3413/J XXVI. GP

Eingelangt am 25.04.2019
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Mag.a Selma Yildirim, Genossinnen und Genossen
an den Bundesminister für Finanzen

betreffend Tiroler Festspiele Erl

In den vergangenen Monaten ist es zu zahlreichen Vorwürfen gegen die Tiroler Festspiele Erl rund um Lohn- und Sozialdumping gekommen, die weiterer Aufklärung bedürfen.

In Beantwortung von parlamentarischen Anfragen bestätigten bereits Kulturminister Mag. Gernot Blümel und Sozialministerin Mag.a Beate Hartinger-Klein, dass die Tiroler Festspiele Erl eine Vielzahl von Personen im Rahmen ihrer jeweiligen künstlerischen Tätigkeit für denselben Zeitraum sowie dieselbe Tätigkeit abgaben- und sozialversicherungsrechtlich als zum Teil selbständig tätig und zum Teil nichtselbständig erwerbstätig behandelt haben. Dies führte offenbar bei den jeweils betroffenen Personen und nicht zuletzt auch für die Festspiele Erl zu einer Ersparnis an Abgaben und Beiträgen auf Kosten der Allgemeinheit.

Im Dienstgeberportal der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse wurde unter dem Titel „Ein Dienstgeber –mehrere Tätigkeiten“ folgender Beitrag veröffentlicht

(NÖDIS, Nr. 5/April 2014):

Wie ist es aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht zu beurteilen, wenn ein Dienstnehmer für seinen Dienstgeber mehrere Tätigkeiten ausübt: Mit dieser Frage hat sich der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) bereits mehrmals auseinandergesetzt, so z. B. in seinem Erkenntnis vom 2.4.2008, ZI. 2005/08/0132.

Ein Dienstnehmer vereinbarte mit seinem Dienstgeber, neben seiner Tätigkeit als Tischler auch verschiedene Produkte der Tischlerei Kunden anzubieten und zu verkaufen. Dafür erhielt er getrennt von seinem Gehalt Provisionen für jeden vermittelten Verkauf auf Basis eines diesbezüglich abgeschlossenen Werkvertrages. Auf der Homepage des Dienstgebers wurde er als Teil von dessen "Team" und als Kundenberater auch bildlich dargestellt.


Weiters war der Dienstgeber damit einverstanden bzw. daran interessiert, dass der Tischler während seiner Arbeitszeit von potentiellen Kunden erreicht werden konnte. Zudem warb der Tischler nicht nur Neukunden an, sondern er vermittelte auch an bestehende Kunden Zubehör, Pflegemittel und sonstige Accessoires.

Verschränkung

Nach Ansicht des VwGH konnten die beiden Tätigkeiten als Tischler und Verkäufer schon allein wegen der zeitlichen, aber auch auf Grund der inhaltlichen Verschränkung der Vermittlungstätigkeit mit dem Dienstverhältnis nicht getrennt beurteilt werden.

Gestattet der Dienstgeber einem Dienstnehmer (abweichend von bestehenden dienstvertraglichen Regelungen) mit dem Dienstverhältnis selbst in innerem Zusammenhang stehende Aktivitäten nicht nur außerhalb seiner Arbeitszeit, sondern auch innerhalb derselben, liegt eine zeitliche und inhaltliche Verschränkung vor. Dabei genügt es nach der Rechtsprechung für die Annahme einer zeitlichen und inhaltlichen Verschränkung, wenn ein Dienstnehmer einen zwar nicht abschätzbaren, aber jedenfalls nicht bloß geringfügigen Teil seiner Dienstzeit mit Zustimmung des Dienstgebers für eine Tätigkeit verwendet, die vom selben Dienstgeber durch Zahlung von Provisionen zusätzlich honoriert wird.

Im konkreten Fall waren somit die Provisionen, die der Tischler dafür erhielt, dass er in seiner Freizeit den Verkauf von Einrichtungsgegenständen vermittelte, von seiner herkömmlichen Tätigkeit als Tischler nicht zu trennen und daher der Beitragspflicht nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) zu unterziehen.

Eine ähnliche Entscheidung hat der VwGH im Fall der Vermittlung von Bausparverträgen durch Sparkassenangestellte getroffen (siehe VwGH vom 13.6.1995, ZI. 94/08/0107). Auch in diesem Fall sah der VwGH eine zeitliche (Vermittlungstätigkeit innerhalb der Arbeitszeit) und inhaltliche (Leistungsinteresse des Arbeitgebers an der Vermittlung) Verschränkung zwischen dem abhängigen Arbeitsverhältnis und der Vermittlungstätigkeit und stellte daher das Vorliegen eines einheitlichen Vertragsverhältnisses (abhängiges Arbeitsverhältnis) fest.

Entgelte, die ein Arbeitnehmer demnach aus zwei nicht trennbaren Tätigkeiten im Betrieb von ein und demselben Arbeitgeber erhält, sind zu addieren; es sind also nicht zwei sozialversicherungspflichtige echte Beschäftigungsverhältnisse gemäß § 4 Abs. 2 ASVG zu ein und demselben Arbeitgeber möglich (siehe VwGH vom 28.4.1988, ZI. 87/08/0032).

Werkvertrag

Allerdings schließt der VwGH das Nebeneinanderbestehen eines abhängigen Arbeitsverhältnisses und eines Werkvertragsverhältnisses zu einem Dienstgeber nicht aus.

Erbringt ein Dienstnehmer daher zusätzlich zu seinem Dienstverhältnis nach § 4 Abs. 2 ASVG eine weitere, völlig getrennte und andersartige Tätigkeit auf Grund eines separaten freien Dienstvertrages oder Werkvertrages und besteht zwischen den Tätigkeiten überhaupt kein Zusammenhang, stellen beide Tätigkeiten aus Sicht der Sozialversicherung keine Einheit dar und sind somit getrennt zu behandeln.

Für die Bejahung einer rechtswirksamen Trennung mehrerer gleichzeitig bestehender Rechtsverhältnisse zu einem Arbeitgeber kommt es somit entscheidend auf den Parteiwillen, die objektive Trennbarkeit und auf Überlegungen unter dem Gesichtspunkt arbeitsrechtlicher Schutzprinzipien an (siehe VwGH vom 17.12.2002, ZI. 99/08/0047 - Autor: Mag. Franz Gruber/NÖGKK).


Die Wirtschaftskammer Österreich veröffentlichte im Jänner 2018 eine Broschüre mit dem Titel „Arbeitsvertrag, freier Dienstvertrag, Werkvertrag - die richtige Beschäftigungsform“ und führt zur Beschäftigungsform von KünstlerInnen auf Seite 15 Folgendes aus:

4.3. Künstler

Auch für die Beurteilung, ob Künstler Dienstnehmer oder Unternehmer sind, ist zu prüfen ob die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit überwiegen.

Demnach spricht für das Vorliegen echter Dienstverhältnisse, wenn Künstler also etwa Sänger, Musiker oder Choristen nach festgelegten Proben- und Spielplänen tätig werden müssen, sich zu Leistungen im Rahmen einer Spielsaison verpflichten und an Weisungen der Regisseure, des Dirigenten, des Chordirektors in Bezug auf Probeanzahl, Probezeit sowie Art der Wiedergabe der Arbeitsleistung gebunden sind.

Eine Beschäftigung als freie Dienstnehmer wird meist nicht in Frage kommen, weil sie durch die Eingliederung im Bühnengeschehen, zum Beispiel im Orchester, persönlich abhängig sind. Aus diesen Gründen sind Orchester-, Chor- sowie Ballettensemblemitglieder grundsätzlich als echte Dienstnehmer zu qualifizieren. Dennoch ist für Künstler eine Tätigkeit als Unternehmer denkbar. Sie müssen dazu eine eigene unternehmerische Infrastruktur besitzen, also zum Beispiel ein Büro, eine Homepage, einen Probenraum, ein Aufnahmestudio, eigene Instrumente und eigenes Equipment. Darüber hinaus sollten sie regelmäßig wechselnde Auftraggeber haben, künstlerische Gestaltungsfreiheit bei den Darbietungen genießen und bei eintägigen oder mehrtägigen geblockten Veranstaltungen auftreten.

(Quelle:https://www.wko.at/service/arbeitsrecht-sozialrecht/ArbeitsvertragfreierDienstvertragWerkvertrag-DierichtigeBesc.pdf, Seite 15)

Aus dem Zusammenhalt obiger Zitierungen ergibt sich ganz klar und eindeutig, dass ein und dieselbe Tätigkeit aus abgaben- und sozialversicherungsrechtlicher Sicht niemals zu trennen ist und somit rechtlich nur eine einheitliche Vorgangsweise gewählt werden darf.

Umso mehr verwundern die folgenden Ausführungen:

Der Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien erklärt in seiner Anfragebeantwortung 512/AB vom 18.05.2018 zu 520/J (XXVI.GP) betreffend die Vorwürfe gegen die Tiroler Festspiele Erl wie folgt:

Zu Frage 4:

Haben Sie zur Aufklärung der Vorwürfe weitere Unterlagen und Auskünfte angefordert oder werden Sie das tun?

Ja. So wurde u.a. eine Bestätigung darüber verlangt und auch erhalten, dass sämtliche arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Sachverhalte mit der Tiroler Gebietskrankenkasse, dem Finanzamt Kufstein Schwaz und der Finanzpolizei geklärt wurden.

Zu Frage 6:

Wurde seitens Ihres Ressorts eine arbeitsrechtliche und kollektivvertragliche Überprüfung der Dienstverträge hinsichtlich der Vorwürfe bezüglich Lohn- und Sozialdumpings vorgenommen? Wenn ja, mit welchem Ergebnis, wenn nein, warum nicht?

Dieses Thema war Gegenstand einer Diskussion in der letzten Vorstandssitzung. Tiroler Gebietskrankenkasse, Finanzamt Kufstein Schwaz und Finanzpolizei haben im März 2018 bestätigt, dass die Gebarung der Festspiele Erl vollinhaltlich den gesetzlichen Erfordernissen entspricht. Dazu darf auch auf die Beantwortung zu Frage 4 verwiesen werden.

Zu Frage 9:

Trifft es zu, dass im Dienstverhältnis beschäftigte MusikerInnen im selben Zeitraum auch gleichzeitig selbständig für die Tiroler Festspiele Erl tätig waren bzw. sind?

Es gibt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die gleichzeitig einen Dienst- und einen Werkvertrag haben, was mit der Tiroler Gebietskrankenkasse akkordiert wurde. Dieser Einigung folgend können 2/3 eines Künstlerhonorars als Dienstvertrag und1/3 als Werkvertrag ausbezahlt werden. So ist es möglich, die Künstlerinnen und Künstler vom ersten Probentag an bis zum letzten Vorstellungstag anzustellen. Der Werkvertrag deckt hierbei die Vorstellungen ab und wird - im Gegensatz zum Dienstvertrag - auch nur dann ausbezahlt, wenn die Künstlerin/der Künstler auch tatsächlich auftritt.

Aufgrund der Antwortschreiben von BM Mag. Gernot Blümel und BMin Mag.a Beate Hartinger-Klein zu den parlamentarischen Anfragen 520/J und 1012/J ergeben sich nunmehr unten stehende Fragen.

Die unterzeichneten Abgeordneten richten an den Finanzminister nachstehende:

Anfrage

1.   Wie viele GPLA-Prüfungen fanden im Zeitraum von 2009 bis 2019 bei den Tiroler Festspielen Erl statt? In welchem Verhältnis steht die Anzahl bzw. die Häufigkeit der Prüfungen im gegenständlichen Unternehmen zu Prüfungen bei anderen vergleichbaren Kultureinrichtungen?

2.   Wie viele der GPLA-Prüfungen wurden von Organen der Finanzverwaltung, wie viele von Organen der Gebietskrankenkasse durchgeführt?

3.   Wann und in welcher Form wurde seitens des zuständigen Finanzamtes der in den oben zitierten Anfragebeantwortungen angesprochenen Vorgangsweise zugestimmt?

Gibt es darüber schriftliche Unterlagen? Wenn ja, wurde die Aufteilung von einheitlichen Beschäftigungsverhältnissen sowohl von den zuständigen Organen der Finanzverwaltung als auch von der Gebietskrankenkasse „abgesegnet“?

4.   Welche Sachverhalte, die in der Folge zu Nachforderungen führten, wurden seitens der GPLA-Prüferlnnen bei den Tiroler Festspielen Erl insbesondere in den Jahren 2014 und 2017 aufgegriffen?

5.   Ist es richtig, dass im Jahr 2018 bei den Festspielen Erl eine GPLA-Nachprüfung durchgeführt und anschließend für das Jahr 2019 eine weitere Prüfung angekündigt wurde?[1]

-  Wenn ja, warum ist die Nachprüfung notwendig und was war der auslösende Grund dafür?

-  Wurde im Rahmen der GPLA-Prüfung 2018 das lt oben zitierten Anfragebeantwortungen erteilte „Zugeständnis“ widerrufen?

-  Kam es zu Nachforderungen aus dem Punkt der Aufteilung von einheitlichen Dienstverhältnissen? Wenn ja, in welcher Höhe?

-  Kam es zu Nachforderungen aus anderen Gründen? Wenn ja, warum und in welcher Höhe?

6.   Üblicherweise führen entweder Organe der Gebietskrankenkasse oder des Finanzamtes alleine für beide Behörden und für Zwecke der Kommunalsteuer die GPLA-Prüfung durch. Ist es richtig, dass - wie auf der Webseite www.dietiwag.org berichtet - im Jahr 2018 PrüferInnen beider Behörden gleichzeitig für denselben Zeitraum die Prüfung durchgeführt haben? Wenn ja, warum?

7.   Entspricht es den Tatsachen, dass die Festspiele Erl bis zur GPLA-Prüfung 2017 die überwiegende Anzahl der KünstlerInnen für denselben Zeitraum und dieselbe Tätigkeit zu zwei Drittel per Werkvertrag engagiert und zu einem Drittel per Dienstvertrag beschäftigt hat?

8.   Entspricht es den Tatsachen, dass nach der GPLA-Prüfung 2017 diese Regelung beibehalten, lediglich das Verhältnis umgekehrt wurde? Somit dieselbe Person zu zwei Drittel mit Dienstvertrag und zu einem Drittel mit Werkvertrag für denselben Zeitraum und dieselbe Tätigkeit im Einsatz war?

9.   Sollte Punkt 8. mit ja zu beantworten sein: Auf Grund welcher gesetzlichen oder verordnungsmäßigen Grundlagen erfolgte die Zustimmung der verantwortlichen Organe zu einem derartigen Zugeständnis?

10.  Die Sozialministerin bezieht sich in ihrer Anfragebeantwortung 995/AB zur gegenständlichen Causa auf Höchstgerichtsentscheidungen, die sie allerdings nicht konkretisiert. Sind Ihnen Gesetzesbestimmungen bzw. Verwaltungsgerichtshofentscheidungen bekannt, die oben problematisierte Vorgehensweise von Unternehmen mit ArbeitnehmerInnen, insbesondere KünstlerInnen, in abgaben- und sozialversicherungsrechtlichen Fragen rechtfertigen können?

11.  Wenn ja, bitte um konkrete Angabe der entsprechenden Gesetzesbestimmungen bzw. Judikatur.

12.  Vertreten Sie die Rechtansicht, dass ein Unternehmen/ein/e UnternehmerIn eine Person im gleichen Zeitraum für ein und dieselbe Tätigkeit zu zwei Drittel nichtselbständig (mit Dienstvertrag) und zu einem Drittel selbständig (mit Werkvertrag) beschäftigen darf?

13.  Wurden für die Jahre 2014 bis 2017 zusätzlich zu den abgaben- und beitragsrechtlichen Nachforderungen von der Finanzverwaltung oder der Krankenkasse auch Strafen verhängt?

Falls ja, in welcher Höhe und wurden diese auch eingehoben?

Falls nein, weshalb nicht?

14.  Ist Ihnen - wie auf dietiwag.org veröffentlicht – bekannt, ob Nach- bzw. Strafzahlungen aufgrund von Weisungen nicht oder teilweise nicht vorgeschrieben bzw eingehoben wurden?


15.  Falls eine Weisung erfolgt ist bzw. Ihnen bekannt ist, von wem wurde diese erteilt?

16.  Wie viele Verstöße gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz hat die Finanzpolizei (zuvor KIAB) seit ihrer Zuständigkeit in AuslBG Angelegenheiten bei den Tiroler Festspielen Erl zur Anzeige gebracht?

17.  Wie hoch sind die Beträge, die aufgrund von GPLA-Prüfungen bei den Festspielen Erl an Lohn- und Sozialabgaben (nach EStG, KommStG bzw ASVG) für die vergangenen zehn Jahre vorgeschrieben wurden?

18.  Die Tiroler Festspiele überweisen offensichtlich seit vielen Jahren Monat für Monat rund 15.000 Euro an das Orchester in Minsk als durchgängiges Jahressalär für ca 80 MusikerInnen (ca 180.000 Euro pro Jahr)- sollen lauf EStG und DBA 20 % Abzugsteuer an die Finanzverwaltung abzuführen sein.

Sind diese Abzugssteuern für beschränkt steuerpflichtige KünstlerInnen gesetzeskonform bis zum 15. des nächsten Monats an die Finanzverwaltung abgeführt worden oder wurden die entsprechenden Bestimmungen über Jahre hinweg nicht richtig angewendet?

19.  Hat sich ihrer Kenntnis nach die Handhabung der abgaben- und sozialrechtlichen Bestimmungen durch die Verantwortlichen der Festspiele Erl seit dem Bekanntwerden der Vorwürfe am Anfang des Jahres 2018 verändert?

Welche Maßnahmen wurden seitens des Finanzministeriums/der Finanzverwaltung gesetzt, um die zukünftige Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen zu gewährleisten?



 



[1] Vgl.: www.dietiwag.org