3805/J XXVI. GP

Eingelangt am 28.06.2019
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Univ.-Prof. Dr. Alfred J. Noll, Kolleginnen und Kollegen,
an den Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz betreffend die Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren und der Öffentlichkeit der in Aussicht stehenden Verhandlungstermine

Die Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen ist in Artikel 90 Abs 1 der österreichischen Bundesverfassung garantiert. Es besteht aber das praktische Problem, wie Dritte - also nicht am Verfahren beteiligte Parteien - von für sie interessanten Verhandlungen überhaupt Kenntnis erlangen können. Es gibt zwar im Internet bei einigen Gerichten online einsehbare „Verhandlungskalender“, in denen aber nicht alle, sondern nur vor allem für Journalisten interessante Verhandlungen angekündigt werden. Beim Landesgericht Eisenstadt gibt es so ein Verzeichnis nicht.

Das nunmehr dargestellte Beispiel zeigt jedoch, dass es für einen interessierten Laien zum Teil geradezu verunmöglicht wird, ihn interessierende Verhandlungen zu besuchen.

Herr S. ist Käufer eines VW und führt selbst wegen des „Diesel-Skandals“ gegen den Händler und gegen den Hersteller VW am Landesgericht Eisenstadt ein Verfahren auf Schadenersatz. Er ist daher daran interessiert, auch andere Verhandlungen gegen VW, so diese am Landesgericht Eisenstadt stattfinden, zu besuchen.

Herr S. hat zunächst persönlich bei verschiedenen Stellen des LG Eisenstadt versucht, Verhandlungstermine ua gegen die beklagten Parteien VW, Audi, Skoda oder SEAT herauszufinden.

In einem Schreiben vom 6.5.2019 an den Vizepräsidenten des LG Eisenstadt hält Herr S. seine Erfahrungen fest:

       Er wurde zwischen Einlaufstelle, Servicestelle und Abteilungen hin- und hergeschickt, ohne die gewünschte Auskunft zu erlangen.

       Er wurde mit folgenden Begründungen abgewiesen:

o    „Eine derartige Liste gibt es nicht!“

o    „Die Informationen liegen so nicht vor, die müsste man („manuell“) mühsam heraussuchen!“

o    Abteilung: „Die Gesamtübersicht (Zivil- und Strafsachen?) haben wir sowieso nicht, wenn dann hätten wir nur Informationen zu unseren Fällen (Zivilsachen?). Das müsste das Service-Center haben!?“

o    „Aufgrund des Datenschutzes können Sie sich die gewünschten Informationen natürlich nicht selber heraussuchen.“

       Ihm wurde ein Termin für eine Sammelklage des VKI gegen VW genannt, jedoch ein falscher Zeitpunkt (13.00 statt 9.00). Als er um 13.00 die Verhandlung besuchen wollte, wurde ihm nur mitgeteilt, dass diese bereits vorbei sei. Erst später musste er feststellen, dass um 13.00 sehr wohl eine

Verhandlung in einer Sammelklage gegen VW stattfand, jedoch bei dieser Verhandlung COBIN claims und nicht der VKI als Kläger auftrat.

In seinem Schreiben vom 6.5.2019 an den Vizepräsidenten des LG Eisenstadt ersucht er daher um Übermittlung einer Liste der für ihn interessanten Verfahren, insbesondere gegen VW als beklagter Partei.

In seiner eigenen mündlichen Verhandlung gegen VW am 10.5.2019 am LG Eisenstadt fühlte er sich von Seiten der zuständigen Richterin und dem Beklagtenvertreter dazu gedrängt, vor der Aufnahme von Vergleichsverhandlungen eine von der beklagten Partei vorbereitete „Geheimhaltungserklärung“ zu unterzeichnen. Im Rahmen dieser Verhandlung hat ihm die Richterin vorgehalten, dass er mit seinem Ersuchen an den Vizepräsidenten des LG Eisenstadt eine riesige Aufregung in der Abteilung hervorgerufen habe und es eine solche Liste nicht gäbe und er sie daher auch nicht ausgefolgt bekäme. Der Beklagtenvertreter griff das auf und bezeichnete Herrn S. als „mutwilligen Prozessierer“.

Am selben Tag (10.5.2019) teilte der Vizepräsident des LG Eisenstadt Herrn S. via E-Mail mit, dass er seine Anfrage an das Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz weitergeleitet habe.

In einem Schreiben vom 12.6.2019 teilt sodann der Präsident des LG Eisenstadt Herrn S. brieflich ua wie folgt die angebliche Ansicht des Ministeriums mit:

„Wenn vom Landesgericht Eisenstadt eine Liste aller Tagsatzungen im Zusammenhang mit dem „VW-Abgaskandal" samt Angabe der Prozessparteien gefordert wird, so wird das Wesen des Öffentlichkeitsgrundsatzes der Zivilprozessordnung verkannt. Die Öffentlichkeit im Sinne des § 191 Zivilprozessordnung (ZPO) dient der Sicherung der Objektivität und der Überprüfbarkeit der Rechtsprechung. Sie soll den Parteien ein faires Verfahren gewährleisten. Das Gesetz verpflichtet das Gericht jedoch nicht, die Ausschreibung zu einer mündlichen Verhandlung zur Verständigung bloß potentieller Zuhörer öffentlich bekannt zu machen. Es soll bloß jedermann, der an einer bestimmten öffentlichen Verhandlung teilnehmen will, bei Nachfrage Ort und Zeit der Verhandlung leicht feststellen können (siehe dazu Senstschmid in Fasching/Konecny, ZPO § 191 Rz 46).

Diese bedeutet, dass, sollten bereits konkrete Prozesse samt Prozessparteien bekannt sein, die Pflicht der Gerichte besteht, Tagsatzungentermine dieser Prozesse mitzuteilen. Ein Begehren um Auskunft aber, ob und welche Prozesse überhaupt anhängig sind, um erst in einem zweiten Schritt auch deren Termine zu erfahren, hat mit dem Öffentlichkeitsgrundsatz allerdings nichts zu tun. Die Angabe bloß einer Partei („ Beklagter ist WJ“) gemeinsam mit der vorgebrachten Vermutung, dass es „unzählige Verfahren am Landesgericht Eisenstadt“ gebe, erfüllt jedenfalls nicht das Kriterium, dass bereits konkrete Prozesse samt Prozessparteien bekannt sind.

 

§ 16 a Z 1 Gerichtsorganisationsgesetz (GOG) stellt es den Gerichten darüber hinaus frei, auf geeignete Weise einen Verhandlungsspiegel zu veröffentlichen, aus dem Ort, Zeit und Verfahrensgegenstand einer öffentlichen Verhandlung in bürgerlichen Rechtssachen ersichtlich sind. Das Veröffentlichen personenbezogener Daten, etwa der Name der Prozessparteien, z.B.im Internet, greift hingegen in das Grundrecht auf Datenschutz ein. Ob solche Verhandlungsspiegel überhaupt erstellt werden und in welcher Form sie veröffentlicht werden, bleibt der Entscheidung des jeweiligen Gerichtes überlassen. ...

Zusammengefasst kann das Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz jedenfalls keine rechtliche Verpflichtung erkennen, wie gewünscht, Verfahren mit bestimmten „ Themen“ zu veröffentlichen bzw in einem Verhandlungsspiegel zu identifizieren.“

Dagegen war es für Herrn S. kein Problem, auf dieselbe Frage an das Handelsgericht Wien von dessen Medienstelle eine ganze Reihe von Verhandlungsterminen mitgeteilt zu bekommen.

Die grundsätzliche Fragestellung, wie die Öffentlichkeit von sie interessierenden Verhandlungen überhaupt Mitteilung erlangen kann, ist bereits seit Jahren ein dem Ministerium bekanntes Problem (siehe Kurier 26.5.2017 „Justiz drückt sich vor Transparenz“). Der Kurier berichtet:

„Für den Verfassungsrechtsspezialisten Heinz Mayer ist sie "ein Skandal". Aus seiner Sicht könne der Datenschutz nie und nimmer als Vorwand genutzt werden, eine Verfassungsbestimmung auszuhebeln. „Die Öffentlichkeit ist ja als Kontrolle für die Justiz gedacht. “

„Der Präsident der österreichischen Rechtsanwaltskammer, Rupert Wolff, findet den Status quo eigenartig: „Das ist entweder eine Systemlücke oder eine gewollte Systemlücke“, findet er.“

„Auch der Präsident der österreichischen Richtervereinigung, Werner Zinkl, sieht Ungereimtheiten und Handlungsbedarf. Der Zugang müsse gewährleistet sein."

„Im Justizministerium war man sich des Problems bis zur Anfrage des KURIER
offenbar gar nicht bewusst. Nun stellt Sektionschef Christian Pilnacek klar: „Das Grundgesetz verlangt, dass es faktisch möglich sein muss, einer Verhandlung beizuwohnen. Dazu gehört auch, dass die Öffentlichkeit in der Lage ist, Informationen über Zeit und Ort der Hauptverhandlung zu erhalten und dass der Ort der Verhandlung für sie leicht zugänglich ist."

Demnach müssten auch Fragen nach Verhandlungen gegen bestimmte Personen beantwortet werden. Und wenn es für den Obersten Gerichtshof kein Problem sei, einen Verhandlungsspiegel auszuhängen, dann sollte das auch für die erste Instanz gelten. „Wenn es hieran gesetzlichen Grundlagen mangelt, wäre eine Klarstellung im Gerichtsorganisationsgesetz zu treffen“, kündigt Pilnacek nun an.“

Fortgesetzte Beschwerden und Medienberichte zeigen, dass die Öffentlichkeit an dieser Frage ein großes Bedürfnis nach Aufklärung hat.

Es wird daher hiermit an den zuständigen Bundesminister im Hinblick auf seine im StAG und BMG vorgesehene Aufsichtszuständigkeit in der oben bezeichneten Rechtssache die folgende

Anfrage

gerichtet:

1)    Ist die im Schreiben des Präsidenten des Landesgerichtes Eisenstadt an
Herrn S. übermittelte Ansicht des Ministeriums die aktuelle und offizielle Stellungnahme des Ministeriums zu dem Problem der Veröffentlichung von Verhandlungsterminen?

a. Wenn nein, wie lautet die Stellungnahme des Ministeriums tatsächlich?

2)    Ist in der Abkanzelung des Ansuchens von Herrn S. beim LG Eisenstadt in der eigenen mündlichen Verhandlung gegen VW (27 Cg 4/19k) ein Verstoß gegen das Datenschutzgesetz zu sehen?

a.    Steht das Verhalten der Richterin einer objektiven
Verhandlungsführung entgegen?

b.    Was werden Sie tun, um solche Verhandlungsführungen
hintanzuhalten?

3)    Was hat das Ministerium/Ihr Amtsvorgänger seit dem Bericht in der
Tageszeitung Kurier vom 26.5.2017 unternommen, um den aufgezeigten Missstand abzustellen bzw allenfalls gesetzliche Grundlagen dafür zu
erarbeiten, dass dieser Missstand generell und für alle Gerichte Österreichs behoben wird?

4)    Was wird der BM unternehmen, um dem Anliegen von Herrn S. zur Mitteilung
von Verhandlungsterminen gegen die beklagte Partei VW vor dem
Landesgericht Eisenstadt nachzukommen?