Bundesgesetz, mit dem das Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008, das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, das Verwaltungsstrafgesetz 1991 und das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz geändert werden

 

Vereinfachte wirkungsorientierte Folgenabschätzung

 

Einbringende Stelle:

Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz

Vorhabensart:

Bundesgesetz

Laufendes Finanzjahr:

2018

 

Inkrafttreten/

Wirksamwerden:

2018

 

Vorblatt

 

Problemanalyse

-       Das Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008 – EGVG, BGBl. I Nr. 87/2008, und das Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG, BGBl. Nr. 52/1991, sehen die Mitwirkung der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vor. Die Befugnisse dieser Organe sind jedoch zum Teil nicht klar definiert oder unzureichend.

-       Verwaltungsstrafverfahren könnten im Bereich der Abgekürzten Verfahren effizienter, transparenter, einheitlicher und bürgerfreundlicher geführt werden; für die Verwaltungsstrafbehörden besteht aufgrund der Ausstellung von Ermächtigungsurkunden für Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ein sehr hoher Verwaltungsaufwand.

-       Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu erhalten und weiterzuentwickeln. Nach Art. 82 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) beruht die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Union auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen. Das Ausmaß des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung hängt von einer Reihe von Parametern ab; dazu gehören Mechanismen für den Schutz der Rechte von Verdächtigen und von beschuldigten Personen sowie gemeinsame Mindeststandards, die in umzusetzenden Richtlinien festgelegt und erforderlich sind, um die Anwendung dieses Grundsatzes zu erleichtern.

-       Sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Verfahren vor den (allgemeinen) Verwaltungsgerichten kann sich auf Grund eines entsprechenden Vorbringens der Parteien auch nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens als notwendig erweisen. Dadurch kann es zu Verfahrensverschleppungen durch die Parteien kommen.

-       Die Definition des Begriffs der Angehörigen unterscheidet zwischen ehemaligen Ehepartnern (eingetragenen Partnern) und ehemaligen Lebensgefährten.

Ziel(e)

Durch eine Änderung des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008, des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 und des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes sollen folgende Ziele erreicht werden:

-       Klarstellung, in welchen Fällen, in welchem Umfang und mit welchen Befugnissen die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am Verfahren mitzuwirken haben;

-       effizientere, transparentere und einheitlichere Gestaltung von Verwaltungsstrafverfahren; Reduzierung des Verwaltungsaufwandes für die Verwaltungsstrafbehörden;

-       Schaffung von unionsweit einheitlichen Mindeststandards auf dem Gebiet der Verfahrensrechte von Beschuldigten in Verwaltungsstrafsachen;

-       Verfahrensverschleppungen durch Parteien sollen verhindert werden;

-       Nachvollziehung eines Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs zum Strafprozess im Verwaltungsverfahrensrecht.

 

Inhalt

Das Vorhaben umfasst hauptsächlich folgende Maßnahme(n):

-       Entlastung der Tätigkeit der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (etwa im Hinblick auf die Mitwirkung beim „Schwarzfahren“) und einer Klarstellung ihrer Befugnisse (etwa bei der Ausübung von Zwangsgewalt);

-       Verwaltungsstrafverfahren sollen effizienter, transparenter und einheitlicher durchgeführt werden (zB Einführung der Möglichkeit der Zurückziehung des Einspruches gegen die Strafverfügung oder die Schaffung einheitlicher Deliktskataloge für Strafverfügungen, Anonymverfügungen und Organstrafverfügungen, Erleichterung des sprengelüberschreitenden Einsatzes von Exekutivbeamten oder die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung bei Einzahlung eines höheren Strafbetrages als der durch die Anonymverfügung vorgeschriebene); Reduzierung des Verwaltungsaufwandes für die Verwaltungsstrafbehörden durch den Entfall des Ausstellens von Ermächtigungsurkunden für Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes;

-              Umsetzung folgender Richtlinien:

-       2010/64/EU über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (in der Folge: Richtlinie Dolmetsch), ABl. Nr. L 280 vom 26.10.2010 S. 1,

-       2012/13/EU über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren (in der Folge: Richtlinie Rechtsbelehrung), ABl. Nr. L 142 vom 01.06.2012 S. 1,

-       2013/48/EU über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs (in der Folge: Richtlinie Rechtsbeistand), ABl. Nr. L 294 vom 06. 11.2013 S. 1,

-       2016/343/EU über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren (in der Folge: Richtlinie Unschuldsvermutung), ABl. Nr. L 65 vom 11.3.2016 S. 1;

-       Das Ermittlungsverfahren soll mit Schluss der mündlichen Verhandlung beendet werden können.

-       Ehemalige Lebensgefährten sollen ehemaligen Ehegatten bzw. eingetragenen Partnern insoweit gleichgestellt werden, als sie im Verwaltungsstrafverfahren von der Aussagepflicht befreit sein sollen.

-       legistische Anpassungen (Bereinigung von Redaktionsversehen und terminologische Anpassungen).

 

Beitrag zu Wirkungsziel oder Maßnahme im Bundesvoranschlag:

 

Teile des Vorhabens tragen zum Wirkungsziel „Gewährleistung der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens (durch Vorschläge zur Anpassung und Weiterentwicklung des Rechtssystems im Hinblick auf die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedürfnisse).“ der Untergliederung 13 Justiz im Bundesvoranschlag des Jahres 2018 bei.

Finanzielle Auswirkungen auf den Bundeshaushalt und andere öffentliche Haushalte:

 

Durch den Entfall der Ausstellung von Ermächtigungsurkunden für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes wird der damit verbundene Verwaltungsaufwand für die Verwaltungsstrafbehörden (tausende Ermächtigungsurkunden müssen gedruckt, verteilt und laufend aktualisiert werden) erheblich reduziert. Dies führt zu einer Kostenersparnis, deren Höhe derzeit nicht exakt abgeschätzt werden kann.

Die Einführung des Grundsatzes „Beraten statt strafen“ wird keinen zusätzlichen Verwaltungsaufwand verursachen, da Verwaltungsstrafverfahren im selben Ausmaß nicht zu führen sind, wie eine Beratungstätigkeit erfolgreich ist.

Durch die Umsetzung der Richtlinie Dolmetsch und der Richtlinie Rechtsbelehrung ist mit einem teilweise erhöhten Aufwand für Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen in Verwaltungsstrafverfahren zu rechnen, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Großteil der Garantien erst im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten gilt sowie Übersetzer und Dolmetscher erforderlichenfalls schon nach den geltenden gesetzlichen Vorgaben beizuziehen waren.

Im Verfahren vor den Verwaltungsstrafbehörden sollen wesentliche kostenrelevante Verfahrensrechte nicht im Fall von geringfügigen Verwaltungsdelikten gelten, sondern erst für solche, die mit einer Geldstrafe von über 7 500 Euro oder einer Freiheitsstrafe bedroht sind. Die Mehrzahl der in der Praxis verfolgten Verwaltungsübertretungen, insbesondere der zahlenmäßig größte Bereich des Verkehrsstrafrechts, ist damit von vornherein nicht erfasst. Mit Mehrkosten ist daher im Wesentlichen aus der künftig erforderlichen Übersetzung des Straferkenntnisses bzw. dessen wesentlichen Inhalts bei den angeführten schwereren Verwaltungsübertretungen zu rechnen. Pro Verfahren können durchschnittliche Übersetzungskosten von 80 Euro pro Straferkenntnis (basierend auf einem Zeilenhonorar für Fachübersetzungen von 2 Euro pro Zeile, wesentlichen Inhalten im Umfang von 1-2 Seiten à 25 Zeilen; für formelhaft wiederkehrende Textteile wie Rechtsmittelbelehrungen oder zT den Spruch können Übersetzungsbausteine verwendet werden) angenommen werden. Bei einer angenommenen Zahl von 7 000 solch hoher Verwaltungsstrafen pro Jahr (angenommen mit ca. 2% der jährlich erlassenen Straferkenntnisse; geschätzte Fallzahlen basieren auf den Daten erhoben von Wiederin, Die Zukunft des Verwaltungsstrafrechts, ÖJT 2006, Bd. III/1, S. 98 ff [S. 100]) ergeben sich zu erwartende Übersetzungsmehrkosten von insgesamt 560 000 Euro für die öffentlichen Haushalte.

Für die Verwaltungsgerichte sollten sich die Kosten im Hinblick darauf nicht wesentlich ändern, dass die Verwaltungsgerichte einerseits schon bisher die verwaltungsstrafrechtlich relevanten Garantien des Art. 6 (vgl. insb. Abs. 3 lit. a und e) EMRK einzuhalten hatten und andererseits Rechte der umzusetzenden RL ohnehin bereits jetzt als unmittelbar geltend anzunehmen waren und auch angenommen wurden (vgl. zB den Tätigkeitsbericht des LVwG Stmk 2014, S. 14).

Die übrigen in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Änderungen sind als solche weitgehend kostenneutral. Durch die Möglichkeit des Schließens von Ermittlungsverfahren sollen Verwaltungsverfahren und damit auch Verfahren vor den (allgemeinen) Verwaltungsgerichten beschleunigt werden.

 

Verhältnis zu den Rechtsvorschriften der Europäischen Union

Der Entwurf dient zum Teil der Umsetzung der Richtlinien Dolmetsch, Rechtsbelehrung, Rechtsbeistand und Unschuldsvermutung im Verwaltungsstrafbereich. Die übrigen vorgeschlagenen Änderungen fallen nicht in den Anwendungsbereich des Rechts der Europäischen Union oder sind mit diesem vereinbar.

 

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens

Gemäß Art. 136 Abs. 2 B-VG wird das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Verwaltungsgerichtes des Bundes für Finanzen durch ein besonderes Bundesgesetz einheitlich geregelt. Der Bund hat den Ländern Gelegenheit zu geben, an der Vorbereitung solcher Gesetzesvorhaben mitzuwirken. Dies ist im Rahmen einer Bund-Länder Arbeitsgruppe im Hinblick auf Art. 4 (Änderung des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes) erfolgt.

 

Diese Folgenabschätzung wurde mit der Version 4.7 des WFA – Tools erstellt (Hash-ID: 1690761104).