1268/A XXVII. GP
Eingebracht am 04.02.2021
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möglich.
Antrag
gem. § 75 Abs. 1 GOG-NR
der Abgeordneten KO Herbert Kickl, Dr. Susanne Fürst
und weiterer Abgeordneter
betreffend Ministeranklage gemäß Art. 142 Abs. 2 lit. b B-VG wider den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober
Vor nunmehr knapp zehn Monaten rief die Bundesregierung den „Corona-Ausnahmezustand“ aus. Seit diesem ersten „Lockdown“ ab 16. März 2020 kam es zu einer noch nie dagewesenen Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte. Die Bundesregierung hat sich dafür in unzähligen, zum Großteil kurzfristig „durchgepeitschten“ Gesetzesanträgen eine Fülle an Verordnungsermächtigungen geschaffen. Dabei wurden konstruktive Beiträge von Parlamentariern zum Gesundheitsschutz und zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit schlicht übergangen.
Auch Einwände des Verfassungsgerichtshofes, der bis dato eine Vielzahl an Maßnahmen rückwirkend für gesetzwidrig erkannt hat, wurden ignoriert. Die parlamentarische Kontrolle wurde durch die regelmäßigen Sammelgesetze mit unzusammenhängenden Materien, kurzfristiger oder völlig fehlender Begutachtungszeit sowie Änderungen in den letzten Minuten unverhältnismäßig erschwert.
Wenn aber Regierende mit dem Argument des Gesundheitsschutzes tagtäglich individuelle Rechte einschränken, braucht es eine laufende Überprüfung und eine gelebte Debatte über die Zweckmäßigkeit, zeitliche Angemessen- und Verhältnismäßigkeit jeder einzelnen Maßnahme. Statt sich dieser Debatte zu stellen, zog sich die Bundesregierung auf den Standpunkt der Alternativlosigkeit ihrer exzessiven Maßnahmen zurück und ließ jede evidenzbasierte Überprüfung außen vor. Das Behaupten einer angeblichen Alternativlosigkeit durch die Regierung und das Ablehnen begleitender Kontrollmaßnahmen wurden daher zu Recht nicht nur von der Opposition, sondern auch von einer Vielzahl an Experten öffentlich kritisiert.
Rechtsstaat bedeutet, dass der Mensch nur dem Recht, nicht aber der Willkür der Machthabenden unterworfen ist. Der demokratische Rechtsstaat beruht auf der persönlichen Freiheit der Bürger, dem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren und der Begrenzung des Handelns der Machthaber.
Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, Rudolf Anschober, hat entgegen diesen Grundsätzen seine Amtstätigkeit nicht nur besonders sorglos, sondern auch schuldhaft und rechtswidrig ausgeführt, indem er insbesondere folgende freiheitsbeschränkende Maßnahmen gesetzwidrig anordnete:
· Rechtswidrige Verordnungen: Bundesminister Anschober verordnete wiederholt Ausgangsbeschränkungen, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen des § 5 COVID-19-Maßnahmengesetz nicht vorlagen. Die Österreicherinnen und Österreicher wurden somit von Bundesminister Anschober rechtswidrig und ohne gesetzliche Grundlage in ihrer Freiheit eingeschränkt.
Rudolf Anschober hat sohin als Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch die in den Verordnungen des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung einer Notsituation auf Grund von COVID-19 getroffen werden (2. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung – 2. COVID-19-NotMV, StF: BGBl. II Nr. 598/2020, geändert mit BGBl. II Nr. 2/2021 und BGBl. II Nr. 17/2021; 3. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung – 3. COVID-19-NotMV StF: BGBl. II Nr. 27/2021; 4. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung – 4. COVID-19-NotMV StF: BGBl. II Nr. 49/2021) normierte Anordnung, dass das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zwecken zulässig ist, den durch die einfachgesetzliche Ermächtigung des § 5 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), verlautbart durch BGBl. I Nr. 12/2020, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 104/2020, eingeräumten Rahmen in rechtswidriger Weise schuldhaft überschritten.
Auf Grund der vorliegenden Rechtsverletzung stellen die unterfertigten Abgeordneten den folgenden
Antrag
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Der Nationalrat erhebt gegen Bundesminister Rudolf Anschober Anklage gemäß Art. 142 B-VG und legt ihm folgendes zur Last:
Rudolf Anschober hat als Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch die in den Verordnungen des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung einer Notsituation auf Grund von COVID-19 getroffen werden (2. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung – 2. COVID-19-NotMV, StF: BGBl. II Nr. 598/2020, geändert mit BGBl. II Nr. 2/2021 und BGBl. II Nr. 17/2021; 3. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung – 3. COVID-19-NotMV StF: BGBl. II Nr. 27/2021; 4. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung – 4. COVID-19-NotMV StF: BGBl. II Nr. 49/2021) normierte Anordnung, dass das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zwecken zulässig ist, den durch die einfachgesetzliche Ermächtigung des § 5 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), verlautbart durch BGBl. I Nr. 12/2020, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 104/2020, eingeräumten Rahmen in rechtswidriger Weise schuldhaft überschritten, eine gesetzwidrige Verordnung erlassen und verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte unrechtmäßig eingeschränkt.
Bundesminister Rudolf Anschober hat dadurch eine schuldhafte Rechtsverletzung gemäß Art 142 Abs 1 B-VG begangen.
Unter Anwendung des Art 142 Abs 4 B-VG ist Bundesminister Rudolf Anschober seines Amtes als Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz mit sofortiger Wirkung zu entheben, wobei folgender Schriftsatz beantragt wird:
„An den
Verfassungsgerichtshof
Freyung 8
1010 Wien
Ankläger: Nationalrat
Dr.-Karl-Renner-Ring 3
1017 Wien
vertreten durch: Dr. Susanne Fürst
gemäß § 72 Abs 2 VfGG
Angeklagter: Rudolf
Anschober
Bundesminister
für
Soziales,
Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz
Stubenring 1
1010 Wien
wegen: Art. 142 Abs 1 und Abs 2 lit b B-VG
ANKLAGE
gemäß Artikel 142 B-VG
2-fach
beglaubigte Abschrift des Protokolls der Sitzung des Nationalrats
Der Nationalrat erhebt gegen Bundesminister Rudolf Anschober
ANKLAGE
gemäß Art. 142 B-VG und legt ihm folgendes zur Last:
Es hat Bundesminister Rudolf Anschober
durch die in den Verordnungen des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung einer Notsituation auf Grund von COVID-19 getroffen (2. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung – 2. COVID-19-NotMV, StF: BGBl. II Nr. 598/2020, geändert mit BGBl. II Nr. 2/2021 und BGBl. II Nr. 17/2021; 3. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung – 3. COVID-19-NotMV StF: BGBl. II Nr. 27/2021; 4. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung – 4. COVID-19-NotMV StF: BGBl. II Nr. 49/2021) normierte Anordnung, dass das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zwecken zulässig ist, den durch die einfachgesetzliche Ermächtigung des § 5 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), verlautbart durch BGBl. I Nr. 12/2020, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 104/2020, eingeräumten Rahmen in rechtswidriger Weise schuldhaft überschritten, eine gesetzeswidrige Verordnung erlassen und verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte unrechtmäßig eingeschränkt.
Bundesminister Rudolf Anschober hat dadurch eine schuldhafte Rechtsverletzung gemäß Art 142 Abs 1 B-VG begangen.
Unter Anwendung des Art 142 Abs 4 B-VG ist Bundesminister Rudolf Anschober seines Amtes als Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz mit sofortiger Wirkung zu entheben.
Dem beigelegten beglaubigten Protokoll zu entnehmenden Beschluss des Nationalrates gemäß Art 76 Abs 2 B-VG wurde die Erhebung der gegenständlichen Anklage gemäß Art 142 B-VG beschlossen und der umseits ausgewiesene Vertreter gemäß § 72 Abs 2 VfGG bestellt.
Es werden sohin folgende
ANTRÄGE
gestellt:
Der Verfassungsgerichtshof möge
1. gemäß §§ 19 und 75ff VfGG, nach Abschluss der Voruntersuchung gem. § 74 VfGG, eine mündliche Verhandlung anordnen und
2. gemäß Art 142 Abs 1 iVm Art 142 Abs 4 B-VG feststellen,
dass Rudolf Anschober als Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch die in den Verordnungen des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung einer Notsituation auf Grund von COVID-19 getroffen werden (2. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung – 2. COVID-19-NotMV, StF: BGBl. II Nr. 598/2020, geändert mit BGBl. II Nr. 2/2021 und BGBl. II Nr. 17/2021; 3. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung – 3. COVID-19-NotMV StF: BGBl. II Nr. 27/2021; 4. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung – 4. COVID-19-NotMV StF: BGBl. II Nr. 49/2021) normierte Anordnung, dass das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zwecken zulässig ist, den durch die einfachgesetzliche Ermächtigung des § 5 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), verlautbart durch BGBl. I Nr. 12/2020, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 104/2020, eingeräumten Rahmen in rechtswidriger Weise schuldhaft überschritten, eine gesetzeswidrige Verordnung erlassen und verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte unrechtmäßig eingeschränkt hat.
3. Rudolf Anschober daher gemäß Art 142 Abs 4 B-VG seines Amtes als Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz mit sofortiger Wirkung entheben.
Begründung:
I. Sachverhalt
1. Mit Bundesgesetzblatt 12/2020 vom 15.03.2020 wurde das Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Errichtung des COVID-19-Krisenbewältigungsfonds (COVID-19-FondsG) und ein Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz) erlassen sowie das Gesetzliche Budgetprovisorium 2020, das Bundesfinanzrahmengesetz 2019 bis 2022, das Bundesgesetz über die Einrichtung einer Abbaubeteiligungsaktiengesellschaft des Bundes, das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz, das Arbeitsmarktservicegesetz und das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz geändert werden (COVID-19 Gesetz), verlautbart.
2. Mit Artikel 8 des COVID-19 Gesetzes wurde das Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz) erlassen.
3. Mit Bundesgesetzblatt 104/2020 vom 25.09.2020 wurde das Bundesgesetz, mit dem das Epidemiegesetz 1950, das Tuberkulosegesetz und das COVID-19-Maßnahmengesetz geändert werden, verlautbart.
4. Das COVID-19-Maßnahmengesetz sieht in § 5 eine Ermächtigung zum Erlass von Verordnungen vor, durch die der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz anordnen kann, dass das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zwecken zulässig ist, sofern es zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 unerlässlich ist, um einen drohenden Zusammenbruch der medizinischen Versorgung oder ähnlich gelagerte Notsituationen zu verhindern, und Maßnahmen gemäß den §§ 3 und 4 nicht ausreichen.
5. Der Angeklagte erließ auf Grundlage der §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 und 5 Abs. 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl. I Nr. 12/2020, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 104/2020, sowie des § 15 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl. Nr. 186/1950, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 136/2020, im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats Verordnungen des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung einer Notsituation auf Grund von COVID-19 getroffen werden (2. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung – 2. COVID-19-NotMV, StF: BGBl. II Nr. 598/2020, geändert mit BGBl. II Nr. 2/2021 und BGBl. II Nr. 17/2021; 3. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung – 3. COVID-19-NotMV StF: BGBl. II Nr. 27/2021; 4. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung – 4. COVID-19-NotMV StF: BGBl. II Nr. 49/2021).
Die Ausgangsregelung in § 1 COVID-19-Maßnahmengesetzes lautet wie folgt:
(1) Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 und zur Verhinderung eines Zusammenbruchs der medizinischen Versorgung sind das Verlassen des eigenen privaten Wohnbereichs und der Aufenthalt außerhalb des eigenen privaten Wohnbereichs nur zu folgenden Zwecken zulässig:
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1. |
Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum, |
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2. |
Betreuung von und Hilfeleistung für unterstützungsbedürftige Personen sowie Ausübung familiärer Rechte und Erfüllung familiärer Pflichten, |
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3. |
Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens, wie insbesondere |
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a) |
der Kontakt mit |
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aa) |
dem nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden Lebenspartner, |
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bb) |
einzelnen engsten Angehörigen (Eltern, Kinder und Geschwister), |
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cc) |
einzelnen wichtigen Bezugspersonen, mit denen in der Regel mehrmals wöchentlich physischer Kontakt oder nicht physischer Kontakt gepflegt wird, |
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b) |
die Versorgung mit Grundgütern des täglichen Lebens, |
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c) |
die Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen oder die Vornahme einer Testung auf SARS-CoV-2 im Rahmen von Screeningprogrammen, |
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d) |
die Deckung eines Wohnbedürfnisses, |
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e) |
die Befriedigung religiöser Grundbedürfnisse, wie Friedhofsbesuche und individuelle Besuche von Orten der Religionsausübung, sowie |
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f) |
die Versorgung von Tieren, |
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4. |
berufliche Zwecke und Ausbildungszwecke, sofern dies erforderlich ist, |
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5. |
Aufenthalt im Freien alleine, mit Personen aus dem gemeinsamen Haushalt oder Personen gemäß Z 3 lit. a zur körperlichen und psychischen Erholung, |
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6. |
zur Wahrnehmung von unaufschiebbaren behördlichen oder gerichtlichen Wegen, einschließlich der Teilnahme an öffentlichen Sitzungen der allgemeinen Vertretungskörper und an mündlichen Verhandlungen der Gerichte und Verwaltungsbehörden zur Wahrung des Grundsatzes der Öffentlichkeit, |
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7. |
zur Teilnahme an gesetzlich vorgesehenen Wahlen und zum Gebrauch von gesetzlich vorgesehenen Instrumenten der direkten Demokratie, |
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8. |
zum Zweck des zulässigen Betretens von Kundenbereichen von Betriebsstätten oder des zulässigen Erwerbs vorbestellter Waren gemäß den §§ 5, 7 und 8, bestimmten Orten gemäß den §§ 9, 10 und 11 sowie Einrichtungen gemäß § 15 Abs. 1 Z 1 und 2, und |
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9. |
zur Teilnahme an Veranstaltungen gemäß den §§ 12 und 13. |
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(2) Zum eigenen privaten Wohnbereich zählen auch Wohneinheiten in Beherbergungsbetrieben sowie in Alten-, Pflege- und Behindertenheimen.
(3) Kontakte im Sinne von Abs. 1 Z 3 lit. a und 5 dürfen nur stattfinden, wenn daran
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1. |
auf der einen Seite Personen aus höchstens einem Haushalt gleichzeitig beteiligt sind und |
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2. |
auf der anderen Seite nur eine Person beteiligt ist. |
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II. Rechtliche Beurteilung
Zur Zuständigkeit
1. Gemäß Art 142 Abs 1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Anklage, mit der die Verantwortlichkeit der obersten Bundes- und Landesorgane für die durch ihre Amtstätigkeit erfolgten schuldhaften Rechtsverletzungen geltend gemacht wird.
Gemäß Art 142 Abs 2 lit b B-VG kann Anklage gegen die Mitglieder der Bundesregierung durch Beschluss des Nationalrates erhoben werden.
Gemäß Art 142 Abs 4 B-VG hat das verurteilende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes auch den Amtsverlust auszusprechen.
2. Die Zuständigkeitsbereiche der obersten Staatsorgane sind in der Bundesverfassung erschöpfend geregelt (VfSlg 1454). Bezüglich der Bundesregierung trifft Art 69 Abs 1 B-VG die Anordnung, dass mit den obersten Verwaltungsgeschäften des Bundes, soweit diese nicht dem Bundespräsidenten übertragen sind, der Bundeskanzler, der Vizekanzler und die übrigen Bundesminister betraut sind. Der den Mitgliedern der Bundesregierung übertragene Wirkungsbereich umfasst somit ausschließlich Akte der staatlichen Verwaltung. Unter dem Begriff "Amtstätigkeit" der Mitglieder der Bundesregierung kann daher nur die Besorgung der Geschäfte der obersten Bundesverwaltung verstanden werden.
Zum Begriff der Geschäfte der obersten Bundesverwaltung, die durch die Mitglieder der Bundesregierung zu besorgen sind, ergibt sich aus § 2 Abs 3 Bundesministeriengesetz 1986, dass darunter Regierungsakte, Angelegenheiten der behördlichen Verwaltung oder der Verwaltung des Bundes als Träger von Privatrechten zu verstehen sind. Demnach zählen zu den Geschäften der obersten Bundesverwaltung sämtliche nicht der Gerichtsbarkeit zuzuzählende Vollzugsakte, die durch die Bundesverfassung oder durch die einfache Gesetzgebung nicht anderen Organen, seien es oberste oder nachgeordnete, zur Besorgung zugewiesen sind.
3. Voraussetzung einer Anklage vor dem Verfassungsgerichtshof ist ferner eine schuldhafte Rechtsverletzung durch den betreffenden Organwalter. Damit wird jede Form der Schuld, also Vorsatz, grobe und auch leichte Fahrlässigkeit, erfasst. Bei Mitgliedern der Bundesregierung und diesen gleichgestellten Organwaltern muss es sich um Gesetzesverletzungen handeln, die der betreffende Organwalter durch seine Amtstätigkeit begangen hat.
Zur Rechtswidrigkeit der Verordnung
1. Die Erlassung einer Verordnung ist eine Amtstätigkeit im Sinne des Art 142 Abs 1 B-VG.
2. Kern der rechtsstaatlichen Komponente der verfassungsrechtlichen Grundordnung ist das Legalitätsprinzip. Es besagt in der Formulierung des Art 18 Abs 1 B-VG, dass die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden darf. Ausnahmen vom Legalitätsprinzip bedürfen einer expliziten verfassungsrechtlichen Regelung.
Art 18 Abs 2 B-VG normiert ausdrücklich, dass jede Verwaltungsbehörde im Rahmen ihrer (gesetzlich geregelten) Zuständigkeit Verordnungen erlassen kann, dies jedoch nur auf Grund der Gesetze.
3. § 5. COVID-19-Maßnahmengesetz regelt, dass durch Verordnung angeordnet werden kann, dass das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zwecken zulässig ist, sofern es zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 unerlässlich ist, um einen drohenden Zusammenbruch der medizinischen Versorgung oder ähnlich gelagerte Notsituationen zu verhindern, und Maßnahmen gemäß den §§ 3 und 4 nicht ausreichen.
4. Mit dem COVID-19-Maßnahmengesetz wurde der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz somit ermächtigt, Verordnungen zu erlassen, mit denen er das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zwecken anordnen kann.
5.
Die Verhängung von Ausgangsregelungen hat
zwei Voraussetzungen:
Einerseits muss es zur Verhinderung eines drohenden Zusammenbruchs der
medizinischen Versorgung oder einer ähnlich gelagerten Notsituation
unumgänglich sein und andererseits dürfen Maßnahmen
gemäß den §§ 3 und 4 nicht ausreichen.
6. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz als Verordnungsgeber muss somit, um gesetzeskonform Ausgangsregelungen anordnen zu können, konkret darlegen, dass der Zusammenbruch der medizinischen Versorgung oder eine ähnlich gelagerte Notsituation droht und dass Regelungen betreffend des Betretens und Befahrens von Betriebsstätten und Arbeitsorten sowie Benutzen von Verkehrsmitteln gemäß § 3 COVID-MaßnahmenG bzw. Regelungen betreffend des Betretens und Befahrens von bestimmten bzw. öffentlichen Orten gemäß § 4 COVID-MaßnahmenG tatsächlich nicht ausreichen.
7. Aufgrund der tagesaktuell auf einem sogenannten „Dashboard“ der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (AGES) online veröffentlichen Daten ist erkennbar, dass die Zahl der Hospitalisierungen auf Normal- und Intensivstation seit Ende November 2020 stetig fallen und mit Stand 03.02.2021 im Vergleich zum Höchststand 24.11.2020 mehr als halbiert waren. Die absoluten täglichen Fallzahlen, sowie die 7-Tages-Inzidenz sowie die 14-Tages-Inzidenz bewegen sich aktuell (Stand 03.02.2021) unter dem Niveau der Zahlen vor dem Inkrafttreten des als solchen bezeichneten „Lockdown lights“ Anfang November 2020. Ein drohender Zusammenbruch der medizinischen Versorgung ist somit nicht gegeben.
8. Am 31.01.2021 gab Bundeskanzler Kurz darüber hinaus bekannt, dass Österreich aufgrund ausreichender Kapazitäten Intensivpatienten aus Portugal aufnehmen wird und bereits bisher in der Pandemie Intensivpatienten aus Frankreich, Italien sowie Montenegro aufgenommen hat. Ein drohender Zusammenbruch der medizinischen Versorgung kann auch aus diesem Grund wohl ausgeschlossen werden.
9. Eine konkrete Darlegung, weshalb Maßnahmen nach §§ 3 und 4 nicht ausreichend seien, um einen drohenden Zusammenbruch der medizinischen Versorgung zu unterbinden wurde nicht nur fahrlässig, sondern, wie beispielsweise aus der aktuelle Risikoeinschätzung der Corona-Kommission des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz vom 28. Jänner 2021 hervorgeht, durch den Angeklagten vorsätzlich unterlassen:
Aktuelle Risikoeinschätzung der Corona-Kommission vom 28. 01.2021:
„Bei den populationsbezogenen Schutzmaßnahmen handelt es sich um komplexe Public Health Interventionen – es können keine Rückschlüsse hinsichtlich der Auswirkung von Schutzmaßnahmen auf einzelne Personen getroffen werden.
Es kann kein Rückschluss auf die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen gezogen werden, da davon auszugehen ist, dass diese in Wechselwirkung zu einander stehen und sich in ihrer Wirkung gegenseitig beeinflussen.“
10. Diese gesundheitspolitische Einschätzung vermag nicht zu heilen, dass die durch die erlassene Verordnung angeordneten Ausgangsbeschränkungen durch das Gesetz nicht gedeckt sind.
11. Verlassen des verfassungsrechtlichen Rahmens:
Wird in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen, hat zwingend immer eine Interessensabwägung zwischen widerstreitenden Interessen zu erfolgen.
Diese Verhältnismäßigkeitsprüfung hat immer konkret alle vorhandenen Entscheidungsgrundlagen aufzuarbeiten und die Angemessenheit des zu erreichenden Ziels und den Grundrechtsbeschränkungen anhand einer auf transparenten Daten und Fakten beruhenden Interessensabwägung zu überprüfen, wobei immer zwingend auch die Frage der gelinderen Alternative darzulegen ist.
Maßnahmen, die in Grundrechte eingreifen, müssen immer geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein.
Auch in diesem Sinne hat der Angeklagte schuldhaft unterlassen, darzulegen, welche konkreten Auswirkungen die erlassenen Ausgangsbeschränkungen auf die Zahlen der Hospitalisierung im Intensivbereich ergeben und in welchem Verhältnis diese Auswirkung mit der Einschränkung der persönlichen Freiheit jedes einzelnen Bürgers steht.
12. Der Angeklagte hat durch Erlassung der genannten Verordnung schuldhaft gegen die ihm im COVID-19-Maßnahmengesetzes eingeräumte Verordnungsermächtigung verstoßen. Dadurch hat der Angeklagte auch das Legalitätsprinzip gemäß Art 18 B-VG gröblich missachtet und gegen tragende verfassungsrechtliche Grundsätze verstoßen.
Zum Verschulden
1. Der Angeklagte handelte bei den durch seine Amtstätigkeit erfolgen Rechtsverletzungen ohne Zweifel schuldhaft iSd Art 142 Abs 1 B-VG.
2. Dem Angeklagten steht ein fachkundiger Beraterkreis zur Verfügung. Er kann mit dessen Hilfe die Gesetzeskonformität von Verordnungen prüfen lassen.
3. Der Angeklagte kann sich auch nicht auf einen Rechtsirrtum berufen. Wegen Rechtsirrtums handelt nämlich nur der nicht schuldhaft, dem der Irrtum nicht vorzuwerfen ist. Dies kann der Angeklagte aber für sich nicht ins Treffen führen. Er ist jedenfalls dazu verpflichtet, sich mit den einschlägigen Vorschriften bekannt zu machen (vgl. § 9 Abs. 2 StGB; VfGH vom 28.6.1985, E2/84).
4. Der Angeklagte hat die Stammfassung der Verordnung in Kraft belassen und durch die Novellen verlängert, obwohl er wiederholt durch verschiedene fachlich versiertere Personen sowie durch Mitglieder des Nationalrates auf die grobe (Verfassungs-)Rechtswidrigkeit hingewiesen wurde.
5. Dass die Verordnung in Folge (mehrfach) geändert wurde, vermag an der Verantwortung des Angeklagten nichts zu ändern. Es handelt sich um schlichte Tätigkeitsdelikte, die mit Kundmachung abgeschlossen sind.
6. Das Handeln des Angeklagten ist daher zumindest grob fahrlässig, wenn nicht sogar vorsätzlich. Der Umstand, dass die Verordnung mit allen anderen Regierungsmitgliedern akkordiert war (Spiegelung von Vorlagen) exkulpiert den fachzuständigen Minister nicht.
7. Auch der Umstand, dass diese Verordnung und die dazu ergangenen Änderungen im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates erfolgten, ändert nichts an der Rechtsverletzung des Angeklagten. Der Hauptausschuss des Nationalrates vermag nicht, die gesetzliche Grundlage und in diesem Sinne, die gesetzliche Verordnungsermächtigung zu ändern.
8. Der Angeklagte hat durch Erlassung der genannten Verordnung schuldhaft gegen die ihm in § 5 Abs. 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes BGBl. I Nr. 12/2020, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 104/2020 eingeräumte Verordnungsermächtigung verstoßen.
Zur Strafe
Die Sanktion der Enthebung des Amtes ist in Art 142 B-VG ausdrücklich als Folge eines Schuldspruches - somit der Feststellung der verschuldeten Rechtsverletzung - vorgesehen.
Dem beigelegten beglaubigten Protokoll zu entnehmenden Beschluss des Nationalrates gemäß Art 76 Abs 2 B-VG wurde die Erhebung der gegenständlichen Anklage gemäß Art 142 B-VG beschlossen und der umseits ausgewiesene Vertreter gemäß § 72 Abs 2 VfGG bestellt.“
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Verfassungsausschuss vorgeschlagen.