1581/J XXVI. GP

Eingelangt am 04.09.2018
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Anfrage



der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend aktuelle Verfahren zum Entzug der österreichischen Staatsbürgerschaft bei vermeintlicher türkischer Doppelstaatsbürgerschaft

 

Aktuell werden zahlreiche Verwaltungsverfahren zum Entzug der österreichischen Staatsbürgerschaft gegen vermeintlich türkische Doppelstaatsbürger_innen geführt. Eine wesentliche Rolle spielen dabei angebliche türkische Wählerlisten. Während die Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsrechts selbstverständlich einzuhalten sind, wirft das aktuelle Vorgehen aus verfahrensrechtlicher und rechtsstaatlicher Sicht zahlreiche Bedenken auf. So berichteten verschiedene Medien in den letzten Wochen über österreichische Staatsbürger_innen mit türkischen Wurzeln, denen möglicherweise zu Unrecht der Entzug der österreichischen Staatsbürgerschaft droht. Einige betroffene österreichische Staatsbürger_innen, die gar nicht die türkische Staatsbürgerschaft besitzen, sind mit Staatenlosigkeit bedroht. Des Weiteren sind laut Verfassungsexpert_innen einzelne österreichische Staatsbürger_innen mit türkischen Wurzeln von der Vernichtung ihrer Existenz bedroht, weil die rückwirkende Aberkennung der österreichischem Staatsbürgerschaft neben den Auswirkungen auf Aufenthaltsrecht und Arbeitsmarktzugang auch zur Nichtigkeit von Grundstückskäufen und zur Rückforderung von gewissen Förderungen und Sozialleistungen führen kann.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

1.    Welche Informationen liegen dem BMI darüber vor, wie viele Feststellungsverfahren über aufrechte türkische Doppelstaatsbürgerschaften aktuell geführt werden?

2.    Welche Informationen liegen dem BMI über folgende Belange vor: Wie viele Aberkennungsbescheide wurden bisher ausgestellt?

a.    Wie viele davon sind rechtskräftig?

b.    Wie viele Verfahren sind derzeit in zweiter Instanz vor den Verwaltungsgerichten anhängig?

c.    Wie viele wurden in zweiter Instanz bestätigt bzw. aufgehoben?

3.    Welche Informationen liegen dem BMI darüber vor, wie die betroffenen Personen von den Behörden ausgewählt wurden?

4.    Welche Informationen liegen dem BMI darüber vor, woher die Wählerliste stammt, auf deren Basis die Behörden vorgehen?

5.    Welche Informationen liegen dem BMI darüber vor, inwiefern die Richtigkeit dieser Wählerliste überprüft wurde?

6.    Welche Informationen liegen dem BMI darüber vor, welcher Beweiswert in den Verfahren den erwähnten türkischen Wählerlisten zugemessen wird?

7.    Welche Informationen liegen dem BMI darüber vor, inwiefern Personen beim Erhalten der österreichischen Staatsbürgerschaft davon informiert werden, dass sie andere Staatsbürgerschaften abzulegen haben?

8.    Zahlreiche Betroffene berichten, dass sie aufgefordert wurden nachzuweisen, dass sie keine türkische Staatsbürgschaft besitzen. Welche Informationen liegen dem BMI über folgende Belange vor: Wieso wird in diesen Verfahren von dem Grundsatz abgewichen, dass die Beweispflicht die Behörde trifft? Inwiefern ist unter Berücksichtigung der in Frage 3 und 4 angesprochenen Punkte eine solche Beweislastumkehr vertretbar?

9.    Welche Informationen liegen dem BMI darüber vor, was bzw. welche Dokumente die Behörden als Nachweis für die Zurücklegung der türkischen Staatsbürgerschaft verlangen?

a.    In den 1980er- und 1990er-Jahren war es im Einbürgerungsverfahren vor den österreichischen Behörden ausreichend das Ansuchen für die Zurücklegung der türkischen Staatsbürgerschaft vorzulegen. Ist dem BMI dieser Umstand bekannt?

10. Laut Medienberichten verlangen die Behörden von vielen Betroffenen eine Bestätigung aus der Türkei, dass sie die türkische Staatsbürgerschaft nicht mehr besitzen. Ist dem BMI bekannt, dass unter den aktuellen politischen Umständen in der Türkei viele Betroffene aus Angst vor möglichen Repressalien keine türkische Behörde aufsuchen können, um die benötigten Dokumente zu erlangen?

11. Welche Informationen liegen dem BMI über folgende Belange vor: Bestehen Härtefallregelungen? Wenn ja, welche?

a.    Bestehen gesonderte Regelungen für Minderjährige, insbesondere in Hinblick auf die Berücksichtigung des Kindeswohls?

b.    In den 1980er- und 1990er-Jahren war es im Einbürgerungsverfahren vor den österreichischen Behörden ausreichend das Ansuchen für die Zurücklegung der türkischen Staatsbürgerschaft vorzulegen. Der endgültige Bescheid über die erfolgte Ausbürgerung aus der Türkei musste nicht vorgelegt werden. In zahlreichen Fällen kam es dann aber nicht zur Ausbürgerung, da die Ansuchen von den türkischen Behörden nicht weiter bearbeitet wurden. In manchen Fällen vergaßen die Betroffenen auch sich weiter um die endgültige Durchführung der Ausbürgerung zu kümmern, da sie bereits alle von den österreichischen Behörden verlangten Dokumente vorgelegt hatten. Viele Betroffene blieben in weiterer Folge ohne ihr Wissen türkische Staatsbürger. Bestehen für diese Fälle Härtefallregelungen?

12. Laut zahlreichen Expert_innen, unter anderem Verfassungsrechtler Prof. Bernd-Christian Funk, kann ein Entzug der Staatsbürgerschaft zur Existenzvernichtung, inklusive Wegfall der beruflichen Grundlage und Entzug von Liegenschaften führen. Inwieweit hat sich das BMI mit dieser Problematik auseinandergesetzt?

a.    Bestehen diesbezüglich Härtefallregelungen? Wenn ja, welche?

13. Inwiefern wird dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen?

14. Durch das aktuelle Vorgehen besteht die Gefahr, dass österreichische Staatsbürger_innen, wenn sie die geforderten Beweise zum Verlust der türkischen Staatsbürgerschaft nicht erbringen können, staatenlos werden. Inwieweit ist dies mit den Verpflichtungen Österreichs aus dem Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit vereinbar?

15. Plant das BMI künftig auch gegen Doppelstaatsbürger_innen anderer Staaten entsprechend vorzugehen? Wenn ja, gegen welche? Wenn nein, wieso nicht?

16. Welche Informationen liegen dem BMI darüber vor, ob auch hinsichtlich anderer Länder Informationen eingeholt bzw. Verfahren eingeleitet werden?