227 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVI. GP

 

Bericht

des Verfassungsausschusses

über die Regierungsvorlage (193 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008, das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, das Verwaltungsstrafgesetz 1991 und das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz geändert werden

Hauptgesichtspunkte des Entwurfs:

           1. Durch Änderungen des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008 – EGVG, BGBl. I Nr. 87/2008, und des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 – VStG, BGBl. Nr. 52/1991, soll klarer als bisher geregelt werden, in welchen Fällen die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am Strafverfahren mitzuwirken haben und welche Befugnisse ihnen dabei zukommen. Ferner sollen sie generell dazu ermächtigt werden, Amtshandlungen auch außerhalb des Sprengels der örtlich zuständigen Behörde vorzunehmen.

           2. Durch die Möglichkeit, das Verfahren zu schließen, sollen Verfahrensverschleppungen verhindert werden.

           3. Gleichstellung von ehemaligen Lebensgefährten mit ehemaligen Ehegatten (eingetragenen Partnern) auf Grund eines Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes zur Strafprozeßordnung 1975.

           4. Durch einige weitere Änderungen des VStG (wie z.B. die Einführung der Möglichkeit der Zurückziehung des Einspruches gegen die Strafverfügung, die Schaffung einheitlicher Deliktskataloge für Strafverfügungen, Anonymverfügungen und Organstrafverfügungen oder die Möglichkeit des Absehens von der Durchführung des Strafverfahrens, wenn ein höherer Strafbetrag eingezahlt wurde als der durch die Anonymverfügung vorgeschriebene) sollen das Strafverfahren und der Strafvollzug effizienter, transparenter und bürgerfreundlicher gestaltet werden.

           5. Durch den Entfall der Ausstellung von Ermächtigungsurkunden für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes soll der Verwaltungsaufwand der Behörden verringert werden.

           6. Der Entwurf soll den Grundsatz „Beraten statt strafen“ verwirklichen.

           7. Der vorliegende Entwurf beinhaltet die Umsetzung folgender Richtlinien:

–      2010/64/EU über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (in der Folge: Richtlinie Dolmetsch), ABl. Nr. L 280 vom 26.10.2010 S. 1,

–      2012/13/EU über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren (in der Folge: Richtlinie Rechtsbelehrung), ABl. Nr. L 142 vom 01.06.2012 S. 1,

–      2013/48/EU über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs (in der Folge: Richtlinie Rechtsbeistand), ABl. Nr. L 294 vom 06. 11.2013 S. 1,

–      2016/343/EU über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren (in der Folge: Richtlinie Unschuldsvermutung), ABl. Nr. L 65 vom 11.3.2016 S. 1.

           8. Schließlich soll der Entwurf zum Anlass genommen werden, im EGVG und im VStG eine Reihe von legistischen Anpassungen vorzunehmen. Diese Änderungen sind teils terminologischer Natur, teils dienen sie der Bereinigung von Redaktionsversehen früherer Novellen.

Zur Schließung des Ermittlungsverfahrens:

Die Präsidentinnen und Präsidenten der Verwaltungsgerichte haben in einer gemeinsamen Stellungnahme (3/SN-202/ME XXV. GP) zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geändert wird, folgende Forderung erhoben:

„Es erschiene sinnvoll, auch im VwGVG eine dem § 193 ZPO entsprechende Bestimmung betreffend das Schließen der Verhandlung einzuführen. Dies mit der Konsequenz, dass, nachdem die Verhandlung geschlossen wurde, nur noch neues Vorbringen erstattet werden kann, welches ohne Verschulden der Parteien nicht bereits vor bzw in der Verhandlung vorgebracht wurde. Gerade in aufwändigen Verfahren, bei denen oft die Verkündung des Erkenntnisses aufgrund des umfangreichen Sachverhaltes sowie der zu lösenden Rechtsfrage nicht sogleich erfolgen kann, wird das Verfahren von Parteien immer wieder durch neue Eingaben, die weitere Ermittlungsschritte bzw Abklärungen erfordern, in die Länge gezogen. Dem könnte durch eine entsprechende Regelung für die Verhandlungen in Administrativverfahren begegnet werden.“

Im Zuge der Beratungen der entsprechenden Regierungsvorlage (1255 d.B. XXV. GP) hat der Nationalrat folgende Entschließung betreffend Maßnahmen zur Verhinderung der Verfahrensverschleppung (186/E XXV. GP) angenommen:

„Der Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien wird aufgefordert, unter Einbeziehung der davon betroffenen Rechtsschutz-Institutionen, einen Gesetzesvorschlag auszuarbeiten, mit dem Ziel eine Vorschrift zu schaffen, die sicherstellt, dass die Parteien des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht und den Verwaltungsgerichten der Länder dazu verhalten werden, Tatsachen und Beweise möglichst vor Schluss der Verhandlung vorzubringen.“

Der Verfassungsdienst hat in Entsprechung dieser Entschließung den Verwaltungsgerichtshof, die Länder, das Bundesverwaltungsgericht und die Verwaltungsgerichte der Länder ersucht, die Ursachen für Verfahrensverschleppungen zu benennen und zu möglichen Implikationen einer Beschränkung der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen. Vertreter der Praxis haben vorgeschlagen, Maßnahmen bereits im Verwaltungsverfahren zu treffen, die auch für das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts und der Verwaltungsgerichte der Länder gelten. Dieser Vorschlag liegt dem vorliegenden Gesetzentwurf zu Grunde, welcher jedoch auf Grund des vorzeitigen Endes der XXV. Gesetzgebungsperiode nicht mehr zur Begutachtung versendet wurde.

Auch das Regierungsprogramm 2017-2022 sieht in „Staat und Europa. Verwaltungsreform und Verfassung“ unter der Überschrift „Schlanker Staat“ vor, dass das (verwaltungsgerichtliche) Ermittlungsverfahren mit Schluss der Verhandlung auch formell beendet werden können soll. Der Verfassungsdienst hat daher den vorliegenden Gesetzentwurf abermals in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe beraten, wobei ein Konsens über die vorgeschlagene Regelungstechnik erzielt werden konnte.

Zur Richtlinienumsetzung:

Mit der Richtlinie Dolmetsch, der Richtlinie Rechtsbelehrung, der Richtlinie Rechtsbeistand und der Richtlinie Unschuldsvermutung sollen unionsweit einheitliche Mindeststandards auf dem Gebiet der Verfahrensrechte von Beschuldigten geschaffen werden.

Durch die Umsetzung der Richtlinie Dolmetsch werden die Rechte von Beschuldigten, die die Verhandlungssprache des Gerichts weder sprechen noch verstehen, gestärkt. Die Richtlinie unterscheidet zwischen Dolmetschleistungen (mündlich) und Übersetzungen (schriftlich), wobei von den Mitgliedstaaten sicherzustellen ist, dass einem Beschuldigten, der die deutsche Sprache nicht spricht oder versteht, ohne Verzögerung (mündliche) Dolmetschleistungen während des Verfahrens, zB bei Beweisaufnahmen und Verhandlungen, an denen der Beschuldigte teilnimmt, zur Verfügung gestellt werden und dass ihm wesentliche Aktenstücke schriftlich zu übersetzen sind. Diese Übersetzungshilfe ist durch Beistellung eines Dolmetschers und Übersetzers zu gewähren, soweit dies zur Wahrung der Verteidigungsrechte und eines fairen Verfahrens erforderlich ist.

Die Richtlinie Rechtsbelehrung sieht das Recht des Beschuldigten auf Rechtsbelehrung und auf Information über den gegen ihn erhobenen Tatvorwurf vor. Durch die Richtlinie Rechtsbelehrung bestehen nunmehr unionsweit einheitliche Regelungen über die Rechtsbelehrung des Beschuldigten.

Durch die Richtlinie Rechtsbeistand ist zur Sicherstellung eines fairen Verfahrens die Gewährleistung des Zugangs zu einem Rechtsbeistand für einen Verdächtigen oder Beschuldigten zum frühesten geeigneten Zeitpunkt in einem Strafverfahren vorgesehen. Darüber hinaus soll garantiert werden, dass ein Verdächtiger oder Beschuldigter, dem die Freiheit entzogen wurde, über sein Recht belehrt wird, eine Person, beispielsweise einen Angehörigen oder Arbeitgeber, über den Freiheitsentzug zu informieren, und im Fall der Festnahme in einem anderen Mitgliedstaat darüber hinaus auch die zuständigen Konsularbehörden von dem Freiheitsentzug zu verständigen.

Der Anwendungsbereich der Richtlinien Dolmetsch, Rechtsbelehrung und Rechtsbeistand beschränkt sich in Bezug auf geringfügige Zuwiderhandlungen ausschließlich auf das gerichtliche Verfahren (vgl. Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie Dolmetsch, Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie Rechtsbelehrung und Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie Rechtsbeistand). Der Entwurf sieht sowohl Änderungen im verwaltungsgerichtlichen als auch im verwaltungsbehördlichen Verfahren vor; in Übereinstimmung mit der Richtlinie sind bei geringfügigen Verwaltungsübertretungen einzelne Verfahrensrechte erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anzuwenden. Unter geringfügigen Verwaltungsübertretungen sind solche Verwaltungsübertretungen zu verstehen, die mit einer Geldstrafe von bis zu 7 500 Euro und keiner Freiheitsstrafe bedroht sind oder wegen denen bereits ein Verfahren nach den Bestimmungen des 4. Abschnittes durchgeführt worden ist.

Der Entwurf dient auch der Umsetzung des Art. 4 der Richtlinie Unschuldsvermutung (Information der Medien über die von den Verwaltungsbehörden geführten Ermittlungsverfahren).

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:

Gemäß Art. 136 Abs. 2 B-VG wird das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Verwaltungsgerichtes des Bundes für Finanzen durch ein besonderes Bundesgesetz einheitlich geregelt. Der Bund hat den Ländern Gelegenheit zu geben, an der Vorbereitung solcher Gesetzesvorhaben mitzuwirken. Dies ist im Rahmen einer Bund-Länder Arbeitsgruppe im Hinblick auf Art. 4 (Änderung des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes) erfolgt.

 

Der Verfassungsausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 27. Juni 2018 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich im Anschluss an die Ausführungen des Berichterstatters Abgeordneten Johann Singer die Abgeordneten Mag. Wolfgang Gerstl, Dr. Alfred J. Noll, Dr. Johannes Jarolim, Dr. Nikolaus Scherak, MA, Mag. Thomas Drozda, Mag. Harald Stefan und Werner Herbert sowie der Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz Dr. Josef Moser.

 

Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Mag. Wolfgang Gerstl und Mag. Harald Stefan einen Abänderungsantrag eingebracht, der wie folgt begründet war:

Zu I. (Art. 2 [Änderung des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991]):

Zu Z 1 (Z 3 neu [§ 39 Abs. 2a (neu) und Abs. 2b]) und Z 2 (Z 5 neu [§ 40 Abs. 1, § 58a und § 73 Abs. 1]):

Unbeschadet der Grundsätze der Amtswegigkeit und der materiellen Wahrheit soll in Anlehnung an § 178 Abs. 2 ZPO eine Verfahrensförderungspflicht der Parteien eingeführt werden.

Die Verweise auf den bisherigen § 39 Abs. 2a sind entsprechend anzupassen.

Zu Z 2 (Z 6 neu [§ 41 Abs. 2]):

Gemäß § 39 Abs. 3 bis 5 idF der RV sollen Parteien Tatsachen oder Beweismittel nach dem erklärten Schluss des Ermittlungsverfahrens nur mehr dann vorbringen, wenn diese ohne ihr Verschulden bis dahin nicht geltend gemacht werden konnten und dies zu einem anderen Verfahrensergebnis führen könnte. Dies soll freilich nur für zu diesem Zeitpunkt bereits vorhandene (nova reperta), nicht aber erst nachträglich neu entstandene Tatsachen oder Beweismittel (nova producta) gelten. Auf diese Folge soll die Behörde in der Verständigung (Kundmachung) über die Anberaumung der Verhandlung hinweisen können.

In Verfahren, in denen keine mündliche Verhandlung stattfindet, bleibt es der Behörde unbenommen, auf einen in Aussicht genommenem Schluss des Ermittlungsverfahrens und die damit verbundene Folge hinzuweisen (soweit sie dazu nicht nach § 13a verpflichtet ist).

Zu den Rechtsfolgen einer gesetzmäßigen Schließung des Ermittlungsverfahrens siehe schon die Erläuterungen zur RV. Erfolgte die Schließung des Ermittlungsverfahrens mangels Entscheidungsreife der Sache gesetzwidrigerweise, wird darin regelmäßig eine Unterlassung der Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts liegen, die unter den Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 VwGVG eine Aufhebung des Bescheides mit Beschluss und die Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde durch das Verwaltungsgericht rechtfertigen kann.

Zu II. (Art. 3 [Änderung des Verwaltungsstrafgesetzes 1991]):

Legistische Anpassung sowie Berichtigung eines Zitatfehlers.

Zu III. (Art. 4 [Änderung des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes]):

Zu Z 1 (Z 5 neu [§ 25 Abs. 6c]) und Z 2 (Z 8 neu [Entfall des § 47 Abs. 3 letzter Satz]):

§ 47 Abs. 3 letzter Satz sieht vor, dass Niederschriften (Verhandlungsschriften) nur im Verfahren in Verwaltungsstrafsachen nicht der Unterschrift der Zeugen bedürfen. Diese Einschränkung soll entfallen.“

 

Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des oben erwähnten Abänderungsantrages der Abgeordneten Mag. Wolfgang Gerstl und Mag. Harald Stefan mit Stimmenmehrheit (dafür: V, F, dagegen: S, N, P) beschlossen.

 

Ferner beschloss der Verfassungsausschuss mit Stimmenmehrheit (dafür: V, F, N, dagegen: S, P) folgende Feststellungen:

„Der Verfassungsausschuss hält zur neuen Bestimmung „Beraten statt strafen“ in § 33a VStG folgendes fest:

Der wesentliche Unterschied der Beratung in § 33a VStG im Vergleich zu der Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens in § 45 VStG liegt darin, dass eine Beratung dazu dient, den Beschuldigten anzuleiten, einen rechtmäßigen Zustand herzustellen. Der Beschuldigte hat binnen einer bestimmten Frist das rechtswidrige Verhalten abzustellen. Stellt er das Verhalten ab, dann ist er nicht zu bestrafen. Die Frage, ob das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 VStG einzustellen ist, stellt sich überhaupt nicht. Eine Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 45 VStG ist nicht möglich, wenn der Beschuldigte in der strafbaren Handlung verharrt.

Des Weiteren wird festgestellt, dass mit „Beratung“ keine umfassende Rechtsberatung verbunden ist, wie sie aus der anwaltlichen oder gerichtlichen Praxis bekannt ist; vielmehr ist darunter zu verstehen, dass die Behörde den Beschuldigten darauf hinweist, eine Verwaltungsübertretung zu begehen, und ihm mitteilt, wie das rechtswidrige Verhalten eingestellt werden kann.

Schließlich hält der Verfassungsausschuss fest, dass „Beraten statt strafen“ nicht zusätzlich zu einem nachfolgenden Strafverfahren stattfindet, sondern statt des Verwaltungsstrafverfahrens. Es wird nämlich in der Mehrzahl der Fälle zu keinem nachfolgenden Strafverfahren kommen, weil der Beschuldigte den rechtmäßigen Zustand herstellen wird.“

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2018 06 27

                                  Johann Singer                                                               Dr. Peter Wittmann

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann