1420/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 24.03.2021
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Sofortmaßnahmen zum Schutz der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen während und nach Corona

 

Kinder und Jugendliche leiden besonders stark unter den Maßnahmen zur Eindämmung der Coronakrise, das zeigen die Zustände in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sehr deutlich. Während seit Monaten schärfste Maßnahmen durchgesetzt werden, um eine Triagierung auf den Intensivstationen von Spitälern zu verhindern, ist die Triage in der Kinder- und Jugendpsychiatrie nämlich längst Realität. Das AKH berichtet von deutlich mehr, deutlich akuteren und schwer ausgeprägten Fällen, von mehr Essstörungen, Suizidgedanken und Suizidversuchen bei Kindern und Jugendlichen. Die Altersgruppe der 8-12-Jährigen weise schwere depressive Symptomatik auf, so Univ.-Prof. Paul Plener, Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie am AKH.1 Eine Vielzahl an Studien belegen mittlerweile, wovor viele Expert_innen und Kinderrechtsorganisationen seit dem ersten Lockdown warnen: massive negative psychische Auswirkungen durch Isolation, den Mangel positiver Erlebnisse und das Wegbrechen des sozialen und familiären Umfelds sowie die ständige Ungewissheit und mangelnde Zukunftsperspektiven von Kindern, Jugendlichen und junge Erwachsenen.

Die Hamburger COPSY-Studie2 aus Deutschland zeigt aktuell, dass fast jedes dritte Kind mittlerweile unter psychischen Auffälligkeiten leidet, zehnmal mehr Kinder als noch vor der Krise machen mittlerweile überhaupt keinen Sport mehr, Ängste und Sorgen sind bis zum Jahresbeginn 2021 massiv gestiegen. Diese Zahlen belegen eine Katastrophe, wir können es uns nicht leisten, die Krise der Kinder- und Jugendgesundheit weiterhin in den Schatten der Coronakrise zu stellen. An dem Punkt, an dem wir uns jetzt befinden, sind die ersten nachhaltigen Schäden für die psychische und physische Gesundheit unserer Kinder sowie Bildungslücken bereits evident. Der Krise der Kinder- und Jugendgesundheit muss umgehend aktiv entgegengesteuert werden. Wo, wenn nicht hier, sollte das bedingungslose Motto heißen: koste es, was es wolle – und zwar wirklich.

 

https://wien.orf.at/stories/3087068/

2 https://www.uke.de/kliniken-institute/kliniken/kinder-und-jugendpsychiatrie-psychotherapie-und-psychosomatik/forschung/arbeitsgruppen/child-public-health/forschung/copsy-studie.html

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG




Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Frauen, Familie, Jugend und Integration, der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz und der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, wird aufgefordert, das Kindeswohl bei der Bewältigung der Coronakrise an erste Stelle zu stellen und Vorschläge zur Umsetzung folgender Maßnahmen in enger Zusammenarbeit vorzulegen:

1. Schaffung von ausreichend Therapie- und Betreuungsplätzen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie

Es müssen umgehend die notwendigen Therapie- und Betreuungsplätze in der Kinder- und Jugendpsychiatrie geschaffen werden, damit jedes Kind und jede_r Jugendliche sofort die angemessene Hilfe erhält, die er oder sie braucht. Die akute Krisensituation verschärft jedoch nur einen Mangel, der bereits vorher bestand. Es braucht im niedergelassenen Bereich und hier insbesondere in ländlichen Gebieten dringend mehr Kinderärzt_innen und Fachpersonal in der Kinder- und Jugendmedizin, auch in unterschiedlichen Sprachen. 

2. Aufwertung und finanzielle Absicherung der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit

Die außerschulische Kinder- und Jugendarbeit leistet im Alltagsleben der Betroffenen das, was die Politik nicht kann. Die Mitarbeiter_innen leisten Hilfe vor Ort, oft in mobiler Form oder im Rahmen von Parkbetreuung, sodass Kinder und Jugendliche mit familiären-, schulischen-, Suchtproblemen und vielen anderen Herausforderungen direkte Ansprechpersonen haben, die ihnen Hilfe, Rat und Schutz bieten. Diese außerschulische Jugendarbeit ist chronisch unterfinanziert und unterbesetzt, es braucht hier eine dauerhafte finanzielle Absicherung von Seiten der jeweiligen Gemeinden und Bundesländer sowie einen deutlichen Ausbau und Anreize, um in diesem Bereich tätig zu sein.

3. Hervorheben der Kinder- und Jugendhilfe als erste Anlaufstelle bei psychischen und physischen Gefahren für Kinder und Jugendliche

Die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe sind zwar durch Hotlines, E-Mail-Postfächer und persönliche Betreuung sehr umfassend, aber leider nicht ausreichend bekannt. Sie müssen im medialen Diskurs hervorgehoben werden; so wie die Corona-Hotline 1450 müssen die Notfallnummern für Kinder und Jugendliche bekannt gemacht werden. Nur so kann auch gewährleistet werden, dass die breiten Angebote der Kinder- und Jugendhilfe auch dort ankommen, wo sie gebraucht werden.

4. Abhaltung eines Gesundheitsgipfels zu Kinder- und Jugendgesundheit im Gesundheitsministerium

Um die massive Gesundheitskrise im Kinder- und Jugendbereich einzudämmen, braucht es spätestens im Frühjahr, aber so früh wie möglich, einen Gipfel im Gesundheitsministerium, an dem Expert_innen der Kinder- und Jugendmedizin, der Kinder- und Jugendhilfe, die Vertreter_innen der Parlamentsparteien, der Kinder- und Jugendanwaltschaft, Bildungsexpert_innen sowie Eltern und Kinder und Jugendliche selbst teilnehmen, um ihre Einsichten und Erfahrungen der letzten Monate zu teilen und in den verschiedensten Bereichen Strategien und Lösungsansätze aus der Krise der Kinder- und Jugendgesundheit zu finden. Dabei ist es wichtig, diese Lösungsansätze nicht vom Verlauf der Corona-Pandemie abhängig zu machen und dort, wo notwendig, alle erforderlichen Mittel (Tests, Masken etc.) zur Verfügung zu stellen, um diese Strategien planungsgemäß umzusetzen. Kinder und Jugendliche müssen gleichwertig an erster Stelle mit den Risikogruppen der Corona-Pandemie stehen.

5. Schulen auch im Home-Schooling als Frühwarnsysteme nutzen

Werden Schulen krisenbedingt geschlossen oder in den Schichtbetrieb versetzt, hält das Lehrpersonal weiterhin regelmäßigen Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen und zwar in Form eines persönlichen Gespräches per Telefon oder via Internet. Dadurch bleibt der direkte Zugang zu den Kindern und Jugendlichen aufrecht und es kann leichter erkannt werden, wenn Kinder und Jugendliche unter Problemen leiden. Sind Kinder und Jugendliche über eine Woche nicht erreichbar, wird automatisch eine präventive Meldung an die jeweilige Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung erstattet. Im Zuge der Wiederöffnung der Schulen muss das Lehrpersonal im besonderen Maße auf etwaige Verhaltensänderungen der Schüler_innen im Vergleich zur Zeit vor den Schul-Lockdowns achten und im Falle von negativen Veränderungen umsichtig und entsprechend reagieren.

6. Verstärkter Einsatz von psychologischem Personal in Schulen und Kindergärten zur Aufarbeitung der Nebeneffekte der Corona-Krise

Kinder- und Jugendpsycholog_innen werden nach der Wiederöffnung von Schulen und Kindergärten vor Ort sein, um aktiv in den Klassen und Kindergruppen Sensibilisierungs- und Aufklärungsgespräche zu den Auswirkungen der Corona-Krise zu führen, Fragen zu beantworten und jenen Kindern und Jugendlichen weitere Hilfe zukommen zu lassen, die aktiv ansuchen oder Anzeichen psychischer Belastung, Vernachlässigung oder Gewalt aufweisen. Dieses Angebot muss niederschwellig und flächendeckend für alle Kinder und Jugendlichen, egal welchen Alters, zur Verfügung stehen, die Hilfe benötigen.

7. Informationen zur Sensibilisierung des Lehr- und Kindergartenpersonals

Das Lehr- und Kindergartenpersonal wird, z.B. in Form eines Handouts, von den zuständigen Behörden über die möglichen Auswirkungen der Corona-Krise auf die psychische und physische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen informiert. Dadurch sollen Anzeichen psychischer oder physischer Gewalt leichter erkannt und das Lehr- und Kindergartenpersonal im Umgang mit diesen Themen unterstützt werden.

8. Betreuungs– und Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche in den Sommerferien

Die Regierung muss bereits frühzeitig Konzepte vorlegen, die die verlässliche Betreuung von Kindern und Jugendlichen über die Sommermonate ermöglichen. Nach einem Jahr Coronakrise, vielen Monaten im Home-Schooling und dem Verzicht auf soziale und familiäre Kontakte außerhalb der eigenen vier Wände muss Kindern und Jugendlichen im Sommer dringend psychische und physische Erholung ermöglicht werden. Das Betreuungsangebot muss daher sowohl spielerische Aktivitäten, Unternehmungen und Bildungsangebote enthalten, die es den Kindern und Jugendlichen innerhalb ihrer Peer-Group ermöglichen, Stress, Angst und Überlastungsgefühle des vergangenen Jahres abzubauen. Daher sollen in Kleingruppen auch Ausflüge und andere Freizeitbetätigungen während der Sommerferien für Kinder und Jugendliche organisiert und gefördert werden, z.B. nach Vorbild des alljährlichen Ferienpasses.

9. Zukunft fördern – Investitionen tätigen

Es ist unbedingt notwendig, die vor der Krise geplanten Investitionen für Schulen mit besonderen Herausforderungen rasch umzusetzen. Die sozialen, personellen und bildungsbezogenen Herausforderungen wurden durch die Krise verschärft, benachteiligte Kinder und Jugendliche sowie deren Familien stehen noch schlechter da. Die Kinder und Jugendlichen, die nach der Wiederöffnung der Schulen wieder im Klassenzimmer sitzen, haben monatelange Ausgangsbeschränkungen, Bildungsentgang, soziale Isolation und nicht selten familiäre Belastungen hinter sich. Selbst wenn viele von ihnen auf die Unterstützung der Eltern beim Lernen und Aufgaben machen zählen können, ist das längst nicht in allen Haushalten möglich und Eltern können pädagogisch geschultes Lehrpersonal natürlich nicht ersetzen. Es braucht daher dringend die Umsetzung bereits geplanter und zusätzlicher Investitionen im Bildungsbereich und somit in unsere Kinder und unsere Zukunft."


In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Gesundheitsausschuss vorgeschlagen.