1577/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 03.05.2021
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

 

des Abgeordneten     Walter Rauch, Erwin Angerer,

                                      Peter Schmiedlechner, DI Gerhard Deimek

und weiterer Abgeordneter

 

betreffend Auftreten gegen Mini-Atomkraftwerke als Klimaschutzmaßnahme

 

Unter der Überschrift „Mini-Atomkraftwerke für den Klimaschutz“ berichtete faz.net am 27.04.2021 wie folgt:

 

„Joe Biden, Bill Gates und Boris Johnson setzen auf die Serienfertigung neuartiger Reaktoren. Steht die Kernkraft vor einer Renaissance?

 

Weit draußen im Nordosten Sibiriens liegt in der Hafenstadt Pewek ein Schiff in den Farben der russischen Nationalflagge vor Anker. Die Akademik Lomonossow, ein kantiger Riesenkahn, benannt nach einem russischen Naturwissenschaftler, ist das derzeit wohl umstrittenste Schiff der Welt. Umweltschützer schmähen es als „schwimmendes Tschernobyl“ und „Nuklear-Titanic“. Für die Internationale Atomenergieorganisation der Vereinten Nationen (IAEA) dagegen ist die Akademik Lomonossow der Vorbote einer neuen Zeit. Denn das Schiff ist eine Art schwimmendes Atomkraftwerk, das im entlegenen Pewek für die Stromversorgung der örtlichen Bevölkerung und Wirtschaft sorgt. Die Reaktoren im Schiffsrumpf sind laut IAEA die ersten ihrer Art auf der Welt, die schon Strom liefern.

 

Fachleute sprechen von „Small Modular Reactors“ (SMR). Rund um den Globus gibt es derzeit rund 70 Projekte zur Entwicklung solcher Atommeiler im Kleinformat. Die meisten von ihnen sollen freilich keine schwimmenden Kraftwerke werden wie das russische Atomstrom-Schiff, sondern an Land entstehen. Das Besondere: Sie haben zwar nur einen Bruchteil der Leistung konventioneller Großkraftwerke, sollen dafür aber sicherer und viel weniger teuer sein.

 

Die Internationale Atomenergieorganisation definiert SMR-Anlagen als Atomreaktoren mit einer Leistung von maximal 300 Megawatt. Zum Vergleich: In konventionellen Großkraftwerken kommen einzelne Reaktoren nicht selten auf 1300 Megawatt und mehr. Befürworter setzen darauf, dass SMR-Anlagen in Zukunft in großer Stückzahl und quasi in Serie gebaut werden, was die geringere Leistung der einzelnen Reaktoren ausgleichen würde. Die Freunde der Kleinkraftwerke glauben, dass die neue Technik zu einer globalen Renaissance der Atomenergie in der Stromerzeugung führen wird – und einen wichtigen Beitrag zur klimaschonenden Energieversorgung leisten kann.

„Es gibt auf der ganzen Welt ein wachsendes Interesse an der SMR-Technik“, sagt etwa der Nuklearexperte Stefano Monti von der IAEA. Das gilt nicht zuletzt für das Weiße Haus in Washington, wo ein neuer Präsident regiert. Joe Biden, 78 Jahre, ist auf seine alten Tage zum neuen Hoffnungsträger für den internationalen Klimaschutz avanciert.

 

Schon am ersten Tag im Amt ordnete Biden die Rückkehr der Vereinigten Staaten in das Klimaschutzabkommen von Paris an, das sein Vorgänger Donald Trump aufgekündigt hatte. Die Vergabe neuer Bohrlizenzen für die Ölindustrie wird beschränkt. Schließlich soll die größte Volkswirtschaft der Welt klimaneutral bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden - das hat Biden bereits im Wahlkampf versprochen. Doch was für so manchen deutschen Klimaschutz-Aktivisten eher verstörend sein mag: Der neue Regierungschef setzt beim angekündigten Radikalumbau des Energiesystems nicht nur auf Windräder und Photovoltaikanlagen. Biden will auch die Chancen neuartiger Atomkraftwerke wie der SMR-Anlagen ausloten.

 

Auch der britische Premierminister Boris Johnson ist ein Atomkraft-Fan. In Großbritannien arbeitet ein Konsortium um den Industriekonzern Rolls-Royce mit finanzieller Unterstützung der Regierung an der SMR-Technik. Bis zu 16 solcher Anlagen sollen auf der Insel gebaut werden und ältere konventionelle Atomkraftwerke ersetzen. In Kanada stehen die SMR-Reaktoren ebenfalls auf der energiepolitischen Agenda. Deutlich weiter sind Argentinien und China: Dort sind die ersten Klein-Atomkraftwerke bereits im Bau und könnten innerhalb der nächsten drei Jahre in Betrieb gehen.

 

Wer verstehen will, woher der Enthusiasmus für die neuen Mini-Meiler kommt, der muss wissen, wo die Probleme der bisherigen atomaren Großkraftwerke liegen. In Deutschland sind deren Tage bekanntlich gezählt: Die letzten drei Atomkraftwerke sollen Ende 2022 vom Netz gehen. Ähnliche Atomausstiegs-Beschlüsse gibt es auch in Belgien, Italien und der Schweiz. Und im milliardenschweren Klimaschutzprogramm „European Green Deal“ der EU kommt die Atomkraft bislang kaum vor.

Doch nicht nur in Europa, sondern auch global schwindet die Bedeutung der Atomkraft. Ihr Anteil an der Stromerzeugung auf der Welt ist seit Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts deutlich gefallen und macht derzeit nur noch rund 10 Prozent aus (siehe Grafik) . Was noch vor wenigen Jahren schwer vorstellbar erschien, ist heute Realität: Es wird auf der Welt insgesamt mehr Strom aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt als mit Atomkraft.

 

„Wir sind der Meinung, dass die Atomkraft auch in Zukunft eine Rolle im Energiesektor spielen kann“, sagt indes Peter Fraser, Strommarktexperte der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris. Aber die heutigen Riesen-Kraftwerke hätten zwei gravierende Nachteile: die häufig exorbitant hohen Investitionskosten und die langen Bauzeiten. Ein finanzieller Gau ist beispielsweise der Reaktorblock Flamanville 3 in der Normandie. An der Nuklearanlage mit einer vorgesehenen Leistung von 1600 Megawatt baut der französische Energiekonzern EdF bereits seit 2007. Fertig wird der neue Reaktor nach derzeitiger Schätzung frühestens 2023. Die erwarteten Baukosten haben sich in den vergangenen 14 Jahren auf 12 Milliarden Euro fast vervierfacht. Ähnlich gewaltige Kostensteigerungen und Verzögerungen gibt es beim Bau des Reaktorblocks Olkiluoto 3 in Finnland. Und auch das neue Kernkraftwerk Hinkley Point in England wird mit geschätzten Kosten von umgerechnet 25 Milliarden Euro sehr teuer.

 

Für den Bau von Mini-Atomkraftwerken soll dagegen viel weniger Geld notwendig sein. Fachleute schätzen, dass eine Anlage mit 300 Megawatt für rund eine Milliarde Euro möglich sein wird. Außerdem könnten die kleinen, technisch nicht so komplizierten Reaktoren sehr viel schneller gebaut werden als konventionelle Großkraftwerke. „In Zukunft wird es möglich sein, SMR-Kraftwerke in Serie herzustellen, ähnlich wie heute große Passagierjets“, sagt der IAEA-Experte Monti. Die kleinen Anlagen könnten in der Fabrik vormontiert und per Lastwagen, Zug oder Schiff an den Standort transportiert werden. Die Serienfertigung könnte die Baukosten deutlich senken, hoffen Befürworter.

 

Zumindest in den westlichen Industrieländern gilt der Neubau von atomaren Großkraftwerken dagegen vielen Fachleuten als kostenmäßig kaum noch konkurrenzfähig. In den Vereinigten Staaten gingen sogar ältere Atomkraftwerke vorzeitig vom Netz, weil sie unwirtschaftlich geworden seien, berichtet Peter Fraser von der Internationalen Energieagentur. Auch der Finanzmarkt zweifelt an der Zukunft großer Nuklearkraftwerke: Der Aktienkurs des französischen Atomkonzerns EdF ist seit 2007 um mehr als 80 Prozent gefallen. Westinghouse, ein bedeutender amerikanischer Hersteller traditioneller Atomkraftwerke, musste vor vier Jahren Gläubigerschutz beantragen.

 

Doch trotz der Misere bei konventionellen großen Atomkraftwerken setzen amerikanische Politiker in seltener parteiübergreifender Einmütigkeit auf die neuen Mini-Reaktoren. „Dafür gibt es von Republikanern wie Demokraten erhebliche Unterstützung“, sagt etwa Niko McMurray, ein Atomkraft-Experte der Denkfabrik Clearpath Foundation aus Washington, die sich nach eigenen Angaben für „konservative saubere Energie“ einsetzt. Die Entwicklung von SMR-Reaktoren wurde von Washington schon während der Regierungszeit von Barack Obama staatlich gefördert.

 

Der Republikaner Trump hielt daran fest. Erst im Oktober gewährte das Energieministerium dem Nukleartechnologie-Unternehmen Nuscale aus Oregon Subventionen von 1,4 Milliarden Dollar, um den Testbetrieb von SMR-Anlagen zu ermöglichen. Biden wiederum denkt über die Gründung einer neuen Regierungsagentur namens Arpa-C nach, die grüne Innovationen für den Klimaschutz und auch die Nukleartechnik voranbringen soll.

 

Auch Bill Gates setzt auf die Mini-Atomkraftwerke. Der Multimilliardär und Microsoft-Mitgründer hat schon vor vielen Jahren das Nuklearunternehmen Terrapower aus der Taufe gehoben, das an der SMR-Technik arbeitet. Gates, der Verwaltungsratschef von Terrapower ist, geht es dabei nach eigener Aussage um den Klimaschutz: Er hält die Weiterentwicklung der Atomkraft für einen wichtigen Hebel im Kampf gegen die Erderwärmung. Ein Argument lautet dabei, dass die Kosten für Wind- und Sonnenstrom in den vergangenen Jahren zwar rapide gefallen sind. Doch die Stromerzeugung mit Windrädern und Photovoltaik-Anlagen schwankt relativ stark, je nachdem ob die Sonne scheint und der Wind weht – oder eben nicht. In solchen Flautenzeiten könnten die Mini-Reaktoren aushelfen.

Denn während die großen Atomkraftwerke in ihrer Stromerzeugung häufig relativ unflexibel sind, können die kleinen SMR-Anlagen bei Bedarf schneller reagieren. „Sie sind flexibler, die erzeugte Strommenge kann bei Bedarf schneller hoch- und runtergefahren werden“, sagt Stefano Monti von der IAEA. Bisher sorgen vor allem klimaschädliche Gas- und Kohlekraftwerke für den Puffer in Flautenzeiten. Die Mini-Meiler wären eine emissionsarme Alternative dazu.

 

Kritiker halten dem entgegen, dass die neuen Kleinkraftwerke mit ähnlichen Sicherheitsrisiken behaftet seien wie konventionelle Großreaktoren - mal ganz abgesehen vom noch immer weitgehend ungelösten Endlagerproblem für hochradioaktiven Abfall. „Wenn man eine einzelne SMR-Anlage betrachtet, ist zwar weniger nukleares Material enthalten, das bei einem Unfall freigesetzt werden könnte“, sagt beispielsweise der Atomkraftexperte Christoph Pistner vom Öko-Institut in Darmstadt. Aber um auf dieselbe Leistung wie ein großes Kraftwerk zu kommen, brauche es eben auch ein Vielfaches an SMR-Anlagen. „Dadurch wiederum könnte das Risiko wachsen“, warnt Pistner. Derzeit gebe es rund 440 kommerzielle Atomkraftwerke auf der Welt, rechnet Pistner vor. „Damit die SMR-Technik einen signifikanten Beitrag zu Stromerzeugung leisten könnte, müssten womöglich Tausende solcher Anlagen gebaut werden.“ Für Atomkraftgegner ist das der Stoff, aus dem Albträume gemacht werden.“

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher nachstehenden

 

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, wird aufgefordert auf nationaler, internationaler und EU-Ebene gegen Mini-Atomkraftwerke aufzutreten und sicherzustellen, dass Klimaschutz nicht mit einem Mehr an Atomstrom gleichzusetzen ist.“

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird um Zuweisung an den Umweltausschuss ersucht.