1443/A(E) XXVII. GP
Eingebracht am 25.03.2021
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Entschließungsantrag
der Abgeordneten Mag.a Selma Yildirim, Genossinnen und Genossen
betreffend dringend notwendige grundlegende Verbesserungen im Maßnahmenvollzug
Die mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahmen (Maßnahmenvollzug) sind im österreichischen Strafgesetzbuch in den §§ 21-25 geregelt. § 21 regelt die in der Praxis häufig vorkommenden „Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher“, § 22 betrifft die Unterbringung in einer Anstalt für „entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher“ und § 23 die Unterbringung in einer „Anstalt für gefährliche Rückfallstäter“.
Der Maßnahmenvollzug regelt demnach vorbeugende freiheitsentziehende Maßnahmen zur Unterbringung von gefährlichen Straftätern sowie Tätern, die aufgrund mangelnder Schuldfähigkeit nicht verurteilt werden können.
(§ 21 Abs. 1 betrifft Zurechnungsunfähige; Abs. 2 betrifft nicht Zurechnungsunfähige aber die die Tat unter dem Einfluss einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad begehen)
§ 22 StGB betrifft die „Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher“.
§ 23 StGB bezieht sich auf die „Unterbringung in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter“. Letztere Bestimmung wurde in den letzten Jahren de facto nicht angewandt.
Seit Jahren wird eine grundlegende Reform des Maßnahmenvollzugs diskutiert und verlangt, wobei der deutliche Schwerpunkt der Reformnotwendigkeit sich auf den Themenbereich „geistig abnorme Rechtsbrecher“ fokussiert.
Im November 2018 befasste sich der Bundesparteitag der SPÖ mit diesem Thema und fasste zu Antrag 8.13 einen Beschluss „für eine grundlegende Reform des Maßnahmenvollzuges“, welcher folgende Schwerpunkte beinhaltete:
- Eine Anpassung der Einweisungsvoraussetzungen durch die Anhebung der Strafdrohung als Schwelle für die Einweisung im Sinn des § 21 StGB auf mehr als drei Jahre, das Vorliegen einer schweren psychischen Störung oder Erkrankung oder einer unmittelbaren, für die Störung spezifischen Kausalbeziehung zwischen der Störung und der Tat und die Adaption der Anwendung des § 21 StGB auf Jugendliche.
- Zurechnungsunfähige TäterInnen sollen dem Gesundheits- und Sozialsystem der Länder zur Behandlung und Betreuung übergeben werden.
- Der Vollzug der Maßnahme nach § 21 Abs. 1 StGB soll nicht in den Justizanstalten erfolgen. Die Bezeichnung „Justizanstalt“ wird durch „Therapeutisches Zentrum“ ersetzt.
- Die Regelung des Maßnahmenvollzugs durch ein eigenes Maßnahmenvollzugsgesetz (MVG).
- Schaffung einer gesetzlichen Verpflichtung für Heimträger, diese Menschen aufzunehmen.
- Verbesserung bestehender und Schaffung neuer geeigneter Nachbetreuungseinrichtungen durch das Sozial- und Gesundheitssystem.
- Einbindung der Untergebrachten gemäß § 21 Abs. 2 StGB nach Verbüßung der Strafe in die Sozialversicherung.
- In Justizanstalten, in welchen eine Maßnahme gemäß § 21 Abs. 2 StGB vollzogen wird, soll die Mehrzahl der MitarbeiterInnen aus therapeutischen Fachkräften bestehen und Justizwachebedienstete über entsprechende Zusatzausbildungen verfügen.
Am 13. Juni 2019 wurde ein Entschließungsantrag mit Unterzeichnern aus SPÖ, NEOS und „Jetzt“ im Nationalrat eingebracht (921/AE), welcher einige wesentliche Empfehlungen der Arbeitsgruppe „Maßnahmenvollzug“ des Bundesministeriums für Justiz auflistete:
- Keine Unterbringung mehr in Vollzugsanstalten
- Unterbringung in forensisch-therapeutischen Zentren
- Unterbringung auch ausnahmsweise in öffentlichen Krankenanstalten für Psychiatrie
- Möglichkeit eines ambulanten Vollzugs bei gelinderen Fällen (z.B.: betreute Wohneinrichtung, Bewährungshilfe)
- Elektronische Fußfessel beim ambulanten Vollzug und auch nach einer bedingten Entlassung
Am internationalen Tag der Menschenrechte (am 10. Dezember 2020) hat die Selbst- und Interessensvertretung im Maßnahmenvollzug SIM, welche seit 2016 ca. 400 Untergebrachte und deren Angehörigen im Maßnahmenvollzug betreut, festgestellt, dass zurzeit über 1.250 Menschen im Maßnahmenvollzug untergebracht seien. 2015 waren es noch 850 Personen.
In einer Aussendung der SIM von diesem Tag heißt es: „Zum internationalen Tag der Menschenrechte möchten wir auf diese andauernden, gravierenden und fortlaufenden Menschenrechtsverletzungen in Österreich hinweisen. So wird das Recht auf persönliche Freiheit durch überlange Anhaltungen, rechtswidrige Anhörungsverfahren und mangelhafte Sachverständigen-Gutachten fortwährend verletzt.“
Besonders problematisch ist es, wenn sogar die Anzahl der Jugendlichen im Maßnahmenvollzug zunimmt.
Nach dem fürchterlichen Terroranschlag in Wien vom 2. November 2020 ist von Regierungsseite angedacht worden, § 23 StGB durch Herabsetzung der Voraussetzungen auszuweiten – im Sinn der Terrorismusbekämpfung. Dieser Gedanke hat allerdings vorerst nicht Eingang in das Anti-Terror-Paket gefunden, welches vom Justizministerium in die Begutachtung versandt wurde und bei welchem die Begutachtung Anfang Februar 2021 endete.
Eine derartige Ausweitung des § 23 StGB wäre nur dann diskussionswürdig, wenn dieser Schritt im Hinblick auf den Freiheitsentzug genauestens auf die Einhaltung der Verhältnismäßigkeit überprüft wird.
Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher nachstehenden
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
Der Nationalrat wolle beschließen:
- Die Bundesministerin für Justiz wird ersucht, nach erfolgter Begutachtung dem Nationalrat einen Gesetzesentwurf zuzuleiten, der die in der Begründung dargestellten Forderungen ernsthaft prüft und sich bei der Umsetzung besonders an den zitierten Empfehlungen der Arbeitsgruppe „Maßnahmenvollzug“ des BMJ aus dem Jahr 2017 orientiert.
- Allfällige Mehrkosten für Gebietskörperschaften und Sozialversicherungsträger sollten entsprechend ausgeglichen werden.
Zuweisungsvorschlag: Justizausschuss