Beratung betrifft, sehe ich einen recht interessanten Widerspruch. Wir sind konfrontiert mit einer Forderung, Frauen umfassend durch staatliche Mittel aufzuklären und zu beraten. Gleichzeitig haben wir aber das Recht auf Selbstbestimmung. Das ist seit Jahrzehnten ein Grundsatz des Medizinrechts, dass nur jemand aktiv eine Zustimmung zu einer Behandlung, zu einer medizinischen Maßnahme setzen kann, der informiert ist. Wenn wir jetzt sagen, wir wollen Beratung, und gleichzeitig sagen, es darf aber keine Beratung stattfinden, dann geben wir sehenden Auges Frauen diese Entscheidung in die Hand, ohne dass sie Beratung haben.

Deswegen trete ich seit Jahren nicht nur in bestimmten Vereinen, sondern auch sonst in der Öffentlichkeit massiv dafür ein, dass Frauen, so wie es bei jeder medizinischen Behandlung notwendig ist, entsprechend aufgeklärt werden, und zwar nicht nur über die Risken, sondern das Medizinrecht sagt da ganz klar: über alle Facetten der Behandlung, nicht nur über die Methoden und Risken, sondern auch über die Kosten, die Konsequenzen für die weitere Lebensführung. Das ist jahrzehntealter Grundsatz der Judikatur des österreichischen Obersten Gerichtshofs zu jeder medizinischen Behandlung.

Dass in der Praxis der Medizin oft dagegen verstoßen wird, führt zu zahlreichen Judikaten. Deswegen braucht es zu einem Zeitpunkt, zu dem die Frau noch die Möglichkeit hat, entsprechend selbst auf der Basis der Informationen einen consent zu finden, diesbezüglich eine umfassende ökonomische, medizinische, psychosoziale Beratung.

Ein informed consent ist nicht möglich, wenn man rasch wohin geht – selbst wenn man schon entschlossen ist –, wenn nicht sichergestellt ist, dass gerade für Behandlungen mit großer Tragweite eine ausreichende, umfassende Aufklärung erteilt wird. Das ist Stand des geltenden Medizinrechts. – Ich danke.

Prim. Univ.-Prof. DDr. MMag. Barbara Maier: Es gab da mehrere Fragen, die nicht ganz konkret ad personam gerichtet waren.

Prävention auf Krankenschein – ich denke, es ist ganz spannend, Dr. Frigo hat es erwähnt –: Im IVF-Bereich wird die Eizellspende nicht unterstützt, aber im Fortpflanzungsbereich wird durchaus unterstützt, dass sich Paare – Frauen und Männer –, die aus Eigenem nicht fruchtbar sind, sozusagen eine IVF – In-vitro-Fertilisation – leisten können. Im Sinne der Gleichbehandlung müsste es so sein – das ist ja auch keine Erkrankung –, dass sozusagen Frauen, die keine Schwangerschaft herbeiführen wollen, auch in der Prävention dieser Schwangerschaft unterstützt werden – so weit zu diesem Thema.

Nächstes Thema: Man finde schwer Menschen, Ärzte und Ärztinnen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Es sind auch Beispiele genannt worden. Ich bin Primarärztin im Wilhelminenspital, Vorständin einer Frauschaft, nicht unbedingt einer Mannschaft – wir sind 24 ÄrztInnen, drei davon Männer, die nettesten aus Wien, wie ich zu sagen pflege –, und wir – inklusive meiner eigenen Person – haben kein Problem damit, auch Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Zur teuersten Verhütung kann Dr. Fiala sicher noch etliches sagen.

Das größte Problem ist aus meiner Sicht der Beginn der Langzeitverhütung. Die Spirale ist, was die Anschaffung und das Legen betrifft, am Beginn teuer. Es betrifft sehr häufig auch schon Frauen, die Kinder haben, also wahrscheinlich nicht sehr einkommensstarke Familien – Kinder kosten Geld –, und da ist es ein Problem, oder ganz, ganz junge Frauen, die sich eben auch teure Verhütungsmittel so nicht leisten können.

Interessant ist bezüglich des Abbruchs in Österreich auch – 30 000 bis 35 000 Abbrüche im Jahr –, dass die Hälfte der Frauen nicht in Österreich geboren ist. Also es ist auch ein Problem in den verschiedenen Kulturkreisen. Wie schaut es da mit sexueller Bildung, Aufklärung, Bildung über Verhütungsmaßnahmen et cetera aus? Ich kann als Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung nur noch einmal appellieren, dass gute Materialien in den Schulen verwendet werden. Vielleicht darf ich das in eigener Sache noch sagen: „SEX, WAS?“ heißt unser Aufklärungsmanual, ist ein 500-Seiter und soll PädagogInnen die Materialien an die Hand geben, mit denen sie die Jugendlichen wirklich gut erreichen können. Das ist wirklich auch fachlich, sachlich gut, bestens geprüft.

Ein Wort vielleicht noch: Natürlich ist der Schwangerschaftsabbruch ein Eingriff, aber es ist auch die Schwangerschaft – neun Monate – eine Zeit, die mit vielen Herausforderungen gelebt wird. Es gibt natürlich auch postnatale Depressionen. Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Schwangerschaft, die Ihnen aufgezwungen wurde! Wie wird es Ihnen in der Schwangerschaft gehen? Wir haben im Wilhelminenspital auch eine Abteilung für peripartale Psychiatrie. Ich weiß nicht, ob Ihnen das bekannt ist. Sie können es sich schon vorstellen: Ungewollte Schwangerschaften, Anonymgeburten, Adoptionsfreigaben, auch das alles ist nicht sehr einfach zu leben. Das Post-Abortion-Syndrome, das immer wieder so fiktiv herumkreist, ist in den Studien sachlich und fachlich nicht nachzuvollziehen und zu belegen. – Vielen Dank.

Ao. Univ.-Prof. Dr. Peter Frigo: Sehr geehrte Vorsitzende! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz auf diese zwei Stichwortfragen antworten, bei denen ich offensichtlich als Wissenschaftler gefordert werde – kein Problem.

Das Erste war die Statistik. Wir wissen, es gibt keine Abtreibungsstatistik in Österreich. Das macht man als Wissenschaftler ganz einfach: Man macht eine Hochrechnung – eine Schätzung oder Hochrechnung nennt man das. Es gibt mehrere Abtreibungskliniken, und aus den Zahlen dieser Abtreibungskliniken kann man dann eine Hochrechnung ableiten. Wie eben auch Dr. Fiala bestätigt, geht es da um eine Dunkelziffer – weil man es eben aufgrund dieser Hochrechnung nicht genau weiß – von 30 000 Abtreibungen.

Das Zweite ist das Trauma. Auch das kann ich Ihnen erklären. Ich brauche hierzu keine Studie. Warum brauche ich keine Studie? – Ganz einfach, denn ich vergleiche dieses Ereignis des Schwangerschaftsabbruchs nicht mit der normalen Schwangerschaft, sondern ich vergleiche es mit keinem Ereignis – wenn nämlich Schwangerschaft mittels Kontrazeption verhindert wird. – Danke schön.

Dr. Christian Fiala: Die grundsätzliche Frage, die wir uns als Gesellschaft ja stellen müssen, ist, ob wir weiterhin eine der niedrigsten Geburtenraten und eine der höchsten Abtreibungsraten in Europa haben wollen, ob wir das akzeptieren. Wir wissen darum. Das heißt, wenn es weiterhin so passiert, geschieht das aufgrund einer Akzeptanz des Parlaments, dessen Mitglieder Sie sind.

Wenn wir das nicht wollen, müssen wir etwas ändern. Als Fachkräfte wissen wir seit Langem, was zu tun ist. In anderen westeuropäischen Ländern ist das zum Großteil selbstverständlich, nur in Österreich scheint es so, dass wir das Rad neu erfinden müssen. Wenn wir etwas ändern möchten, müssen wir primär die Aufklärung und die Prävention ungewollter Schwangerschaften verbessern. Die Aufklärung in der Schule – ganz kurz – funktioniert überhaupt nicht. Der Medienkoffer zur Sexualerziehung enthält kein Abbild eines nackten Menschen, während sich die Schüler auf ihren Smartphones Pornos anschauen – nur um bildhaft zu verdeutlichen, wie unglaublich veraltet diese Unterrichtsmaterialien sind.

Man darf aber Folgendes nicht vergessen: Es geht nicht nur um Jugendliche, sondern es geht auch um erwachsene Frauen. Wo gehen Sie als erwachsene Frau, als fruchtbare, erwachsene Frau heute hin, wenn Sie etwas über Verhütung wissen möchten? – Der Frauenarzt darf eine Beratung nicht mit der Krankenkasse abrechnen. Es gibt niemanden.

Wir dürfen auch die Migranten nicht vergessen; es ist kurz erwähnt worden. Wir haben eine Studie gemacht: 47 Prozent der Frauen, die zum Abbruch kommen, sind nicht in Österreich geboren, obwohl sie nur 19 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Für diese Migranten gibt es überhaupt keine Präventionsmaßnahmen – überhaupt keine! Das heißt, das erwartbare Ergebnis ist, dass die so schlecht verhüten wie in ihrem Ursprungsland und dann eben zum Schwangerschaftsabbruch kommen.

Ein weiterer Aspekt sind die Kosten. Es ist richtig, die Kosten sind in Österreich unglaublich hoch. Eine Spirale – eine Hormonspirale, die wirksamste Verhütung – kostet 400 bis 600 Euro. Es gibt keine vorgeschriebenen Kosten, jeder Gynäkologe kann so viel verlangen, wie er möchte. Ich habe Ihnen die höchsten Preise jetzt nicht genannt. Im Durchschnitt bewegt sich das eben zwischen 400 und 600 Euro, und das ist insbesondere für Frauen mit Kindern häufig nicht machbar. Wir haben immer wieder Frauen, die zum Schwangerschaftsabbruch kommen und sagen: Ich möchte eine Hormonspirale und spare drauf. Jetzt bin ich in der Zwischenzeit schwanger geworden, weil ich nicht so wirksam verhüten konnte, und jetzt muss ich einen Abbruch machen. – Das kommt regelmäßig vor. Die Verhütung funktioniert nicht, eben unter anderem, weil die Kosten ein Problem sind.

Zur Durchführung und Kostenübernahme von Schwangerschaftsabbrüchen: Es ist unverständlich, warum in Österreich etwas ein Problem sein soll, was im restlichen Westeuropa selbstverständlich ist. In den meisten Ländern Westeuropas wird der Schwangerschaftsabbruch in Krankenhäusern durchgeführt – Italien, Portugal, Frankreich, Schweden, Finnland, um nur einige zu nennen. Die Kosten werden in all diesen Ländern übernommen – nicht unbedingt von der Krankenkasse. In Deutschland – das ist richtig – werden die Kosten nur übernommen, wenn eine Frau weniger als 1 000 Euro verdient, das betrifft aber ungefähr die Hälfte der Frauen, die zum Abbruch kommen. In den meisten anderen Ländern, wie zum Beispiel in Irland, Frankreich und Schweden, werden die Kosten selbstverständlich von der Krankenkasse übernommen. Das lässt sich sehr gut argumentieren. Ich stehe sehr gerne dafür zur Verfügung.

Zur Statistik: In den „Salzburger Nachrichten“ ist die vollständige Statistik von Salzburg veröffentlicht. Damit kann man sehr gut hochrechnen. Es gibt deshalb keine weitergehende Statistik, weil es keine Kostenübernahme für Abbrüche nach der Fristenlösung gibt. Es gibt selbstverständlich eine Statistik für Spätabbrüche – Sie können zur Statistik Austria gehen –, weil die eben von der Krankenkasse übernommen werden. Das heißt, alle, die eine weitergehende Statistik fordern, sind eingeladen, eine Kostenübernahme des Schwangerschaftsabbruchs für alle Frauen auch innerhalb der in der Fristenlösung geregelten Frist zu fordern. – Ich danke herzlich.

Marlies Hübner: Ich habe jetzt tatsächlich keine konkrete Frage an mich identifizieren können. Die Reaktion auf meinen Redebeitrag hat mir aber gezeigt, dass 2019 tatsächlich immer noch infrage gestellt wird, ob Frauen selbst bestimmen dürfen. Horrorbilder über Schwangerschaftsabbrüche helfen bei dieser Diskussion meiner Meinung nach nicht. – Danke schön.

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Schifteh Hashemi Gerdehi: Ich würde gerne auf drei Aspekte eingehen.

Erstens: Mir fällt bei solchen Diskussionen immer auf, wie schnell und wie inbrünstig wir über die Sexualität von Frauen sprechen und welcher Diskurs eigentlich dahinter liegt. In Wahrheit geht es ja darum, dass man Frauen nicht zutraut, selbstbestimmt über ihre Körper entscheiden zu dürfen. Wir werden quasi bevormundend behandelt, so, als ob wir das nicht selbst könnten. Es fällt immer wieder auf. Ich würde mir einmal im Leben wünschen, dass wir 2 Stunden Zeit hätten, genauso inbrünstig über sexuelle Rechte beziehungsweise Pflichten von Männern zu diskutieren – aber nein, es geht immer wieder um den Körper der Frau, um die Situation der Frau, in Wahrheit um die Entmündigung der Frau.

Ein zweiter Aspekt sind die Aussagen, die hier ja vor allem auch von den ExpertInnen beziehungsweise in dem Fall von den Experten von ÖVP und FPÖ angeführt worden sind: Das Medizinrecht ermöglicht diese Maßnahmen nicht, die Funktionsweise unseres Gesundheitssystems ist so, dass es viel eher auf die Heilung von Krankheiten als auf die Prävention ausgelegt ist. – Na ja, Sie sind die Abgeordneten, Sie sind die ExpertInnen hier: Nützen Sie Ihre Fantasie, nützen Sie die Instrumente, die es gibt, um das ein bisschen zu ändern, um die Situation der Frauen in Österreich zu verbessern! Ich glaube, das ist möglich.

Viele europäische Länder zeigen, dass es möglich ist. Ich glaube, wir haben diesbezüglich Vorbilder, wir müssen in Wahrheit das Rad nicht neu entdecken. Wir müssen uns einfach von einem Medizinrecht verabschieden, das – raten Sie einmal, wer das gemacht hat? – wahrscheinlich zu 99 Prozent von Männern stammt.

Ein dritter Aspekt, der ebenso wichtig ist: Wir reden hier davon, dass diese Zugänge nicht beschränkt sind. Das stimmt nicht. Das ist in Wahrheit eine Lüge. Indem wir Finanzierungshürden einbauen, indem es in einigen Bundesländern nicht möglich ist, zu diesen Informationen zu kommen, haben wir es in Wahrheit mit einer Beschränkung zu tun, haben wir es in Wahrheit mit einer sozialen Frage zu tun. Herr Fiala hat angeführt, dass es diesbezüglich Statistiken gibt: Wer sind die Menschen, die diese Zugänge nicht haben? Wer sind diese Menschen, die diese Informationen nicht erhalten? – Das sind genau jene Menschen, die diese Gelder nicht haben, für die 500 Euro ein riesiges Thema sind. Das sind vor allem Frauen, die nicht in Österreich geboren worden sind. – Ich glaube, damit ist ganz klar, warum gewisse Forderungen des Frauenvolksbegehrens lieber nicht gehört werden.

Themenbereich 8: Gewalt verhindern

Schifteh Hashemi Gerdehi: Dieses Thema sollte ehrlich gesagt uns alle hier in Österreich beschämen: 2018 sind mindestens 36 Frauen von ihren Partnern beziehungsweise Ex-Partnern ermordet worden – mindestens zwei mehr, als noch im Jahr davor. Damit bleibt das eigene Zuhause, die eigene Partnerschaft der gefährlichste Ort für Frauen in Österreich. 2019 – und 2019 ist bislang, wie Sie wissen, 71 Tage lang – gab es bereits neun Frauenmorde, und da sind die Zahlen zu den Mordversuchen noch nicht mitgerechnet.

Wir reden über diese Zahlen, als ob es nicht um einzelne Individuen gehen würde. In Wahrheit stecken hinter diesen Zahlen aber eben nicht nur individuelle Geschichten, sondern vor allem strukturelle Probleme, fundamentale Probleme in unserer Gesellschaft, und dieses Problem heißt nach wie vor Patriarchat.

Was tun? – Die von der Frauenministerin, die heute leider nicht anwesend ist, in Aussicht gestellte Aufstockung der Plätze in den Frauenhäusern reicht bei Weitem nicht aus. Das wissen wir seit Jahren. Wer Frauen in Österreich vor Gewalt schützen möchte, muss in Wahrheit Geld in die Hand nehmen, damit die bereits gut funktionierenden Strukturen, die bereits gut funktionierenden Vereine und Organisationen in dem Bereich auch wirklich ihre Arbeit machen können.

Es gibt vorhandene Konzepte. Österreich war im Bereich Gewaltschutz immer Vorreiterin. Warum nutzen wir diese Strukturen nicht? Warum werden sie aktuell in Wahrheit ausgeblutet?

Vereinsbudgets werden gekürzt, die Expertise der Vereine wird nicht genutzt – und ja, Österreich ist gerade beim Thema Gewaltschutz reich an ExpertInnen. Wir müssen das Rad also nicht neu erfinden. Bei allem Respekt: Wir müssen auch nicht noch mehr Zeit in einer Taskforce verschwenden, wir wissen genau, was zu tun ist. Fragen wir, wie gesagt, diese ExpertInnen!

Ich würde mir einmal wünschen, dass die Frauenministerin diesbezüglich genau so wie der Verteidigungsminister agiert: Er stellt sich hin, egal, wie es dem Budget gerade geht, und fordert mehr Geld für sein Ressort. Warum macht die Frauenministerin das nicht? Warum gibt es nicht eine Frau in dieser Regierung, der die Anliegen von Frauen und der Schutz vor Frauen vor Gewalt das Wichtigste sind?

Wir brauchen auch mehr Gelder für konsequente Täterarbeit, wir brauchen mehr Beratungsstellen, mehr niederschwellige Maßnahmen, wir brauchen auch mehr Beratungsangebote – und nicht die Kürzungen, die aktuell stattfinden. Außerdem brauchen wir mehr Investitionen in präventive Maßnahmen. Wir wissen auch seit Langem, dass der beste Schutz vor Gewalt, die beste Möglichkeit, um aus einer Gewaltbeziehung herauszukommen, die eigene Existenzsicherung, das eigene unabhängige Einkommen ist. Deswegen sind die wirtschaftlichen Forderungen des Frauenvolksbegehrens, die ja bereits in der letzten Sitzung besprochen wurden, so unglaublich wichtig.

Es geht darum, Frauen die Möglichkeit zu geben, sich aus dieser Gewaltspirale auch selber herausbringen zu können. Das funktioniert aber nicht in einem Land, in dem Frauen zum größten Teil im Niedriglohnsektor arbeiten, prekär beschäftigt sind, weiterhin 30 Prozent weniger Nettojahreseinkommen als Männer haben. Solange diese Situation nicht besser ist, können sich bestimmte Frauen aus diesen Gewaltbeziehungen nicht herausretten.

Das zeigt meiner Meinung nach eigentlich nur auf, wo die Ansatzpunkte sind. Auch diesbezüglich gilt aber: Das Rad muss nicht neu erfunden werden. Verschwenden wir keine Zeit, nehmen Sie endlich Geld in die Hand und setzen Sie diese Forderungen um! – Danke.

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Generalmajor Gerhard Lang, BA MA: Geschätzte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Abgeordnete und interessierte Damen und Herren! Gewalt zu verhindern oder Gewaltprävention – wie es allgemein genannt wird – und der damit verbundene Opferschutz sind seit vielen Jahren zentrale Punkte bei der Verhinderung von Gewaltstraftaten in Österreich. Österreich ist bekanntlich seit vielen Jahren europaweiter Vorreiter auf dem Gebiet der Kriminalprävention.

Das erste Gewaltschutzgesetz trat bereits am 1. Mai 1997 in Kraft. Dadurch kam es auch zu einem Paradigmenwechsel. Gewalt in der Privatsphäre wurde seither nicht mehr als persönliche, sondern als öffentliche Angelegenheit gesehen. Wo vorher noch unter dem Motto: Es ist ja eh noch nichts passiert!, argumentiert wurde, versucht man seither, Gefahren im Bereich Gewalt in der Familie beziehungsweise Gewalt an Frauen rechtzeitig – sprich, noch bevor etwas strafrechtlich Relevantes passiert – zu erkennen.

Dies erfolgt durch eine enge und erfolgreiche Kooperation zwischen der Polizei und den privaten Einrichtungen wie Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen. Ich möchte heute hier auch betonen, dass diese Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen seit Beginn ein verlässlicher Partner für die Polizei sind.

Mit dem Zweiten Gewaltschutzgesetz 2009 ist der Schutz von Opfern von strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung wesentlich gestärkt worden.

Im Jahr 2018, vor circa einem Jahr, wurde die Staatssekretärin im Innenministerium, Mag. Karoline Edtstadler, von Bundekanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache mit der Einrichtung der Taskforce Strafrecht beauftragt.

Für mich als Projektleiter galt es, so viele Expertinnen und Experten aus den betroffenen Ministerien, aber auch aus dem Bereich der NGOs und der Wissenschaft wie möglich einzubinden, um mit ihnen gemeinsam Empfehlungen für weitere Verbesserungen im Bereich der Verhinderung von Gewalt an Frauen zu erarbeiten. Neben der viel diskutierten Strafverschärfung lag für uns aber der Schwerpunkt vorwiegend auf dem verbesserten Opferschutz und auf der opferschutzorientierten Täterarbeit.

Nunmehr liegt ein von der Bundesregierung vor wenigen Tagen genehmigtes drittes Maßnahmenpaket vor, das es nun so schnell als möglich umzusetzen gilt. In diesem Zusammenhang darf ich zum Beispiel anführen, dass eine der 57 jetzt beschlossenen Maßnahmen die Schaffung von Übergangswohnungen in den Bundesländern für von Gewalt betroffene Frauen ist. Dadurch soll die Deckung des nötigen Bedarfs an derartigen Wohnungen künftig sichergestellt werden. Um besonders gefährdeten Gruppen von Frauen bestmöglich Unterstützung und Sicherheit zukommen zu lassen, wird künftig auch ein Wechsel in Frauenhäuser in einem anderen Bundesland möglich sein.

Zum bundesweiten Ausbau von staatlich finanzierten und rechtlich abgesicherten, leicht zugänglichen und kostenfreien Beratungsstellen für alle von Gewalt betroffenen Frauen und ihre Kinder darf ich berichten, dass in jedem Bundesland bereits jetzt ein Gewaltschutzzentrum beziehungsweise eine Interventionsstelle genau dafür eingerichtet ist. Diese werden von Innenministerium und Bundeskanzleramt finanziert und wurden voriges Jahr mit mehr als 8,6 Millionen Euro gefördert.

Weiters wurden einzelne Männerberatungsstellen österreichweit insgesamt mit einem Betrag von 230 000 Euro gefördert, denn auch eine verbesserte opferschutzorientierte Täterarbeit kann Gewalt an Frauen verhindern. Wo keine Tat, da keine Opfer – und das soll mit der verpflichtenden präventiven Rechtsaufklärung unter anderem nun erreicht werden. Auch andere Vereine wie Rat auf Draht, Orientexpress oder andere wurden mit mehr als 280 000 Euro aus dem Topf des Innenministeriums gefördert. Diese Zahlen betreffen aber nur das Innenministerium; zahlreiche andere Förderungen aus anderen Ministerien sind hier noch unerwähnt. Wichtig für uns ist aber, dass die Kontaktaufnahme mit den angeführten Opferschutzeinrichtungen bereits jetzt sehr niederschwellig ist und die Bürokratie bei der Inanspruchnahme durch die Opfer hintangehalten wird.

Zum Ausbau der Kooperation zwischen Behörden, Gerichten und Gewaltschutzzentren darf ich anführen, dass die Expertinnen und Experten der Taskforce auch darauf einen Schwerpunkt gelegt haben. Neben einem verbesserten internen Informationsaustausch wurde auch an der Schaffung von sogenannten Fallkonferenzen gearbeitet. Diese sollen alle zuständigen Organisationen unter Einbeziehung des Gefährders zeitnah an einen Tisch bringen, um die Problemstellungen rasch zu erkennen und einer Einzelfalllösung zuzuführen.

Insgesamt muss es – wie bereits in der Einleitung erwähnt – auch künftig in unserem gemeinsamen Fokus und Interesse liegen, Verbesserungen im Bereich Opferschutz zu erarbeiten und gemeinsam umzusetzen. – Danke.

Ass.-Prof. Mag. Dr. Katharina Beclin: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete und Interessierte! Gewaltschutz ist schon sehr lange eines meiner zentralen Forschungsgebiete. Es hängt in zwei Punkten ganz eng mit der Gleichbehandlung zusammen: Zum einen führt das Erleiden von Gewalt dazu, dass man massiv in den eigenen Entwicklungschancen eingeschränkt ist – gesundheitlich, beruflich und privat. Zum anderen ist die strukturelle Benachteiligung von Frauen, wie seitens der AktivistInnen schon erwähnt wurde, einer der Hauptgründe, warum viele Frauen nicht die Behörden um Hilfe bitten können, weil sie sich beispielsweise die Finanzierung der Familienwohnung alleine nicht leisten können.

Kinder leiden ganz besonders an Gewalt zwischen den Eltern, was teilweise nicht bekannt ist. Durch Beratungseinrichtungen und Informationsangebote müsste allen Menschen bekannt gemacht werden, dass das Mitansehen von Gewalt zwischen den Eltern für die Kinder mindestens so belastend ist, wie wenn sie selbst geschlagen werden. Das ist einhellige Meinung der meisten PsychologInnen; ich habe noch nie eine andere Meinung von einem Psychologen gehört.

Wir brauchen überhaupt eine Anpassung des Gewaltschutzgesetzes, eine Evaluierung im Hinblick auf Kinder. Unser Gewaltschutzgesetz ist hervorragend, es ist wirklich europaweit Vorbild für viele Gewaltschutzgesetze in anderen Ländern gewesen, aber diese spezielle Problematik, Kinder in einer Gewaltbeziehung, ist noch unterbelichtet. Wir brauchen auch ein besseres Therapieangebot für Kinder in Österreich, denn eigentlich benötigt jedes Kind, das einige Zeit Gewalt zwischen den Eltern erlebt hat, dringend Therapie.

Die Erfolgsgeschichte des Gewaltschutzgesetzes ist wie gesagt durch strukturelle Benachteiligung von Frauen eingeschränkt. Nur 20 Prozent der Frauen rufen die Polizei zu Hilfe; das sind einhellige Ergebnisse praktisch aller Dunkelfeldstudien. Wenn sie die Polizei zu Hilfe rufen, kommt ein guter Ablauf in Gang – aber was ist mit den vielen anderen Frauen?

Wir brauchen wie gesagt eine soziale Absicherung. Die Wohnungskosten müssen im Notfall für einige Zeit übernommen werden, sonst kann eine Frau gar keine einstweilige Verfügung beantragen beziehungsweise muss sie nach kurzer Zeit den Mann trotzdem zurücknehmen. Wir brauchen eine bessere Ausfinanzierung von Kinderbetreuungseinrichtungen, die eine echte Berufstätigkeit der Frau – nicht nur Halbtagsjobs – ermöglichen, damit die Frau unabhängig ist. Wir brauchen verstärkte AMS-Förderungen für Frauen, die schwer vermittelbar sind, nicht eine herabgesetzte Förderung. Wir brauchen einen garantierten Unterhaltsvorschuss und eine Mindestsicherung, die die Bezeichnung Mindestsicherung auch wirklich verdient, denn am häufigsten sind es Existenzängste, die Frauen in Gewaltbeziehungen halten.

Ein weiterer Punkt, warum Frauen bewusst, und zwar aus vernünftigen Gründen, Angst vor einer Trennung haben, ist, dass in Gewaltbeziehungen – das wird mein Vorredner bestätigen können – die Trennung die gefährlichste Situation überhaupt ist. Deswegen ist es für mich unverständlich, dass die Marac-Konferenzen ausgesetzt wurden. Es mag sein, dass da Verbesserungsbedarf besteht – gehört evaluiert, gehört umgesetzt –, aber ein Stopp des Verfahrens ist meiner Meinung nach unverantwortlich. Sie gehören auch unbedingt gesetzlich verankert, damit es eben nicht passieren kann, dass unwissende Politiker oder Politiker, die eine kurzsichtige Sparpolitik betreiben, Säulen unseres Gewaltschutzes gefährden, denn diese Marac-Konferenzen dienen der Erstellung eines Schutzkonzepts für hochgefährdete Frauen in Hochrisikobeziehungen. Daneben brauchen wir aber auch, wie die Istanbulkonvention es fordert, eine Risikoeinschätzung in allen Fällen häuslicher Gewalt, denn sonst kann man ja Risikofälle gar nicht identifizieren.

Ein Flaschenhals beim Gewaltschutz sind Staatsanwaltschaft und Gerichtsbarkeit. Dies liegt offenbar vor allem an einer personellen Unterbesetzung. Es kann nicht sein, wie ich kürzlich auf einer großen Konferenz gehört habe, dass StaatsanwältInnen selber telefonieren müssen, um Sachverständige oder Dolmetscher zu organisieren, weil die Kanzleien unterbesetzt sind und sich die verbleibenden Kanzleiangestellten in besser entlohnte und weniger stressige Bereich flüchten.

Die Staatsanwaltschaft gehört so gestärkt, dass sie ihrer Aufgabe nachkommen kann, Beweise umfassend zu erheben, und nicht sofort einstellt, wenn Aussage gegen Aussage steht, ohne die entsprechenden Personen selbst vernommen zu haben; das entspricht auch nicht der Gesetzeslage. Es heißt, in dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten, und das erfordert einen Abschluss der Beweiswürdigung; erst dann ist es zulässig, im Zweifel einzustellen oder nicht anzuklagen oder eben freizusprechen.

Wichtig ist, dass wir auch das Bewusstsein von StaatsanwältInnen und RichterInnen stärken, indem wir in den Statistiken klar ausweisen, wie viele Frauen Opfer von Partnern und Ex-Partnern werden. Das gehört in jeder polizeilichen Kriminalstatistik ausgewiesen; die Möglichkeit, das vielleicht aus einer Sonderauswertung herauszuholen, reicht nicht. Wenn man weiß, dass die überwiegende Mehrzahl der Frauen gerade von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht wird, dann wird die Bereitschaft steigen, Risikoanalysen in allen Bereichen zu machen, wie es die Istanbulkonvention vorsieht, und auch häufiger Untersuchungshaft zu verhängen, denn da besteht ein großes Defizit.

Schließlich sollten alle einschlägigen Mordfälle generell routinemäßig evaluiert werden, nicht um irgendjemandem einen Vorwurf machen zu können, sondern um das Vorgehen bei Gewalt in der Familie zu verbessern. – Danke vielmals.

Mag. Dr. Andrea Ranninger: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Liebe Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf Ihnen zum Thema Gewalt verhindern aus der Sicht der Kriminalpolizei über die aktuelle Situation im Bereich der Gewaltkriminalität berichten.

Unter Gewaltkriminalität verstehen wir ein breites Spektrum an Delikten: Tötungsdelikte, Körperverletzung, Freiheitsentziehung, Zwangsheirat, Menschenhandel und natürlich Delikte gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, um hier nur die wichtigsten zu nennen.

In den letzten fünf Jahren ist der Anteil der Gewaltdelikte an der Gesamtkriminalität gestiegen. Immer öfter – und das ist in diesem Zusammenhang, glaube ich, besonders wichtig – sind auch Frauen Opfer von Gewaltdelikten. Die Täter sind in diesen Deliktsbereichen mit einem konstanten Anteil von 85 bis 86 Prozent überwiegend männlich. Die Zahl der weiblichen Gewaltopfer stieg aber in den letzten fünf Jahren, und 2018 haben wir zum ersten Mal genauso viele weibliche Opfer von Gewaltverbrechen wie männliche. Der berühmte Stehsatz, dass Gewalt männlich ist, stimmt also so nicht mehr. Gewalt ist männlich, wenn wir auf die Täter schauen, aber nicht mehr im Bereich der Opfer.

Besonders beunruhigend – und das ist heute auch schon einmal angesprochen worden – ist die hohe Anzahl an schwersten Gewaltverbrechen, bei denen die Opfer weiblich sind. Da möchte ich vor allem die Tötungsdelikte ansprechen: In den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl der weiblichen Opfer bei Tötungsdelikten verdoppelt. Bei den Vergewaltigungen gibt es 2018 eine Steigerung von 14,6 Prozent, und – was besonders bedrückend ist – 2018 sind 90 Prozent der vollendeten Morde an Frauen begangen worden.

Frauen erleben Gewalt anders als Männer. Sie erleben Gewalt als sexuellen Übergriff, sie sind viel häufiger von Gewalt in ihrem eigenen sozialen Umfeld, in ihrer eigenen Wohnung, im familiären Bereich betroffen als Männer – und wir versuchen, da entsprechende Maßnahmen zu setzen. Es wird auch sehr viel zum Schutz der Gewaltopfer gemacht. Es wurde heute schon die wirklich gute Zusammenarbeit und Kooperation mit den Gewaltschutzzentren angesprochen; das Bundesministerium für Inneres unterstützt da mit finanziellen Mitteln.

Wir haben ein gutes Gewaltschutzgesetz – ich sage nicht, dass es nicht noch besser sein könnte –, und die Polizistinnen und Polizisten tun sehr viel, um im Rahmen ihrer Möglichkeiten und auch in Anbetracht der oft schwierigen Umstände etwas zu tun, einzuschreiten und Gewalt, häusliche Gewalt, wirklich zu beenden. 2018 wurden 16 822 Betretungsverbote verhängt. Daran sehen Sie schon, dass da sehr wohl viel getan wird.

Es wird im Rahmen der kriminalpolizeilichen Präventionsarbeit schon heute eine ganze Reihe von Präventionsprogrammen für unterschiedlichste Personengruppen angeboten, und diese werden auch gut angenommen. 2018 wurden zu den Themen Gewalt in der Privatsphäre und Sexualdeliktsprävention allein im Rahmen der Kriminalprävention fast 9 000 Veranstaltungen abgehalten und über 32 000 Personen angesprochen. Sie sehen, es geschieht viel, wir müssen uns aber wirklich die Frage stellen, ob es die richtigen Maßnahmen sind, denn viel zu oft werden derzeit die Maßnahmen auf ein Gefahrenvermeidungsverhalten durch das Opfer abgestellt.

Ausgehend von den schrecklichen Morden im Jahr 2018 und bereits auch 2019 wurde eine Taskforce eingerichtet, die ganz genau darauf schauen soll, welche Faktoren diese Morde begünstigen, wie es zu den Morden kommt, die auf das Täterverhalten abstellen soll und auch auf das Täterrisikoverhalten.

Wir wollen in Zukunft mehr auf die Täter abstellen. Es kann nicht sein, dass wir heute 31 Frauen und Kinder in Opferschutzprogrammen haben, nur um sie der Gewalt eines Täters zu entziehen. Ich denke, da braucht es bessere Lösungen; und der Ansatz der Taskforce Strafrecht – hin zu einer opferschutzorientierten Täterarbeit – ist sicher ein wichtiger Schritt dazu. – Danke.

DSA Barbara Ille: Sehr geehrte Vorsitzende! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte TeilnehmerInnen! Danke, dass ich hier zum Thema Gewalt verhindern sprechen darf. Ob ich wirklich eine Expertin bin, ist fraglich, weil ich in Wirklichkeit nicht nur über das Verhindern spreche, sondern auch in einer Einrichtung tätig bin, die zum Großteil mit Frauen und Kindern arbeitet, die bereits Gewalt erlebt haben.

Ja, wir haben in Österreich ein ausgezeichnetes Gewaltschutzgesetz. Wir haben es erfunden, andere Länder machen es uns nach. Trotzdem haben die anderen Länder den Vorteil, aus dem, wo es bei uns Lücken gibt, vielleicht schon gelernt haben zu können. Das heißt, es gibt betreffend Gewaltschutzgesetz durchaus noch Bereiche, in denen es Veränderung braucht.

Es ist schon erwähnt worden, dass die Interventionsstellen dann arbeiten, wenn es ein Betretungsverbot gibt. Leider ist es aber so, dass es in etwa 90 Prozent aller Fälle, in denen ein Betretungsverbot verhängt wird, bereits im Vorfeld ein Strafdelikt gegeben hat. Das heißt, es ist nicht so, dass die Opfer von familiärer Gewalt sich schon an die Polizei wenden, wenn noch nichts passiert ist. Eine internationale Studie hat 2014 Zahlen erhoben, aus denen ganz klar hervorgeht, dass ungefähr 108 000 Frauen in Österreich im Jahr vor der Studie körperlicher oder psychischer Gewalt durch ihre Partner ausgesetzt gewesen sind. Dem steht ein ganz geringer Anteil an Anzeigen gegenüber; in etwa nur jedes zehnte Opfer erstattet Anzeige.

2018 ist die Zahl der Betretungsverbote in Wien um 13 Prozent zurückgegangen. Das ist leider besorgniserregend, weil es, wie die Dunkelziffer zeigt, nicht so ist, dass wir davon ausgehen dürfen, dass die Gewalt zurückgegangen ist, sondern vielmehr müssen wir uns mit der Frage beschäftigen: Wie kommt es denn dazu, dass die Gewalt nicht zurückgegangen ist, die Zahl der Betretungsverbote aber schon?

Was ganz wesentlich ist, ist, dass Opfer, dass Betroffene zu hundert Prozent in ihren Bedürfnissen ernst genommen werden, in dem, was sie brauchen, in dem, was sie sagen, was für sie notwendig ist. Es ist notwendig, dass sie ernst genommen werden, dass das, was sie schildern, ernst genommen wird, dass nicht infrage gestellt wird, ob es stimmt, was sie sagen, dass nicht infrage gestellt wird, warum sie jetzt schon, jetzt erst zur Polizei kommen, jetzt schon, jetzt erst zum Gericht kommen, jetzt doch nicht aussagen möchten. Es ist die Aufgabe des Staates, es ist unser aller Aufgabe, die Opfer davor zu schützen, dass sie überhaupt in solche Situationen kommen.

Am schlimmsten ist es, wenn ein Mord geschieht; da sind wir uns, glaube ich, alle einig. Die Wiener Interventionsstelle betreut im Rahmen der Prozessbegleitung auch Hinterbliebene nach Morden. Ich muss Ihnen leider sagen, es ist eine unserer ganz besonders schwierigen Aufgaben, Hinterbliebenen zu sagen: Ihre Tochter ist ermordet worden, Ihre Mutter ist ermordet worden, und wir können nicht garantieren, dass der Täter dafür zur Rechenschaft gezogen wird!

Warum können wir das oft nicht garantieren, und was beschäftigt die Opfer? – Die Opfer, in diesen Fällen nämlich die Hinterbliebenen, stellen sich die Frage: Warum ist die Anzeige, die es im Vorfeld gegeben hat, nicht ernst genommen worden? Wie konnte es sein, dass bei einer Morddrohung eingestellt wurde? Wie konnte es denn sein, dass jemand, obwohl er mit dem Umbringen gedroht hat, nicht in U-Haft genommen worden ist?

Das den Hinterbliebenen klarzumachen, ist dann häufig die Aufgabe des Opferschutzes, und es ist in den Ohren der Opfer ein Hohn, wenn wir ihnen sagen müssen, dass als Argument, wenn Aussage gegen Aussage steht, sodass man eben schwer verurteilen kann, immer wieder vorgebracht wird, es sei eine milieubedingte Unmutsäußerung gewesen. Das muss man Kindern von Hinterbliebenen dann erklären: dass das als möglicher Grund dafür gesehen wurde, dass eine gefährliche Drohung angezeigt wurde.

Was wir aber alle brauchen – und dem kann ich mich nur anschließen, das braucht auch die Polizei, das braucht die Staatsanwaltschaft, das brauchen Opferschutzeinrichtungen –, sind mehr Ressourcen. Wir können keine gute Arbeit leisten, wenn es nicht ausreichend Ressourcen gibt.

Dr. Laura Wiesböck, MA: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin offen gesagt etwas erstaunt darüber, dass wir zu hören bekommen, dass der Gewaltschutz in Österreich hervorragend funktioniert, aber ich denke, es liegt daran, dass aus einer rechtlichen Perspektive gesprochen wird.

Ich bin Soziologin. Ich beschäftige mich mit der gesellschaftlichen Realität, und ich komme auf Basis dieser zu dem Schluss, dass Gewaltschutz von Frauen in Österreich nicht funktioniert.

Regelmäßig versuchen Männer, ihre Partnerin oder Ex-Partnerin zu ermorden. Fast jede zweite Woche gelingt es einem. In zwei von drei Frauenmordfällen sind die Täter als Gefährder bekannt! Es gab also zuvor Gewaltdrohungen, polizeiliche Wegweisungen. Ich sage das noch einmal in anderen Worten: Zwei von drei ermordeten Frauen sind im Voraus zur Polizei gegangen und haben gesagt: Ich werde bedroht, mir wird mit Gewalt begegnet!, und sie sind trotzdem umgebracht worden.

Diese Morde hat der österreichische Rechtsstaat mitzuverantworten. Gewaltschutz von Frauen in Österreich funktioniert offenkundig nicht. Die meisten Gewalttaten finden im sozialen Nahraum statt. 2017 suchten 15 700 Frauen und Mädchen Hilfe in Schutzeinrichtungen, um familiärer Gewalt zu entfliehen. Das sind täglich 43 Mädchen und Frauen.

Gewalttaten passieren de facto meist nicht im Schutz der Dunkelheit, wie es FPÖ-Klubchef Gudenus formuliert, sondern im Schutz der vertrauten Beziehung. Die Gefahr, als Frau verprügelt, vergewaltigt oder ermordet zu werden, lauert nicht überwiegend in den dunklen Ecken von Parks, sondern sitzt mit Anspruchsberechtigung in ihrem eigenen Wohnzimmer.

Investiert wird aber in Sicherheit im öffentlichen Raum. Bei Gewaltprävention im Privaten wird gespart, und diese Anspruchsberechtigung, diese männliche Anspruchsberechtigung ist der springende Punkt, denn zum vorherrschenden Männlichkeitsbild zählt der Anspruch auf gewisse Dinge wie finanziellen Erfolg, Zugang zu Macht oder Frauen.

Ist man in diesen Bereichen nicht erfolgreich, kann es zu schweren Kränkungen kommen, und ohne andere Umgangsformen gelernt zu haben, um derlei Kränkungen auszudrücken, greifen einige Männer auf unterschiedliche Formen von Gewalt zurück. Die Kränkung allein ist nicht die Ursache – Frauen sind auch gekränkt, wenn sie verlassen werden, bringen ihren Mann aber deswegen nicht um.

Es geht also um eine Anspruchsberechtigung, die Männer auf Frauen zu haben glauben, auf Flirten, auf Beziehung, auf Sexualität, und daraus wird das Recht abgeleitet, diesen Anspruch mit Gewalt wiederherzustellen, sobald er gefährdet ist. Diese Anspruchsberechtigung wird, wie heute schon erwähnt, unter anderem durch massenmediale Bilder befördert: die Frau als sexuell verfügbares Objekt, das man mit dem Kauf einer bestimmten Biersorte oder eines Parfüms automatisch dazubekommt.

Bilder wie diese schaffen ein Klima, in dem Frauen als Dinge gesehen werden, und einen Menschen als ein Ding zu betrachten, ist fast immer der erste Schritt, um Gewalt zu rechtfertigen.

Was braucht es also konkret, um männliche Gewalt gegen Frauen zu verhindern?

Wir brauchen mehr Ressourcen für Täterarbeit und Gewaltprävention, denn vielen Projekten zum Gewaltschutz wurden die finanziellen Grundlagen entzogen, mit verheerenden Auswirkungen, wie wir in den vergangenen Monaten beobachten mussten.

Wir brauchen bessere Gefährlichkeitsprognosen, häufigere Zuweisung zu Antigewalttrainings und mehr U-Haft statt Wegweisung, denn Wegweisung verhindert Frauenmorde offenkundig nicht.

Wir brauchen einen Datenaustausch zwischen Sicherheitsbehörden, Gewalt- und Opferschutzeinrichtungen und Einrichtungen im Bereich Täterarbeit, sowohl bei häuslicher als auch bei schwerer situativer Gewalt.

Um einer Retraumatisierung der Opfer entgegenzuwirken, ist eine verstärkte psychosoziale Ausbildung und Fortbildung von RichterInnen wichtig wie auch eine höhere Ausstattung der Gerichte mit Beratungszimmern, in denen die Befragung ohne Täterblickkontakt möglich ist.

Wir wissen, dass ökonomische Abhängigkeit es Frauen erschwert, aus einer Gewaltspirale herauszukommen. Wir brauchen also eine Stärkung der Position von Frauen insgesamt, auch durch die Schaffung einer Unterhaltsgarantie.

Für von Gewalt bedrohte Migrantinnen ist die Koppelung der Mindestsicherung an Sprachkenntnisse verheerend, denn ihre gewalttätigen Männer hindern sie oft daran, die deutsche Sprache zu erlernen, um Abhängigkeit zu erzeugen. Durch die Kürzung der Mindestsicherung wird diese Abhängigkeit verschlimmert.

Wir brauchen mehr Frauen in gestalterischen Machtpositionen. Männlicher Machtmissbrauch ist ein strukturelles Problem, das mussten wir in der vergangenen Zeit immer wieder erleben: Es gab zig Vorwürfe zu Missbrauch und sexualisierter Gewalt in männlichen Domänen der Macht, ob in der katholischen Kirche, im Skisport oder in Hollywood. Wir brauchen mehr Frauen in den oberen Etagen, am besten durch eine Frauenquote.

Mein letzter Punkt: Um ein Männlichkeitsbild jenseits von Machtdominanz und Anspruchsberechtigung zu befördern, brauchen Buben Vorbilder in sorgenden Berufen als Pfleger, Kindergärtner, Volksschullehrer. Das betrifft auch die Elternkarenz. Männer müssen diese Sorgearbeit öfter beziehungsweise überhaupt einmal übernehmen.

Sehr geehrte Damen und Herren, Werte manifestieren sich durch das, was man macht, nicht durch das, was man von sich behauptet! Laut Innenministerium haben Opferschutzmaßnahmen gegen Gewalt in Familien Priorität, die Einsparungen bei von Gewalt betroffenen Frauen im Millionenbereich zeigen allerdings, dass deren Schutz und körperliche Unversehrtheit kein Anliegen ist. Das gilt es zu ändern.

Die Vorschläge von ExpertInnen liegen auf dem Tisch und warten auf Umsetzung. –Vielen Dank. (Beifall.)

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Abgeordnete Dipl.-Kffr. (FH) Elisabeth Pfurtscheller (ÖVP): Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher! Das Thema Gewalt an Frauen ist eines, das uns hier im Hohen Haus schon lange begleitet und speziell im Jahr 2018 sowie jetzt Anfang 2019 auch auf verschiedenen Ebenen diskutiert worden ist.

Nicht nur die Einbringer des Volksbegehrens haben in diesem Bereich Forderungen gestellt, auch wir haben im vergangenen Herbst den Grevio-Bericht diskutiert, der ja die Gewaltschutzmaßnahmen, die in Österreich getroffen worden sind, beurteilt. Da gibt es natürlich Übereinstimmungen.

Wir haben 20 Jahre Gewaltschutzgesetz gefeiert. Es gibt ja auch immer wieder diese mahnenden Tage, wie im November die 16 Tage gegen Gewalt. Das sind immer wieder Anlässe, dass wir uns mit diesem Thema auseinandersetzen.

Daher – und natürlich auch aufgrund der Übergriffe, die es in letzter Zeit vermehrt gegeben hat – ist im vergangenen Jahr schon sehr viel in Angriff genommen worden, wie zum Teil schon Herr Ministerialrat Lang ausgeführt hat.

Ich möchte jetzt gern kurz zu den drei Forderungen des Frauenvolksbegehrens Stellung nehmen.

Gefordert wird erstens die bessere rechtliche und finanzielle Absicherung der Frauenhäuser und Gewaltschutzeinrichtungen, Notwohnungen und Übergangswohnungen. – Da wurde im letzten Jahr im Ministerium von der Frau Ministerin schon eine Erhebung gemacht, und es soll in den nächsten Wochen ein Zusammentreffen mit allen zuständigen LandesrätInnen geben, weil dieser Bereich nicht nur vom Bund finanziert wird, sondern auch vom Land. Ich weiß schon, dass Frau Hashemi jetzt sagen wird, wir können die Gesetze ändern, aber im Föderalismus ist es nicht ganz so einfach, die Zuständigkeit zu ändern. Vielleicht kommt das irgendwann – das wäre in dem Fall vielleicht auch ganz wünschenswert –, aber im Moment braucht es da auf jeden Fall die Zusammenarbeit.

Die zweite Forderung ist der „Ausbau der Kooperation zwischen Behörden, Gerichten und Gewaltschutzzentren“. – Das wird auch im Grevio-Bericht, von der Grevio-Kommission gefordert und wird teilweise auch schon durch die Maßnahmen der Taskforce umgesetzt. Da gibt es aber sicher noch Verbesserungsbedarf.

Und drittens, verstärkte Sensibilisierung von Kindern und Jugendlichen sowie der ganzen Gesellschaft und bessere Präventionsprogramme und Antigewalttrainings: Da sind wir uns auch alle einig, da stimmen wir absolut zu, und das ist auch schon Teil der mit der Taskforce erarbeiteten und beschlossenen Maßnahmen.

Dazu hätte ich noch zwei Fragen an Herrn Ministerialrat Lang.

Die erste betrifft das neue Betretungsverbot – das wurde ja überarbeitet und verbessert. Können Sie uns bitte im Detail erklären, wie das jetzt mit dem Betretungsverbot und dem Annäherungsverbot funktioniert?

Die zweite ist: Es wurde ja angesprochen und kritisiert, dass die Marac-Konferenzen nicht mehr stattfinden. Die Taskforce hat nun Fallkonferenzen beschlossen. Können Sie uns bitte beschreiben, wie diese funktionieren und wo der Unterschied zu den Marac-Konferenzen, die vorher stattgefunden haben, liegt? – Herzlichen Dank.

Abgeordnete Sabine Schatz (SPÖ): Sehr geehrte Damen und Herren, es freut mich, dass so viele der Einladung nachgekommen sind, heute dieser Diskussion zum Frauenvolksbegehren zu folgen.

Ich möchte mich bedanken, dass Sie zum einen dieses Frauenvolksbegehren nach 20 Jahren wieder gestartet, aber zum anderen auch diesem wichtigen Punkt, dem Thema Gewalt, Raum und Platz gegeben haben.

Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass es wichtig ist, bei Gewalt gegen Frauen zu handeln, und dafür muss es natürlich auch die notwendigen finanziellen Mittel geben. Alles, was mit Prävention zu tun hat, alles, was mit Gewaltschutz zu tun hat, kostet Geld, und dieses Geld müssen wir im Sinne der betroffenen Frauen, aber auch der betroffenen Kinder, die Gewalt miterleben, in die Hand nehmen und Maßnahmen umsetzen. Sie haben es vorhin schon gesagt: Es liegt ja auf der Hand, was zu tun ist.

Herr Generalmajor Lang, Sie haben gesagt, dass jetzt beschlossen wurde, Übergangswohnungen sozusagen wieder aufzustocken. Ich möchte da aber ganz konkret hinzufügen, Übergangswohnungen sind toll und für Frauen wichtig, um vor einer Gewaltsituation zu flüchten, bevor es überhaupt zu Gewalt gekommen ist. Frauenhausplätze sind jedoch dennoch zusätzlich notwendig, weil allein Frauenhausplätze den Schutz von Frauen, die akut von Gewalt betroffen sind, sichern und damit auch die notwendige Betreuung durch SozialarbeiterInnen gegeben ist.

Ich möchte auch noch auf einen Punkt eingehen, den Frau Mag.a Dr.in Beclin genannt hat, nämlich die auch schon im Grevio-Bericht beanstandeten Einstellungen von Verfahren, weil eben sehr oft die abschließende Beweisaufnahme nicht gegeben ist, das heißt, dass das Opfer in diesen Gewaltdelikten dann oft nicht bereit ist, gegen den Partner, den Mann auszusagen. Da wäre für mich ganz wichtig, zu fragen: Ist es da nicht auch zentrale Aufgabe der Polizei, zuerst die Beweismittel zu sichern, damit es nicht alleine auf die Aussage der Frau ankommt, dass in dem Verfahren dann entsprechend gegen den Gewalttäter vorgegangen werden kann?

Die Marac-Fallkonferenzen haben Sie auch erwähnt. Da würde auch mich interessieren, was der Unterschied zu diesen angekündigten Fallkonferenzen ist. Und warum setzt man diese Marac-Fallkonferenzen, auch wenn sie evaluiert und vielleicht geändert gehören, für Hochrisikofälle nicht in der Zwischenzeit wieder ein, um somit jeden möglichen Fall von Gewalt in Hochrisikofällen zu verhindern? Das wäre für die betroffenen Frauen ein ganz wichtiger Schritt.

An das, was Frau Dr.in Wiesböck gesagt hat, möchte ich auch noch anschließen. Sie hat darauf hingewiesen, dass sehr viele Betretungsverbote ausgesprochen werden, nachdem es vorher schon Meldungen gegeben hat, dass die Frauen von Gewalt bedroht sind, dass es Morddrohungen und dergleichen gegeben hat. Da möchte ich gerne noch die Frage anschließen: Warum passiert das nicht, dass die Männer dann, wenn es offensichtlich Morddrohungen gibt, wenn es akute Gewaltdrohungen gibt, entsprechend in U-Haft genommen werden? – Danke schön.

Abgeordnete Edith Mühlberghuber (FPÖ): Sehr geehrte Experten! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, Gewalt an Frauen ist in Österreich leider immer noch eine traurige Tatsache. Die Gewalt hat auch viele Gesichter: körperliche, sexuelle und psychische Gewalt.

Wir lehnen jede Art und Form von Gewalt – ob körperliche, sexuelle oder psychische Gewalt – an Frauen, an Kindern und auch an Männern ab. Wir sind uns einig: Gewalt darf nicht geduldet werden, gewalttätiges Verhalten darf nicht belohnt werden und darf auch nicht zum Erfolg führen. Gewalt muss deshalb in allen Formen eindeutig verurteilt werden.

Wir haben von den Experten schockierende Zahlen gehört. In den letzten Jahren gab es einen enormen Anstieg an Gewalt, aber auch einen enormen Anstieg an Morden, speziell 2018, Anfang 2019. Dazu habe ich eine Frage an Frau Dr. Ranninger: Welche konkreten Ergebnisse und Empfehlungen hat die Screening-Gruppe zu den Frauenmorden geliefert? – Vielen Dank.

Abgeordnete Claudia Gamon, MSc (WU) (NEOS): Ich finde es gut, dass wir dieses hochaktuelle Thema hier im Ausschuss behandeln und auch über konkrete Maßnahmen und Forderungen sprechen können, um in diesem Bereich auch wirklich etwas Wesentliches zu verbessern.

Ich denke, dass alle Forderungen hier absolut zu unterstützen sind, dass wir aber auch langsam darüber reden müssen, wie wir, gerade bei bestimmten Themen, am schnellsten auch in die Umsetzung kommen. Ich halte die Frage, wie realistisch es ist, in die Umsetzung zu kommen, für wichtig, unter anderem auch, weil ich glaube, dass die Bevölkerung gerade jetzt für diesen Themenbereich sehr sensibilisiert ist.

Umso wichtiger ist es auch, mithilfe von Fakten zu diskutieren und zu argumentieren und nicht nach gefühlten Wahrheiten oder gefühlt funktionierenden Maßnahmen zu gehen, die oft auch medial diskutiert werden: ob höhere Strafen besser sind und so weiter und so fort. Dazu gibt es dann Expertenmeinungen, die sagen: Das eigentlich nicht, aber wie wäre es, wenn wir den Gewaltschutz in anderen Bereichen verstärken?, und dann wird dort nichts gemacht. Das ist etwas, was mich dann doch wieder sehr schmerzt.

Ich glaube, dass es auch notwendig ist, zu betonen – denn ich möchte jetzt nichts wiederholen, was schon von VorrednerInnen gesagt worden ist –, dass wir in diesem Themenbereich auch eine sehr gute Brücke zu den zwei vorhergehenden Blöcken schlagen können, weil ja in den vielen Maßnahmen des Volksbegehrens auch das Thema Bildung, Sensibilisierung für gewisse Themenbereiche, angesprochen wird. Auch beim Thema von vorhin – sexuelle Selbstbestimmung – geht es ja oft im Zusammenhang mit Aufklärung auch darum, zu wissen: Was ist okay und was nicht? Was ist Konsens und was nicht? Woran erkenne ich sexualisierte Gewalt?

Ich denke, dass wir aber gerade auch beim Themenbereich Gewalt an Frauen noch viel stärker Bildung und auch den Umgang mit Kindern von Tätern sowie Kindern, die Opfer von Gewalt geworden sind, die in dieser Spirale drinnen sind, nicht kleinreden, sondern diesen Themenbereich viel größer aufmachen sollten. Das gilt vor allem, wenn wir mit dem Thema langfristig umgehen und langfristig verhindern möchten, dass das ein solch präsentes Thema und ein solch wesentliches Problem in unserer Gesellschaft ist.

Viele Fragen, die ich stellen wollte, sind schon gestellt worden. Was mir noch wichtig zu erwähnen ist, ist, dass es auch eine hohe Dunkelziffer gibt, da es viele Frauen gibt, die Fälle nicht anzeigen. Dazu eine Frage an unsere ExpertInnen: Was kann man gegen diese Dunkelziffer tun? Wie können wir mehr Frauen dazu bringen, Anzeige zu erstatten? Wie kann man Frauen dazu bringen, über das Thema offener zu reden, und was müsste man vielleicht auch im gesellschaftlichen Diskurs ändern, um mit dem Thema anders umzugehen?

Abgeordnete Stephanie Cox, BA (JETZT): Vieles wurde schon gesagt. Die Expertinnen und Experten haben vieles schon auf den Punkt gebracht, das ich hier nicht wiederholen möchte.

Es ist wichtig, dass wir diesem Thema auch mediale Aufmerksamkeit schenken. Ich hoffe auch, dass es an dieser Stelle nicht abbricht, weil schon die Tendenz da ist, dass dann ein weiterer Mord nicht mehr wirklich die Aufmerksamkeit bekommt, die ein Mord bekommen sollte.  Daher hoffe ich, dass wir das Thema hier auch weiterhin diskutieren und dass wir nicht nur Versprechungen machen, sondern dass das wirklich umgesetzt wird.

Eines gleich vorweg: Es gibt schon viele Organisationen, die sehr gut arbeiten, sowie Strukturen und Expertisen – das wurde von den VertreterInnen des Frauenvolksbegehrens am Anfang schon erwähnt –, und da ist auch wichtig, dass es nicht die Tendenz gibt, Parallelstrukturen aufzubauen. Es ist wichtig, dass wir auf die Expertinnen und Experten zurückgreifen und diese auch weiterhin finanziert werden.

Bei feministischen Organisationen und Gewaltschutzorganisationen gab es Kürzungen, beispielsweise bei One Billion Rising. Unser Anliegen ist, dass diese Kürzungen zurückgenommen werden, und da ist es wichtig, zu erwähnen, dass wir die Empfehlung des Grevio-Berichts noch einmal bestärken wollen. Da geht es um 210 Millionen Euro. Da dürfen wir um keinen Cent zu wenig ausgeben. Da geht es um den Schutz von Frauen, da geht es um die Sicherheit, und da ist kein Cent verschwendet. Die Frau Ministerin ist nicht da, ich würde nämlich an dieser Stelle natürlich die Frage stellen: Was heißt bis zu 10 Prozent? Da ist im Moment also noch ein Fragezeichen! Geld für Gewaltschutz zur Verfügung zu stellen, was bedeutet das wirklich?

Was noch nicht in dem Ausmaß erwähnt wurde, wie ich es gerne hätte, ist das Thema Bildung und Bewusstseinsbildungsarbeit. Ich denke, dass das bei diesem Themenbereich sehr, sehr wichtig ist, und es steht auch im Frauenvolksbegehren. Bildung zu den Themen Geschlechtergerechtigkeit, Gendersensibilität, Hinterfragung von Rollenklischees und gewaltfreie Beziehungen ist ganz, ganz wichtig. Das muss in der Pflichtschule verankert werden. Es ist ja gerade eine große Diskussion um den Ethikunterricht entflammt. Da stellt sich auch die Frage: Werden die, die den Ethikunterricht nicht besuchen, Bildung zu diesen Themen auch in einem nötigen Ausmaß bekommen?

An dieser Stelle würde ich gerne noch Frau Wiesböck fragen: Sie haben schon einige Forderungen erwähnt. Haben Sie noch weitere Forderungen und Vorschläge, die den Bildungsbereich betreffen, die Sie uns erläutern könnten?

*****

Generalmajor Gerhard Lang, BA MA: Zu den einzelnen Fragen:

Betretungsverbot neu war die erste Frage. Grundsätzlich kann man sagen, dass das Mittel des Betretungsverbots ein sehr gutes ist und wir damit in den letzten Jahren sehr, sehr gute Erfolge hatten. Es gab aber einfach Schwächen, die wir jetzt ausgemerzt haben.

Bisher war es so, dass der einschreitende Polizist, die einschreitende Polizistin das Betretungsverbot vor Ort ausgesprochen haben und genau definieren mussten: Wo gilt dieses Betretungsverbot – in der Wohnung? Sie mussten eine genaue Beschreibung davon abgeben. Sie mussten für die minderjährigen Kinder genau definieren: Wo darf der Gefährder – eben zumeist der Mann – nicht hingehen? Das ist natürlich alles sehr, sehr kompliziert, ändert sich in Ferienzeiten und so weiter.

Jetzt soll es so sein, dass das Betretungsverbot für die Wohnung selbst und einen Umkreis von 50 Metern gilt, egal wo sich die Frau und auch die Kinder aufhalten. Als Kinder gelten jetzt nicht mehr nur die Minderjährigen bis 14 Jahre, sondern auch jene darüber.

Weiters hatten wir im täglichen Einsatz immer wieder das Problem, dass der gewalttätige Mann den Schlüssel nicht hergegeben hat. Die Polizei kann zwar zwangsweise den Schlüssel abnehmen, wenn sie weiß, wo er ist. Es gab aber keine Durchsuchungsmöglichkeit. Das wurde jetzt geändert.

Betreffend die Einsparungen des Innenministeriums würde ich kurz anführen: Ja, Sie haben recht, auch das Innenministerium muss einsparen, in der Verwaltung und in vielen Bereichen, aber mit Sicherheit nicht, wenn es um Opfer geht.

Ich möchte Sie nicht mit Zahlen langweilen, aber 2012, wenn ich alleine die Opferschutzeinrichtungen hernehme, hatten wir im Innenministerium eine Förderung von 3,5 Millionen Euro, die jedes Jahr gesteigert wurde. 2018 betrug sie wie gesagt über 4,3 Millionen Euro und auch 2019 haben wir eine Steigerung, es sind nämlich 4,4 Millionen Euro budgetiert.

Weiters investieren wir wie schon gesagt in opferschutzorientierte Täterarbeit, wobei wir bisher die Männerberatungen finanziert haben, allerdings als Einzelförderung in der Höhe von 230 000 Euro. Wir wollen aber, dass diese Männerberatungsstellen als Dachorganisation genauso erfolgreich arbeiten können wie die Interventionsstellen. Das heißt, wir wollen eine Dachorganisation, und dann können wir mit einheitlichen Standards Beträge in Millionenhöhe hergeben, damit wir dort den gleichen Erfolg haben wie bei den Gewaltschutzzentren.

Ass.-Prof. Mag. Dr. Katharina Beclin: Was den Anstieg von Anzeigen wegen gewalttätigen Übergriffen angeht, bin ich mir immer unsicher, ob ich mich darüber freuen oder mir Sorgen machen soll, denn wir haben da so ein riesiges Dunkelfeld, dass ein Ansteigen der Anzeigen auch bedeuten kann, dass sich mehr Frauen trauen, Anzeige zu erstatten.

Ich habe vorhin davon gesprochen, dass die Studie der Europäischen Grundrechtsagentur ergeben hat, dass nur 20 Prozent der befragten Frauen den schwersten Vorfall angezeigt haben. Das heißt, wenn ich nur diese Zahl hochrechne und davon ausgehen würde, dass künftig alle Frauen wenigstens den schwersten Vorfall anzeigen sollen, würde das einen Anstieg der Anzeigen um 400 Prozent bedeuten. Das wäre sozusagen schwer zu bewerkstelligen, aber eigentlich hätten wir erst dann allen Frauen geholfen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Gefährlichkeitseinschätzung. Ich habe das vorhin schon angesprochen. Nicht erwähnt habe ich, dass Österreich vor über zehn Jahren schon zweimal vom Cedaw-Komitee verurteilt wurde, wegen zwei Fällen, bei denen es jeweils zu einer tödlichen Eskalation kam und bei denen klar ein Behördenversagen attestiert wurde. Da brauchen wir unbedingt eine Datenschutzgrundlage, sodass alle Institutionen, die im Gewaltschutz tätig sind, Informationen über Gefährdungsfaktoren schnellstmöglich wechselseitig austauschen können und müssen, um so etwas künftig verhindern zu können.

Zur fehlenden Aussagebereitschaft von Opfern im Verfahren: Da gibt es auch Ergebnisse – zum Beispiel von Birgitt Haller –, die zeigen, dass die Frauen am Anfang oft sehr motiviert sind, auszusagen, mit Fortdauer des Verfahrens diese Motivation aber abnimmt, insbesondere dann, wenn eine Beruhigung der Situation eingetreten ist, weil sie dann Angst haben, dass die neuerliche Aussage wieder zu einer Eskalation führen könnte. Deswegen meine Forderung: eine gesetzliche – oder zumindest per Erlass geregelte – Festlegung des Umstandes, dass bei Gewalt in der Familie sofort eine kontradiktorische Vernehmung stattzufinden hat, weil man dann sozusagen eine Aussage hat, die man auch in der Hauptverhandlung verwenden kann, wenn das Opfer sich dann entschlägt. – Danke.

Mag. Dr. Andrea Ranninger: Zu den Ergebnissen der Screening-Gruppe: Diese waren nicht wirklich überraschend.

So kannten sich in 92 Prozent der Fälle Opfer und Täter, in 42 Prozent der Fälle gab es eine Intimbeziehung. Als eingesetztes Tatmittel kommen immer häufiger Stichwaffen zum Einsatz. 50 Prozent der Täter wiesen polizeiliche Vorkenntnisse auf, vor allem gab es Vormerkungen in den Bereichen Körperverletzung und Drogendelikte, aber nur 23 Prozent der Täter waren auch vorbestraft. 35 Prozent der Täter hatten diagnostizierte psychische Probleme. Wenn zwischen dem Opfer und dem Täter eine Intimbeziehung bestand, so wiesen 67 Prozent polizeiliche Vorkenntnisse und 50 Prozent Vorstrafen auf, und in diesem Bereich waren zwei Drittel der Täter Ausländer oder hatten Migrationshintergrund. Bei der Hälfte der Fälle kam es im Vorfeld zum Einschreiten gegen Gewalt in der Familie und zu Wegweisungen, teilweise auch mehrfach; da wurde also bestätigt, dass die Wegweisung ohne nachfolgende Konsequenz für den Täter, für den Gefährder nicht wirklich wirksam ist.

Die Empfehlungen – wie gesagt, wir befinden uns erst am Anfang und werden sicher noch weitere Fälle analysieren –: Es muss auf die Wegweisung eine entsprechende Maßnahme folgen. Es muss nach dem Betretungsverbot eine sofortige Verpflichtung des Täters zu therapeutischen Maßnahmen folgen, zum Beispiel nach dem Modell der Gewaltinterventionszentren, wie auch von der Taskforce vorgeschlagen.

Man muss auch besonders im Hinblick auf die Stichwaffen als Tatwaffe über gesetzliche Rahmenbedingungen für das Mitführen von Stichwaffen nachdenken und das entsprechend prüfen, und es muss bei solchen Tätern ein automatisches Waffenverbot zu verhängen sein.

Wir brauchen die anlassbezogenen unmittelbaren Fallkonferenzen – auch das wurde schon gesagt –, wir brauchen aber auch mehr Informationen, eine bessere Informationspolitik, eine bessere Datengenese bei den Gefährdern, bei den Tätern, schon im Vorfeld.

Es muss möglich sein, Täter auch schon bei Körperverletzung erkennungsdienstlich zu behandeln, und solche Taten dürfen aus dem KPA, dem kriminalpolizeilichen Aktenindex, nicht mehr gelöscht werden. Man muss die Opfer schützen. Ein Täter ist Wiederholungstäter, die Gewaltspirale steigert sich. Da muss man präventiv eingreifen und nicht nur nachher den Schutz verlangen. – Danke.

DSA Barbara Ille: Um die Dunkelziffer zu senken, braucht es verschiedene Maßnahmen. Das eine sind Schulungen, und damit meine ich jetzt nicht, wie häufig gefordert – das ist auch sehr wichtig –, Schulungen von Richtern, Richterinnen, mehr Schulungen nicht nur in der Grundausbildung der Polizei, sondern dann auch weiterführend, sondern damit meine ich, das Thema auch schon in den Schulen zu bearbeiten. Junge Menschen geben immer wieder an, sie kannten das Gewaltschutzgesetz nicht. Sie wissen keine Einrichtung, an die sie sich wenden können. Das heißt, es braucht groß angelegte Kampagnen, sodass jeder und jede in Österreich mindestens eine Nummer weiß, mindestens eine Einrichtung weiß, an die er oder sie sich wenden kann, wo er oder sie unterstützt wird und wo dann für diese Unterstützung auch ausreichend Zeit zur Verfügung steht.

Es stimmt: Wir haben gute Möglichkeiten. Trotzdem ist es so, dass sie nicht ausreichen. In Wien haben wir pro Jahr 5,5 Stunden zur Verfügung. Wenn ich Sie daran erinnern darf, wie lange Sie heute schon hier sitzen, plus Ihrem Weg hierher und nach Hause: Das ist die Zeit, die wir Ihnen pro Jahr anbieten können, egal was für massive Gewalt Sie erlitten haben, inklusive des Antrags auf einstweilige Verfügung.

Das heißt, wir leisten viel, aber es braucht da mehr Mittel. Es braucht bitte U-Haft, wenn jemand eine schwere Tat begeht. Wenn jemand mit dem Umbringen droht, braucht er nicht eine Beratung, dass er das nicht mehr tun darf, denn das weiß er! Wir wissen, dass Täter das wissen! Es muss konsequent dafür gesorgt werden, dass jemand, der mit dem Umbringen droht, der jemanden nötigt, in U-Haft genommen wird, und zwar zusätzlich zum Betretungsverbot.

Warum zusätzlich zum Betretungsverbot? – Zum einen, weil nur so gewährleistet ist, dass die Opfer proaktiv Unterstützung angeboten bekommen, eben durch die Interventionsstellen und die Gewaltschutzzentren, und zum anderen: Auch wenn jemand in U-Haft genommen wird – und das ist ja auch richtig –, ist die U-Haft zu prüfen. Das heißt, es kann auch sein, dass er nach wenigen Stunden, nach einigen Tagen wieder aus der U-Haft entlassen wird, und dann hätten wir keinen Schutz gewährleistet. – Danke schön.

Dr. Laura Wiesböck, MA: Eine kurze Frage an Herrn Lang, weil es für meine Arbeit sehr wichtig ist, mich auf vertrauenswürdige Quellen zu beziehen.

Ich habe jetzt unterschiedliche Nachrichten: Das „Innenministerium streicht Trainerinnengeld für Polizeischulung“ zu Gewalt in der Familie. Ist das korrekt und zutreffend? (Experte Lang schüttelt den Kopf.) Oder, vor Kurzem in der „Presse“: „Innenministerium stoppt Projekt gegen Gewalt an Frauen“. Falls diese Nachrichten nicht der Wahrheit entsprechen, würde ich das gerne persönlich anfechten, weil es demokratiepolitisch sehr problematisch wäre, wenn Qualitätsmedien Lügen verbreiten, aber ich glaube eher, dass meine Recherche zutreffend ist, dass das Innenministerium in diesem Bereich kürzt.

Die Frage: Warum keine U-Haft?, kann ich nicht beantworten, da muss man die Exekutive befragen. Ich finde das höchst problematisch. Es gibt immer wieder Fälle, in denen die Gefahr nicht zutreffend eingeschätzt wird. Man kann sich fragen, woher das kommt, welchen Nutzen das hat.

Wie kann man Menschen, Frauen dazu bringen, häufiger Anzeige zu erstatten? – Meine Antwort wäre: durch höhere Verurteilungsraten. Wir liegen aktuell bei 10 Prozent, also das Symbol, das damit vermittelt wird, ist: Man hat kaum Erfolgschancen, es gibt kaum Gerechtigkeit. Wir haben im Parlamentarischen Dialog zur Verhinderung von Gewalt an Frauen auch mit ProzessbegleiterInnen gesprochen, die mehrfach beobachtet haben, dass Täter lachend aus dem Gerichtssaal gegangen sind und Frauen noch Monate nach diesen Erlebnissen mit dem Täter konfrontiert waren und ohne Gerechtigkeit aus dem Gerichtssaal hinausgegangen sind. Das ist ein deutliches Signal, das geändert werden müsste. Wir brauchen keine neuen Gesetze, sondern wir müssen dafür sorgen, dass die geltenden Gesetze vollzogen werden.

In Bezug auf Bildung: Dieses Thema wurde ja heute mehrfach lächerlich gemacht – Thema Gender in Schulen. Ich kann dazu nur sagen: Jede Person, die dieses Thema nicht ernst nimmt, trägt dazu bei, dass kleine Buben in Schulen leiden, dass sie unter dem Druck leiden, einem Männlichkeitsbild zu entsprechen, das nicht menschlich ist.

Wir wissen, dass männliche und weibliche Säuglinge gleich häufig weinen. Es wird aber männlichen Kleinkindern abtrainiert. Sie sollen sich zusammenreißen, stark sein, sich nicht wie ein Mädchen benehmen. Was bedeutet das? – Das bedeutet, dass der Zugang zum eigenen Schmerz versperrt wird und dadurch der Zugang zum Schmerz anderer, was der Definition von Empathie entspricht, auch versperrt ist. Durch den versperrten Zugang zur eigenen Verletzlichkeit kann es zu destruktiven Verhaltensweisen kommen, gegen sich selbst – die Suizidrate von Männern ist weitaus höher als jene von Frauen – und gegen andere, wie wir heute schon gehört haben: Frauen und Männer.

Deshalb war es immer ein Ziel des Feminismus, traditionelle Geschlechterrollenbilder aufzubrechen, weil es allen gemeinschaftlich etwas bringen würde und destruktive Verhaltensweisen in der Gesellschaft reduziert würden. – Vielen Dank. (Beifall.)

*****

Schifteh Hashemi Gerdehi: Wir möchten uns für diese Diskussion hier bedanken, vor allem auch für diese vielen Querverweise, die von den Expertinnen und Experten zu vielen der Forderungen des Frauenvolksbegehrens gekommen sind.

Ich glaube, dass es auch beim Thema Gewaltschutz ein wichtiger Aspekt ist, dass wir uns auch die Wirkung anderer Gesetze ansehen. Genannt wurden beispielsweise die Wirkung der Sozialhilfe beziehungsweise der Bedarfsorientierten Mindestsicherung, der Zugang zu Deutschkursen, aber auch der Anspruch auf einen garantierten Unterhaltsvorschuss und der Zugang zu Therapie und Betreuungsangeboten.

Ich glaube, das sind keine banalen, einfachen Themen, aber wir müssen uns immer dessen bewusst sein, dass andere Gesetze, deren Titel vielleicht nichts mit Gewaltschutz zu tun haben, sehr wohl auch etwas mit der Situation von Gewalt in Österreich und vor allem auch mit Gewaltschutzmaßnahmen zu tun haben.

Das ist unser letzter Punkt: Wir würden uns wünschen – und deshalb gibt es auch neun Forderungen und 33 Punkte, die auf gesetzliche Regelungen abzielen, im Frauenvolksbegehren, die übrigens sehr wohl im Wirkungsbereich des Bundes liegen –, dass alle diese Gesetze zusammen gedacht werden, weil wir nur, wenn das zusammen gedacht wird, in einzelnen Bereichen tatsächlich etwas ändern können. – Danke.

Themenbereich 9: Schutz gewähren

Christian Berger: Vielen Dank auch meinerseits! Auch ich fand die bisherige Diskussion sehr produktiv. Es gab viele Querverweise, und die VertreterInnen aller Parteien haben zumindest in Teilen auch sehr viel Wertschätzung und sehr viel Umsetzungswillen zum Besten gegeben, wofür wir uns schon jetzt wirklich bedanken wollen.

Ich komme aber trotzdem gleich zur Sache, denn wir haben keine Zeit zu verlieren.

Die für ein erfolgreiches Asylverfahren ganz zentrale Glaubwürdigkeit von AsylwerberInnen können diese verlieren, etwa wenn sie sich in der Einvernahme nicht in der immer gleichen Weise an jedes Detail einer Gewalterfahrung, die sie gemacht haben, etwa im Rahmen einer Korrekturvergewaltigung, die beispielsweise lesbische Frauen aus Kamerun regelmäßig erleiden, erinnern können, etwa wenn ihr Lebenswandel in kultureller Hinsicht auffällt , etwa wenn sie nicht die Bedeutung jeder einzelnen Regenbogenfahne benennen können, oder in sexueller Hinsicht, etwa wenn AsylwerberInnen nicht in das Schema von prototypischen, imaginierten Homosexuellen passen.

Ein Beispiel aus einem negativen Bescheid, damit Sie wissen, worum es geht:

Der Asylwerber macht keinen homosexuellen Eindruck. Er sitzt normal, mit verschränkten Armen vor der Brust. Er hat die Haare seitlich und hinten ganz kurz geschoren, nur oben die Haare länger. Er trägt keinen Schmuck, nur eine Armbanduhr. Er trägt normale, weiße Turnschuhe, Jeans und ein weißes Hemd. Die Haare sind nicht gefärbt. Weder sein Gang, sein Gehabe oder seine Bekleidung haben auch nur annähernd darauf hingedeutet, dass er homosexuell sein könnte. – Zitatende.

Die Glaubwürdigkeit wird anhand des Auftretens und Sprechens vor dem Hintergrund der allgemeinen Lebenserfahrung von RichterInnen und BeamtInnen beurteilt, denen es offenbar an einschlägigem Wissen und Sensibilität mangelt. Die hohe Zahl – 42 Prozent – der vom Bundesverwaltungsgericht aufgehobenen negativen Bescheide des BFA zeigt dies ganz deutlich.

Ein weiteres Beispiel aus der Einvernahme:

Beamter: „Dass sich nicht homosexuelle Jungs geküsst hätten, sogar viele davon, ist absoluter Unsinn. Sie hätten das im Spaß gemacht, behaupteten Sie.“

Damit wird sozusagen in einer Einvernahme live ein Asylwerber – das sind oft traumatisierte Menschen, ich merke es nur an – konfrontiert.

„Hätten Sie das tatsächlich bei einem nicht homosexuellen Jungen gemacht, dann hätten Sie furchtbare Prügel bezogen. Kein Mann lässt sich von einem anderen Mann küssen, wenn er nicht homosexuell ist. Das ist völlig undenkbar.“

Nur zur Klarstellung: Keine Person flieht, weil sie eine Frau oder etwa homosexuell ist. Es sind die kulturellen Bedeutungen, die auch in diesen Bescheiden mitschwingen und wiederholt werden, mit denen Geschlecht und Sexualität belegt sind, die dazu führen, dass Personen eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung haben, tatsächlich verfolgt werden oder flüchten.

Das müssten BeamtInnen, DolmetscherInnen und BetreuerInnen wissen. Allzu oft ist das aber nicht der Fall. Deswegen braucht es spezielle Schulungs- und Sensibilisierungsprogramme und dauerhaft finanzierte, unabhängige Rechtsberatung.

Manche Behörden und Gerichte erkennen frauen- und geschlechtsspezifische Fluchtgründe bereits an, doch meistens werden diese Fluchtgründe in erster Instanz nicht vorgebracht, aus Unwissen, aus Unsicherheit, aus Scham, aus Angst, auch aufgrund von Stereotypen und falschen Interpretationen. Bei der Verfolgung aufgrund von Geschlecht und Sexualität gibt es jedoch keinen Interpretationsspielraum für die Verfolgten. Deswegen sind frauen- und geschlechtsspezifische Fluchtgründe gesetzlich ausdrücklich anzuerkennen.

*****

Mag. Ina Holzinger: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin als Leiterin der Rechtsabteilung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl hier und somit als Expertin zur asylrechtlichen Dimension des Themas. Ich möchte bewusst auf die sehr konkrete Kritik meines Vorredners an Bescheiden des BFA nicht eingehen, nicht weil ich nicht einiges dazu zu sagen hätte, ich glaube aber, dieses Thema ist an anderer Stelle schon vielfach behandelt worden, und ich glaube, es ist auch nicht das Kernthema von dem, was im Frauenvolksbegehren enthalten ist. Deswegen kehre ich zum Grundthema zurück.

Es heißt hier, auf der Flucht würden insbesondere Mädchen, Frauen und LGBTIQ-Personen Opfer von Menschenhandel und sexueller Gewalt. Sie seien besonders schutzwürdig. Ich kann dieses Statement nur zur Gänze unterstreichen und bestätigen. Ich würde es sogar erweitern, denn es gilt nicht nur auf der Flucht, sondern auch vor der Flucht, das heißt, schon im Herkunftsstaat, und in Österreich. Auch Personen, die bereits einen Schutzstatus erhalten haben, können verstärkt von diesen Situationen betroffen sein. Demnach möchte ich wirklich zur Gänze unterstreichen, dass das ein extrem wichtiges Thema ist. Es ist ein Thema, das uns in unserer täglichen Arbeit betrifft und bei dem wir als Rechtsschutz gewährende Behörde natürlich extrem gefordert sind.

Ich bin persönlich der Ansicht, dass wir in Österreich bereits jetzt sehr gute rechtliche Grundlagen haben, nach denen sich unser Behördenhandeln richtet, die auch im Einklang mit der Genfer Flüchtlingskonvention und den europäischen rechtlichen Vorgaben stehen. Ich möchte zur Erklärung kurz auf die einzelnen Forderungen des Frauenvolksbegehrens eingehen.

Zu der auch von meinem Vorredner angesprochenen gesetzlichen Verankerung von frauen- und geschlechtsspezifischen Fluchtgründen: Es trifft natürlich zu, dass die geschlechtsspezifischen Fluchtgründe von Frauen beziehungsweise auch von LGBTIQ-Personen nicht explizit in den asylgesetzlichen Bestimmungen genannt sind. Das ist aber meines Erachtens auch gar nicht erforderlich, weil de facto die dabei relevanten Fluchtgründe auch vor dem Hintergrund der Genfer Flüchtlingskonvention und der Statusrichtlinie von anderen Verfolgungs- und Schutzgründen umfasst sind.

So ist zum Beispiel das Thema der Homosexualität in bestimmten Herkunftsstaaten ein Fall, der ganz klar im Lichte der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu sehen ist. Das sagt uns auch der EuGH, und an dem richten wir uns als Behörde auch aus. Ebenso kann die Verfolgung von Frauen in bestimmten Konstellationen eine Schutzgewährung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe begründen. Die rechtlichen Grundlagen für eine Schutzgewährung sind daher bereits gegeben.

Wir stehen auch in vielen Einzelfällen mit den Opferschutzeinrichtungen in engem Kontakt, und wir sehen auch da, dass es in der Regel nicht um einen gesetzlichen Regelungsbedarf geht, sondern vielmehr um die Lösung von sehr praktischen und konkreten Problemen im Einzelfall. Für uns als Behörde ist es natürlich herausfordernd, wenn Betroffene sich nicht öffnen und Situationen, die ihnen passiert sind, nicht vorbringen wollen. Das ist ein Thema, mit dem wir täglich konfrontiert sind.

Damit komme ich auch schon zur zweiten Forderung, jener nach verpflichtenden Weiterbildungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen. Die Identifizierung von Opfern von Menschenhandel und deren Schutz nimmt im BFA einen sehr hohen Stellenwert ein. Es gibt dazu bereits seit Längerem diverse Projekte, immer in Kooperation mit externen Partnern wie IOM, UNHCR oder Lefö. Im Wesentlichen geht es dabei genau um diese Sensibilisierung unserer Mitarbeiter im Erkennen und Identifizieren von potenziellen Opfern von Menschenhandel und auch um die Schulung im Umgang mit vulnerablen Gruppen allgemein.

Das ist bei uns in der Behörde sehr stark verankert, und diese Maßnahmen müssen natürlich fortgesetzt werden, damit es auch nicht zu Einzelfällen kommen kann, die dann medial groß aufgebauscht werden. Das Bewusstsein der zuständigen Behörde ist vorhanden, und die entsprechende Weiterbildung und Sensibilisierung stehen bereits jetzt auf der Tagesordnung.

Die dritte Forderung betrifft im Wesentlichen zwei unterschiedliche, aber auch sehr oft zusammenfallende Themen, nämlich das Recht auf Familienzusammenführung und das Thema des eigenständigen Schutzstatus. Beides ist im Asylrecht bereits jetzt umfassend geregelt, und ich sehe da persönlich auch keinen speziellen rechtlichen Differenzierungsbedarf im Hinblick auf Frauen, wiewohl ich mir natürlich dessen bewusst bin, dass es sehr oft die Frauen sind, die nachziehen beziehungsweise ihren Schutzstatus von einem geflohenen Ehegatten ableiten. Auch da gilt aber der Grundsatz, dass es eine eigenständige Prüfung der Fluchtgründe jedes Familienmitglieds gibt. Es werden die Frauen auch entsprechend angeleitet, eigene Schutzgründe vorzubringen.

Ganz kurz noch zur letzten Forderung im Hinblick auf die Situation bei der Unterbringung und Betreuung: Da kann ich ohnedies nur aus dem Austausch mit den zuständigen Kollegen in der Bundesbetreuung reden und weiß, dass es da bereits spezielle Maßnahmen zum Schutz von Frauen in der Grundversorgung gibt, angefangen bei einer räumlichen Trennung bei der Unterbringung, Sofortmaßnahmen bei Vorfällen und einem Schwerpunkt auf Früherkennung von geschlechtsspezifischer Gewalt.

Insgesamt sehe ich somit aus meiner Praxis keinen akuten Bedarf für zusätzliche gesetzliche Maßnahmen, sondern vielmehr ein ganz starkes Bestreben, dass man die bisherigen Maßnahmen umfassend fortführt und intensiviert, im Interesse des Opferschutzes.

Sabine Stevanovic: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich werde jetzt einiges wiederholen, ich rede aber von einem anderen Standpunkt aus als Frau Holzinger. Ich rede von dem Standpunkt aus, dass wir als Opferschutzeinrichtung Schutz gewähren.

Der Orientexpress hat mehrere Opferschutzeinrichtungen in Wien, wo wir mit betroffenen Frauen arbeiten. Ich muss dazusagen, weil ich es ganz, ganz wichtig finde, dass wir uns das alle noch einmal ins Bewusstsein rufen: Fast die Hälfte aller Flüchtenden weltweit sind heute Frauen und Mädchen, und oft fliehen sie, weil sie unterschiedlichste Formen von Gewalt erlebt haben oder davon bedroht sind. Darunter fallen der Ehrenmord, die Zwangsabtreibung, die Zwangsheirat, Zwangssterilisierungen und Genitalverstümmelungen, Witwenverbrennungen, Vergewaltigungen und häusliche Gewalt.

Als geschlechtsspezifischer Verfolgungsgrund – das dürfen wir nicht vergessen – gilt auch, wenn Frauen grundlegende Rechte in ihren Herkunftsländern verweigert werden, das heißt, Rechte wie freier Zugang zu Bildung, das Recht, sich den Lebensunterhalt selbst zu verdienen, und natürlich auch das Recht auf die freie PartnerInnenwahl.

Geschlechtsspezifische Verfolgung ist schwierig nachzuweisen – das ist das Problem, ich glaube, da sind wir einer Meinung –, weil sie eben oft in der Familie und im häuslichen Rahmen stattfindet. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich hierbei um eine Form sogenannter nichtstaatlicher Verfolgung handelt. Als Fluchtgründe werden diese Formen der Unterdrückung nur dann anerkannt, wenn der Staat unfähig oder unwillig ist, landesweiten Schutz vor Verfolgung zu bieten, und auch keine andere Fluchtalternative im Land selber existiert. Das ist jetzt ganz wichtig, denn obwohl geschlechtsspezifische Verfolgung, wie auch vorher schon gesagt, in Österreich in der Theorie rechtlich anerkannt ist, fehlt es in der bürokratischen Praxis von Asylverfahren oft an Sensibilität und Verständnis für diese besondere Form der Gewaltausübung.

Auch wissen Frauen oft schlichtweg nicht, dass sie geschlechtsspezifische Gewalt als Fluchtgrund geltend machen können. Häufig – das haben wir heute schon öfter gehört, weil das im Gewaltschutzbereich einfach sehr, sehr gängig ist – ist ein riesiges Tabu da, dass Frauen über die erfahrene Gewalt sprechen. Sie haben zu viel Angst und zu viel Scham.

Wir fordern als Verein im Einklang mit den Forderungen des Frauenvolksbegehrens sehr wohl, dass unzureichendes Wissen – denn das ist noch immer da – über geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe maßgeblich verbessert werden muss. Wir glauben ganz, ganz stark daran, dass es noch mehr verpflichtende Weiterbildungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen für Polizei, Dolmetschende sowie behördliche und gerichtliche EntscheidungsträgerInnen braucht.

Es braucht mehr geschlechtergetrennte Unterbringung, und es braucht vor allem mehr spezielle Schutzräume sowie natürlich Zugang zu staatlich finanzierter geschlechtsspezifischer medizinischer und psychologischer Therapie und Beratung. Dass Frauen und Mädchen heute in Österreich genug Beratungsangebot erhalten, um sich ihrer eigenständigen Fluchtgründe bewusst zu werden, darf kein Luxus werden.

Zusätzlich fordern wir – und das ist etwas, das zum Teil schon vorhanden ist –, dass Informationen zu geschlechtsspezifischen Aspekten im Herkunftsland vermehrt vorhanden sind. Das heißt, es ist nicht ausreichend, zu sagen, es gibt Frauenhäuser in den Herkunftsländern, sondern wir müssen wissen, wie diese finanziert sind und ob diese auch tatsächlich Schutz bieten können.

Nachfluchtgründe sollten auch Raum haben, und zwar nicht erst in den Folgeverfahren. In diesem Zusammenhang wäre es enorm wichtig, im Erstverfahren das Recht auf mehr als ein Interview zu haben. Somit hätten die Frauen die Möglichkeit, nicht stundenlang in Erstinterviews beim BFA zu sitzen. Das könnte man aufteilen. Die Frauen könnten sich fokussieren und könnten in der Zwischenzeit auch wieder Beratungsangebote in Anspruch nehmen.

Eine ganz wichtige Forderung, die der Verein Orientexpress hier noch einmal kundtun will, ist, dass wir auf getrennte Verfahren im Rahmen des Familienverfahrens hinauswollen. Das heißt, Minderjährige, die aufgrund von Gefahr in Verzug in Österreich fremduntergebracht sind, müssen die Möglichkeit eines eigenständigen Verfahrens erhalten und dann zusätzlich die Gewissheit und die Sicherheit haben, dass die von ihnen angegebenen Fluchtgründe in Österreich nicht erneut zur Gefahr werden können.

Brigadier Gerald Tatzgern, BA MA: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte an meine VorrednerInnen anschließen und möchte aus meiner persönlichen und beruflichen Sicht die Forderungen, die in diesem Volksbegehren erwähnt sind, kommentieren.

Ich bin seit 31 Jahren Polizist und seit 18 Jahren für die Ermittlungen gegen Schlepperbanden, Menschenhändler, Missbrauch von Kindern und für andere Dinge zuständig. Ich will nur ein bisschen darlegen, was Österreich bis jetzt tut, und die aktuellen Maßnahmen und Entwicklungen darlegen.

Wir haben eine Zentralstelle, der ich seit 18 Jahren vorstehe, und haben versucht, uns weiterzuentwickeln. Man lernt nie aus, auch nicht nach sehr vielen Jahren Erfahrung. Wir sind österreichweit zuständig, nehmen aber eine besondere Rolle ein.

Erstens einmal: Schlepperei und Menschenhandel in einer Hand – das ist nicht in allen Staaten so, aber es hat sich als sehr positiv erwiesen. Wofür sind wir zuständig? Wir fungieren auch als Europol, als Interpol, das heißt, wirklich als internationale Schaltstelle, und versuchen, auf den Fluchtrouten sehr viel zu erkennen, insbesondere natürlich auch, wenn es Frauen und Kinder betrifft.

2016 haben wir die Idee eines sogenannten Joint Operational Office against Human Smuggling and Human Trafficking umgesetzt. Wir feiern jetzt im Mai das dritte Jahr unseres Bestehens. Wir sind dadurch einzigartig, sind eine sehr aktive operative Schaltstelle und versuchen, die Polizeien fast grenzenlos zusammenarbeiten zu lassen. Jüngst – das möchte ich nur erwähnen – konnten wir während unserer Präsidentschaft Italien überzeugen, dass es in Catania ein zweites solches Office geben wird, um Richtung Nordafrika tätig zu sein.

Was ist das Besondere an dieser Dienststelle? Ich habe begonnen, ehemalige MigrantInnen anzustellen. Ich darf eine ehemalige Afghanin erwähnen, die bei mir arbeitet, einen ehemaligen Pakistani und auch eine Kollegin mit arabischem Hintergrund. Nicht nur die Polizistinnen und Polizisten haben Migrationshintergrund – sehr viele, es werden sehr viele Sprachen gesprochen. Das ist wahnsinnig wichtig, um als sogenannte interkulturelle MediatorInnen zu wirken, nicht nur sprachlich bei den Überwachungsmaßnahmen, bei den Einvernahmen, sondern uns auch zu unterstützen – jetzt bin ich im Bereich Schulung, Training –, uns zu lehren, wie wir uns geschlechtsspezifisch richtig gegenüber den einzelnen Nationalitäten, Personengruppen und so weiter verhalten.

Aktuell hat Österreich mit meiner Dienststelle den Vorsitz bei der Schleppereibekämpfung in Gesamteuropa – begonnen 2018 bis voraussichtlich Ende 2019; wir wollen es aber gerne ein bisschen verlängern, wenn wir es entscheiden könnten. Mit April werden wir den Kovorsitz auf europäischer Ebene im Bereich Kampf gegen den Menschenhandel haben. Bisher hatte den Vorsitz Großbritannien, die scheiden aus, mit April übernimmt Holland, und Österreich ist erstmals stellvertretend, als Co-Driver, in diesem Bereich aktiv.

Wir haben auch über Beschluss des Herrn Innenministers mit Juli 2018 mit österreichischer Initiative eine sogenannte Task Force Western Balkan, Schlepperei und Menschenhandel, gegründet, wo wir auf dieser Hauptroute, der Westbalkanroute, beobachten, was da passiert, also nicht nur die Fluchtroute selber, sondern wir versuchen, alle Straftaten, auch die gegen Frauen und Kinder, ein wenig zu beleuchten. Ich möchte nur sagen: Wie Sie wissen, sind circa 70 000 Personen aktuell am Balkan anwesend und warten darauf, weitergeschleppt zu werden, aber Frauen werden da möglicherweise auch Opfer von Straftaten.

Zur Ausbildung noch zwei Worte: In der Polizei ist dieses Thema verpflichtend, ich selbst bin da sehr oft tätig. Auch in der RichteramtsanwärterInnenausbildung müssen die Damen und Herren acht Stunden lang meinen Vortrag plus den von einem Staatsanwalt oder einer Staatsanwältin aushalten. Das heißt, es geht darum, da ganz, ganz gezielt zu sensibilisieren.

Last but not least möchte ich zur Unterbringung nur sagen: Wir haben erstmals seit August 2018 auch für Männer Betreuung, für Opfer des Menschenhandels, bundesweit, durch MEN VIA. Für Mädchen ab 15 haben wir in Österreich bundesweit schon seit 20 Jahren Betreuung durch Lefö-IBF als Opferschutzeinrichtung in diesem Bereich.

Maryam Alemi, BA MA: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! In meiner Arbeit als stellvertretende Leiterin der Rechtsberatung bei der Caritas Wien und auch in meiner Tätigkeit als Leiterin des Projekts Gender-based Violence, Asylrechtsberatung, habe ich über die Jahre extrem viele Frauen in ihren Asylverfahren begleitet, betreut und rechtlich vertreten.

Ich muss leider sagen, ich sehe das nicht ganz so rosig wie Frau Holzinger. Wenn man wirklich an der Front ist, hat man ein ganz anderes Bild. Ich möchte das gerne anhand eines Fallbeispiels veranschaulichen. Ich werde jetzt eine meiner Klientinnen präsentieren.

Sie war Asylwerberin aus dem Irak, wurde mit 14 Jahren zwangsverheiratet. Am ersten Abend, um nicht auf Näheres einzugehen, hat die Gewalt angefangen. Mit 15 Jahren war sie schon schwanger, sie hat dann aufgrund der massiven Gewalt in der Ehe eine Fehlgeburt gehabt.

Sie ist immer wieder vom Ehemann zur Familie weggelaufen. Sie haben sie immer wieder zum Mann zurückgebracht, weil sie dort ab der Eheschließung hingehört. Sie ist im Irak auch zur Polizei gegangen und hat versucht, Anzeige zu erstatten. Das ging nicht, aus zwei Gründen: Sie war noch ein Kind, darf man nicht vergessen, sie war erst 16, und sie sollte eigentlich auch zu ihrem Mann zurückkehren. Sie wurde von der Polizei auch wieder zu ihm gebracht.

Sie hat das Glück, kann man sagen, dass ihr Mann von schiitischen Milizen verfolgt wurde, und sie sind nach Europa gekommen, um Schutz anzusuchen. In Österreich setzte sich die Gewalt weiterhin fort. Er hat sie gewürgt, bis sie bewusstlos wurde. Gott sei Dank wurde dann die Polizei verständigt. Eine Wegweisung wurde erlassen und sie wurde von der Interventionsstelle betreut. Das Strafverfahren wurde eingestellt, obwohl es Beweisfotos gab. Sie hat sich scheiden lassen und hat die Obsorge für ihre Kinder bekommen.

Gut, wie schaut das rechtlich aus? Das haben wir hier jetzt mehrmals gehört. Kann häusliche Gewalt eine Form von Verfolgung sein? – Ja, das ist ganz klar verankert, steht genauso in den UNHCR-Richtlinien zur geschlechtsspezifischen Verfolgung und auch in der Statusrichtlinie.

Kann Verfolgung von einer Privatperson ausgehen? – In diesem Fall war der Staat nicht als Verfolger schuld, aber wie Sie gehört haben, war der Staat ganz eindeutig nicht in der Lage, diese Dame zu schützen. Wenn das der Fall ist, dann kann es weiterhin asylrelevant sein.

Ist diese Verfolgung mit einem Verfolgungsgrund verknüpft? – Das ist immer sehr, sehr schwierig. Ja, ich finde schon. Die Frau verstößt gegen die traditionellen gesellschaftlichen Normen. Das kann man als unterstellte politische Gesinnung sehen.

Was droht ihr bei einer Rückkehr? – Leider droht ihr auf jeden Fall Ehrenmord durch ihre Familie, die sie sowieso verstoßen hat.

Hat die Frau aber ihre Verfolgung glaubhaft machen können? – So hat das Asylverfahren ausgeschaut: Sie ist angekommen, sie wurde mit ihrem Mann von einem männlichen Polizisten in Uniform und einem männlichen Dolmetscher befragt, die Kinder waren mit dabei. Sie wurde explizit nicht einmal angesprochen. Das heißt, sie hat nichts über ihre Gewalterfahrungen erzählen können. Bei der inhaltlichen Einvernahme wurde sie schon von einer Frau befragt. Sie versuchte, auf die massive Gewalt hinzudeuten, es wurde aber immer wieder gesagt, dass das nicht im Protokoll der Erstbefragung steht: Das steht nicht in der Erstbefragung, bitte, ich möchte nur den Fluchtgrund von Ihrem Mann hören!

Der Bescheid war negativ. Eine Rückkehrentscheidung war zulässig. Das Gewaltvorbringen wurde als gesteigertes Vorbringen gewertet, weil sie es in der Erstbefragung nicht erwähnt hat, und die Scheidung habe sie initiiert, damit sie einen Aufenthaltsstatus in Österreich bekommen kann. Das Gewaltvorbringen sei nicht glaubwürdig, weil das Strafverfahren in Österreich eingestellt wurde.

Ich glaube, wir können da sehen, dass die Hürden noch extrem hoch sind. Das ist kein Einzelfall, möchte ich betonen. Ich habe letztes Jahr über 100°Frauen in ihren Asylverfahren begleitet. Das ist kein Einzelfall. In dem Fall haben wir es dann durch Rechtsberatung, weil sie eben zu uns gekommen ist, doch geschafft, dass sie nach einer BVwG-Zurückverweisungsentscheidung ans BFA, weil sie so schlecht ermittelt haben, nach dreieinhalb Jahren subsidiären Schutz bekommen hat.

Marty Huber: Sehr geehrte Vorsitzende! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Abgeordnete! Danke für die  sehr kurzfristige  Einladung! Ich würde mich gerne meiner Vorrednerin, Frau Alemi, anschließen. Queer Base arbeitet mit Geflüchteten, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität ihr Land verlassen mussten, und niemand flüchtet ohne Grund. Wir bekommen aber, wenn wir in den letzten Monaten die Diskussionen auch in diesem Haus beobachten und miterleben müssen, immer mehr den Eindruck, dass Menschenrechte und Grundrechte verhandelbar sind. Menschenrechte sind aber unteilbar und gerade auch in Österreich mit seiner Geschichte der Kriminalisierung von Homosexuellen und Pathologisierung von Transpersonen ist es eine besondere Aufgabe, da sensibel und auf den Grundfesten der Grundrechte vorzugehen.

Es ist so, dass Homosexualität in über 70 Ländern kriminalisiert wird. Es ist rechtlich sehr klar: UNHCR, die Genfer Flüchtlingskonvention, der EuGH et cetera haben es anerkannt. Es ist rechtlich eigentlich relativ klar. Es ist auch so, dass diese Gruppe eine besonders vulnerable Gruppe von Geflüchteten ist. In den Aufnahmerichtlinien sind sie aber nicht spezifisch angeführt. Es wird auch immer deutlicher, dass es auch bei ihnen, wie im Bereich von Menschen mit Behinderung, von Menschen mit Vergewaltigungserfahrung, von Menschen mit psychischen Erkrankungen, nötig ist, sie spezifisch unterzubringen, sie spezifisch zu versorgen.

Die Langzeittraumatisierungen, mit denen wir zu tun haben, merkt man dann leider auch daran, wie das Verfahren läuft. Es ist dem nicht unähnlich, was Frau Alemi beschrieben hat: In der Erstbefragung, in der es eigentlich hauptsächlich darum geht, festzustellen, wie die Personen geflüchtet sind, ob also Österreich zuständig ist, ob es ein Dublinverfahren ist oder nicht, wird auch nach dem Asylgrund gefragt.

Wir machen leider sehr oft die Erfahrung, dass Dolmetscher und Dolmetscherinnen sogenannte Sprachkundige sind, also sehr wenig ausgebildete Personen, die noch nicht wirklich gut Vokabular et cetera in diesem Bereich beherrschen. Das heißt, sie verwenden zum Beispiel auf Arabisch Wörter, die eindeutige Beleidigungen sind. Menschen, die das erste Mal vor einer Behörde über ihre Sexualität sprechen sollen, haben sehr große Angst davor, dass sie vor ihren Herkunftscommunitys geoutet werden.

Wenn Sie sich jetzt vorstellen, Sie müssten vor einer uniformierten Person und vor einer Person, die Ihre Sprache spricht, aus Ihrem Kulturkreis kommt, vor dem Sie geflohen sind, sagen: Ja, ich habe Sex mit dem gleichen Geschlecht!, dann können Sie sich vielleicht vorstellen, dass das nicht so einfach ist.

Wir haben 2015/2016 erlebt, dass diese Erstbefragungen in Räumen mit vielen anderen Anwesenden stattgefunden haben. Das gilt genauso für Gewaltopfer, Frauen, die Opfer von Frauenhandel sind, et cetera. Es ist einfach unmöglich, sich in Ruhe einer Person zu öffnen, wenn daneben noch andere Personen anwesend sind oder wenn die eigenen Vergewaltiger anwesend sind.

Es wird auch kaum oder niemals vorher eine Rechtsbelehrung angebracht. Sehr viele haben die Dolmetscher und Dolmetscherinnen gefragt: Darf ich als Schwuler, darf ich als Lesbe Asyl beantragen? Manche haben die Antwort bekommen: Nein. Sie haben es deswegen in der Erstbefragung nicht gesagt.

Eine unserer wichtigsten Forderungen wäre daher die Ausbildung für die Polizei in der Erstbefragung und auch eine Standardisierung, was die Ausbildung der Dolmetscher und Dolmetscherinnen betrifft. Da gibt es die Ausbildung Qualitätsvolles Dolmetschen im Asylverfahren – Quada. Das ist an sich vorgesehen.

Weiters besteht die Frage der Unterbringung und Versorgung. Die Flucht von Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität verfolgt wurden, ist in den Unterbringungen in Österreich noch nicht zu Ende. Stellen Sie sich vor, Sie sind geflohen und können in Ihrer Asylunterkunft noch immer nicht darüber reden, warum Sie geflohen sind.

Es ist weiters ganz wichtig, zu überlegen: Wie geht es dann bei der Einvernahme weiter? Da gibt es sehr berühmt gewordene Fälle, das sind auch keine Einzelfälle. Was heißt das wiederum für die Ausbildung der MitarbeiterInnen des BFA? Was heißt es für das Dolmetschen? Welche Stereotype werden da weitergetragen? Ganz wichtig ist auch die Staatendokumentation. Es gibt ganz viele – und das betrifft genauso Frauen, Mädchen, Kinder, minorisierte Gruppen wie LGBTIQ – Underreported-Geschichten.

Das heißt, die Gewalt gegen Frauen, die Gewalt gegen LGBTIQ wird einfach nicht dokumentiert. Sie scheint in den Reports nicht auf.

Nach der Anerkennung ist wiederum auch die Frage, wie es mit der Versorgung weitergeht, wie es mit den Therapieplätzen und der Gewaltprävention weitergeht, weil die Gewalt auch dann nicht zu Ende ist. (Beifall.)

*****

Abgeordnete Dr. Gudrun Kugler (ÖVP): Schutz gewähren ist für diese Bundesregierung ein wichtiges Prinzip, und vieles ist auf dem Weg. Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele.

Wir haben schon von den Fortbildungsmaßnahmen für die Polizei gehört. Da sind viele wichtige Dinge, die heute angesprochen worden sind, bereits für den Zyklus 2020 bis 2022 vorgesehen. Das dürfen wir ab nächstem Jahr bereits erwarten. Die Task Force Strafrecht hat einige Punkte in ihren Vorschlägen aufgenommen, und zwar – das sage ich nur als Beispiel –: ein Leitfaden bei Gewalt im Namen der Ehre für die Berufsgruppen, die mit Tätern und Opfern bei diesen Delikten Berührungspunkte haben. Diese sollen flächendeckend entsprechend sensibilisiert werden. Auch das wird gerade auf den Weg gebracht.

Thema FGM, weibliche Genitalverstümmelung: Da wird das Gesetz verschärft, und zwar so weit, dass erstens die weibliche Genitalverstümmelung als Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen zu sehen ist. Damit wird also das Strafrecht noch einmal deutlich verschärft. Zweitens ist keine persönliche Zustimmung möglich. Also sogar wenn jemand sagen würde: Ich möchte das, das gehört zu meiner Kultur!, ist das in Österreich trotzdem nicht möglich.

Weiters gibt es einen Elternbrief, der den Gynäkologen vonseiten der Bundesregierung in mehreren Sprachen zur Verfügung gestellt wird, den diese Gynäkologen an Betroffene, aber auch an Eltern von Mädchen weitergeben sollen, denn weibliche Genitalverstümmelung ist auch in Österreich ein Problem; man schätzt ja, das es derzeit in Wien bis zu 8 000 Betroffene gibt.

Menschenhandel  und da bin ich Brigadier Tatzgern sehr dankbar für seine großartige Arbeit – ist auch ein Thema, das wir sehr stark vorantreiben. Kollegin Susanne Fürst und ich haben einen Antrag eingebracht, den wir nächste Woche im Menschenrechtsausschuss behandeln werden, in dem wir die Bundesregierung auffordern, an diesem Thema mit großem Engagement weiter zu arbeiten, insbesondere durch Präventivmaßnahmen in Herkunftsländern und durch die Bekämpfung von Menschenhandel auch bei uns.

Ich möchte zu einem schwierigen Thema eine Frage an Frau Mag. Holzinger richten, und zwar würde ich mich über eine Auflösung in Bezug auf das, was Frau Alemi gesagt hat, und das, was wir sonst wissen, freuen. Es ist ja nicht so, dass eine Frau, die ihren Asylstatus durch den Status ihres Mannes bekommt, bei einer Trennung gehen muss. Das ist ja nicht so. Ich würde mich freuen, wenn Frau Mag. Holzinger dazu noch ein bisschen mehr sagen könnte, denn es ist durchaus wichtig, dass Frauen sich vollkommen geschützt und frei fühlen.

Ich sage noch als Schlusssatz: Schutz gewähren ist oft eine Sache der Einrichtungen, die es gibt, und da ist sehr, sehr vieles Ländersache. Für mich ist es schwer verständlich, warum die Stadt Wien, genauer gesagt der Fonds Soziales Wien, kürzlich die Zugangskriterien für Mutter-Kind-Häuser deutlich erschwert hat. Frauen, die nur eine Rot-Weiß-Rot-Karte plus haben, können diese nicht mehr in Anspruch nehmen. Ich glaube, das ist nicht das Signal, das wir uns zum Schutz der Frauen und Kinder wünschen.

Abgeordnete Melanie Erasim, MSc (SPÖ): Geschätzte Vorsitzende! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebes Team des Frauenvolksbegehrens! Liebe Unterstützerinnen und Unterstützer! Das Thema Schutz gewähren ist ein essenzielles. Ich möchte kurz auf Ihre Ausführungen eingehen, Frau Mag.a Holzinger: Sie erwähnen, dass die meisten Betroffenen diese Themen nicht vorbringen wollen. Dafür muss es ja Gründe geben. Da muss ich schon uns als Politikerinnen und Politiker auffordern, die Rahmenbedingungen so zu ändern, dass der Rahmen so ist, dass es möglich ist, dass sie das zu ihrem eigenen Schutz wollen.

Wenn, wie die Kollegin hier auch erwähnt hat, in der Praxis die vorgesehenen Dinge, die auch im Gesetz festgeschriebenen Dinge oft nicht angewandt werden und auch die Bescheide dann oft nicht auf dieser Grundlage ausgestellt werden – was jetzt nicht heißen soll, dass es nicht gesetzliche Grundlage ist, sondern dass genau diese Möglichkeiten nicht ausgeschöpft werden –, dann besteht da akuter Handlungsbedarf.

Eines muss ich nämlich schon sagen, vor allem auch an die Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen gerichtet: Wir machen uns mitschuldig, wenn wir das ganz einfach geschehen lassen und nicht so weit sind, die Risiken zu erkennen und die Möglichkeiten dementsprechend auszuweiten.

Wir wissen genau, dass Gewalt an Frauen die häufigste Waffe in Krisen- und Kriegssituationen ist. Genau da müssen wir sehr sensibel und mit den notwendigen Mitteln weiterarbeiten, denn jedes Opfer ist ein Opfer zu viel, und nur die Willensbekundung: Wir wollen ja eh nicht, dass das passiert!, ist halt in der Politik zu wenig. Ich glaube, da kann man sich etwas mehr erwarten.

Ich möchte, eben weil wir da mehr als nur Akzente setzen wollen, einen Entschließungsantrag einbringen, und zwar der Abgeordneten Gabriele Heinisch-Hosek, Genossinnen und Genossen betreffend Fortführung des Nationalen Aktionsplans zum Schutz von Frauen vor Gewalt: Der Nationalrat wolle beschließen: Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend, wird aufgefordert, zügig den Nationalen Aktionsplan zum Schutz von Frauen vor Gewalt fortzuführen. Ein interdisziplinärer strategischer Planungsprozess ist ebenso erforderlich wie die kompakte Umsetzung der erarbeiteten Maßnahmen. Um Frauen in Zukunft besser vor Gewalt zu schützen, braucht es Anstrengungen aller Ressorts.

In diesem Sinne hoffe ich auf Zustimmung seitens der Regierungsfraktionen. Die zweite Nationalratspräsidentin, Doris Bures, hat sich da ja schon sehr im parlamentarischen Dialog gemeinsam mit Expertinnen und Experten eingesetzt. Es wäre, so finde ich, höchst an der Zeit, genau diesen Forderungen nachzukommen.

Abgeordnete Dr. Susanne Fürst (FPÖ): Ja, Frauen sind besonders schutzwürdig, da sie die große Mehrheit der Opfer von Gewalt, von sexueller Gewalt oder auch von Menschenhandel bilden, sowohl in ihren Herkunftsländern als auch auf der Flucht und auch bei uns, da sie ja auch die große Mehrheit der Verbrechensopfer der neu zugewanderten männlichen Gewalt bilden, denn besonders ausgeprägt ist die Gewalt gegenüber Frauen in Gesellschaften, in denen die Frauen schon rein rechtlich nicht gleichberechtigt mit den Männern sind und in denen der Glaube dann auch noch als Legitimation für Gewalt gegen Frauen verwendet wird.

Das heißt übersetzt: Gerade in muslimisch geprägten Gesellschaften ist die Situation der Frau sehr prekär. Da ist insbesondere diese Anspruchsberechtigung der Männer gegenüber Frauen, die von der Expertin von JETZT zuerst so intensiv ausgeführt wurde, zu Hause. Das Faktum, dass das eben besonders in muslimisch geprägten Gesellschaften der Fall ist, wird kunstvoll unter den Tisch gekehrt, sowohl von der Expertin als auch von den Initiatoren des Frauenvolksbegehrens. Das ist aber ein Widerspruch. Wir können nicht über zunehmende Gewalt an Frauen reden, wenn wir uns nicht auch diesem Problem stellen.

Wir können es nicht zulassen, und ich werde nie verstehen, warum wir Hunderttausende Männer aus arabischen Ländern oder aus muslimisch geprägten Ländern willkommen heißen und aufnehmen, die für die triste Situation der Frauen in diesen Herkunftsländern verantwortlich oder mitverantwortlich sind und mit ihrem Frauenbild aus der Steinzeit hierherkommen und dieses auch leben wollen und dann, wie die Expertin von JETZT angeführt hat, entsprechend gekränkt reagieren, wenn es bei uns nicht so funktioniert, wie sie es gewöhnt sind, denn sie haben es eben in ihren Herkunftsländern, wie zum Beispiel Afghanistan, erlebt.

Den Frauen, den Mädchen wird der Zugang zur Bildung verweigert. Sie werden zu einem großen Prozentsatz im Analphabetentum gehalten. Sie werden in Zwangsehen, in Vielehen, in Kinderehen gedrängt. Sie können sich kaum aus diesen Beziehungen, in denen sie zu einem sehr großen Prozentsatz Gewalt ausgesetzt sind, befreien. Sie können sich auch im öffentlichen Raum nicht risikolos bewegen.

Ja, da haben wir eine Mitschuld, wenn wir dies zulassen, wenn wir diese unkontrollierte Einwanderung zulassen und uns dann aber gleichzeitig über den mangelnden Schutz der Frauen und die Zunahme der Gewalt beklagen.

Die beiden Experten aus dem Innenministerium haben uns schon geschildert, wie viel wir für Frauen tun, um ihre spezielle Schutzsituation bei der Flucht zu berücksichtigen.

Ich denke aber, dass der Fokus – da wirklich Millionen Frauen, gerade in arabischen Ländern, glaube ich, einen persönlichen, individuellen Fluchtgrund haben, den ich sehr gut verstehen kann – darauf liegen soll, den Frauen in den Herkunftsländern auf ihrem schweren Weg zur Gleichberechtigung zu helfen. Daher wäre auch nur meine kurze Frage an Herrn Brigadier Tatzgern, ob es auch Projekte und Maßnahmen gibt, die sich speziell mit den Frauen in ihren Herkunftsländern befassen, ob man sie dort auch unterstützt. – Danke.

Abgeordnete Claudia Gamon, MSc (WU) (NEOS): Frau Kollegin Fürst! For the sake of the argument nehme ich das jetzt gerne auf, aber wenn Sie das als inakzeptabel sehen – und da gebe ich Ihnen recht –, dass wir Frauen immer noch in vielen Ländern dieser Welt ohne Chance auf jegliche Gleichberechtigung leben müssen, dass die Frauen ganz konkret geschlechtsspezifische Fluchtrealitäten haben – da reden wir von Genitalverstümmelung, von Zwangsehen, von sexualisierter Gewalt und auch von Gewalt im Namen der sogenannten religiösen Ehre, was auch immer man sich darunter vorstellen sollte –, dann frage ich Sie: Warum wollen wir denn nicht gerade denen, die eben aus diesem Grund flüchten wollen, die Möglichkeit geben, dass wir auch unser Versprechen der offenen Gesellschaft und der Gleichberechtigung für diese Frauen einlösen können, dass wir auch den Beweis antreten können, dass das Leben in einer liberalen, gleichberechtigten Gesellschaft besser ist? Dann müssen wir auch den Beweis antreten, dass wir diesen Frauen, die ein Recht darauf haben, zu fliehen, und die ein Recht auf ein besseres Leben haben, die Chance geben, ihre Fluchtgründe im selben Ausmaß darlegen zu können, wie es auch Männer können.

Gerade wenn Sie das auch so sehen, kann ich es nicht verstehen, dass Sie nicht auf die Argumente vieler ExpertInnen hier konkreter eingegangen sind.

Ich glaube, sowohl Frau Huber als auch Frau Alemi haben klar geschildert, woran die Berücksichtigung dieser Fluchtgründe in der Praxis oft scheitert, und ich denke, dass das Volksbegehren hier auch einen wichtigen Impuls geliefert hat, dass wir darüber sprechen, wie man einfache, realistische Adaptierungen in den Verfahren machen kann, in der Erstbefragung, in der Art, wie die Einvernahme stattfindet, damit wir den Frauen eine Möglichkeit geben, auch ihre individuellen, geschlechtsspezifischen Fluchtgründe darzulegen, damit wir auch wirklich garantieren können, dass wir diesen Frauen Schutz gewähren, und den Beweis antreten können, wie sich ein Leben in einer gleichberechtigten Gesellschaft anfühlt.

Wir dürfen nicht als ersten Schritt damit anfangen, zu verleugnen, dass sie selbstverständlich auch konkrete, geschlechtsspezifische Fluchtgründe haben können. Wir müssen uns klar werden, dass wir und die Realität, in der sie leben, nicht vorstellen können und – da bin ich mir sicher – dass wir uns die Art der Gewalt, die Art, wie es sich anfühlt, wenn man in jeder Kleinigkeit des Lebens so eingeschränkt ist, dass man vielleicht keine eigene Persönlichkeit mehr nach außen hin ausleben darf, nicht vorstellen können. Deshalb müssen wir diesen Frauen die Möglichkeit dazu geben, ihre Fluchtgründe in Österreich entsprechend darzulegen und Schutz zu finden .

Abgeordnete Stephanie Cox, BA (JETZT): Weil das vorher gefallen ist, warum wir diesen Menschen Asyl gewähren, ein für alle Mal: Asyl ist ein Menschenrecht. Wir haben hier schon gehört, dass es gewisse Beweggründe zur Flucht gibt, und wir haben auch gehört, dass das sehr krasse Beweggründe sind. Wir reden hier von Männern und vor allem auch von Frauen und Kindern – wir haben die Zahlen vorher gehört –, wir reden aber auch von Menschen aus der LGBTIQ-Community. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es manchmal schon schwierig ist, über diese Thematik, über diese Community in Ausschüssen zu sprechen, im Kontext, wie wir in unserem Bildungssystem mit diesen Communitys, mit diesen Menschen umgehen. In diesem Fall ist es anscheinend noch viel problematischer, gerade wenn es um das Thema Flucht und um Menschen geht, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden.

Also: Asyl ist ein Menschenrecht, und vor allem sind wir schon auch dafür verantwortlich, dass wir Schutz gewähren können. Das ist nicht nur gerecht, sondern das ist sehr, sehr wichtig.

In weiterer Folge würde mich interessieren, Herr Tatzgern, da Sie aus der Praxis kommen: Gibt es Fortbildungen, genügend Fortbildungen, was die LGBTIQ-Community angeht, wenn es um Menschen geht, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung flüchten? Gibt es da genug Sensibilisierung?

Das Gleiche würde ich gern Marty Huber fragen, was ihre Meinung diesbezüglich ist, und vor allem auch noch: Ist es auch abhängig vom Ort, an dem sie dann in Österreich landen, an den sie hinverwiesen werden, wie sie dort dann aufgenommen werden und welche Herausforderung sie haben?

Abschließend noch an die VertreterInnen des Frauenvolksbegehrens – ich bin jetzt die letzte Rednerin von den Abgeordneten –: Ihr habt da so viel Arbeit reingesteckt, es haben fast 500 000 Menschen unterschrieben. Wenn ihr jetzt einen Wunsch hättet: Was denkt ihr, dass der nächste Schritt hier sein sollte? Ich glaube nämlich, kein Volksbegehren mit einer solchen Anzahl an Unterstützern sollte ohne eine Maßnahme hier diskutiert werden. Es braucht Taten, nicht nur Worte!

*****

Mag. Ina Holzinger: Ich werde versuchen, kurz auf die Fragen einzugehen. Erstens zum Thema des abgeleiteten Status: Es ist so, dass im Familienverfahren der Schutzgrund von jedem Familienmitglied gesondert geprüft wird, und wirklich nur in den Fällen, in denen kein eigenes Fluchtvorbringen getätigt wird oder glaubhaft gemacht werden kann, besteht die Möglichkeit, dass man den Status von einem anderen Familienmitglied ableitet.

Das heißt, wir haben natürlich oft Konstellationen, dass zum Beispiel der Mann aus politischen Gründen verfolgt ist und die Frau diesen Status von ihm ableitet, obwohl sie selbst nicht politisch aktiv war. Andersherum haben wir in Österreich aber sehr oft auch jene Fälle, in denen gerade, sage ich jetzt einmal, eine westlich orientierte Frau aus einem Land wie Afghanistan aufgrund ihrer westlich eingestellten Lebensweise Anspruch auf Asyl hat und allenfalls ein Mann den Schutzstatus von ihr ableiten kann. Das sei einmal dazu gesagt.

Ganz wichtig ist es mir in dem Bereich, auch darauf hinzuweisen, dass für Frauen, die in Österreich bereits einen Schutzstatus haben und hier aus einer Gewaltsituation, einer innerfamiliären Gewaltsituation ausbrechen wollen, die Angst um den Aufenthaltsstatus keinen Hinderungsgrund für eine Trennung vom Ehegatten darstellen soll. Es ist in Österreich nicht so, dass die Zuerkennungsgründe eines Asylverfahrens bindend sind. Das heißt, es besteht kein Automatismus, dass eine Frau, die von ihrem Ehegatten den Schutzstatus ableitet, aufgrund einer Trennung automatisch ihren Status verlieren würde. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, und die Behörde ist in diesem Bereich sehr sensibel im Umgang mit der Thematik.

Das, was auch hier wieder ein großes Problem darstellt, ist natürlich das auch in der zweiten Frage angesprochene Thema: diese Gründe für das Nichtvorbringen. Es ist natürlich eine Angst vor Repressalien bei diesen Frauen zu merken, Angst vor einer Ächtung in der Familie. Hier muss man ganz stark in der Beratung ansetzen, glaube ich, denn vielfach landen diese Frauen mit ihren Bedürfnissen erst bei einer Opferschutzeinrichtung, bevor sie sich vor die Behörde wagen. Das ist ein Faktum. Ich glaube aber auch, dass die Sensibilisierungsmaßnahmen im Bereich der Behörde sehr viel dazu beitragen können, dass die Referenten da eine offenere Stimmung produzieren können.

Ganz kurz noch zu dem Thema, rechtliche Möglichkeiten würden nicht ausgeschöpft. Unsere Referenten sind natürlich an die rechtlichen Grundlagen gebunden und halten sich auch an diese. Es sind aber Asylverfahren sehr komplexe Verfahren, und gerade das Thema der Glaubhaftmachung und der Glaubwürdigkeitsprüfung im Verfahren ist ein sehr komplexer Sachverhalt und kann natürlich dann auch zu unterschiedlichen Ergebnissen in der Instanz führen. – Danke schön.

Sabine Stevanovic: Ich würde gerne mein letztes Statement hier heute nutzen, um zwei Sachen klarzustellen: Gewalt an sich – und das betrifft uns jetzt hier alle – kennt keine ethnische Zugehörigkeit, kein Religionsbekenntnis, keinen sozialen Status, keine Altersgrenze. Das muss uns einmal ganz, ganz klar sein. (Beifall.)  

Das Zweite, das ich hier gerne hinsichtlich der Begrifflichkeit ein bisschen klarstellen möchte, ist: Wenn wir große Schlagworte wie Ehrenmord oder Gewalt im Namen der Ehre in den Mund nehmen, dann möchte ich ganz bewusst darauf aufmerksam machen, dass auch das nichts mit Religion zu tun hat. Wir reden hier über patriarchale Strukturen. Wir reden hier darüber, dass die sogenannte Familienehre an den Frauen, an den Mädchen der Familie angekoppelt wird und da – um es ganz salopp zu sagen – an deren Jungfräulichkeit. Dies hat etwas mit patriarchalen Strukturen zu tun und mit der Gewalt gegen Mädchen und Frauen. – Vielen Dank.

Brigadier Gerald Tatzgern, BA MA: Zur ersten Frage, jener der Herkunftsländer: Ja, wir probieren es. Österreich hat seit Jänner 2018 die Projektleitung im sogenannten Projekt Seidenstraße/Silk Road inne, wo wir mit unseren Partnerinnen Bulgarien, Ungarn und Interpol bis nach Afghanistan, nach Pakistan, in den Iran und in die Türkei gehen, dort versuchen, die Polizeien zu sensibilisieren, eine Art der Zusammenarbeit zu starten, um zu versuchen, wirklich vor Ort, ich sage einmal, die kriminellen Netzwerke zu entdecken, wenn es – hoffentlich – gelingt, aber wir müssen einmal beginnen, um das auch evaluieren zu können und natürlich auch spezifisch auf dieses aktuelle Thema Bezug zu nehmen.

Wir haben ein sogenanntes Twinning-Programm mit Serbien. Da geht es um Menschenhandel. Unser Kopartner ist Slowenien. Das heißt, am Balkan versuchen wir, Serbien sehr fit zu machen, stark zu machen im Kampf gegen den Menschenhandel. Auch dort ist es so, dass als Opfer des Menschenhandels vorwiegend Frauen beziehungsweise Kinder betroffen sind.

Als nächste Initiative versuchen wir jetzt – das ist ein Versuch –, ein EU-gefördertes Projekt zu gewinnen. Wir werden uns bewerben, hoffentlich mit unseren großen Key-Playern Deutschland, Italien, Spanien und Frankreich – das Thema betrifft Nordafrika, reicht aber bis Nigeria, das heißt, es umfasst diesen gesamten afrikanischen Bereich –, und versuchen, eine Art der Zusammenarbeit zu finden und einiges weiterzubringen, denn mein Gefühl als Polizist ist oft: Viele reden über die Situation – Sklaverei in Libyen und Konsorten –, aber niemand tut etwas. Österreich versucht wirklich, da die Initiative zu ergreifen, und die vier großen Key-Player, die ich genannt habe, sagen: Das ist klass’, wenn Österreich da den Lead übernimmt, machen wir gerne mit!

Ich wollte auch noch auf die Frage zur Schulung Bezug nehmen: Natürlich beziehen wir im Bereich Menschenhandel, Frauenhandel alle Möglichkeiten ein. Das Wort Transgender wird da sehr oft genannt, aber LGBTIQ ist ein sehr neues, ein sehr aktuelles Thema. Wir versuchen, das einzubauen, aber ich kann Ihnen sagen, es ist aktuell nicht Gegenstand in irgendeinem Katalog, es ist so nicht festgeschrieben. Wir versuchen aber natürlich, mit der Zeit zu gehen, und werden schauen, die Polizei, was das betrifft, fitter zu machen. – Danke.

Maryam Alemi, BA MA: Ich glaube, dass wir eigentlich sehr viel mit sehr wenigen Schritten erreichen können, im Asylverfahren alleine, wenn vulnerable Frauen identifiziert werden. Mit einem formellen Identifizierungsprozess könnten wir sehr viel abfangen. In vielen Ländern gibt es auch internal referral mechanisms, wo Opfer von Gewalt dann gleich an Opfereinrichtungen verwiesen werden, damit sie die Unterstützung bekommen, die sie brauchen, damit sie in der Lage sind, ihre Gründe im Asylverfahren überhaupt vorzubringen.

Viele dieser Frauen wissen nicht, dass sie überhaupt Rechtsträgerinnen sind, dass sie überhaupt Rechte haben, die sie geltend machen können. Dahin gehend müssten sie auch informiert werden. Sie haben zwar das Recht, von einer Frau einvernommen zu werden, die Information über dieses Recht bekommen sie schriftlich, viele können aber nicht lesen. Es steht ganz unten, unter dem Punkt, bei dem es um die freiwillige Rückkehr geht. Die Informationen kommen einfach nicht an, obwohl Bestrebungen da sind.

Ich glaube wie gesagt, es ist auch wichtig, Rechtsberatung vor der Erstbefragung und vor der Einvernahme zu bekommen. Es braucht natürlich besonders geschultes Personal und auch besonders geschulte Dolmetscher, aber das alles sind Schritte, die wirklich machbar sind. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind, wie Mag. Holzinger gesagt hat, schon da. Betroffene brauchen Zeit, bevor sie über diese Erfahrungen reden können. Sie brauchen mehrere Einvernahmen. Schulungen, Schulungen, Schulungen – da gibt es, glaube ich, wirklich keinen Ausweg für die Behörde, auch für Richter und Richterinnen und auch für Dolmetscher.

Ich möchte nur sagen, dass es auch hierzulande leider noch ein sehr großes Stück Steinzeit gibt. Wenn man manche die Bescheide liest: Es war keine Vergewaltigung, weil sie den Mann nicht beschreiben kann. Sie war kein Opfer von Menschenhandel, denn wer geht mit einem fremden Menschen mit? Es ist nicht glaubwürdig, dass der Mann gewalttätig war, weil das Strafverfahren eingestellt wurde. – Also die Steinzeit existiert nicht nur in den arabischen Ländern, sondern auch hierzulande ein bisschen. – Vielen Dank. (Beifall.)

Marty Huber: Sehr geehrter Herr Tatzgern, das Thema LGBTIQ auf der Flucht ist nicht neu. Österreich war da auch gar nicht so schlecht in der Geschichte. Der erste Fall, den ich gefunden habe, ist aus den früheren Achtzigerjahren, mit einem positiven Bescheid. Seit Mitte der Neunzigerjahre wird LGBTIQ in Österreich als soziale Gruppe anerkannt. Da sind wir sogar Vorreiter. Also das Thema ist nicht neu. (Beifall.)

Wir brauchen natürlich Bildung, aber die ganze Frage der Glaubwürdigkeitsprüfung ist eine existenziell wichtige. Daher möchte ich gerne auf die Frage von Frau Cox eingehen. Glaubwürdigkeit heißt, ich kann darüber sprechen, dass meine Sexualität, meine Geschlechtsidentität mein Fluchtgrund ist. Wenn man aber irgendwo in St. Jakob im Rosental in Kärnten ist, keinen Zugang zur Community hat, Angst davor hat, darüber zu sprechen, weil man Angst vor Gewalt hat, Angst vor Übergriffen hat, dann wird man ganz wenig Möglichkeiten haben, an der eigenen Glaubwürdigkeit zu arbeiten.

Stellen Sie sich vor, Sie sind iranische Christin und Sie sind geflohen, weil Sie im Iran Ihren christlichen Glauben nicht ausleben können. Dann kommen Sie nach Österreich und dürfen während des Asylverfahrens keine Kirche besuchen, weil Sie dort nicht hinkommen. Stellen Sie sich vor, Sie müssen Ihre Bibel verstecken, weil niemand erfahren darf, dass Sie christlichen Glaubens sind. Dann erzählen Sie mir, dass Sie dann beschreiben können, was der 8. Dezember ist! Das ist eine typische Frage im Asylverfahren: Sagen Sie mir, welcher Feiertag der 8. Dezember ist! – Maria Empfängnis, viele wissen auch hier nicht, was das ist.

Es geht nicht um die Empfängnis von Jesus. Es geht wirklich darum, dass Menschen den Zugang zur Community haben. Es geht darum, dass sie Einrichtungen, die auf sie spezialisiert sind, auch nutzen können. Es geht um die Ausbildung von Menschen, die im Asylbereich arbeiten, es geht darum, dass sie wissen, wen es dort in diesem Bereich gibt. Das heißt auch, die Wohnsitzbeschränkung, wie sie noch von der alten Regierung eingeführt worden ist, ist ein Teil des Problems, denn in der Erstbefragung wird nicht richtig zugewiesen und später ist es immer schwieriger, Menschen aus den Bundesländern nach Wien zu holen.

Noch eine ganz kurze Bemerkung an Frau Fürst gerichtet: Ich weiß, Ihre Partei hat gute Verbindungen nach Tschetschenien. Es geht auch darum, dass dort bekannterweise Menschen in Kellern landen und gefoltert werden, weil sie schwul sind, weil sie lesbisch sind. Wenn Sie Ihre Worte ernst nehmen würden, dann würden Sie wie andere Länder auch dafür eintreten, dass wir Fluchthilfe ermöglichen und diese Menschen aus dem Nordkaukasus rausholen. De facto machen Sie, macht Ihre Partei nichts dergleichen, sondern das Gegenteil. Deswegen ist es, glaube ich, ganz wichtig, zu sagen: Es geht auch darum, die Flucht zu ermöglichen und den Asylantrag zu ermöglichen. Dass wir die Flüchtlingskonvention unterzeichnet haben, heißt auch, es muss ein Recht darauf geben, einen Asylantrag zu stellen. – Danke. (Beifall.)

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Christian Berger: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher! Und vor allem: Sehr geehrte Aktivistinnen und Aktivisten! Wir haben heute sehr produktiv diskutiert, und ich denke, es ist möglich, einiges von dem, was wir hier angesprochen haben, zu realisieren.

Ich fasse noch einmal zusammen: Wir haben über die Institutionalisierung und Vermarktung von sexistischen Geschlechternormen gesprochen, wir haben über den Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt, vor Gewalt gegen Frauen und Mädchen gesprochen, wir haben über die Bedingungen von reproduktiver und sexueller Selbstbestimmung gesprochen, wir haben über die Verfolgung und Vertreibung von Mädchen, Frauen, Homosexuellen, Bisexuellen, Transgender- und Interpersonen gesprochen. Wir haben darüber gesprochen, dass sich etwas ändern muss, und wir haben auch darüber gesprochen, was sich ändern muss.

Nun sind wir hier: Wir stehen über zwei Jahre nach der Neuauflage des Frauenvolksbegehrens in Österreich hier, über 20 Jahre nach dem ersten Frauenvolksbegehren, 22 Jahre nach Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes, 26 Jahre nach Inkrafttreten des Gleichbehandlungsgesetzes, 40 Jahre nach Inkrafttreten des Gleichlohngesetzes, 44 Jahre nach der Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, 44 Jahre nach der Familienrechtsreform und vielen weiteren hart errungenen gleichstellungspolitischen Reformen sowie über 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts in Österreich.

Wir weisen auf insgesamt 33 drängende, von Betroffenen an uns herangetragene, von Vereinen an uns kommunizierte gleichstellungspolitische Probleme, die in neun Forderungen gesammelt wurden, hin und kämpfen und plädieren an dieser Stelle für Veränderung, denn wir stehen weiterhin vor Herausforderungen. Wir haben sie in dieser und in der letzten Ausschusssitzung diskutiert. Wir stehen vor subtilen, plakativen und starren, in den Strukturen unseres Staates und unserer Gesellschaft verankerten Formen des Sexismus, der Frauenfeindlichkeit und der Diskriminierung. Wir haben inner- und außerhalb des Parlaments darüber gesprochen.

Wir haben vor zwei Wochen im Gleichbehandlungsausschuss wirtschafts- und sozialpolitische Fragen und heute eine ganze Reihe von Forderungen angesprochen. Es ist klar geworden, dass dieser Staat und diese Gesellschaft, Frauen wie Männer, an überkommenen, institutionalisierten Vorstellungen und Bildern von Geschlecht leiden. Sie leiden auch an Männerbünden, die an den oberen Enden der hierarchischen Binnenstrukturen der Politik und der Wirtschaft nach wie vor existieren; die ExpertInnen haben das hinlänglich dargelegt.

Männer und Frauen, die der prototypischen, männlichen Norm nicht entsprechen, die von Machtpositionen, von der Verfügung über Ressourcen und Kapital ausgeschlossen werden, die verlacht und verachtet werden, diese Männer und Frauen leiden unter diesen Verhältnissen. Es muss klar sein, dass Frauenfeindlichkeit – die Abwertung und Unterordnung des Weiblichen schlechthin –, die die Bedingung und die Ursache des Feminismus ist, und die politökonomische Marginalisierung von Frauen, die die Konsequenz dieser kulturellen Bedeutung von Weiblichkeit ist, die Ursachen und die Bedingungen für Sexismus, für die Verletzung von Frauenrechten und Gewalt gegen Mädchen, Frauen und alle als weiblich markierten Personen sind.

Es ist diese unsere Tradition kennzeichnende Verknüpfung von Männlichkeit mit Härte und Überlegenheit, die Männer zu Subjekten und Tätern und Frauen zu Opfern und Objekten macht. Es ist eine Tradition der Traumatisierung, der Ungleichheit und der Gewaltverhältnisse, die wir hier in diesem Haus diskutiert haben und für deren Veränderung wir plädieren.

In dieser angesprochenen Weise bestimmt das Patriarchat – ob Sie es so nennen wollen oder nicht – unser Leben von der Geburt bis zum Tod. Es beschränkt die Freiheit der allermeisten Menschen und zerstört Existenzen. Damit verbunden ist die Destruktion der Natur, die wir aktuell erleben, Stichwort Klimawandel, die Kultur, die historisch – und ich nehme an, gewisse Personen hier sind historisch gebildet – weiblich markiert ist, und die Universalisierung von Konkurrenz, die kulturell als männlich markiert ist. So untergräbt das Patriarchat die Bedingungen für das Leben selbst, und in diesem Sinne ist das Patriarchat radikal und nimmt uns nicht nur bildlich gesprochen oft die Luft zum Atmen.

Wie jede Tradition kann jedoch auch die patriarchale Tradition, die unsere Tradition ist, überwunden werden. Das wäre Voraussetzung für eine Gesellschaft und Kultur der Gleichheit, die es den Menschen ermöglicht, sich frei zu entfalten. In diesem Sinne muss der Feminismus radikal sein und Fragen nach der Verteilung und Bewertung von Arbeit, Zeit und Vermögen stellen, und das haben wir mit unserem Volksbegehren getan. Die allermeisten Forderungen sind nicht radikal, die allermeisten Forderungen können Sie umsetzen, ohne eine Revolution zu initiieren, und darum bitten wir Sie. (Beifall.)

Schifteh Hashemi Gerdehi: Das Frauenvolksbegehren hat unserer Meinung nach gezeigt, dass die Menschen in Österreich Politik mitgestalten wollen, dass sie an politischen Prozessen interessiert sind und bereit sind, extrem viel ehrenamtliche Zeit und Arbeit in die Gestaltung einer gleichberechtigten Gesellschaft zu investieren. Das Frauenvolksbegehren zeigt auch, und das sollte Ihnen als Abgeordneten vielleicht Sorge bereiten, dass Politik immer öfter abseits dieser starren Parteistrukturen stattfindet.

Das Instrument Volksbegehren lebt, und das ist letztlich auch dem Frauenvolksbegehren zu verdanken. Menschen wollen sich beteiligen. Schließen Sie sie nicht aus diesen Prozessen aus! Ich glaube, dass die Wahlbeteiligung am Sonntag in Salzburg uns allen, aber besonders Ihnen Sorgen bereiten sollte. Nehmen Sie also direktdemokratische Partizipationsprozesse wie das Volksbegehren auch in diesem Hause ernst!

Eine halbe Million Österreicherinnen und Österreicher hat das Frauenvolksbegehren unterzeichnet. Das ist unserer Meinung nach ein Auftrag an Sie, sehr geehrte Abgeordnete, Ihre Zugänge zu diesen Themen auch einmal kritisch zu hinterfragen, andere Blickwinkel zuzulassen, gerade jene von Betroffenen und von Menschen, die von ihren alltäglichen Problemen in diesem System berichten. Es ist Ihre Aufgabe, Gesetze auf dieser Basis zu erarbeiten und auch neue Ansätze zu denken. Es ist auch ein Appell an Sie, sehr geehrte Abgeordnete, Ihre Art des Politikmachens und die geringe politische Beteiligung und Repräsentation von Frauen, aber auch anderer Minderheiten kritisch zu hinterfragen.

Wie viele Menschen mit Behinderung sind in diesem Parlament vertreten? Wie viele Menschen mit Migrationshintergrund sind in diesem Parlament vertreten? Wie viele Menschen aus der untersten sozialen Schicht sind in diesem Parlament vertreten? – Das ist kein Abbild unserer sehr vielfältigen Gesellschaft. Wir brauchen sehr viel mehr und inklusive Räume, wo Menschen Politik mitgestalten können. Das Frauenvolksbegehren hat diesbezüglich ein Beispiel gesetzt. Wir stehen Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung, falls Sie wissen möchten, wie das funktionieren kann. Das Frauenvolksbegehren ist eine junge Bewegung, die auf den Schultern von RiesInnen steht.

Wir feiern dieses Jahr 100 Jahre Frauenwahlrecht, das ist ein historisch unglaublich bedeutsames Jahr, und wir sollten es auch nützen, um weiterzudenken. Mein Kollege Christian Berger hat es eben angesprochen: Die meisten Forderungen des Frauenvolksbegehrens sind nicht radikal, aber es gibt sie auch, die einzelnen radikalen Ansätze, und wir sind davon überzeugt, dass es sie auch braucht. Wir brauchen neue Ideen, denn was wir aktuell als Status quo sehen, ist unbefriedigend, gefährdet Frauen, stürzt sie in Altersarmut, überlastet sie mit dem Großteil der Sorgearbeit, macht sie klein, gibt ihnen keine Sichtbarkeit, sexualisiert sie und tötet sie im schlimmsten Fall.

Sie mögen einige Forderungen des Frauenvolksbegehrens als utopisch und naiv abtun, aber das verstehen wir eigentlich ein bisschen als Lob, denn Politikmachen bedeutet nach unserem Verständnis eben nicht nur, den unbefriedigenden Status quo zu verwalten, für uns als VertreterInnen des Frauenvolksbegehrens bedeutet Politik, Visionen und Konzepte für eine bessere Zukunft zu entwickeln, sie mit vielen Menschen zu diskutieren und auf dieser Basis auch neue Gesetze zu verabschieden.

Wir sind nicht naiv und wir wissen, dass ein sehr wahrscheinliches Ergebnis dieser Ausschusssitzungen und auch der weiteren Diskussionen im Plenarsaal sein kann, dass das Frauenvolksbegehren und seine Forderungen in Schubladen enden. Das war immer schon ein bisschen kennzeichnend für die Entwicklung der Frauenrechte in Österreich. Wir brauchen deshalb auch keine weiteren Alibiaktionen wie die Taskforce, sondern wir brauchen Menschen, die bewusst auftreten, mehr Budget für frauenpolitische Anliegen einfordern und endlich umsetzen, was wir schon seit Jahrzehnten wissen.

Das Frauenvolksbegehren bleibt als Idee, meine Damen und Herren, aber ich glaube, noch wichtiger als Sehnsucht für ein gutes Leben für alle. Das Frauenvolksbegehren bleibt und mit ihm die Forderungen, die viele Hunderttausend Menschen in Österreich unterstützt haben. In diesem Sinne ist das Frauenvolksbegehren auch ein Aufruf an Sie, sehr geehrte Abgeordnete, Visionen für ein gutes Leben für alle – wir unterstreichen doppelt und dreifach: für alle – weiterzudenken, nicht nur für den Teil dieser Gesellschaft, der Ihnen politisch genehm ist.Sie müssen diese Forderungen und diese Vision auch in Gesetze gießen, und wir werden Ihnen weiterhin auf die Finger schauen. Das ist keine Drohung, sondern ein solidarisches Versprechen an die 500 000 Unterstützerinnen und Unterstützer des Frauenvolksbegehrens. Wir werden weiterhin darauf pochen, dass die entsprechenden Gesetze in diesem Haus von Ihnen verabschiedet werden.

Andrea Hladky: Das Frauenvolksbegehren wurde von knapp 500 000 Menschen unterschrieben, die wir heute hier im Parlament lediglich vertreten. Das letzte Wort dieses Abschlussstatements möchten wir daher diesen Menschen geben. Daher verlese ich einige Zitate, die verdeutlichen, warum sie das Frauenvolksbegehren unterstützen und welche Zukunft sie sich für das Land und für die Menschen erhoffen:

„Ich möchte, dass meine Tochter in einer tatsächlich gleichberechtigten und gleichwertigen Gesellschaft aufwachsen kann“.

„Ich unterstütze das Frauen*volksbegehren, weil es in einem politischen Klima des Ängste Schürens Räume schafft für gesellschaftliche Utopien – in Politik und Medien, auf der Straße, aber vor allem in den Köpfen der Menschen. Mit seinen neuen Forderungen entwirft es eine positive Vision eines inklusiven, von Vielfalt geprägten Österreich, in dem alle näher zusammenrücken anstatt sich durch forcierte Gräben trennen zu lassen.“

„Ich fände es schön, wenn es in allerspätestens 20 Jahren (dann ist meine Tochter erwachsen) kein Frauenvolksbegehren mehr braucht, weil es endlich tatsächliche und vollkommene Gleichberechtigung in unserem Land gibt. Das wäre zwar vor 20 Jahren schon schön gewesen, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.“

„Hören wir doch mit dieser Heuchelei auf, dass die Ehe zwischen Mann und Frau mit gemeinsamen Kindern die Keimzelle der Gesellschaft ist. Erkennen Sie die Realität an, dass dieses Modell längst nicht mehr das einzig gültige und gelebte ist. [...] Zahlreiche Mitglieder der jetzigen Bundes- und Landesregierung leben in sogenannten ,wilden‘ Ehen, sind geschieden, homosexuell und heterosexuell, haben Migrant*innen geheiratet und leben als Patchwork-Familie. Erkennen Sie die Realitäten an: Es gibt und darf in Österreich jede Form von Familie und Zusammenleben geben. Die Umsetzung des Frauen*Volksbegehren wäre ein großer Schritt in diese Richtung.“

„Ich möchte in Organisationen keinen Career und keinen Gender Pay Gap mehr sehen. Die Instrumente dorthin sind klar: transparente Gehälter, transparente Auswahlprozesse und Quoten. Es ist machbar.“

„In einer Zeit voller Zukunftsängste und Spaltung zeigt das Frauenvolksbegehren mir ein künftiges Österreich, das ich mir für alle Mitmenschen wünsche und in dem ich selbst gerne leben möchte! Und es zeigt machbare Schritte, die dorthin führen.“ – Danke. (Beifall.)

Obfrau Gabriele Heinisch-Hosek: Ich darf in meinen abschließenden Ausführungen auf der einen Seite zunächst als Vorsitzende des Gleichbehandlungsausschusses sprechen, und dann einige wenige Minuten noch für meine Funktion als Frauensprecherin meiner Fraktion hier verwenden, damit nicht der Eindruck entsteht, ich würde Dinge vermischen. Ich möchte das ganz klar trennen.

Ich glaube, sagen zu dürfen, dass diese zweimal 4 Stunden – es waren jetzt viereinhalb Stunden – eine enorme Kraftanstrengung waren – nicht nur für Sie –, die Sie hier in Vertretung vieler Aktivistinnen und Aktivisten, die mitgeholfen haben, solch ein Volksbegehren auf die Beine zu stellen, mit uns verbracht haben.

Dank auch an alle Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen, die diese Zeit zu sehr intensivem Diskutieren verwendet haben – wir haben statt drei leider nur zwei Sitzungen zustande gebracht; bei neun Forderungen wäre es anders wahrscheinlich besser gewesen.

Ein großes Dankeschön an die Kolleginnen hier neben mir und an alle von der Technik, die mitgearbeitet haben, dass wir heute hier in diesem wunderbaren Saal, im großen Plenarsaal, diese zweite Ausschusssitzung abhalten konnten, weil ich es großartig finde, dass wir im Gleichbehandlungsausschuss, dessen Sitzung heute öffentlich ist – auch die letzte Sitzung war schon öffentlich, und beim letzten Mal war das Ausschusslokal fast zu klein –, heute so viele Besucherinnen und Besucher haben. (Beifall.) Das zeigt mir, wie groß auch das Interesse der Menschen und das Interesse für die Menschen, die unterschrieben haben, ist.

Wir alle wissen, im Gleichbehandlungsausschuss können wir nicht unmittelbar legistisch agieren, weil wir nicht die Möglichkeit haben, Gesetzesanträge einzubringen. Das müssen andere erledigen: der Finanzausschuss, der Budgetausschuss, der Wirtschaftsausschuss, der Ausschuss für Arbeit und Soziales und viele andere mehr. Was wir aber allemal können – und das haben wir in der Vergangenheit im Gleichbehandlungsausschuss auch bewiesen –, ist, diese Themen – und die Expertinnen und Experten haben sich bereit erklärt, mit uns und für das Thema hier zu agieren – in andere Ausschüsse weiterzutragen. Es ist großartig, dass das immer wieder gelingt, und möge es dazu beitragen, dass das eine oder andere auch verwirklicht wird!

Jetzt nehme ich den Hut der Vorsitzenden des Gleichbehandlungsausschusses ab, setze mir den Hut der Frauensprecherin auf und sage: Für mich als sozialdemokratische Abgeordnete war es angesichts der Ausführungen mancher Rednerinnen und Redner kein Vergnügen, diese Stunden so zu verbringen.

Ich glaube nicht, dass wir es uns 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts in einem relativ reichen Land wie Österreich leisten sollten, diese ungleichen Machtverhältnisse hinzunehmen, die durchaus hingenommen wurden.

Wir alle wissen, egal welcher Fraktion wir angehören: Frauenpolitik war immer Millimeterarbeit – zwei Schritte vor, einer zurück, drei Schritte vor, zwei Schritte zurück, manchmal auch drei Schritte zurück, auch wenn wir vorher nur zwei nach vorne gegangen sind. Es ist keine stetige Entwicklung gewesen, aber trotzdem, auch wenn die Entwicklung so vonstattengegangen ist, ist es in der Vergangenheit immer gelungen, im Sinne der Frauen etwas zu erreichen.

Der vielbemühten Frauensolidarität von allen aus allen Fraktionen würde ich gerne mehr Glauben schenken, aber ich kann es nicht, denn außer harmlosen Meinungsbildungen, Anträgen, wo man sagt: Da kann man eh nichts dagegen haben!, haben wir wirklich nichts Essenzielles im Sinne der neun Punkte weiterbringen können – wir haben es diskutiert, aber wir konnten nichts weiterbringen –, auch wenn heute wieder ein Antrag der Regierungsfraktionen vorliegt, dem wir unsere Zustimmung erteilen werden. Aber Entschuldigung: Wir können jetzt schon bundesländerübergreifend Frauen in andere Frauenhauseinrichtungen schicken, wenn das zwischen den Ländern ausgemacht ist. Und wenn sich ohnehin nichts ändert und die zuständigen Personen die Ansprechstelle dieser Notfallnummer bleiben – zum Glück bleiben, denn die haben 20 Jahre Erfahrung –, wenn wir nur eine dreistellige Nummer daraus machen und wenn wir drittens erst recht bis zum Jahr 2022 warten müssen, bis die Finanzierung dieser 100 Plätze zur Verfügung steht, dann ist das nichts, wo ich sage: Das ist unmittelbar der Millimeter, den es heute angesichts dieser neun Forderungen gebraucht hätte.

Wir leben in ungleichen Machtverhältnissen. Frauen und Männer leben in Lebenssituationen, die nicht auf gleicher Augenhöhe sind. Bedauerlicherweise, sage ich, hat es hier aber kein Aufeinanderzugehen gegeben, dass wir das irgendwie verändern.

Das bedauere ich außerordentlich, denn es geht nicht nur um die halbe Million Menschen, die dieses Volksbegehren unterschrieben haben, Frauen und Männer, Queer-Personen, alle, die das unterschrieben haben, wollten dokumentieren und haben dokumentiert, dass wir in Österreich gesellschaftspolitisch nicht im 21. Jahrhundert angekommen sind, dass hier noch einiges zu tun ist. Und diese Menschen hätten es sich verdient, dass wir anders damit umgehen. Ich habe das letztens schon gesagt: 1997 haben monatelang Diskussionen in Unterausschüssen stattgefunden, da ist man mit den damaligen Themen anders umgegangen. Wir haben gerade einmal zweimal 4 Stunden dafür verwendet, was wirklich wenig ist und was ich bedauere.

Wir haben nicht die Zeit bekommen können, die 300 000 Einelternhaushalte beziehungsweise Alleinerziehenden mit ihren Kindern mit hereinzuholen und zu fragen: Was können wir für euch machen?, da morgen die Mindestsicherung im Ministerrat ist und wir nicht wissen, wie sich das auf die Situation armutsgefährdeter Menschen in Österreich auswirken wird. Ich könnte viele Beispiele aufzählen, werde es aber heute nicht tun, denn ich sage Ihnen auch aus meiner Sicht als Frauensprecherin der SozialdemokratInnen – und unser Gleichbehandlungssprecher ist hier –: Das kann nur der Startschuss dazu sein, dass wir wirklich mit vielen Anträgen versuchen werden, diese Millimeter zu machen – und hoffentlich mit Ihnen gemeinsam.

Wenn uns die so oft beschworene Frauensolidarität wirklich wichtig ist, dann müsste es einige Zeichen mehr geben als Bekenntnisse in Anträgen, die eigentlich nicht notwendig sind, weil es diese Inhalte ohnehin schon gibt.

Ich bedanke mich als Sozialdemokratin noch einmal ganz herzlich bei den Aktivistinnen und Aktivisten für das Engagement, dieses Frauenvolksbegehren nicht nur auf die Beine gestellt zu haben, sondern in zwei Crowdfundingsessions auch genug Geld gesammelt zu haben, damit es überhaupt möglich war, Werbung dafür zu machen. Diese modernen Instrumente der Bürger- und Bürgerinnenbeteiligung sind, glaube ich, äußerst wichtig, damit wir uns als Abgeordnete nicht erhaben fühlen, damit wir eben mit den Bürgerinnen und Bürgern in Kontakt kommen. Es ist wichtig, genau diese Koordination zu haben, diesen Diskurs und diese Diskussion auch gemeinsam zu führen.

Ich hoffe, dass Sie einen Einblick erhalten konnten, wie wir arbeiten. Sie haben sicher auch einen Einblick erhalten, wie sich hier natürlich die ideologischen Unterschiede zeigen.

Dennoch: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir das eine oder andere auch noch zustande bringen, und wir werden diese neun Forderungen in zig Anträge gegossen in den nächsten Wochen und Monaten bis zur nächsten Nationalratswahl diskutieren. – Vielen Dank.

*****

Abgeordnete Dipl.-Kffr. (FH) Elisabeth Pfurtscheller (ÖVP): Ich werde versuchen, mich angesichts der fortgeschrittenen Zeit kurz zu fassen. Zuerst einmal möchte ich mich bei den Initiatoren und Initiatorinnen des Volksbegehrens – auch bei Herrn Hämmerle, der dieses Mal nicht gesprochen hat – noch einmal herzlich für ihre Mühe, für ihr Engagement in den letzten zwei Jahren und vor allem auch für die Zeit, die Sie investiert haben, und auch bei allen interessierten Zuschauerinnen und Zuschauern bedanken.

Ich möchte jetzt diese Beratungen positiv beschließen – sehr bewusst auch im Gegensatz zu Frau Kollegin Heinisch-Hosek, die sich jetzt ein bisschen frustriert gezeigt hat, weil es anscheinend keine große Übereinstimmung gegeben hat. Ich sehe das ganz anders. Ich glaube, wir sind erst am Beginn eines Prozesses, wir haben jetzt sehr viele Stellungnahmen von sehr vielen Spezialisten gehört, die wir natürlich in unsere Beratungen und in unsere weitere Vorgehensweise einfließen lassen können und auch einfließen lassen wollen. Wir werden versuchen, unser Bestmögliches zu tun, auch von unserer Seite viele Dinge, viele Anregungen aufzugreifen und zu schauen, dass wir möglichst viel Übereinstimmung finden. Es war von Anfang an klar, dass wir nicht bei allen Themen überall d’accord sind, aber es gibt sehr viele Dinge, die wir ähnlich sehen und an denen wir auch ganz sicher dranbleiben werden. Ich sehe das überhaupt nicht negativ, ich sehe das sogar sehr positiv. Ich sehe den Abschluss dieser Sitzung jetzt sozusagen als Auftakt. Sie (in Richtung Bevollmächtigte des Volksbegehrens) haben uns ja auch versprochen – ich will nicht sagen angedroht, sondern versprochen –, dass Sie mit Nachdruck darauf schauen werden, dass auch wirklich etwas passiert.

In diesem Sinne würde ich gerne meine Stellungnahme abschließen. Ich möchte noch zwei Dinge sagen: Erstens möchte ich unseren Antrag einbringen, den Frau Kollegin Heinisch-Hosek schon im Vorhinein kritisiert hat. Ich glaube trotzdem, dass es wichtig ist, dass wir unsere Ministerin bei ihrem Vorhaben, die Notrufnummer umzustellen, neue Plätze für Übergangswohnungen zu schaffen, bundesländerübergreifende Plätze anzubieten, unterstützen. Unser Entschließungsantrag lautet: Die Bundesregierung, im Besonderen die zuständige Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend, wird ersucht, die angekündigten Maßnahmen schnellstmöglich umzusetzen. – Es ist uns ganz wichtig, dass da als erster Schritt gleich etwas passiert.

Ich möchte auch noch ganz kurz zu dem Antrag Stellung nehmen, den Kollegin Erasim eingebracht hat. Der Nationale Aktionsplan zum Schutz von Frauen vor Gewalt ist uns auch sehr wichtig. Wir haben ihn damals, als er entstanden ist, sehr begrüßt und durften mit unseren Ressorts auch an der Ausarbeitung teilhaben. Leider ist dieser Antrag bei uns um 14.53 Uhr eingegangen. Die Usancen des Hauses sind aber so, dass wir solche Anträge zumindest einen Tag oder einige Stunden vorher zum Durchschauen bekommen. Deshalb werden wir den Antrag jetzt ablehnen, möchten aber anbieten, dass wir uns bis zur nächsten Plenarsitzung am 27. März abstimmen und dann gemeinsam einen Selbständigen Antrag einbringen. Ich hoffe, dass es uns gelingt, dass da alle Fraktionen mitmachen, weil uns diese Weiterführung des Nationalen Aktionsplans auch ein großes Anliegen ist.

In dem Sinne möchte ich mich noch einmal für Ihre Aufmerksamkeit, aber vor allem für Ihre große Arbeit und den tollen Input bedanken. Herzlichen Dank! Ich hoffe, wir sehen uns demnächst irgendwo wieder. – Danke schön.

Obfrau Gabriele Heinisch-Hosek weist darauf hin, dass alle eingebrachten Anträge erst am heutigen Tag eingelangt seien.

Abgeordneter Mario Lindner (SPÖ): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist jetzt schon ein bisschen eine Wehleidigkeit, und ich ergänze mit Blick auf das Plenum des Nationalrates: 12-Stunden-Tag, 60-Stunden-Woche beziehungsweise zuletzt erst Karfreitag. – Also tut bitte nicht so wehleidig, wenn irgendwann während des Tages ein Antrag kommt, denn ihr geht genau so mit den Oppositionsparteien um!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in Österreich ein Problem, wenn es mehr Bürgermeister mit dem Namen Josef als Bürgermeisterinnen gibt. (Abg. Schimanek: Das stimmt nicht mehr seit Salzburg! Stimmt nicht mehr!) Wir haben in Österreich ein Problem, wenn Frau Abgeordnete Susanne Fürst heute ausführt, dass es mittlerweile eine Modeerscheinung sei, sich keinem Geschlecht zugehörig zu fühlen; Buben würden im Sommer dazu aufgefordert, Röcke zu tragen, damit sich ihre TransgenderkollegInnen nicht diskriminiert fühlen.

Meine Damen und Herren, das sind nur zwei weitere Punkte – wenn ich an Ihren LGBT-Beitrag denke, dann sind es drei Punkte –, warum es so wichtig ist, dass man die Forderungen des Frauenvolksbegehrens umsetzt. Meine Damen und Herren, darum hat die Sozialdemokratie auch alle neun Kapitel in einem Antrag gefordert und diesen Antrag heute im Gleichbehandlungsausschuss eingebracht.

Es tut mir persönlich wirklich leid – unsere Frau Vorsitzende hat es in ihrer Funktion als Frauensprecherin ausgeführt –, dass wir diese wichtigen Themen nur viereinhalb oder insgesamt neun Stunden lang diskutieren. Ich kann von unserer Seite versprechen – das soll jetzt nicht als Drohung wahrgenommen werden –, dass wir tausendprozentig an diesen Themen dranbleiben werden; wir werden weitere Anträge in das Hohe Haus einbringen.

Da es mir einfach wichtig ist, möchte ich abschließend noch einmal sagen, wie unser Antrag lautet: Die Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend wird aufgefordert, gemeinsam mit den jeweils zuständigen Ressorts folgende Forderungen des Frauenvolksbegehrens umgehend auf ihre politische Agenda zu bringen und rasch umzusetzen: gesetzliche Geschlechterquote auf allen Entscheidungsebenen in Politik und Wirtschaft schaffen; Lohntransparenz sowie einen Mindestlohn in der Höhe von 1 700 Euro umsetzen; Maßnahmen zur gerechten Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Frauen und Männern treffen sowie eine Zeitverwendungsstudie beauftragen; Unterhaltsgarantie rasch umsetzen; Rechtsanspruch auf kostenfreie, qualitativ hochwertige Bildung für jedes Kind ab dem ersten Geburtstag möglich machen; Bilderbearbeitungsgesetz auf den Weg bringen und einen Preis für geschlechtersensible Werbung ausloben; sexuelle Bildung in Schulen forcieren; Gratisverhütungsmittel und die Möglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen in öffentlichen Krankenanstalten in allen Bundesländern garantieren; staatlich finanzierte Einrichtungs- und Beratungsstellen für von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder österreichweit ausbauen; frauen- und geschlechtsspezifische Fluchtgründe gesetzlich verankern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Johanna Dohnal hat gesagt: „Die Vision des Feminismus ist nicht eine ‚weibliche Zukunft‘. Es ist eine menschliche Zukunft.“ (Beifall.) Abgeordnete Carmen Schimanek (FPÖ): Frau Vorsitzende! Auch ich möchte gerne abschließend ein paar Worte zu diesem Volksbegehren sagen.

Wir haben jetzt an zwei Ausschusstagen wirklich sehr intensiv darüber diskutiert. Ich bin stolz, dass heute und auch das letzte Mal sehr viele sachliche Argumente zur Sprache gekommen sind, auch wenn wir zu dem einen oder anderen Thema naturgemäß unterschiedliche Zugänge haben.

Was mich aber schon ein bisschen stört, ist – ich habe das heute eingangs in der Geschäftsordnungsdebatte gesagt –, wenn wir dann, wenn wir unterschiedliche Zugänge haben, keinen wertschätzenden Umgang miteinander haben. Das hat sich halt leider in den Ausführungen der Experten von JETZT mehrmals manifestiert – ich glaube, von anderen Experten habe ich das nicht gehört, da war ein wertschätzender Umgang auch gegenüber Andersdenkenden vorhanden. – Es tut mir leid, das hat sich das Volksbegehren nicht verdient.

Ich glaube, wir brauchen wirklich viele Maßnahmen, um weiterzukommen. Ich finde es sehr gut, dass wir es geschafft haben, heute noch einen gemeinsamen Antrag der Regierungsparteien einzubringen – Kollegin Pfurtscheller hat ihn begründet –, und dass Sie, Frau Vorsitzende, bei dem Antrag mitgehen, freut mich sehr.

Warum wir die beiden Anträge der SPÖ ablehnen, möchte ich ganz kurz erklären. Im ersten Antrag, den Kollege Lindner eingebracht hat, sind auch Forderungen enthalten, bei denen wir nicht mitgehen können – ich habe im Vorfeld schon artikuliert, warum. Ich möchte zum Beispiel keine Quoten, dazu stehe ich auch. Vielleicht finden wir dann, wenn wir einzelne Themenblöcke herausnehmen, den einen oder anderen Ansatz, den wir gemeinsam beschließen können, aber dem Antrag, wie er jetzt vorliegt, kann ich natürlich nicht zustimmen.

Zum zweiten Antrag: Da waren wir nicht wehleidig – auch das möchte ich jetzt noch einmal betonen. Die Fortführung des Nationalen Aktionsplans zum Schutz von Frauen vor Gewalt ist mir ein wichtiges Anliegen, ich betone das immer wieder. Selbstverständlich möchten wir den NAP weiterführen, aber Sie können wirklich nicht von mir verlangen, dass ich dem Antrag zustimme, wenn ich den Antrag um 14.53 Uhr bekomme und wir diesen gemeinsam einbringen sollen. Da möchte ich natürlich auch meine Änderungswünsche einbringen, was legitim ist, wenn wir einen gemeinsamen Antrag einbringen. Das dann als wehleidig hinzustellen, das möchte ich jetzt wirklich zurückweisen, denn das ist natürlich nicht Usance in diesem Parlament und das wissen Sie auch. Ich bitte also, mir nicht Wehleidigkeit vorzuwerfen.

Kollegin Pfurtscheller hat jetzt auch angekündigt, dass wir für den nächsten Plenartag einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen einbringen möchten. Ich glaube, das wäre eine gutes Zeichen und auch ein erster Schritt, den wir im Zusammenhang mit dem Frauenvolksbegehren setzen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen schönen Nachmittag. – Danke schön. (Beifall.)

Abgeordnete Claudia Gamon, MSc (WU) (NEOS): Frau Vorsitzende! Ich möchte mich ganz besonders bei den InitiatorInnen des Volksbegehrens bedanken und auch bei allen, die das Volksbegehren unterschrieben haben, unter anderem auch deshalb, weil es ein wichtiger Impuls war, diese Themen auch einmal ausführlicher hier im Nationalrat zu diskutieren, da auch die Ausschusslogik, die wir aufgrund der Geschäftsordnung nun einmal haben, letztendlich leider dazu führt, dass wir immer nur über Dinge diskutieren, zu denen es einen Anlassfall, eine aktuelle Regierungsvorlage gibt oder – manchmal möglich – Oppositionsanträge. Wir haben aber selten die Gelegenheit, in einem Themenbereich grundsätzlich über einen großen Themenüberblick zu diskutieren. Ich glaube, das war allein schon deshalb eine ganz gute Sache.

Ich habe ohnehin schon oft gesagt, dass es einzelne, wenn auch wenige Punkte gibt, bei denen ich anderer Meinung gibt, aber es gibt so viele Dinge, bei denen wir uns heute und auch schon das letzte Mal im Großen und Ganzen wirklich einig waren. Ich denke, wir sollten uns auf diese Punkte konzentrieren, bei denen wir gemeinsam wirklich etwas weiterbringen könnten. Da kann ich mich den Kolleginnen anschließen, die das auch so gesehen haben: dass wir das als Startpunkt sehen müssen, um in eine konkrete Umsetzung zu gehen. – Ich weiß, das ist auch so eine Politikerphrase und das passiert dann in vielen Bereichen nicht, aber ich denke, man könnte die Gelegenheit jetzt nutzen, da es wahrscheinlich ein größeres Wissen über viele Argumente, pro oder contra, zu einzelnen Punkten gibt, und das als Rutsche nehmen, um in manchen Themenbereichen flotter voranzugehen.

Ich halte es grundsätzlich für eine Unart, dass Anträge so kurzfristig eingebracht werden; das sollten weder die Regierungsparteien noch die SPÖ machen, denn das führt nur dazu, dass wir uns in der Ausschussarbeit und im Parlament grundsätzlich nicht mehr ernst nehmen können, und natürlich kann man auf parlamentarischer Ebene so nicht arbeiten.

Ich glaube auch, dass das ein wichtiger Punkt war, der im Abschlussstatement angesprochen wurde, nämlich wie man mit Anliegen von BürgerInnen umgeht. Wenn wir im Parlament nicht selbst den Beweis erbringen können, dass wir wirklich auch parlamentarisch arbeiten, dann werden wir auch Menschen nicht davon überzeugen können, dass sie das Parlament ernst nehmen sollten. Deshalb auch an Sie, Herr Kollege (in Richtung Abg. Lindner), die Bitte, Anträge nicht mehr irgendwann während des Tages einzubringen, sondern davor. Das geht an die Regierungsparteien, aber auch an euch. Inhaltlich ist man da natürlich d’accord, aber das ist halt nicht die Art und Weise, wie ein Parlament arbeiten sollte. (Abg. Schimanek: In dem Fall hätten wir was weiterbringen können!) – Wir können das bilateral weiterdiskutieren, Carmen.

Ein abschließender Punkt: Ja, es wird auch hitzig diskutiert. Ich bin heute auch einmal über die Grenze gegangen und habe Frau Abgeordnete Kugler ad hominem angegriffen. Dafür möchte ich mich wirklich entschuldigen, das war nicht okay.

Es ist so, dass wir uns oft selbst an der Nase nehmen müssen. Und ich glaube, ich kann von mir selbst behaupten, ich bin auch nicht frei von Sexismen. Ich glaube, es passiert einem unterbewusst immer wieder, und wir müssen das als Gelegenheit nehmen, einander in einer gewissen Großzügigkeit auf Dinge hinzuweisen, die nicht passen, und wir müssen auch selber hinsichtlich der Art und Weise, wie wir miteinander umgehen und wie wir mit den Meinungen anderer umgehen, besser werden. Das gehört auch zum Parlamentarismus dazu.

Ich weiß selbst, das ist eine blöde Angewohnheit im Nationalrat, und man muss sich immer wieder an der Nase nehmen, wenn man sich damit schwertut, aber ich weiß, dass wir uns im Gleichbehandlungsausschuss im Großen und Ganzen leichter damit tun als es in anderen Ausschüssen der Fall ist.

Umso mehr freue ich mich darauf, wenn wir das im Plenum diskutieren können und dann in konkreten Paketen vielleicht auch wirklich noch mehr ins Detail gehen können, um – wenn möglich, gemeinsam – einige Dinge weiterzubringen. (Beifall.)

Abgeordnete Stephanie Cox, BA (JETZT): Frau Vorsitzende! Wir haben es heute schon gehört: Manchmal spricht man einen Namen falsch aus oder Emotionen schwappen über – das gehört alles dazu.

Ich möchte gerne zwei Dinge anbringen, die mich echt freuen. Nummer eins: Ich erinnere mich daran, als ich meine eigenen Initiativen gestartet habe: Das ist echt ein Kraftakt. Egal welche Initiative, welches Anliegen man wohin bringen möchte, da ist viel Herzblut dabei, da sind viel Zeit, viel Fleiß, viele Tränen der Freude und der Verzweiflung – deswegen hier meinen großen Respekt an das Team vom Frauenvolksbegehren: Ihr habt damit uns als Gesellschaft einen riesigen Gefallen getan, aber auch den vielen, vielen Frauen, die hier noch folgen. Danke für euren Schweiß und eure Tränen, die Freude und vor allem die gute Arbeit!

Ich sehe das Frauenvolksbegehren als Brücke. Ich finde, es ist eigentlich ein schönes Zeugnis, dass wir hier sitzen und etwas diskutieren, das aus der Bevölkerung kommt. Es ist nicht nur so, dass wir uns das zu Herzen nehmen sollten – wir vertreten ja hier die Bevölkerung, die Bürgerinnen und Bürger –, sondern es ist großartig, dass wir Bürgerinnen und Bürger hier sitzen haben, die ihr Anliegen ins Haus bringen und wir hier gemeinsam diskutieren. Es ist sehr wichtig, dass wir hier diese Brücke schlagen und dem auch Raum und Zeit geben.

Zweitens: Warum ist das Frauenvolksbegehren so wichtig? – Zum Beispiel der Global Gender Gap Report weist Österreich auf Platz 53 aus; im Vergleich dazu: Deutschland nimmt Platz 14 ein. Laut diesem Report werden wir in Westeuropa, wenn wir so weitermachen, erst in 61 Jahren zur Gleichstellung kommen. Diese Zahl ist sehr erschreckend, denn das heißt, erst meine Urenkelin könnte in einer Welt mit Gleichstellung aufwachsen. Ich glaube, deswegen waren viele eurer Forderungen sehr, sehr wichtig, dass wir nicht erst in 61 Jahren dorthinkommen, und deswegen ist es auch wichtig, dass wir nicht nur über diese Forderungen sprechen, auch wenn wir unterschiedliche Meinungen haben; das ist im politischen Kontext einfach so, das ist in einer gelebten Demokratie einfach so, dass man da unterschiedliche Meinungen hat, auch hier unterschiedliche Meinungen kundtun muss und soll.

Wichtig ist es aber, dass wir hier nicht 61 Jahre warten, sondern Schritte setzen, und ich werde Frau Kollegin Pfurtscheller auf jeden Fall beim Wort nehmen; es freut mich, dass Sie gesagt haben, das ist erst der Auftakt. Ich werde Sie, euch, mich auch immer wieder daran erinnern, dass dies ein Auftakt ist, dass wir noch viele Schritte vor allem gemeinsam gehen müssen, denn ich glaube, das zeigt auch, solche Forderungen kann man nicht alleine durchsetzen, da muss man sich gemeinsam an einen Tisch setzen.

Zu den Forderungen, die da ziemlich spät eingetroffen sind: Wir werden auch deswegen beim Entschließungsantrag betreffend die Sicherheit der Frauen in Österreich nicht mitgehen, weil wir uns beispielsweise die Frage stellen: Was heißt Bürokratieabbau im Bereich Gewaltschutz? Wir hätten das gerne diskutiert, weil das hier ein bisschen zu wenig erklärt, erläutert ist. Genau diese Diskussion müssen wir aber führen und auch weiterhin führen, denn wenn wir uns die Zahlen anschauen, sehen wir, da kommt noch vieles auf uns zu, und das muss weiterhin diskutiert werden.

Wir werden auf jeden Fall nicht müde werden, ich werde nicht müde werden, wir werden weiterhin für eine progressive Bildungs- und auch für eine progressive Aufklärungspolitik kämpfen – Maria Stern ist ja auch da –; an das Thema Unterhaltssicherung werden wir immer wieder erinnern. Es braucht mehr Geld im Zusammenhang mit dem Thema Gewalt gegen Frauen, viel mehr Geld, die Höhe habe ich heute auch schon erwähnt.

Abschließend noch: Selbstbestimmung, wenn es um den Körper geht – das haben wir im Zuge der Debatte heute schon erwähnt –, darf kein Privileg sein, das sollte eigentlich erst gar nicht diskutiert werden müssen. 

Ich bin stolz, eine Frau zu sein, ich bin stolz, in diesem Körper zu sein, und ich bin stolz, in diesem Parlament zu sein. Ich werde den Kampf nicht aufgeben, dass ich über meinen Körper bestimmen darf, und ich möchte, dass das auch für viele andere Frauen möglich ist – für Frauen, für Männer, für Leute aus der LGBT-Community; das ist jetzt keine neue Strömung, das ist etwas, das es schon viele Jahre gibt, und diese Menschen müssen sich in ihrem Körper wiederfinden, müssen sich wohlfühlen, vor allem auch in dieser Gesellschaft, und da darf keine Diskriminierung stattfinden. – Danke schön.

Obfrau Gabriele Heinisch-Hosek sagt, sie sei sehr zuversichtlich, dass man nach der Abstimmung über die drei eingebrachten Entschließungsanträge in gutem Gespräch betreffend Dinge, die man gemeinsam tragen könne, betreffend das Frauenvolksbegehren und Gesellschafts- und Frauenpolitik überhaupt bleiben werde und auch etwas weiterbringen könne.

Sodann leitet die Obfrau zum nicht öffentlichen Teil der Sitzung über.

*****

Da niemand mehr zu Wort gemeldet ist, schließt die Obfrau die Debatte und leitet zunächst zur Abstimmung über die Veröffentlichung der Auszugsweisen Darstellungen der Sitzungen vom 26. Februar und vom 12. März 2019 über. – Einstimmige Annahme.

Anschließend lässt die Obfrau in der Reihenfolge des schriftlichen Einbringens über drei Entschließungsanträge abstimmen.

Entschließungsantrag der Abgeordneten Heinisch-Hosek, Kolleginnen und Kollegen betreffend Forderungen des Frauenvolksbegehrens umsetzen. – Der Antrag wird abgelehnt.

Entschließungsantrag der Abgeordneten Heinisch-Hosek, Kolleginnen und Kollegen betreffend Fortführung des Nationalen Aktionsplans zum Schutz von Frauen vor Gewalt. – Der Antrag wird abgelehnt.

Entschließungsantrag der Abgeordneten Pfurtscheller, Schimanek, Kolleginnen und Kollegen betreffend Sicherheit der Frauen in Österreich. – Der Antrag wird mit Mehrheit angenommen.

*****

Die Obfrau informiert darüber, dass der Verlauf der Beratungen über das Volksbegehren in einem Bericht, der dem Plenum des Nationalrates zugeleitet werde, zusammengefasst werde; dem Bericht werden auch die Auszugsweisen Darstellungen über die einzelnen Sitzungen sowie eine allfällige Stellungnahme des beziehungsweise der Bevollmächtigten gemäß § 42 Abs. 1 GOG angeschlossen. Ferner werde der Bericht im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“ veröffentlicht. Berichterstatterin für das Plenum sei Frau Abgeordnete Pfurtscheller.

Abschließend bedankt sich die Obfrau bei allen Anwesenden für die rege Teilnahme und das große Interesse sowie bei allen Beteiligten für ihr Engagement für dieses wichtige Thema und erklärt, die Tagesordnung sei erschöpft und die Sitzung geschlossen. (Beifall.)

Schluss der Sitzung: 16.05 Uhr