3201/J XXVI. GP

Eingelangt am 28.03.2019
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Am 16.07.2019 erfolgte eine vertraulichkeits-/datenschutzkonforme Adaptierung

 

Anfrage

der Abgeordneten Univ.-Prof. Dr. Alfred J. Noll, Kolleginnen und Kollegen, an den Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz betreffend Selbstbestimmung im neuen Erwachsenenschutzrecht

Das neue Erwachsenenschutzrecht soll die Selbstbestimmung der betroffenen Personen stärken. Dennoch bestehen in der Praxis gerade diesbezüglich Defizite. So werden anscheinend dritte Personen als gerichtliche Erwachsenenvertreter*innen - gegen den Willen der betroffenen Personen und gegen entsprechende Vorschläge von Familienangehörigen - bestellt und es wird - ebenfalls gegen den Willen der betroffenen Personen - der Kontakt zu Familienangehörigen erschwert oder gar unterbunden, was eindeutig der Intention des Gesetzgebers widerspricht.

Ein akuter Anlassfall ist die Causa N.N.1 (BG Melk 17 P 24/16s), der sowohl von Seiten seiner Erwachsenenvertreterin als auch von Seiten des zuständigen Gerichtes von seiner Mutter als auch von seinem Vertrauensarzt gegen seinen Willen ferngehalten wird.

Es wird daher hiermit an den zuständigen Bundesminister im Hinblick auf seine im StAG und BMG vorgesehene Aufsichtszuständigkeit in der oben bezeichneten Rechtssache die folgende

Anfrage

gerichtet:

1.    N.N.1 ist im Therapiezentrums Ybbs a.d.Donau in der Persenbeuger Straße 1-3, Wohngruppe 3, 3370 Ybbs a.d.Donau untergebracht, und möchte schon seit Jahren zu seiner Familie nach Wien, was auch seinem Recht auf Ortsbestimmung nach dem Erwachsenenschutzgesetz entspräche. Ist Ihnen diese Causa - die von der Mutter des Betroffenen an Sie herangetragen wurde - bekannt?

a.    Wenn ja, was haben Sie diesbezüglich unternommen?

2.    Dem Genannten wurde seitens des Therapiezentrums Ybbs a.d.Donau der
von ihm dringlich gewünschte Besuch seiner engsten Familienangehörigen in Wien ebenso wie die von ihm dringlich benötigte ärztliche Behandlung bei
seinem Vertrauensarzt Dr. Lauda in 1080 Wien verweigert. Beide Verweigerungen greifen tief in seine Grundrechte ein, und zwar in sein Grundrecht auf Familienkontakt gemäß Artikel 8 EMRK, sowie in sein
Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gemäß Artikel 2 und 3 EMRK sowie
in sein Grundrecht auf Gesundheit nach Artikel 8 EMRK. Was werden Sie tun, um Abhilfe zu schaffen?

3.    Der Genannte hatte seine N.N.2 als Erwachsenenvertreterin gewünscht, weil sie als seine leibliche Mutter die nächststehende Verwandte
ist und sich stets um ihn gekümmert hatte und auch weiterhin kümmert. Als weitere Alternativen hatte er (für den Fall, dass nicht seine Mutter mit der Funktion betraut würde) einen ehemaligen Richter und Gerichtspräsidenten sowie einen Verein als Erwachsenenschützer benannt. Dennoch wurde

stattdessen eine andere - ihm fremde - Person (Frau C. H. vom Niederösterreichischen Landesverein für Erwachsenenschutz Persenbeug)
zur Erwachsenenschützerin bestellt. Seine Beschwerden dagegen wurden nicht erhört. Entspricht dies dem Sinn des Erwachsenenschutzgesetzes?

4.    Der Oberste Gerichtshof wies den außerordentlichen Revisionsrekurs des Betroffenen ohne inhaltliche Begründung zurück. Ist damit der aus Artikel 6 EMRK erfließenden Begründungspflicht für Gerichtsentscheidungen entsprochen?

5.    Die Mutter des Betroffenen hatte der Pflegschafsrichterin W. vom Bezirksgericht Melk im April 2017 im Verfahren 17 P 24/16s einen USB-Stick mit wesentlichen Beweismitteln vorgelegt. Diese verweigerte dessen
Annahme mit den Worten "Sie können mir ein Bilderbuch darüber machen. Aber den Stick nehme ich nicht an." Dies erweckt den Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens, weil ein Richter nicht die Wahrheitsfindung und Sachaufklärung inhibieren darf. Werden Sie diesen Verdacht im Rahmen der Dienstaufsicht überprüfen?

a.  Wenn ja: Inwiefern?

b.  Wenn nein: Weshalb nicht?

6.    Selbige Pflegschafsrichterin W. vom Bezirksgericht Melk wurde ebenfalls im Verfahren 17 P 24/16s bereits im März 2017 ein ärztliches Attest von Dr.

Lauda betreffend N.N.1 übermittelt, das in medizinischer Hinsicht besorgniserregende Auffälligkeiten aufwies. Die Richterin reagierte darauf jedoch nicht. Im August 2018 ergab ein zweites Attest Dr. Laudas, dass sich die im ersten Attest geäußerten Befürchtungen bestätigt haben. Wieso hat die Richterin nicht darauf reagiert und die Sachwalterin und die Ybbser Anstalt darüber informiert?

7.    Müssten gerichtlich bestellte Gutachter zur Klärung des tatsächlichen Zustandes eines zu begutachtenden Patienten nicht notwendigerweise
dessen Gesamtzustand einbeziehen oder genügt es, dass sie sich auf Teilbereiche beschränken, die insofern kein Bild von der Persönlichkeit, dem Befinden und dem gesundheitlichen Gesamtzustand vermitteln?

8.    Welcher Kontrolle unterliegen zum Verlust der Wohnung und anderen Beeinträchtigungen führende Handlungen von Erwachsenenvertretern zum Nachteil der betroffenen Person und welche Aufsichtsfunktionen nimmt das Gericht und welche nehmen Sie wahr?

9.    Über die Gültigkeit von N.N.1 Unterschrift wurden unterschiedliche Aussagen getroffen. Inwiefern hat eine betroffene Person das Recht, eigenständig behördliche und gerichtliche Schritte in beachtlicher
Weise durch seine Unterschrift oder durch eigenhändige Eingaben zu setzen (insbesondere bei Konflikten mit dem Erwachsenenvertreter)?

10.  Der Mutter des Betroffenen wurde unterstellt, die Unterschrift ihres Sohnes gefälscht zu haben, was jedoch nicht zutraf. Ihr Ministerium vertrat zur Zahl BMVRDJ-4034109/0001-VI 5/2018 die Auffassung, es liege im Verhalten der Staatsanwaltschaft St. Pölten kein Missstand, obwohl diese ihr weiter

unterstellte, sie hätte die Unterschrift gefälscht und würde dies leugnen. Leugnen ist kein Synonym für verneinen, sondern ein Synonym für Lügen
(oder genauer: die Wahrheit abstreiten). Wenn eine Staatsanwaltschaft derartiges unterstellt, handelt sie pflichtwidrig, denn in einer Einstellungserklärung (und -begründung) ist im Sinne des Erlasses ZI
64013/4-II 3/80 und des Urteils des Obersten Gerichtshofes SSt 51/8 die Unterstellung eines jeden Unrechten Tuns zu vermeiden, da eine derartige Unterstellung gegen Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstieße. Warum also wurde der Vorwurf gegen die Mutter nicht zurückgenommen?

a. Was werden Sie tun, um diesen Missstand zu beseitigen?