1581/A XXVII. GP
Eingebracht am 17.05.2021
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möglich.
Antrag
gemäß § 75 Abs. 1 GOG-NR
der Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried, Herbert Kickl, Dr. Nikolaus Scherak und weiterer Abgeordneter
betreffend Ministeranklage gemäß Art. 142 Abs. 2 lit. b B-VG wider den Bundesminister für Finanzen
Bundesminister Mag. Gernot Blümel wurde am 7.1.2020 auf Vorschlag von Bundeskanzler Kurz als Bundesminister für Finanzen angelobt.
Er gelobte und bekräftigte mit Handschlag und seiner Unterschrift:
„Ich gelobe, dass ich die Verfassung und alle Gesetze der Republik getreulich beobachten und meine Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen werde.“
Am 22. Jänner 2020 setzte der Nationalrat den Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung (Ibiza-Untersuchungsausschuss) ein. Mit grundsätzlichem Beweisbeschluss vom selben Tag wurde der Bundesminister für Finanzen aufgefordert, dem Untersuchungsausschuss alle seine Akten und Unterlagen im Umfang des Untersuchungsgegenstandes vorzulegen.
Infolge des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 3. März 2020, UA1/2020, fasste der Geschäftsordnungsausschuss des Nationalrates am 9. März 2020 einen ergänzenden grundsätzlichen Beweisbeschluss, mit der der Bundesminister für Finanzen erneut zur Vorlage aller seiner Akten und Unterlagen – nunmehr im vollen Umfang des Untersuchungsgegenstandes – verpflichtet wurde.
Art. 53 Abs. 3 B-VG lautet:
„Alle Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände sowie der sonstigen Selbstverwaltungskörper haben einem Untersuchungsausschuss auf Verlangen im Umfang des Gegenstandes der Untersuchung ihre Akten und Unterlagen vorzulegen (…)“
Der Bundesminister für Finanzen legte dem Ibiza-Untersuchungsausschuss zunächst eine Vielzahl von Akten und Unterlagen vor, deren Vollständigkeit vom Untersuchungsausschuss jedoch bezweifelt wurde.
So forderte der Untersuchungsausschuss den Bundesminister für Finanzen u.a. am 30. September 2020 sowie am 11. November 2020 mittels ergänzender Beweisanforderung auf, ihm weitere Akten und Unterlagen vorzulegen.
Der Bundesminister für Finanzen verweigerte in beiden Fällen die Vorlage.
Am 13. Jänner 2021 setzte der Untersuchungsausschuss dem Bundesminister für Finanzen eine zweiwöchige Frist, um seinen verfassungsgesetzlichen Verpflichtungen gegenüber dem Untersuchungsausschuss nachzukommen.
Auch diese Nachfrist ließ der Bundesminister für Finanzen verstreichen, ohne weitere Akten und Unterlagen vorzulegen.
Am 11. Februar 2021 stellte ein Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses beim Verfassungsgerichtshof den Antrag, dass dieser aussprechen möge, dass der Bundesminister für Finanzen zur Vorlage der vom Untersuchungsausschuss begehrten Akten und Unterlagen verpflichtet ist.
Am selben Tag fand eine von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft angeordnete und gerichtlich genehmigte Hausdurchsuchung bei Mag. Gernot Blümel statt, da dieser als Beschuldigter im sogenannten Casinos-Verfahren im Verdacht steht, zur Bestechung von Amtsträgern – im Konkreten des damaligen Bundesministers Kurz – durch Vertreter der Novomatic AG beigetragen zu haben.
Am 3. März 2021 entschied der Verfassungsgerichtshof:
„Der Bundesminister für Finanzen ist verpflichtet, dem Ibiza-Untersuchungsausschuss die E-Mail-Postfächer sowie lokal oder serverseitig gespeicherten Dateien der Bediensteten der Abteilung I/5 E.G., A.M. und G.B. sowie von Bediensteten des Bundesministeriums für Finanzen empfangene E-Mails von T.S., E.H.-S., M.K., B.P. und M.L. aus dem Untersuchungszeitraum vorzulegen.“
Der Bundesminister für Finanzen kam diesem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht nach.
Auf Grund der fortgesetzten Weigerung des Bundesministers für Finanzen, dem Untersuchungsausschuss die ihm zustehenden Akten und Unterlagen vorzulegen, regte ein Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses am 22. März 2021 beim Verfassungsgerichtshof die Exekution des genannten Erkenntnisses durch den Bundespräsidenten gemäß Art. 146 Abs. 2 B-VG an.
Am 5. Mai 2021 beantragte der Verfassungsgerichtshof beim Bundespräsidenten schlussendlich gemäß Art. 146 Abs. 2 B-VG die Exekution seines Erkenntnisses. Dies stellt eine historisch bislang einzigartige Situation dar.
Der Bundesminister für Finanzen hat durch seine fortgesetzte Weigerung, dem Ibiza-Untersuchungsausschuss die ihm zustehenden Akten und Unterlagen vorzulegen, gegen seine Verpflichtung gemäß Art. 53 Abs. 3 B-VG in rechtswidriger Weise und schuldhaft verstoßen. Da es sich bei der zitierten Bestimmung um eine Verfassungsbestimmung handelt, wiegt der Verstoß besonders schwer.
Der Bundesminister für Finanzen wird vom Nationalrat außerdem verdächtigt, seine Befugnisse wissentlich missbraucht zu haben, um den Nationalrat in seinem konkreten Recht auf richtige und vollständige Information sowie Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit gesetzter Behördenakte zu schädigen. Auf Grund der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist die Verletzung dieses Rechts des Nationalrates geeignet, bei Vorliegen auch der sonstigen Voraussetzungen den Straftatbestand des Amtsmissbrauchs zu erfüllen. Eine entsprechende Sachverhaltsdarstellung wurde am 26. März 2021 an die Staatsanwaltschaft Wien übermittelt.
Auf Grund der vorliegenden Rechtsverletzungen stellen die unterfertigten Abgeordneten den folgenden
Antrag
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Der Nationalrat erhebt gegen Bundesminister Mag. Gernot Blümel Anklage gemäß Art. 142 und 143 B-VG und legt ihm folgendes zur Last:
Bundesminister Mag. Gernot Blümel hat
1) durch fortgesetzte Verweigerung der Vorlage von Akten und Unterlagen an den Ibiza-Untersuchungsausschuss vorsätzlich gegen seine Verpflichtung gemäß Art. 53 Abs. 3 B-VG iVm § 27 Abs. 1 VO‑UA zur unverzüglichen Vorlage von Akten und Unterlagen im Umfang des Untersuchungsgegenstandes an den Ibiza-Untersuchungsausschuss verstoßen;
2) als Bundesminister mit dem Vorsatz, den Nationalrat der Republik Österreich in seinem konkreten Recht auf richtige und vollständige Information sowie Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit gesetzter Behördenakte zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er entweder andere dazu bestimmte, dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 3.3.2021 zu UA1/2021 nicht oder erst zu späterem Zeitpunkt nachzukommen, oder es trotz seiner Pflichten als oberstes Organ, dem auch die Aufsicht über die Bediensteten des Bundesministeriums für Finanzen übertragen ist, unterließ, das unverzügliche Zustandekommen der Aktenlieferung an den Ibiza-Untersuchungsausschuss, zu der er auf Grund des genannten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes verpflichtet war, zu bewirken (§ 302 Abs. 1 StGB).
Unter Anwendung des Art 142 Abs. 4 B-VG ist Bundesminister Mag. Gernot Blümel seines Amtes als Bundesminister für Finanzen mit sofortiger Wirkung zu entheben.
Gemäß Art. 143 B-VG wird außerdem beantragt, dass die strafrechtlichen Ermittlungen wegen Verstoßes gegen § 302 Abs. 1 StGB (Amtsmissbrauch) gegen Mag. Gernot Blümel auf den Verfassungsgerichtshof übergehen und dieser die Bestimmungen des Ersten, Dritten, Vierten und Achten Abschnitts des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches anwendet.
Folgender Schriftsatz wird beantragt:
„An den
VERFASSUNGSGERICHTSHOF
Freyung 8
1010 Wien
Ankläger: Nationalrat
Dr.-Karl-Renner-Ring 3
1017 Wien
vertreten durch: Abg.z.NR Mag. Jörg Leichtfried
Abg.z.NR Herbert Kickl
Abg.z.NR Dr. Nikolaus Scherak
gemäß § 72 Abs. 2 VfGG
Angeklagter: Mag. Gernot
Blümel
Bundesminister
für Finanzen
Johannesgasse 5
1010 Wien
wegen: Verstoß gegen Art. 53 Abs. 3 B-VG iVm § 27 Abs. 1 VO-UA sowie § 302 Abs. 1 StGB
ANKLAGE
gemäß Artikel 142 und 143 B-VG
Schriftsatz und 1 Beilage 2-fach
Der Nationalrat erhebt gegen Bundesminister Mag. Gernot Blümel
ANKLAGE
gemäß Art. 142 und 143 B-VG und legt ihm folgendes zur Last:
Der Angeklagte hat gegen die Bestimmungen des Art. 53 Abs. 3 B‑VG iVm § 27 Abs. 1 VO-UA sowie § 302 Abs. 1 StGB rechtswidrig und schuldhaft verstoßen.
Bundesminister Mag. Gernot Blümel hat dadurch schuldhafte Rechtsverletzungen gemäß Art. 142 Abs. 1 und Art. 143 B-VG begangen.
Unter Anwendung des Art. 142 Abs. 4 B-VG ist Bundesminister Mag. Gernot Blümel seines Amtes als Bundesminister für Finanzen mit sofortiger Wirkung zu entheben.
Dem beigelegten beglaubigten Protokoll zu entnehmenden Beschluss des Nationalrates gemäß Art 76 Abs. 2 B-VG wurde die Erhebung der gegenständlichen Anklage gemäß Art. 142 und 143 B-VG beschlossen und der umseits ausgewiesene Vertreter gemäß § 72 Abs. 2 VfGG bestellt.
Es werden sohin folgende
ANTRÄGE
gestellt:
Der Verfassungsgerichtshof möge
1. gemäß §§ 19 und 75ff VfGG nach Abschluss der Voruntersuchung gemäß § 74 VfGG eine mündliche Verhandlung anordnen;
2. gemäß Art. 143 B-VG die Bestimmungen des Ersten, Dritten, Vierten und Achten Abschnitts des Allgemeinen Teils des StGB sowie § 302 StGB für anwendbar erklären;
3. gemäß Art. 142 Abs. 1 iVm 4 B-VG und Art. 143 feststellen, dass Mag. Gernot Blümel gegen die Bestimmungen des Art. 53 Abs. 3 B‑VG iVm § 27 Abs. 1 VO-UA sowie § 302 Abs. 1 StGB rechtswidrig und schuldhaft verstoßen hat;
4. gemäß Art. 142 Abs. 4 B-VG Mag. Gernot Blümel seines Amtes als Bundesminister für Finanzen mit sofortiger Wirkung entheben;
5.
Mag. Gernot BLÜMEL auf Grund des Verstoßes gegen §
302 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren
verurteilen.
Begründung:
I. Sachverhalt
Auf Grund eines zu UA1/2021 protokollierten Antrags gemäß Art. 138b Abs. 1 Z 4 B‑VG eines Viertels der Mitglieder des Untersuchungsausschusses betreffend die mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung (Ibiza-Untersuchungsausschuss) hat der Verfassungsgerichtshof am 3. März 2021 entschieden:
„Der Bundesminister für Finanzen ist verpflichtet, dem Ibiza-Untersuchungsausschuss die E-Mail-Postfächer sowie lokal oder serverseitig gespeicherten Dateien der Bediensteten der Abteilung I/5 E.G., A.M. und G.B. sowie von Bediensteten des Bundesministeriums für Finanzen empfangene E-Mails von T.S., E.H.-S., M.K., B.P. und M.L. aus dem Untersuchungszeitraum vorzulegen.“
Das Erkenntnis wurde am 4. März 2021 zugestellt. Der Bundesminister für Finanzen Mag. Gernot Blümel (in weiterer Folge: „Angeklagter“) ist somit verpflichtet, dem Untersuchungsausschuss über die bereits erfolgten Lieferungen hinaus weitere 2.018 elektronische E-Mails und Dateien sowie 5.785 weitere E-Mails vorzulegen. Dabei handelt es sich um jene E-Mails und Dateien, die der Angeklagte bereits dem Verfassungsgerichtshof im Verfahren UA1/2021 zur Überprüfung vorgelegt hat.
Der Angeklagte ist seiner Verpflichtung auf Grund des genannten Erkenntnisses zur Vorlage der derart genau bezeichneten Akten und Unterlagen bis zum heutigen Tag nicht nachgekommen. Auf mündliche Nachfrage der Parlamentsdirektion eine Woche nach Zustellung des Erkenntnisses wurde durch die zuständige Verbindungsbeamtin im Bundesministerium für Finanzen angegeben, dass kein Termin für eine Vorlage in Aussicht genommen sei. Gründe für die Verweigerung der Aktenvorlage wurden nicht genannt.
Mit E-Mail vom 19. März 2021 des Präsidenten der Finanzprokuratur, den der Angeklagte bevollmächtigt hat, an den Verfahrensrichter des Ibiza-Untersuchungsausschusses wurde um einen Gesprächstermin ersucht und mehrere Fragen aufgeworfen bzw. der Untersuchungsausschuss zur Mitwirkung aufgefordert.
Aus dem Schreiben des Präsidenten der Finanzprokuratur ergibt sich, dass der Angeklagte dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshof nicht unverzüglich und vollständig entsprechen wird. Ansonsten müssten die entsprechenden Akten und Unterlagen nicht erst „aufgefunden“ und die entsprechenden Speichermedien „durchsucht“ werden, obwohl der Umfang der erforderlichen Aktenvorlage auf Grund der vom Angeklagten an den Verfassungsgerichtshof überlieferten Akten und Unterlagen bereits feststeht. Die in der E-Mail des Präsidenten der Finanzprokuratur aufgeworfenen Fragen waren zudem bereits im Verfahren UA1/2021 streitgegenständlich; die Frage der (potentiellen) abstrakten Relevanz der von der Meinungsverschiedenheit erfassten Akten und Unterlagen ist durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes abschließend geklärt. Die fortgesetzte Verweigerung der Aktenvorlage durch den Angeklagten wird durch das E-Mail somit offenkundig.
Gemäß § 27 Abs. 1 VO-UA haben u.a. Organe des Bundes Beweisbeschlüssen gemäß § 24 leg.cit. und ergänzenden Beweisanforderungen gemäß § 25 leg.cit. unverzüglich zu entsprechen. Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß § 56f Abs. 3 VfGG ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden. Auf Grund der befristeten Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses (vgl. § 53 VO-UA) haben Aktenvorlagen an den Untersuchungsausschuss in Fällen, in denen eine Nachprüfung der Verweigerung der Aktenvorlage durch ein Organ des Bundes bereits durch den Verfassungsgerichtshof erfolgte, gleichermaßen unverzüglich zu erfolgen. Außerdem trifft alle Organe des Bundes die Pflicht zur unverzüglichen Herstellung eines rechtskonformen Zustandes.
Der Angeklagte ist seit 7. Jänner 2020 Bundesminister für Finanzen. Er ist gleichzeitig Beschuldigter im Verfahren der WKStA zu 17 St 5/19d, wo ihm u.a. Handlungen vorgeworfen werden, die in Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand des Ibiza-Untersuchungsausschusses stehen. Bereits bei seiner Vernehmung als Auskunftsperson im Ibiza-Untersuchungsausschuss zeigte sich der Angeklagte unkooperativ. Er wurde außerdem wegen möglicher falscher Beweisaussage vor dem Untersuchungsausschuss gemäß § 288 StGB angezeigt. Diese Umstände deuten bereits auf den erforderlichen Vorsatz für den Befugnismissbrauch hin. Schließlich würden zusätzliche Belege über Interventionen Blümels zu Gunsten von ÖVP-SpenderInnen den politischen Druck auf ihn wesentlich erhöhen.
Der OGH hat bereits in 14 Os 125/92 entschieden, dass zu den durch § 302 StGB geschützten konkreten öffentlichen Rechten jedenfalls auch das gesamte, dem Nationalrat zur rechtlichen Kontrolle der Vollziehung verfassungsgesetzlich garantierte Maßnahmenspektrum nach Art. 74, 76, 142, 143 B-VG zählt. Dies umfasst laut OGH auch die Kontrollmittel gemäß Art. 52 und 53 B‑VG, die dem genannten Maßnahmenspektrum vorgelagert sind. Die Unterdrückung von Akten und Unterlagen, die vom Umfang des Untersuchungsgegenstandes erfasst sind, schädigt das konkrete, aus Art. 53 B-VG ableitbare Interesse des Nationalrates an wahrheitsgetreuer und vollständiger Information im Umfang des Untersuchungsgegenstands.
Der Angeklagte wusste auf Grund der vorangegangenen Auseinandersetzungen rund um die Aktenvorlage an den Untersuchungsausschuss, dass ihn als Organ des Bundes eine Pflicht zur Vorlage aller Akten und Unterlagen trifft, die von (potentiell) abstrakter Relevanz für den Untersuchungsgegenstand sein könnten. Ab der Zustellung des Erkenntnisses des VfGH konnte er sich nicht mehr auf eine vertretbare, anderslautende Rechtsposition in Hinblick auf die verfahrensrelevanten Akten berufen. Spätestens seit dem Einsetzen der medialen Diskussion über eine mögliche Exekution des VfGH-Erkenntnisses durch den Bundespräsidenten musste er um seine Verpflichtung zur Herstellung eines rechtskonformen Zustandes wissen. Anderenfalls hätte der Angeklagte in seiner Funktion als Bundesminister für Finanzen nicht den Präsidenten der Finanzprokuratur beauftragen können, mit dem Untersuchungsausschuss Kontakt aufzunehmen.
Wie bereits ausgeführt ist aus dem Schreiben des Präsidenten der Finanzprokuratur jedoch ersichtlich, dass der Angeklagte gerade nicht den Auftrag erteilt hat, dem Erkenntnis des VfGH unverzüglich nachzukommen, obwohl der Umfang der Verpflichtung bereits durch das vorangegangene Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof abschließend geklärt war. Im Gegenteil belegt die Beauftragung der Finanzprokuratur, dass dem Untersuchungsausschuss Akten und Unterlagen gänzlich vorenthalten oder zumindest deren Vorlage möglichst verzögert werden sollten.
Im Vorverfahren gemäß § 74 VfGG ist festzustellen, ob der Angeklagte andere dazu bestimmte, wissentlich ihre Pflichten zu verletzen; oder ob er es trotz seiner sich aus seiner Stellung im Bundesministerium für Finanzen ergebenden Garantenstellung für das Zustandekommen der Aktenvorlage unterlassen hat, Bedienstete des Bundesministeriums für Finanzen im Wissen um die ihn auf Grund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes treffende Verpflichtung anzuweisen, die Aktenvorlage an den Untersuchungsausschuss unverzüglich vorzunehmen (vgl. schon OGH 13.6.1990, 13 Os 5/90).
II. Rechtliche Beurteilung
Art. 53 Abs. 3 B-VG verpflichtet u.a. Organe des Bundes, einem Untersuchungsausschuss alle ihre Akten und Unterlagen im Umfang des Untersuchungsgegenstandes vorzulegen. § 27 Abs. 1 der Anlage 1 zum Geschäftsordnungsgesetz „Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse“ konkretisiert Art. 53 Abs. 3 B-VG dahingehend, dass diese Vorlage unverzüglich zu erfolgen hat.
Die einzigen Ausnahmen von der Vorlagepflicht enthält Art. 53 B-VG selbst. Keiner dieser Ausnahmegründe ist im vorliegenden Fall einschlägig.
Der Verfassungsgerichtshof hat aus Art. 53 Abs. 3 B-VG iVm den Bestimmungen der VO-UA und des VfGG außerdem eine Behauptungs- und Begründungspflicht des vorlagepflichtigen Organs bei Verweigerung der Aktenvorlage abgeleitet. Die Verletzung dieser Begründungspflicht lag dem Erkenntnis des VfGH vom 3. März 2021 zu UA1/2021 zu Grunde, welches vom Angeklagten missachtet wurde.
Spätestens ab dem Zeitpunkt, an dem eine ansonsten strittige Vorlagepflicht durch den Verfassungsgerichtshof entschieden wurde, besteht kein rechtlich zulässiger Grund mehr, dem Untersuchungsausschuss die vom Erkenntnis umfassten Akten und Unterlagen zu verweigern.
Die fortgesetzte Verweigerung der Aktenvorlage durch den Angeklagten ist somit offenkundig rechtswidrig.
In Hinblick auf § 302 Abs. 1 StGB ist erforderlich, dass der Angeklagte als Beamter (§ 74 Abs. 1 Z 4 StGB) seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht.
Im vorliegenden Fall wird der Angeklagte beschuldigt, im März und April 2021 in Wien als vorlagepflichtiges Organ im Sinne des Art. 53 Abs. 3 B‑VG, sohin als Beamter (§ 74 Abs. 1 Z 4 StGB), mit dem Vorsatz, den Nationalrat der Republik Österreich in seinem konkreten Recht auf richtige und vollständige Information sowie Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit gesetzter Behördenakte zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbrauchte, indem er entweder andere dazu bestimmte, dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 3.3.2021 zu UA1/2021 nicht oder erst zu späterem Zeitpunkt nachzukommen, oder es trotz seiner Pflichten als oberstes Organ, dem auch die Aufsicht über die Bediensteten des Bundesministeriums für Finanzen übertragen ist, unterließ, das unverzügliche Zustandekommen der Aktenlieferung an den Ibiza-Untersuchungsausschuss, zu der er auf Grund des genannten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes verpflichtet war, zu bewirken;
III. Zur Zuständigkeit
Gemäß Art 142 Abs. 1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Anklage, mit der die Verantwortlichkeit der obersten Bundes- und Landesorgane für die durch ihre Amtstätigkeit erfolgten schuldhaften Rechtsverletzungen geltend gemacht wird.
Gemäß Art. 142 Abs. 2 lit b B-VG kann Anklage gegen die Mitglieder der Bundesregierung durch Beschluss des Nationalrates erhoben werden.
Gemäß Art. 142
Abs. 4 B-VG hat das verurteilende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes auch
den Amtsverlust auszusprechen.
Gemäß Art. 143 kann eine Anklage gegen die in Art. 142 Genannten
auch wegen strafgerichtlich zu verfolgender Handlungen erhoben werden, die mit
der Amtstätigkeit des Angeklagten in Verbindung stehen.
Die Zuständigkeitsbereiche der obersten Staatsorgane sind in der Bundesverfassung erschöpfend geregelt (VfSlg. 1454/1932). Bezüglich der Bundesregierung trifft Art. 69 Abs. 1 B-VG die Anordnung, dass mit den obersten Verwaltungsgeschäften des Bundes, soweit diese nicht dem Bundespräsidenten übertragen sind, der Bundeskanzler, der Vizekanzler und die übrigen Bundesminister betraut sind. Der den Mitgliedern der Bundesregierung übertragene Wirkungsbereich umfasst somit ausschließlich Akte der staatlichen Verwaltung. Unter dem Begriff "Amtstätigkeit" der Mitglieder der Bundesregierung kann daher nur die Besorgung der Geschäfte der obersten Bundesverwaltung verstanden werden.
Zum Begriff der Geschäfte der obersten Bundesverwaltung, die durch die Mitglieder der Bundesregierung zu besorgen sind, ergibt sich aus § 2 Abs. 3 Bundesministeriengesetz 1986, dass darunter Regierungsakte, Angelegenheiten der behördlichen Verwaltung oder der Verwaltung des Bundes als Träger von Privatrechten zu verstehen sind.
Demnach zählen zu den Geschäften der obersten Bundesverwaltung sämtliche nicht der Gerichtsbarkeit zuzuzählende Vollzugsakte, die durch die Bundesverfassung oder durch die einfache Gesetzgebung nicht anderen Organen, seien es oberste oder nachgeordnete, zur Besorgung zugewiesen sind.
Voraussetzung einer Anklage vor dem Verfassungsgerichtshof ist ferner eine schuldhafte Rechtsverletzung durch den betreffenden Organwalter. Damit wird jede Form der Schuld, also Vorsatz, grobe und auch leichte Fahrlässigkeit, erfasst. Bei Mitgliedern der Bundesregierung und diesen gleichgestellten Organwaltern muss es sich um Gesetzesverletzungen handeln, die der betreffende Organwalter durch seine Amtstätigkeit begangen hat.
Die Vorlage von Akten und Unterlagen an einen Untersuchungsausschuss des Nationalrats gemäß Art. 53 Abs. 3 B-VG stellt zweifellos eine Amtstätigkeit dar.
Dem beigelegten beglaubigten Protokoll zu entnehmenden Beschluss des Nationalrates gemäß Art. 76 Abs. 2 B-VG wurde die Erhebung der gegenständlichen Anklage gemäß Art. 142 B-VG beschlossen und der umseits ausgewiesene Vertreter gemäß § 72 Abs. 2 VfGG bestellt.
IV. Zum Verschulden
Der Angeklagte handelte bei der durch seine Amtstätigkeit erfolgten Rechtsverletzungen ohne Zweifel schuldhaft iSd Art. 142 Abs. 1 B-VG. Aus dem Sachverhalt ergibt sich klar, dass der Beschuldigte mehrfach ‑ u.a. schriftlich als auch während seiner Befragungen im Ibiza-Untersuchungsausschuss ‑ auf seine Verpflichtung zur Vorlage von Akten und Unterlagen gemäß Art. 53 Abs. 3 B-VG hingewiesen wurde. Der Angeklagte musste aus diesem Grund den Eintritt einer Verletzung der Rechte des Nationalrates zumindest ernstlich für möglich halten und hat sich dennoch damit abgefunden („bedingter Vorsatz“).
V. Zur Strafe
Die Sanktion der Enthebung des Amtes ist in Art. 142 B-VG ausdrücklich als Folge eines Schuldspruches vorgesehen.
Der Strafrahmen des § 302 Abs. 1 StGB ist durch diese Bestimmung selbst vorgegeben.“
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Verfassungsausschuss vorgeschlagen.