1428/A(E) XXVII. GP
Eingebracht am 24.03.2021
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind
möglich.
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen
betreffend Reform der Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung
Die wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen haben auch sozialpolitische Paradigmen in Europa verändert. Moderne Politikkonzepte verstehen die Elemente aktiver und passiver Arbeitsmarktpolitik nicht als getrennte Systeme sondern vielmehr als interagierende Mechanismen (Hemerick 2017). Eine Reform der Arbeitsmarktpolitik muss immer Maßnahmen der aktiven und der passiven Arbeitsmarktpolitik umfassen, um zu einem nachhaltigen und ausbalancierten Ergebnis zu kommen. Die Ausgestaltung von Leistungen der Arbeitslosenversicherung ist eine zentrale Frage, wenn es darum geht, Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, einerseits angemessen sozial abzusichern, andererseits diese Personen auch wieder rasch in Beschäftigung zu bringen und die Dauer der Arbeitslosigkeit kurz zu halten.
Ziel ist es, den Versicherten Werkzeuge in die Hand zu geben, die es ihnen ermöglichen, ein eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Leben zu führen. Das bedeutet, dass die Zeiten von Arbeitslosigkeit möglichst kurz sein sollten, um die negativen sozialen Folgen, aber auch die negativen Auswirkungen auf die Arbeitsmarktchancen der Betroffenen zu reduzieren. Gerade im Hinblick auf die Dauer der Leistungen der Arbeitslosenversicherung ergibt sich für Österreich ein interessantes Bild: Ein europäischer Vergleich zeigt, das die österreichische Ausgestaltung von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung nicht den europäischen Standards und vor allem nicht sozioökonomisch sinnvollen Konzepten entspricht (siehe Grafik 1).
Grafik 1: Arbeitslosengeld im zeitlichen Verlauf in Europäischen Ländern 2018 (In Prozent des Letzteinkommens)

(Quelle: https://data.oecd.org/benwage/benefits-in-unemployment-share-of-previous-income.htm)
Zu dieser Grafik inhaltlich zu ergänzen ist der Umstand, dass nicht alle EU-Länder eine gesetzliche Arbeitslosenversicherung haben und manche Länder (z.B. Dänemark, Schweden) mit Systemen der freiwilligen Arbeitslosenversicherung arbeiten, ohne dass dies zwingend zu sozialen Verwerfungen führt.
International anerkannte Standards setzen mit einer langsamen Variation bzw. Reduktion der Nettoersatzrate Arbeitsanreize und erhöhen diese Anreize im Zeitverlauf (Agenda Austria 2017, Weishaupt 2019). Dies geschieht in Ländern wie Dänemark, Schweden aber auch in den Niederlanden. In Österreich verändert sich die Nettoersatzrate im zeitlichen Verlauf sehr wenig bis gar nicht. Ein derartiges System gibt es, mit Ausnahme von Österreich, in keinem anderen EU-Mitgliedsstaat (Siehe Grafik 1). Im europäischen Vergleich ist die österreichische Leistung aus der Arbeitslosenversicherung zwar am Beginn der Arbeitslosigkeit eher niedrig (gemessen an der Nettoersatzrate), im Zeitverlauf jedoch im Unterschied zu fast allen anderen EU-Ländern bei langer Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich hoch und zeitlich unbegrenzt verfügbar. Um die Arbeitslosenversicherung zeitgemäßer zu gestalten, wurden von wirtschaftswissenschaftlicher aber auch sozialpolitischer Seite unterschiedliche Einflussfaktoren beleuchtet und Lösungsvorschläge für etwaige Problemstellungen erarbeitet. Eine lange bzw. zeitlich unbegrenzt verfügbare Arbeitslosenversicherung hat signifikant negative Effekte auf die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Einen solchen Effekt sieht auch Bundesminister Kocher: "Wir wissen aber, dass der Anreiz, sich einen Job zu suchen, sinkt, wenn das Arbeitslosengeld zu hoch ist" (1)
In anderen europäischen Ländern ist das Arbeitslosengeld zu Beginn der Arbeitslosigkeit höher als die österreichischen 55 Prozent, sinkt aber im zeitlichen Verlauf je nach Dauer auch deutlich unter diese 55 Prozent Nettoersatzrate. (Zu beachten ist auch, dass in anderen Ländern daneben keine oder weniger weitere Sozialtransfers erfolgen, als in Österreich neben dem Bezug einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung möglich sind.).
Eine zeitliche Staffelung würde auch ermöglichen, dass die Ersatzraten am Beginn einer Arbeitslosigkeit erhöht werden könnten. Denn gerade im Falle kurzer Arbeitslosigkeit (bzw. in den ersten Monaten einer Arbeitslosigkeit) zeigt sich, dass die österreichischen Nettoersatzraten im internationalen Vergleich leicht unterdurchschnittlich sind. Alle diese Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen deutlich, dass in der österreichischen Arbeitsmarktpolitik die Steuerungsmöglichkeiten über passive Leistungen bisher nicht genutzt werden. Abgesehen von der wirtschaftswissenschaftlich fragwürdigen Ausgestaltung fehlt auch eine Berücksichtigung von Interessen der Versichertengemeinschaft. Gleichzeitig ist die finanzielle Belastung der Arbeitslosenversicherung im Auge zu behalten. Eine Umgestaltung von Leistungen in der Arbeitslosenversicherung in Bezug auf die Höhe der Nettoersatzraten kann aufkommensneutral gestaltet werden: Am Beginn der Arbeitslosigkeit können die Nettoersatzraten höher sein als bisher, um dann im zeitlichen Verlauf zu sinken - auch unter das derzeitige Niveau. Außerdem ist der Leistungsbezug zeitlich zu begrenzen (Siehe Grafik 2).
Grafik 2: Beispiel einer zeitlichen Staffelung des Arbeitslosengeldes

(Quelle: Agenda Austria)
Den gleichen Standpunkt vertrat auch schon Martin Kocher als Chef des IHS: "Nicht die Höhe des Arbeitslosengeldes an sich sei entscheidend, sondern die in Österreich geringe Differenzierung im Zeitverlauf, während andere Länder die Ersatzrate degressiv senken würden (2)". Auch in einem aktuellen Interview mit dem Nachrichtenmagazin Profil befürwortete er das degressive Arbeitslosengeld: "Man bekommt 55 Prozent des Letztgehalts. Das ist relativ wenig. Diese Summe bekommt man dafür sehr lang. Andere Staaten zahlen anfangshöheres Arbeitslosengeld und geben dann das Signal: Das Geld wird weniger, nimm bald einen Job an. Das ist aus verhaltensökonomischer Sicht sinnvoll. Denn manche Menschen unterschätzen die Falle und warten zu lange." (3)
Bei der Bestimmung und Veränderung der Nettoersatzrate muss eben darauf geachtet werden, dass Arbeitsangebot und -nachfrage am Arbeitsmarkt tatsächlich zueinanderpassen. Um unerwünschte ökonomische aber auch soziale Effekte und Mitnahmeeffekte durch ein zeitlich gestaffeltes Arbeitslosengeld zu vermeiden, kann z.B. die Bezugsdauer in Wochen je Stufe angepasst werden. Eine solche Ausgestaltung des Arbeitslosengeldes soll einem "Mismatch" am Arbeitsmarkt entgegenwirken, die betroffenen Personen finanziell absichern, aber auch genügend Anreize für eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt setzen. Außerdem ist die Durchrechnung der Versicherungszeit so zu optimieren, dass wiederkehrende Phasen der Arbeitslosigkeit in kurzer Zeit nicht jedes Mal aufs Neue zum Ausnützen der ersten, erhöhten Stufe des Arbeitslosengeldes führen.
Quellen:
(1) https://www.derstandard.at/story/2000123280247/arbeitsminister-kocher-ist-das-arbeitslosengeld-zu-hoch-sinkt-der-anreiz
(2) https://orf.at/v2/stories/2435752/2435758/
(3) https://www.profil.at/oesterreich/arbeitsminister-kocher-ich-kann-mit-neoliberal-nicht-viel-anfangen/401217189
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
Der Nationalrat wolle
beschließen:
"Der Bundesminister
für Arbeit wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage
zuzuleiten, die eine umfassende Reform von monetären Leistungen aus der
Arbeitslosenversicherung vorsieht. Dabei sollen Arbeitslosengeld und
Notstandshilfe in ein System zusammengeführt werden, in welchem die
Ersatzrate am Beginn einer Arbeitslosigkeit höher sein und im zeitlichen
Verlauf kontinuierlich reduziert werden soll. Zudem ist eine zeitliche
Begrenzung dieser Leistung aus der Arbeitslosenversicherung vorzusehen. "
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales vorgeschlagen.