631 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVI. GP

 

Bericht

des Verfassungsausschusses

über den Antrag 773/A der Abgeordneten Dr. Alfred J. Noll, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) geändert wird 

Die Abgeordneten Dr. Alfred J. Noll, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Initiativantrag am 25. April 2019 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Ich halte es für demokratiepolitisch weise, wenn man rechtliche und vor allem verfassungsrechtliche Regelungen so gestaltet, dass sie auch wirken. Daher kann man angesichts des toten Rechts der Ministeranklage nur sagen, man soll diese Regeln so gestalten, dass sie auch wirken. Demokratiepolitisch wäre es zweckmäßig, wenn man ein geringeres Quorum als die Mehrheit vorsieht“, führte der als zurückhaltend bekannte G. Holzinger als damaliger Präsident des VfGH 2014 in einem Interview aus.[1] Auch andere Staatsrechtler haben schon früher dafür plädiert, die Rechte aus Art 142 B-VG einer qualifizierten Minderheit zuzugestehen.[2]

Die Verantwortung aus dieser Bestimmung ist die Einforderung der politischen und allenfalls strafrechtlichen Konsequenzen ernster Verfehlungen von Regierungsmitgliedern. Diese Verantwortung bei der Regierungsmehrheit im Nationalrat zu belassen ist gleichbedeutend mit der Abschaffung dieses verfassungsmäßig vorgesehenen Kontrollinstruments: Bei der Formulierung dieser Verfassungsbestimmung vor hundert Jahren stand man noch unter dem Eindruck der politischen Strukturen der Monarchie, als der Reichstag tatsächlich auch der Gegenspieler der Regierung war. In der modernen Form unserer Demokratie, in welcher die Regierung regelmäßig von der Mehrheit im Nationalrat unterstützt wird, kann es praktisch nicht mehr zur Anwendung kommen. Und tatsächlich ist es auch gegenüber Mitgliedern der Bundesregierung noch nie zur Anwendung gekommen.

Dieses Verfassungsinstrument ist zu einem „Damoklesschwert aus Papier“[3] geworden. Selbst eine neue Mehrheit in der folgenden Legislaturperiode könnte keine Anklage gemäß Art 142 B-VG gegen ein ehemaliges Regierungsmitglied einbringen, wenn dieses schon vor mehr als einem Jahr aus dem Amt geschieden ist.[4]

Die bestehende Regelung, de facto totes Recht, widerspricht den Anforderungen des Rechtsstaates und der Demokratie im Jahr 2019. Es sollte einer qualifizierten Minderheit von einem Drittel der Abgeordneten zum Nationalrat anvertraut werden. Diese Minderheit wird das Instrument nur sehr vorsichtig und selten benutzen: Es ist eine den Erfordernissen des Verfahrens vor dem VfGH genügende Anklageschrift erforderlich, und die Entscheidung über die Zulässigkeit und die materielle Berechtigung einer solchen Anklage trifft ganz allein der VfGH.“

 

Der Verfassungsausschuss hat den gegenständlichen Initiativantrag in seiner Sitzung am 11. Juni 2019 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter Abgeordneten Dr. Alfred J. Noll die Abgeordneten Dr. Nikolaus Scherak, MA, Mag. Klaus Fürlinger, Mag. Jörg Leichtfried, Mag. Philipp Schrangl und Mag. Wolfgang Gerstl sowie der Vizekanzler Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz Dr. Dr. h.c. Clemens Jabloner.

 

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Initiativantrag keine Mehrheit (für den Antrag: S, J, dagegen: V, F, N).

 

Zum Berichterstatter für den Nationalrat wurde Abgeordneter Johann Singer gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2019 06 11

                                  Johann Singer                                                               Dr. Peter Wittmann

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann



[1] Die Presse v. 12.05.2014, Rechtspanorama, 15.

[2] Schambeck, Regierung und Kontrolle in Österreich (1997), VI. 77; vgl. auch Bußjäger, Besprechung des zitierten Werkes, JBl 1998, 339.

[3] Atzwanger, Die Ministeranklage gemäß Art 142 und 143 B-VG, ÖJZ 1983, 37.

[4] § 80 Abs 1 Verfassungsgerichtshofgesetz.