1003/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 17.11.2020
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Henrike Brandstötter, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Anti-Fake-News Kampagne zur COVID-19-Pandemie

 

"Wir bekämpfen nicht nur eine Pandemie; wir bekämpfen eine Infodemie." Das sagte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2020. Fake News, Desinformation und Verschwörungstheorien hätten seit Beginn der COVID-19-Pandemie ein noch nie dagewesenes Ausmaß angenommen, dies unterminiere das Vertrauen in Gesundheitsorganisationen und -programme. https://www.thelancet.com/journals/laninf/article/PIIS1473-3099(20)30565-X/fulltext

In einer Studie, publiziert am 7. Oktober 2020 in "The American Journal of Tropical Medicine and Hygiene", berichteten Wissenschaftler_innen aus Indien, Australien und Thailand über die COVID-19-Infodemie und ihre Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit. https://doi.org/10.4269/ajtmh.20-0812 In einer globalen Social Media Analyse sammelten die Autor_innen Berichte über COVID-19 im Zeitraum zwischen 31. Dezember 2019 und 5. April 2020. Diese wurden in Kategorien eingeteilt: Gerüchte, also nicht verifizierte Behauptungen, die auf Online-Plattformen zirkuliert wurden; Stigma/Diskriminierung; und Verschwörungstheorien.

Im Rahmen der Studie wurden 2.311 Berichte in 25 Sprachen aus 87 Ländern identifiziert, die der COVID-19 Infodemie zuordenbar waren. Von diesen wurden 2.049 (89 Prozent) als Gerüchte klassifiziert, 182 (7,8 Prozent) waren Verschwörungstheorien und 82 (3,5%) waren Stigmatisierungen. Es wurden drei Wellen der Infodemie identifiziert, die erste zwischen 21. Jänner und 13. Februar, die zweite zwischen 14. Februar und 7. März und die dritte zwischen 8. und 31. März.

Die meisten Gerüchte bezogen sich auf die Erkrankung selbst, die Übertragungsroute, die Sterblichkeitsrate, die Infektionsvorbeugung und Kontrollmaßnahmen. Falschen Berichten zufolge sollten Knoblauch, Befeuchtung des Rachens, Vermeidung von scharfem Essen und Vitamin C bzw. D sowie das Versprühen von Chlor als Vorbeugung gegen COVID-19 wirksam sein. Mobiltelefone bzw. 5G seien für die Übertragung bzw. Schwere des Verlaufs von COVID-19 verantwortlich. Bleiche oder Alkohol zu trinken könne das Virus töten. Einigen Verschwörungstheorien zufolge, die zuerst in Russland, den USA, dem Iran, in China und Großbritannien zirkulierten und sich anschließend global verbreiteten, entstamme SARS-CoV-2 einem chinesischen Labor oder sei wahlweise von internationalen Geheimdiensten entwickelt worden, ein Impfstoff existiere bereits, die Pandemie sollte lediglich den Verkauf fördern. Was teilweise absurd klingt, hatte den Studienautor_innen zufolge teils dramatische Auswirkungen. Aufgrund der Falschinformation, Konsumation von hochkonzentriertem Alkohol könne SARS-CoV-2 töten, starben rund 800 Menschen, 5.876 wurden hospitalisiert und 60 erblindeten, nachdem sie Methanol zu sich nahmen. Ähnliche Gerüchte hatten 30 Todesfälle in der Türkei zur Folge. Stigmatisierung und Angst vor Diskriminierung hätten zudem möglicherweise zur Infektion im Gesundheitsbereich beigetragen. So hätten COVID-19 Infizierte ihre Symptome oder Kontakt mit dem Virus verschwiegen, bevor sie Krankenhäuser aufsuchten, was in Bangladesh dazu führte, dass Ärzt_innen diese Patient_innen mit minimaler Schutzausrüstung behandelten und sich so selbst ansteckten. Aus Angst vor Stigmatisierung könnten Personen zudem auf Screenings verzichten und die Krankheit weiterverbreiten.

In einer weiteren Studie, publiziert am 14. Oktober 2020 in "Royal Society Open Science", untersuchten Forscher_innen die Empfänglichkeit für COVID-19-Fake News in Großbritannien, Irland, den USA, Spanien und Mexiko. https://doi.org/10.1098/rsos.201199 Dieser Studie zufolge hielten 22–23 Prozent der Studienteilnehmer_innen in UK und den USA, 26 Prozent in Irland und 33 bzw. 37 Prozent in Mexiko und Spanien von den sieben präsentierten Verschwörungstheorien jene für am meisten plausibel, dass das Virus in einem Labor in Wuhan hergestellt worden sei. Obwohl nur 16 Prozent die Verschwörungstheorie rund um 5G und COVID-19 für verlässlich hielten, halten die Autor_innen fest, dass die Auswirkungen in der Realität trotz allem drastisch sein können, wie man an den brennenden 5G-Masten in UK unschwer erkennen kann. https://www.bbc.com/news/uk-england-derbyshire-52790399

Die Studienautor_innen stellten außerdem fest, dass Falschinformationen über COVID-19 auf Social Media mit einer höheren Empfänglichkeit für Desinformation assoziiert seien. Forscher_innen hatten bereits zuvor festgestellt, dass Fake News über COVID-19 ein "Metarisiko" darstellten, das beeinflusse, für wie gefährlich Menschen das Virus hielten. Dies hänge wiederum damit zusammen, inwiefern vorbeugendes Verhalten an den Tag gelegt werde (doi:10.1080/13669877.2020.1756385).
Zusammenfassend hielten die Studienautor_innen Folgendes fest: Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen Empfänglichkeit für Desinformation und einer reduzierten Wahrscheinlichkeit, sich an die Gesundheitsmaßnahmen zu halten sowie einer Unsicherheit, sich impfen zu lassen.

Negative Auswirkungen der Verbreitung von Verschwörungstheorien und Fake News auf die Kontrolle des Infektionsgeschehens stellte auch der Bürgermeister der Mitte Oktober unter Quarantäne gestellten Tennengauer Gemeinde Kuchl in einem Interview mit Ö1 fest. Teile der Bevölkerung verweigerten dort jegliche Zusammenarbeit mit den Behörden. Verantwortlich machte er dafür unter anderem Verschwörungstheorien in den sozialen Medien.

Es wäre jedoch falsch, sich in diesem Zusammenhang nur auf Fake News und Verschwörungstheorien zu konzentrieren. Seit Beginn der Pandemie wurde eine schier unglaubliche Zahl wissenschaftlicher Arbeiten auf sogenannten Pre-Print Servern ohne vorherige Peer Review publiziert. Medien, die diese Publikationen ohne kritische Einordnung übernehmen, tragen ihr Übriges zur Verbreitung von wissenschaftlich nicht gesicherten Informationen bei, während gefährliches Halbwissen, etwa über die falsch-Positivrate bei PCR-Testergebnissen oder die Wirksamkeit von Mund-Nase-Schutzmasken zu großer Verunsicherung - auch in der österreichischen Bevölkerung - führten.

Dass Social Media jedoch auch als Korrektiv für Falschinformationen dienen kann, zeigt eine weitere Studie. Nutzer_innen der Plattformen können zum Beispiel ermutigt werden, falsche oder irreführende Gesundheitsinformationen zu widerlegen und geeignete Quellen für diese Widerlegung zur Verfügung gestellt bekommen. https://doi.org/10.1080/10410236.2017.1331312

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG


Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz und der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, wird aufgefordert, mit geeigneten Einrichtungen oder Organisationen in Kontakt zu treten, um eine Kampagne bzw. Strategie zu entwickeln, mithilfe derer die Bevölkerung aktiv und in geeigneter Form über Fake News und Verschwörungstheorien zu COVID-19 aufgeklärt wird."


In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Gesundheitsausschuss vorgeschlagen.