1171/A(E) XXVII. GP
Eingebracht am
11.12.2020
Dieser Text wurde elektronisch
übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Reinhold Lopatka, Martin Engelberg, Michel Reimon,
Carmen Jeitler-Cincelli
Kolleginnen und Kollegen
betreffend die Situation in Äthiopien
Anfang November eskalierten die Spannungen zwischen der äthiopischen Zentralregierung und der Tigray People’s Liberation Front (TPLF), Regierungspartei in der nördlichen Region Tigray und ehemals politisch dominierende Kraft in der bis 2019 regierenden Parteienkoalition EPRDF. Beide Seiten werfen sich vor, einen militärischen Konflikt provoziert zu haben. Es kam zu Militäroperationen der föderalen Streitkräfte auf Stellungen von TPLF-Truppen und Angriffe der TPLF auf föderale Stellungen und Einheiten in der Region, auf Ziele in der Nachbarregion Amhara sowie Raketenangriffe auf die eritreischen Hauptstadt Asmara. In Tigray wurde der Ausnahmezustand ausgerufen.
Der äthiopische Premierminister Abiy Ahmed verkündete Ende November die Übernahme der Kontrolle über die Regionalhauptstadt Mek’ele durch die föderalen Streitkräfte und die Operationen für beendet. Am 2. Dezember wurde zwischen der äthiopischen Regierung und den Vereinten Nationen eine Vereinbarung getroffen, welche den Vereinten Nationen humanitären Zugang zur Konfliktregion einräumt. Trotz allem wird von anhaltenden Kämpfen in Teilen Tigrays berichtet. Auch soll der Zugang für die Bereitstellung humanitärer Hilfe für die betroffene Zivilbevölkerung auf Gebiete unter föderaler Kontrolle beschränkt sein.
In einem Monat hat der Konflikt tausende Zivilisten getötet, verwundet und vertrieben. Schon vor dem Ausbruch der Kämpfe waren rund 600.000 Menschen in Tigray auf humanitäre Hilfe angewiesen. Mangels unzureichend funktionierender Kommunikationssysteme und Unzugänglichkeit der Region ist es weiterhin schwierig, Angaben zu Konfliktverlauf und Opferzahlen zu verifizieren. Laut Angaben von Amnesty International sollen bei einem Überfall auf die Stadt Mai-Kadra am 9. November zahlreiche Zivilisten getötet worden sein. Tausende Äthiopierinnen und Äthiopier sind seit Ausbruch der Kämpfe geflüchtet, laut UNHCR 40.000 in den benachbarten Sudan. Besorgniserregend ist das Schicksal von rund 96.000 eritreischen Flüchtlingen in Camps im umkämpften Gebiet im Norden von Tigray, deren Versorgungslage seit Ausbruch der Kämpfe ungewiss ist.
Premierminister Abiy Ahmed hat bislang alle internationalen Aufrufe zur Beendigung der Kampfhandlungen und Vermittlungsangebote durch die Afrikanische Union zurückgewiesen. Der Konflikt in Tigray hat Potential, die ethnischen Spannungen in anderen Regionen wie Oromia oder Amhara weiter anzuheizen. Ein sich ausbreitender Konflikt könnte die gesamte Stabilität Äthiopiens gefährden, und in weiterer Folge zu einer Destabilisierung am Horn von Afrika führen.
Seit dem Jahr 2003 verzeichnet Äthiopien ein permanentes Wirtschaftswachstum und viele Entwicklungsfortschritte, besonders bei der Armutsminderung sowie Verbesserungen in den Sektoren Bildung und Gesundheit. Österreich und die Europäische Union als bedeutender multilateraler Partner Äthiopiens leisten hierfür seit Jahrzehnten sehr wertvolle entwicklungspolitische Beiträge. Seit 1993 ist Äthiopien Schwerpunktland der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Das österreichische Engagement konzentriert sich vor allem auf nachhaltige Reduktion von Armut in den Schwerpunktbereichen Stärkung von Resilienz und inklusive Regierungsführung mit besonderer Berücksichtigung der Verbesserung der Rolle von Frauen und Mädchen. Die ADA unterstützt den innerstaatlichen Reformprozess und hilft, die Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern. Auch viele österreichische zivilgesellschaftliche Organisationen sind im Land tätig und werden von der österreichischen EZA mit Ko-finanzierungen unterstützt.
Seit Beginn des österreichischen Engagements wurden knapp EUR 155 Mio. an ODA Leistungen in Äthiopien erbracht. Erst kürzlich wurden aus dem Auslandskatastrophenfonds (AKF) EUR 4 Mio. für ein Konsortialprogramm österreichischer NGOs in Ostafrika bereitgestellt. Fokus des Programmes ist die Eindämmung der COVID 19 Pandemie und deren Folgen. Diese Ausschüttung, so wie alle Ausschüttungen aus dem AKF, werden vom Ministerrat beschlossen. Die jeweiligen Ministerratsvorträge werden vom Bundeskanzler, dem Vizekanzler und Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport sowie dem Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten eingebracht, da es sich bei der Humanitären Hilfe um ein gesamtstaatliches Anliegen handelt. Gerade da Äthiopien ein langjähriges Schwerpunktland der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit ist und als solches weitergeführt wird, ist auf eine rasche, friedliche und nachhaltige Beilegung des Konflikts hinzuwirken.
Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehenden
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten, wird ersucht, sich auf bilateraler Ebene und im Verbund mit den EU-Partnern weiterhin für eine sofortige Deeskalation und Einstellung der Kampfhandlungen in der Region Tigray, die Einhaltung des Völkerrechts, insbesondere des humanitären Völkerrechts, zum Schutz der Zivilbevölkerung sowie für eine unabhängige Aufklärung von Vorwürfen von Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht und Menschenrechtsverletzungen einzusetzen. Die entsprechenden Vermittlungsbemühungen der Afrikanischen Union sollen unterstützt werden, um ein Abgleiten des Landes in eine umfassendere Krise und negative Auswirkungen auf die Integrität und Stabilität Äthiopiens und der gesamten Region zu verhindern.
Zudem wird die Bundesregierung ersucht, sich bilateral und gemeinsam mit ihren EU-Partnern dafür einzusetzen, dass der Schutz und die Versorgung der betroffenen Zivilbevölkerung rasch sichergestellt werden, und in diesem Sinne humanitären Hilfsorganisationen sofort und ungehinderter Zugang zur Bevölkerung in allen von den Kämpfen betroffenen Gebieten der Region gewährt und Versorgungskorridore geöffnet werden. Zudem sollen bestehende österreichische Bemühungen im Bereich der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit in Äthiopien als Schwerpunktland weiterverfolgt werden.
Darüber hinaus wird die Bundesregierung ersucht, sich in konzertierter Weise mit der EU und anderen internationalen Partnern dafür einzusetzen, dass es rasch zur Rückkehr zu einem umfassenden und inklusiven nationalen Dialog, einschließlich der Abhaltung von freien, fairen und glaubwürdigen Wahlen in Äthiopien, kommt.“
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Außenpolitischen Ausschuss vorgeschlagen.