1218/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 14.01.2021
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Abschaffung der staatsanwaltschaftlichen Berichtspflichten in clamorosen Fällen

 

§ 8 Abs 1 StAG legt bestimmte Berichtspflichten für die Staatsanwaltschaft fest. Dies bedeutet, dass in den dort genannten Fällen die Sachbearbeiter_innen ihre Fälle nicht selbst erledigen können, sondern von sich aus den Oberbehörden zu ihren jeweiligen Vorhaben (Festnahmen, Einvernahmen, Anklage, Einstellung, ...) berichten müssen. Die Oberbehörden (OStA, sowie die Weisungsabteilung im BMJ) können dann den Vorhabensbericht "zur Kenntnis nehmen", was einer Genehmigung des Vorhabens entspricht, oder aber mittels Weisung eine andere Vorgangsweise anordnen. Zu einer Weisung im formellen Sinn kommt es freilich selten, zumal diese auch gem. § 29a Abs 3 StAG dem Nationalrat zu berichten sind. Viel häufiger sind sogenannte "Dienstbesprechungen", in welchen dann den jeweiligen Sachbearbeiter_innen die "Rechtsansicht" der Oberbehörde mitgeteilt wird. Dass diese informellen Gesprächsrunden in der Praxis quasi Weisungscharakter entfalten und sich damit mit dem rechtsstaatlichen Prinzip der Bundesverfassung nur schwer vertragen, ist hinlänglich bekannt. Neben solchen Dienstbesprechungen gibt es aber auch andere Mittel und Wege, die jeweiligen Sachbearbeiter_innen auf Linie zu bringen. So werden Anordnungen mit Weisungscharakter (um Weisungen im formellen Sinn handelt es sich dabei freilich nicht) durch Anforderung von Ergänzungsberichten in Verbindung mit Anmerkungen, wie eine Sache bevorzugt zu erledigen sei, versehen, um damit aufzuzeigen, welches Verhalten seitens der Fachaufsicht gewünscht ist. Andererseits kann die Berichtspflicht auch zur systematischen Verlangsamung oder auch Lenkung eines Ermittlungsverfahrens führen. So zum Beispiel, wenn über nahezu jeden Ermittlungsschritt ein Bericht angefordert wird oder bereits im Vorhinein festgelegt wird, welche Ermittlungsschritte zu berichten sind.

So wurde mittels Anfragebeantwortung der Justizministerin 771/AB mitgeteilt, dass sich im Extremfall die Anzahl der fachaufsichtlichen Prüfer_innen in berichtspflichtigen Verfahren auf bis zu acht (!) Personen (exklusive Befassung des Weisungsrates) beläuft, welche in einem jeweils eigenen Schritt Berichte zu prüfen haben bzw. können. Die damit verbundene enorme Dauer eines solchen Prozesses liegt auf der Hand. Gerade in komplizierteren Causen scheint zudem eine eingehende Prüfung durch derart viele Personen schon aus zeitlichen Gründen quasi ausgeschlossen, was auch die Sinnhaftigkeit derartiger Berichtspflichten in rechtlich unproblematischen Fällen in Frage stellt. So ist zum Beispiel unerklärlich, wie leitende Beamte im BMJ, wie zum Beispiel eine Sektionschefin oder ein Leiter einer OStA, die Zeit finden sollen, sich mit der Beweiswürdigung oder auch einzelnen detaillierten Rechtsfragen ausgiebig auseinanderzusetzen. Dies gilt umso mehr in Großverfahren, die oft weit über tausend Seiten Aktenstudium erfordern, um sich ein genaues Bild über die Lage verschaffen zu können. 

Diese auch zeitliche Komponente der fachaufsichtlichen Prüfung stellt gerade im Zusammenhang mit dem Beschleunigungsgebot (§ 9 StPO) ein Problem dar, zumal dieses als einfachgesetzliche Anordnung grundrechtlicher Vorgaben ein unbedingtes Muss des Strafprozesses darstellt. Desgleichen erscheint es auch vor dem Hintergrund des Gebots der Sparsamkeit in der Verwaltung sinnwidrig, in rechtlich unproblematischen Fällen, die sich lediglich durch die Beteiligung einer "Person des öffentlichen Interesses" auszeichnen, eine (oder gar mehrere) zusätzliche bürokratische "Schleifen" einzuziehen.

In Verfahren, die keiner Berichtspflicht unterliegen, sieht das Bild hingegen wesentlich anders aus. Hier wird bei Staatsanwält_innen mit mehr als fünf Dienstjahren im Falle der Anklage grundsätzlich gar keine weitere Prüfung durchgeführt. Wenn doch – einer internen Usance folgend – eine Prüfung stattfindet, so wird diese von der Gruppenleitung durchgeführt. Es wird eine Anklage in weniger clamorosen Fällen, also maximal von einer weiteren Person, geprüft. Inwiefern jedoch bei clamorosen, rechtlich aber im Grunde unproblematischen Fällen derartige Berichtspflichten der „Qualitätssicherung“ dienen sollen, ist nicht klar. An dieser Stelle bringt das aktuelle System der fachaufsichtlichen Prüfung die Gefahr einer Zweiklassenjustiz mit sich, in welcher prominenten Persönlichkeiten noch eine „politische Ehrenrunde“ vergönnt wird, während der gemeine Bürger bzw. die gemeine Bürgerin schon längst auf der Anklagebank sitzt.

Anstatt der Implementierung zweier verschiedener Modi der Strafverfolgung - eine für Prominente und eine für Normalbürger_innen - kann lediglich eine einheitliche Rechtsanwendung Sinn und Zweck staatsanwaltschaftlicher Berichterstattung sein. Daher soll dieser Antrag die Berichtspflicht in rechtlich unklaren Fällen (vorerst) auch weiterhin aufrecht erhalten, um erst nach weiterer Evaluierung einen nächsten Schritt in Richtung unabhängige Ermittlungsbehörde zu gehen.

Die Berichterstattung vom 13.1.2021 in „Der Standard“, „Profil“ und „ZiB2“, wonach das Justizministerium und die OStA Wien dem Ibiza-Untersuchungsausschuss Beweismittel vorenthalten haben, nährt die gehegten Zweifel an der unbefangenen Vorgehensweise der Oberstaatsanwaltschaft Wien unter der Leitung von Mag. Johann Fuchs, als für die Aktenlieferung an den Untersuchungsausschuss zuständige Stelle.

Die in den Medienberichten genannten E-Mails und Aktenstücke zeigen, dass Sektionschef Pilnacek offenbar die Unwahrheit gesagt hat, als er im Untersuchungsausschuss behauptete, er habe erst nach der Hausdurchsuchung bei Thomas Schmid von dieser erfahren. In Wahrheit belegt ein Memo, dass er bereits vier Tage davor wusste, dass eine Hausdurchsuchung geplant ist. Neben anderen zur neuen Aktenlage widersprüchlichen Aussagen vonseiten Pilnaceks, hat auch Oberstaatsanwalt Fuchs bei der Befragung im U-Ausschuss offenbar die Unwahrheit gesagt, was die Frage nach politischen Einflussnahmen auf die mit dem „Ibiza“-Komplex verbundenen Strafverfahren betrifft. Die neuesten Erkenntnisse erhärten auch darüber hinaus den Verdacht, dass die Berichte nur dazu dienen, über geplante geheime Ermittlungsschritte informiert zu werden, was die Gefahr des Verrates mit sich bringt.

Der vorliegende Initiativantrag wird als notwendig empfunden, um nach vielfachen Debatten um die Unabhängigkeit der Justiz eine systemische Verbesserung vorzunehmen. In die Reihe aktueller medialer Berichte zu äußerst merkwürdigen Vorgängen innerhalb der Strafverfolgungsbehörden (Stichwort "daschlogts es"), reiht sich auch das Stelldichein prominenter Persönlichkeiten bei Sektionschef Pilnacek, während sie als Beschuldigte in einem der bedeutendsten Strafverfahren der zweiten Republik geführt werden. Zahlreiche Bürger_innen, welchen derartige Mittel und Wege naturgemäß verwehrt bleiben, fragen sich bei solchen Ereignissen zurecht, ob in Strafverfahren alle vor dem Gesetz gleich sind (d.h. ob Art 7 B-VG universelle Geltung für alle in der Republik Österreich lebenden Menschen beansprucht). Es gilt daher in Strafverfahren, ähnlich dem in § 3 StPO verbürgten Objektivitätsgebot, bereits jeden Anschein einer Befangenheit zu vermeiden. Eine Abschaffung der Berichtspflicht "von sich aus" in clamorosen Fällen ist hier ein erster Schritt in diese Richtung.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG




Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesministerin für Justiz wird aufgefordert, dem Nationalrat ehestbaldig einen Gesetzesvorschlag zuzuleiten, mit dem die staatsanwaltlichen Berichtspflichten in Fällen, in denen bloß aufgrund der Funktion des/der Verdächtigen im öffentlichen Leben ein öffentliches Interesse besteht, abgeschafft wird."


In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Justizausschuss vorgeschlagen.