506 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVI. GP
Bericht
des Verfassungsausschusses
über die Regierungsvorlage (491 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, das Vertragsbedienstetengesetz 1948, das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz, das Landesvertragslehrpersonengesetz 1966, das Land- und forstwirtschaftliche Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz, das Land- und forstwirtschaftliche Landesvertragslehrpersonengesetz, das Ausländerbeschäftigungsgesetz, das Studienförderungsgesetz 1992, das Betriebliche Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz, das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das Integrationsgesetz, die Rechtsanwaltsordnung, das EIRAG und das Marktordnungsgesetz 2007 geändert werden sowie ein Bundesgesetz zur kollisionsrechtlichen Beurteilung von im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland registrierten Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Österreich erlassen wird (Brexit-Begleitgesetz 2019 – BreBeG 2019)
Hauptgesichtspunkte des Gesetzentwurfes:
I. Bei einem Referendum, das am 23. Juni 2016 im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland stattfand, sprach sich eine Mehrheit (51,89 %) für den Austritt („Brexit“) dieses Mitgliedstaats aus der Europäischen Union (EU) aus. Am 29. März 2017 teilte die britische Premierministerin dem Europäischen Rat im Einklang mit Art. 50 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) mit, dass das Vereinigte Königreich beabsichtige, aus der Union auszutreten.
Art. 50 Abs. 2 EUV sieht vor, dass die Union im Anschluss an eine solche Mitteilung mit dem betreffenden Mitgliedstaat ein Austrittsabkommen aushandelt und schließt.
Am 14. November 2018 einigten sich die Verhandlungsführer der Europäischen Kommission und des Vereinigten Königreichs auf den Wortlaut des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft. Am 22. November 2018 billigte die Kommission das vollständige Austrittsabkommen. Am 25. November 2018 billigte der Europäische Rat (Artikel 50) das Austrittsabkommen und ersuchte die Kommission, das Europäische Parlament und den Rat, die erforderlichen Schritte zu unternehmen, um sicherzustellen, dass das Abkommen am 30. März 2019 in Kraft treten kann, sodass der Austritt geordnet erfolgt. Am 5. Dezember 2018 nahm die Kommission zwei Vorschläge für Beschlüsse des Rates über die Unterzeichnung bzw. den Abschluss des Austrittsabkommens an, um den Abschluss und die Ratifizierung seitens der EU in den darauffolgenden Wochen zu ermöglichen. Der Europäische Rat (Artikel 50) vom 13. Dezember 2018 bestätigte seine Billigung des Austrittsabkommens und bekräftigte seine Absicht, die Ratifizierung des Abkommens durchzuführen. Das Austrittsabkommen muss vom Vereinigten Königreich im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert werden. Der Ratifizierungsprozess aufseiten des Vereinigten Königreichs ist allerdings mit erheblichen Schwierigkeiten behaftet. Am 15. Jänner 2019 entschied sich das Unterhaus des Parlaments des Vereinigten Königreichs gegen das ausgehandelte Austrittsabkommen.
Gemäß Art. 50 Abs. 3 EUV finden die Verträge auf den betroffenen Staat ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens oder andernfalls zwei Jahre nach der Mitteilung der Austrittsabsicht keine Anwendung mehr, es sei denn, der Europäische Rat beschließt im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedstaat einstimmig, diese Frist zu verlängern.
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat mit Urteil vom 10. Dezember 2018 in der Rs. C-621/18, Wightman ua., entschieden, dass es dem Vereinigten Königreich freisteht, die Mitteilung seiner Absicht, aus der Union auszutreten, einseitig zurückzunehmen. Eine solche, unter Beachtung seiner eigenen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschlossene Rücknahme hätte zur Folge, dass das Vereinigte Königreich zu Bedingungen in der Union bliebe, die hinsichtlich seines Status als Mitgliedstaat unverändert wären.
Sofern die Mitteilung der Absicht des Vereinigten Königreichs, aus der Union auszutreten, nicht zurückgenommen wird, die Frist von zwei Jahren nach der Mitteilung der Austrittsabsicht nicht verlängert wird und der Ratifizierungsprozess aufseiten des Vereinigten Königreichs hinsichtlich des Austrittsabkommens nicht abgeschlossen wird, tritt das Vereinigte Königreich rechtswirksam mit Ablauf des 29. März 2019 ohne Austrittsabkommen aus der EU aus.
Für den Fall eines Austritts ohne Austrittsabkommen (sog. „hard Brexit“) sind besondere Vorkehrungen zu treffen. Dabei ist insbesondere auch auf im Gegenstand einschlägige Schlussfolgerungen des Europäischen Rates und Mitteilungen der Europäischen Kommission Bedacht zu nehmen.
II. Der Europäische Rat (Artikel 50) vom 13. Dezember 2018 rief dazu auf, die Vorsorge im Hinblick auf die Auswirkungen des Vereinigten Königreichs auf allen Ebenen zu intensivieren und dabei alle möglichen Ergebnisse in Betracht zu ziehen (siehe Punkt 5 der Schlussfolgerungen der Außerordentlichen Tagung des Europäischen Rates [Artikel 50] [13. Dezember 2018], EUCO XT 20022/18).
Die Europäische Kommission hat am 19. Dezember 2018 als Reaktion auf dieses Ersuchen Maßnahmen angenommen. Diese sowie weitere wichtige Schritte werden in der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank betreffend „Vorbereitung auf den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union am 30. März 2019: Umsetzung des Aktionsplans der Kommission für den Notfall“ vom 19. Dezember 2018, COM(2018) 890 final, erläutert. Dabei wird angesichts der anhaltenden Unsicherheit in Bezug auf den Ratifizierungsprozess aufseiten des Vereinigten Königreichs und im Einklang mit den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates (Artikel 50) vom 13. Dezember 2018 auf die Dringlichkeit der Umsetzung ihres Aktionsplans für den Notfall hingewiesen. Neben Hinweisen auf die im Aktionsplan angekündigten Legislativvorschläge und delegierten Rechtsakte auf EU-Ebene werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, ihre Arbeit zu beschleunigen, um sich auf alle möglichen Szenarien für den Austritt des Vereinigten Königreichs vorzubereiten. Nach Auffassung der Kommission sollten die auf allen Ebenen beschlossenen Notfallmaßnahmen die folgenden allgemeinen Grundsätze wahren (S. 3 der Mitteilung):
- Notfallmaßnahmen sollten nicht die Vorteile einer Mitgliedschaft in der Union oder die im Entwurf des Austrittsabkommens vorgesehenen Bedingungen für den Übergangszeitraum nachbilden.
- Sie sollten vorübergehender Natur sein.
- Sie sollten von der Europäischen Union einseitig zur Wahrung ihrer Interessen getroffen werden und jederzeit von ihr aufgehoben werden können.
- Sie sollten die in den Verträgen vorgesehene Aufteilung der Zuständigkeiten wahren.
- Nationale Notfallmaßnahmen sollten mit dem Unionsrecht vereinbar sein.
- Sie sollten keine Verzögerungen ausgleichen, die durch Vorbereitungsmaßnahmen und rechtzeitiges Handeln der betreffenden Interessenträger hätten vermieden werden können.
Hinsichtlich des Schutzes der Bürgerinnen und Bürger appelliert die Europäische Kommission in der genannten Mitteilung (S. 3 ff) an die Mitgliedstaaten, gegenüber den Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs, die bereits in ihrem Hoheitsgebiet ansässig sind, einen großzügigen Ansatz zu verfolgen. Vor diesem Hintergrund ersucht die Kommission die Mitgliedstaaten,
- im Einklang mit dem Unionsrecht Maßnahmen zu ergreifen, die sicherstellen, dass alle Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs, die sich am 29. März 2019 rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, ohne Unterbrechung weiterhin als rechtmäßig in diesem Mitgliedstaat ansässige Personen angesehen werden;
- Vorkehrungen zu treffen, damit für die betreffenden Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs Aufenthaltstitel ausgestellt werden können, die ihnen ihren rechtmäßigen Aufenthalt und ihr Recht zu arbeiten bescheinigen. Alle Mitgliedstaaten, und insbesondere jene, in denen die Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs besonders zahlreich sind, werden aufgefordert, einen pragmatischen Ansatz zu verfolgen und im Einklang mit dem Unionsrecht vorläufige Aufenthaltsdokumente auszustellen, bis endgültige Aufenthaltstitel ausgestellt werden können. Je nach der Situation jedes Mitgliedstaats sind verschiedene Lösungen möglich, etwa der Erlass nationaler Rechtsvorschriften, die Ausstellung vorläufiger Dokumente oder die Anerkennung bereits bestehender Dokumente; und
- alle erforderlichen legislativen und administrativen Maßnahmen zu ergreifen, damit sie in der Lage sind, zum Austrittsdatum vorläufige Aufenthaltsdokumente auszustellen und bis Ende 2019 Anträge auf Ausstellung endgültiger Aufenthaltstitel im einheitlichen Format zu bearbeiten.
Hinsichtlich der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit fordert die Europäische Kommission in der genannten Mitteilung (S. 5 f) die Mitgliedstaaten auf, alle erdenklichen Schritte zu unternehmen, um Rechtssicherheit zu gewährleisten und die Sozialversicherungsansprüche von Bürgern, die diese in Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit vor dem 30. März 2019 erworben haben, zu schützen. Die Kommission ersucht die Mitgliedstaaten insbesondere,
- in Bezug auf Staatsangehörige von EU-27-Mitgliedstaaten und Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs die Arbeits- und Versicherungszeiten anzuerkennen, die diese vor dem Austritt im Vereinigten Königreich geleistet haben;
- die Bürgerinnen und Bürger dazu anzuhalten, die diese Zeiten belegenden Unterlagen aufzubewahren;
- sicherzustellen, dass die „Zusammenrechnung“ der bis zum Austritt geleisteten Zeiten auch für diejenigen Bürgerinnen und Bürger gewährleistet ist, die weiterhin im Vereinigten Königreich leben;
- die „Leistungsübertragung“ von Altersrenten in das Vereinigte Königreich beizubehalten, obwohl es sich um ein Drittland handeln wird. Dies würde für all jene Bürgerinnen und Bürger gelten, die sich nach dem Austrittsdatum weiterhin im Vereinigten Königreich aufhalten, und für Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs, die ihre Altersrentenansprüche vor dem Austrittsdatum in der EU-27 erworben haben.
III. Mit dem vorliegenden – verschiedene Regelungsbereiche (öffentlicher Dienst, Arbeit, Bildung, Finanzen, Inneres und Integration, Justiz, Landwirtschaft) umfassenden – Sammelgesetz sollen auf Gesetzesebene notwendige Vorkehrungen für den Fall getroffen werden, dass das Vereinigte Königreich ohne Austrittsabkommen gemäß Art. 50 Abs. 2 EUV aus der EU austritt.
Die vorgesehenen gesetzlichen Maßnahmen (näher dazu siehe den Besonderen Teil der Erläuterungen) sollen nur unter der Bedingung in Kraft treten, dass das Vereinigte Königreich ohne Austrittsabkommen gemäß Art. 50 Abs. 2 EUV aus der EU austritt. Für das Inkrafttreten müssen also zwei Voraussetzungen erfüllt sein: der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU und das Fehlen eines Austrittsabkommens.
Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen sollen die gesetzlichen Maßnahmen mit dem – sich nach Art. 50 Abs. 3 EUV bestimmenden – Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU in Kraft treten. Nach Art. 50 Abs. 3 EUV finden die EU-Verträge bei Fehlen eines Austrittsabkommens auf den betroffenen Staat zwei Jahre nach der Mitteilung der Austrittsabsicht – das hieße im vorliegenden Fall: mit Ablauf des 29. März 2019 – keine Anwendung mehr, es sei denn, der Europäische Rat beschließt im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedstaat einstimmig, diese Frist zu verlängern.
Der Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Austritts ohne Austrittabkommen ist gemäß Art. 16 des Brexit-Begleitgesetzes 2019 vom Bundeskanzler im Bundesgesetzblatt kundzumachen.
IV. In Bezug auf den Bereich der sozialen Sicherheit vertritt die Europäische Kommission die Auffassung, dass vor allem in zwei Bereichen Verpflichtungen für die EU27 Mitgliedstaaten bestehen. Zum einen sind Versicherungs-, Beschäftigungs-, Wohnzeiten und Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit, die vor dem Austrittszeitpunkt im Vereinigten Königreich zurückgelegt wurden, auch bei einem späteren Leistungsantrag mit den in den EU27 Mitgliedstaaten zurückgelegten Zeiten zusammenzurechnen. Das ergibt sich daraus, dass dieses Recht unmittelbar mit der Ausübung der unionsrechtlichen Freizügigkeit der betroffenen Personen in der Vergangenheit zusammenhängt (so z.B. auch EuGH 12.10.1978, Rs. 10/78, Belbouab). Für die Umsetzung dieser Verpflichtung sind unmittelbar die Grundsätze des Unionsrechts anwendbar, insbesondere die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 166 vom 30.4.2004, S. 1, idgF. Zum anderen werden die EU27 Mitgliedstaaten von der Europäischen Kommission aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass Alterspensionen weiterhin auch bei Wohnort der berechtigten Personen im Vereinigten Königreich gewährt werden. Dieser Verpflichtung entspricht das nationale österreichische Recht, indem bei sämtlichen Leistungen der Pensionsversicherung kein Ruhen bei Auslandsaufenthalt vorgesehen ist (z.B. § 89 ASVG). Daher sind für den Bereich der sozialen Sicherheit aus derzeitiger Sicht keine ergänzenden gesetzlichen Maßnahmen erforderlich.
Der Verfassungsausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 25. Februar 2019 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter Abgeordneten Mag. Harald Stefan die Abgeordneten Mag. Selma Yildirim, Dr. Markus Tschank, Mag. Josef Lettenbichler, Dipl.-Ing. Alois Rosenberger, Katharina Kucharowits, Mag. Christian Ragger, Mag. Wolfgang Gerstl, Mag. Jörg Leichtfried und Dr. Alfred J. Noll sowie der Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien Mag. Gernot Blümel, MBA und der Ausschussobmann Abgeordneter Dr. Peter Wittmann.
Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf mit Stimmenmehrheit (dafür: V, F, N, J, dagegen: S) beschlossen.
Ein im Zuge der Debatte von den Abgeordneten Dr. Peter Wittmann, Kolleginnen und Kollegen eingebrachter Antrag gemäß § 40 Abs. 1 des Geschäftsordnungsgesetzes auf Einholung von schriftlichen Äußerungen fand keine Mehrheit (dafür: S, N, J, dagegen: V, F).
Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf (491 der Beilagen) die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.
Wien, 2019 02 25
Mag. Harald Stefan Dr. Peter Wittmann
Berichterstatter Obmann