Österreichischer Gehörlosenbund

Waldgasse 13/2

1100 Wien

E-Mail: info@oeglb.at

Web: www.oeglb.at

Mitgliedschaft beim World Federation of the Deaf

European Union of the Deaf

Österreichischer Behindertenrat

Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern

 

 

 

An das
Bundeskanzleramt

Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien

per e-mail: medienrecht@bka.gv.at

und

Präsidium des Nationalrates

per e-mail: begutachtungsverfahren@parlament.gv.at

                                                                                                                      Wien, 23. Mai 2019

 

 

Betrifft: Bundesgesetz, mit dem das Audiovisuelle Mediendienste-Gesetz geändert wird (AMD-G-Novelle); Begutachtung

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

der Österreichische Gehörlosenbund (ÖGLB) möchte die Möglichkeit wahrnehmen, eine Stellungnahme zum Begutachtungsentwurf abzugeben.

 

STELLUNGNAHME:

 

Gleichberechtigtes Leben setzt eine für alle Menschen gleichermaßen zugängliche Umwelt voraus. Dennoch ist Barrierefreiheit für gehörlose, hochgradig schwerhörige und taubblinde Menschen ein politisch bisher wenig beachtetes Thema. Wenn es um Barrierefreiheit geht, wird gemeinhin an Rampen oder Aufzüge für RollstuhlfahrerInnen gedacht. Zu einer zugänglichen, barrierefreien Umwelt gehören jedoch nicht nur bauliche Maßnahmen. Auch die Verfügbarkeit von Texten in leichter Sprache oder Braille-Schrift und Gebärdensprach-dolmetschung oder visuelle und taktile Kommunikationssysteme sind wichtige Voraussetzungen für Teilhabe und Inklusion.

 

Behindertengleichstellungsgesetz

 

Im § 6 (5) Barrierefreiheit ist folgendermaßen definiert:

„Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, System der Informationsverarbeitung sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind (…)“

 

 

 

UN-Behindertenrechtskonvention

 

Artikel 2 „Begriffsbestimmungen“ – es wird klargestellt, dass der Begriff „Sprache“ gesprochene Sprachen sowie Gebärdensprachen und andere nicht gesprochene Sprachen einschließt.

 

Artikel 21 „Recht der freien Meinungsäußerung, Meinungsfreiheit und Zugang zu Informationen“ – darin ist auch die Freiheit verankert, im Sinne des Artikels 2 die Form der Kommunikation frei wählen zu können. Für gehörlose, hochgradig schwerhörige und taubblinde Menschen bedeutet das, dass im Umgang mit Behörden die Verwendung der Gebärdensprache ermöglicht werden muss.

Ebenso ist im Artikel 21 verankert, dass Maßnahmen zur Zugänglichkeit von Information getroffen werden müssen. Die Vertragsstaaten müssen  private Rechtsträger die (auch über das Internet) Dienste für die Allgemeinheit anbieten,  dazu auffordern, Informationen und Dienstleistungen in Formaten zur Verfügung zu stellen, die für Menschen mit Behinderungen barrierefrei zugänglich und nutzbar sind. Das gilt auch für Massenmedien. Diese Regelung ist wichtig für die Forderung nach Untertitelung und Dolmetschereinblendungen im Fernsehen. Auch private Fernsehsender sind hier eingeschlossen.

In einem eigenen Absatz ist festgelegt, dass die Verwendung der Gebärdensprache  anzuerkennen und zu fördern ist.

 

Artikel 30 „Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport“ – der

Zugang zu Fernsehprogrammen, Filmen, Theatervorstellungen und anderen kulturellen Aktivitäten in barrierefreien Formaten wird vorgeschrieben. Menschen mit Behinderungen haben gleichberechtigt mit anderen Anspruch auf Anerkennung und Unterstützung ihrer spezifischen kulturellen und sprachlichen Identität, einschließlich der Gebärdensprache und der Gehörlosenkultur.

 

EU-Richtlinie über Audiovisuelle Mediendienste

 

In der EU-Richtlinie 2018/1808 zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU über audiovisuelle Mediendienste heißt es in den Begründungen:

 

(22) (…) Daher sollten die Mitgliedstaaten ohne unangemessene Verzögerung sicherstellen, dass sich die ihrer Rechtshoheit unterworfenen Mediendiensteanbieter aktiv darum bemühen, ihre Inhalte für Menschen mit Behinderungen, insbesondere für Menschen mit Seh- oder Hörstörungen, zugänglich zu machen. Die Anforderungen an die Barrierefreiheit sollten durch einen schrittweisen und fortlaufenden Prozess erfüllt werden, wobei praktische und unvermeidbare Einschränkungen, die beispielsweise im Fall von live übertragenen Sendungen oder Veranstaltungen eine vollständige Barrierefreiheit verhindern könnten, zu berücksichtigen sind. Um feststellen zu können, welche Fortschritte Mediendiensteanbieter dabei gemacht haben, ihre Dienste schrittweise für Menschen mit Seh- oder Hörstörungen zugänglich zu machen, sollten die Mitgliedstaaten die in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassenen Mediendiensteanbieter verpflichten, ihnen regelmäßig Bericht zu erstatten.

 

(23) Die Barrierefreiheit audiovisueller Mediendienste sollte gemäß der Richtlinie 2010/13/EU unter anderem durch Gebärdensprache, Untertitelung für Gehörlose und Schwerhörige, gesprochene Untertitel und Audiobeschreibung hergestellt werden. (…)

 

Artikel 7 enthält folgende Fassung:

 

„Artikel 7

(1)   Die Mitgliedstaaten sorgen ohne unangemessene Verzögerung dafür, dass der Zugang zu Diensten, die von ihrer Rechtshoheit unterworfenen Mediendiensteanbietern bereitgestellt werden, für Menschen mit Behinderungen durch geeignete Maßnahmen stetig und schrittweise verbessert wird.

 

(2)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Mediendiensteanbieter den nationalen Regulierungsbehörden oder -stellen regelmäßig über die Umsetzung der in Absatz 1 genannten Maßnahmen Bericht erstatten. Bis zum 19. Dezember 2022 und anschließend alle drei Jahre berichten die Mitgliedstaaten der Kommission über die Durchführung des Absatzes 1.

 

(3)   Die Mitgliedstaaten ermutigen die Mediendiensteanbieter, Aktionspläne für Barrierefreiheit zu erarbeiten, die auf eine stetige und schrittweise Verbesserung des Zugangs zu ihren Diensten für Menschen mit Behinderungen ausgerichtet sind. Jeder derartige Aktionsplan wird den nationalen Regulierungsbehörden oder -stellen übermittelt.

 

(4)   Jeder Mitgliedstaat legt eine einzige, auch für Menschen mit Behinderungen leicht zugängliche und öffentlich verfügbare Online-Anlaufstelle fest, über die Informationen bereitgestellt und Beschwerden entgegengenommen werden, die die in diesem Artikel genannten Fragen der Barrierefreiheit betreffen.

 

(5)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Notfallinformationen, einschließlich öffentlicher Mitteilungen und Bekanntmachungen im Fall von Naturkatastrophen, die der Öffentlichkeit mittels audiovisueller Mediendienste zugänglich gemacht werden, so bereitgestellt werden, dass sie für Menschen mit Behinderungen zugänglich sind.“

 

Artikel 30 enthält folgende Fassung:

 

„Artikel 30

(…)  (2)   Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die nationalen Regulierungsbehörden oder -stellen ihre Befugnisse unparteiisch und transparent und im Einklang mit den Zielen dieser Richtlinie — insbesondere Medienpluralismus, kulturelle und sprachliche Vielfalt, Verbraucherschutz, Barrierefreiheit, Diskriminierungsfreiheit, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes und Förderung eines fairen Wettbewerbs – ausüben. (…)“

 

Artikel 30b enthält folgende Fassung:

 

„Artikel 30b

(…) (3)   Die ERGA (Anm.: die Gruppe europäischer Regulierungsstellen für audiovisuelle Mediendienste) hat folgende Aufgaben:

 

(…) b) den Austausch von Erfahrungen und bewährten Verfahren in Bezug auf die Anwendung des Rechtsrahmens für audiovisuelle Mediendienste, einschließlich Barrierefreiheit und Medienkompetenz; (…)“

 

 

 

Zum konkreten Entwurf:

 

Im Jahr 2001 wurde das PrTV-G eingeführt, welches später in das AMD-G umbenannt wurde. Bis heute wurde und wird im Privatfernsehen (dazu zählen vor allem ATV, Puls 4 und Servus TV) keine Sendung mit Untertitelung oder Gebärdensprache ausgestrahlt. Die ausgestrahlten Informationssendungen über Tagespolitik in Österreich (Interviews, Wahlkämpfe, Wahlergebnisse usw.) sind für gehörlose, hochgradig schwerhörige und taubblinde Menschen nicht barrierefrei zugänglich.

Im § 30 Abs. 3 AMD-G findet sich nur eine vage Bestimmung:

 

„(3) Audiovisuelle Mediendienste sollen schrittweise für hör- und sehbehinderte Personen barrierefrei zugänglich gemacht werden.“

 

Die Barrierefreiheit war für den Privatfernsehen bisher nur freiwillig. Ab 2019 muss somit das Ziel sein, das AMD-G an die geänderte EU-Richtlinie anzupassen.

 

 

Der Österreichische Gehörlosenbund ersucht im Sinne der UN-Behindertenrechts-konvention, der EU-Richtlinie und des Bundesbehindertengleichstellungsgesetzes die umfassende Barrierefreiheit der audiovisuellen Mediendiensteanbietern österreichweit festzuschreiben.

 

Wir sind mit der Veröffentlichung unserer Stellungnahme einverstanden.

 

Mag.a Helene Jarmer e.h.

Präsidentin

 

Ing. Lukas Huber

Generalsekretär