Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, das Verwaltungsstrafgesetz 1991 und das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz geändert sowie ein Bundesgesetz über die Europäische Ermittlungsanordnung in Verwaltungsstrafsachen erlassen werden

 

Vereinfachte wirkungsorientierte Folgenabschätzung

 

Einbringende Stelle:

Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz

Vorhabensart:

Bundesgesetz

Laufendes Finanzjahr:

2018

 

Inkrafttreten/

Wirksamwerden:

2018

 

Vorblatt

 

Problemanalyse

Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu erhalten und weiterzuentwickeln. Aus den Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates vom 15. und 16. Oktober 1999 in Tampere, insbesondere aus deren Nummer 33, geht hervor, dass eine verbesserte gegenseitige Anerkennung von Urteilen und anderen gerichtlichen Entscheidungen und die notwendige Annäherung der Rechtsvorschriften die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden verbessern und den Schutz der Rechte des Einzelnen durch die Justiz erleichtern würden. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung sollte daher zum Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen innerhalb der Union werden.

Nach Art. 82 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) beruht die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Union auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen.

Die Umsetzung dieses Grundsatzes beruht auf dem Grundgedanken, dass die Mitgliedstaaten gegenseitiges Vertrauen in ihre jeweilige Strafrechtspflege haben. Das Ausmaß des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung hängt von einer Reihe von Parametern ab; dazu gehören Mechanismen für den Schutz der Rechte von Verdächtigen und von beschuldigten Personen sowie gemeinsame Mindeststandards, die erforderlich sind, um die Anwendung dieses Grundsatzes zu erleichtern.

 

Ziel(e)

Schaffung von unionsweit einheitlichen Mindeststandards auf dem Gebiet der Verfahrensrechte von Beschuldigten in Verwaltungsstrafsachen und ein vereinfachtes und beschleunigtes Verfahren für die Erhebung von Beweismitteln in Fällen mit grenzüberschreitenden Bezügen in Verwaltungsstrafsachen innerhalb der Europäischen Union.

 

Inhalt

Das Vorhaben umfasst hauptsächlich folgende Maßnahme(n):

Umsetzung folgender Richtlinien:

-       2010/64/EU über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (in der Folge: Richtlinie Dolmetsch), ABl. Nr. L 280 vom 26.10.2010 S. 1,

-       2012/13/EU über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren (in der Folge: Richtlinie Rechtsbelehrung), ABl. Nr. L 142 vom 01.06.2012 S. 1,

-       2013/48/EU über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs (in der Folge: Richtlinie Rechtsbeistand), ABl. Nr. L 294 vom 06. 11.2013 S. 1,

-       2016/343/EU über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren (in der Folge: Richtlinie Unschuldsvermutung), ABl. Nr. L 65 vom 11.3.2016 S. 1,

-       2014/41/EU über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (im Folgenden: Richtlinie EEA), ABl. L 130 vom 1.5.2014, S. 1; L 143 vom 9.6.2015, S. 16,

durch     eine Änderung

-       des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991,

-       des Verwaltungsstrafgesetzes 1991

-       des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes,

sowie     durch die Erlassung

-       eines Bundesgesetzes über die Europäische Ermittlungsanordnung in Verwaltungsstrafsachen.

 

Finanzielle Auswirkungen auf den Bundeshaushalt und andere öffentliche Haushalte:

 

Durch die Umsetzung der Richtlinie Dolmetsch und der Richtlinie Rechtsbelehrung ist mit einem teilweise erhöhten Aufwand für Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen in Verwaltungsstrafverfahren zu rechnen, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Großteil der Garantien erst im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten gilt sowie Übersetzer und Dolmetscher erforderlichenfalls schon nach den geltenden gesetzlichen Vorgaben beizuziehen waren.

Im Verfahren vor den Verwaltungsstrafbehörden sollen wesentliche kostenrelevante Verfahrensrechte nicht im Fall von geringfügigen Verwaltungsdelikten gelten, sondern erst für solche, die mit einer Geldstrafe von über 7 500 Euro oder einer Freiheitsstrafe bedroht sind. Die Mehrzahl der in der Praxis verfolgten Verwaltungsübertretungen, insbesondere der zahlenmäßig größte Bereich des Verkehrsstrafrechts, ist damit von vornherein nicht erfasst. Mit Mehrkosten ist daher im Wesentlichen aus der künftig erforderlichen Übersetzung des Straferkenntnisses bzw. dessen wesentlichen Inhalts bei den angeführten schwereren Verwaltungsübertretungen zu rechnen. Pro Verfahren können durchschnittliche Übersetzungskosten von 80 Euro pro Straferkenntnis (basierend auf einem Zeilenhonorar für Fachübersetzungen von 2 Euro pro Zeile, wesentlichen Inhalten im Umfang von 1-2 Seiten à 25 Zeilen; für formelhaft wiederkehrende Textteile wie Rechtsmittelbelehrungen oder zT den Spruch können Übersetzungsbausteine verwendet werden) angenommen werden. Bei einer angenommenen Zahl von 7 000 solch hoher Verwaltungsstrafen pro Jahr (angenommen mit ca. 2% der jährlich erlassenen Straferkenntnisse; geschätzte Fallzahlen basieren auf den Daten erhoben von Wiederin, Die Zukunft des Verwaltungsstrafrechts, ÖJT 2006, Bd. III/1, S. 98 ff [S. 100]) ergeben sich zu erwartende Übersetzungsmehrkosten von insgesamt 560 000 Euro für die öffentlichen Haushalte.

Für die Verwaltungsgerichte sollten sich die Kosten im Hinblick darauf nicht wesentlich ändern, dass die Verwaltungsgerichte einerseits schon bisher die verwaltungsstrafrechtlich relevanten Garantien des Art. 6 (vgl. insb. Abs. 3 lit. a und e) EMRK einzuhalten hatten und andererseits Rechte der umzusetzenden RL ohnehin bereits jetzt als unmittelbar geltend anzunehmen waren und auch angenommen wurden (vgl. zB den Tätigkeitsbericht des LVwG Stmk 2014, S. 14).

Durch die Umsetzung der Richtlinie EEA wird die grenzüberschreitende Beweiserhebung in Verwaltungsstrafsachen innerhalb der Europäischen Union vereinfacht und beschleunigt. Vorgesehen ist ein einheitliches Verfahren unter Vorgabe von Fristen und unter Verwendung von Formularen. Da die Richtlinie EEA anordnet, dass die Entscheidung einer Verwaltungsbehörde, mit der eine Ermittlungsmaßnahme angeordnet werden soll, vor ihrer Übermittlung von einem Richter, einem Gericht, einem Ermittlungsrichter oder einem Staatsanwalt validiert werden muss (vgl. Art. 2 lit. c der Richtlinie EEA), sieht der vorliegende Entwurf eine Validierung (dh. die Prüfung, ob die Voraussetzungen für den Erlass der Europäischen Ermittlungsanordnung nach der Richtlinie EEA eingehalten worden sind) durch die Verwaltungsgerichte vor.

Die Verwaltungsstrafbehörden waren schon bisher aufgrund multi- bzw. bilateraler völker- und europarechtlicher Rechtsgrundlagen zur grenzüberschreitenden Amts- und Rechtshilfe (Amts- und Rechtshilfeverträge, Rechtshilfeübereinkommen) in einem im Wesentlichen gleichen Umfang verpflichtet. Künftig können grenzüberschreitende Verwaltungsstrafverfahren wesentlich effizienter und erfolgreicher durchgeführt werden als bisher. So entfällt durch die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung der Europäischen Ermittlungsanordnung bei den Verwaltungsstrafbehörden der oftmals sehr kosten- und zeitintensive Schriftverkehr mit den ausländischen Strafbehörden. Durch die Verwendung des in der Richtlinie EEA vorgesehenen einheitlichen Formulars (das in allen Amtssprachen zur Verfügung steht) sowie im Hinblick auf die zu erwartenden strafferen Verwaltungsabläufe kann der bei den Verwaltungsstrafbehörden anfallende Verwaltungsaufwand (insb. für Übersetzungen) erheblich reduziert werden. Der durch die Validierung der Europäischen Ermittlungsanordnung durch die Verwaltungsgerichte entstehende Aufwand ist im Rahmen von deren Personal- bzw. Sachaufwand zu bedecken. Schließlich ist davon auszugehen, dass die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung der Europäischen Ermittlungsanordnung zu einer wesentlichen Verbesserung der grenzüberschreitenden Verfolgung von Verwaltungsübertretungen beitragen und dadurch zu wesentlich höheren Strafgeldeinnahmen in solchen Fällen führen wird. Es ist daher davon auszugehen, dass die Umsetzung der Richtlinie EEA als solche weitgehend kostenneutral ist bzw. keine wesentlichen Mehrkosten verursacht.

Verhältnis zu den Rechtsvorschriften der Europäischen Union

Der Entwurf dient der Umsetzung der Richtlinien Dolmetsch, Rechtsbelehrung, Rechtsbeistand, Unschuldsvermutung und EEA.

 

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens

Gemäß Art. 136 Abs. 2 B-VG wird das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Verwaltungsgerichtes des Bundes für Finanzen durch ein besonderes Bundesgesetz einheitlich geregelt. Der Bund hat den Ländern Gelegenheit zu geben, an der Vorbereitung solcher Gesetzesvorhaben mitzuwirken. Dies ist im Rahmen einer Bund-Länder Arbeitsgruppe im Hinblick auf Art. 3 (Änderung des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes) erfolgt.

Zweidrittelmehrheit im Nationalrat im Hinblick auf vorgesehene Verfassungsbestimmung (Art. 4 § 3 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Europäische Ermittlungsanordnung in Verwaltungsstrafsachen).

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