1604/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 19.05.2021
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Mag. Beate Meinl-Reisinger‚ MES, Dr. Nikolaus Scherak‚ MA, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Zukunftskonvent Österreich

 

Die Pandemie hat uns mehrere Dinge schmerzhaft vor Augen geführt:

·         die strukturellen Defizite in unserem Land;

·         dass wir aus unseren Fehlern endlich lernen müssen; und

·         dass veraltete Muster keine Basis für das Überstehen einer solche Krise bieten und uns stattdessen aufhalten, uns vorwärts zu entwickeln.

Daher braucht es einen echten Neustart. Wie durch ein Brennglas sehen wir nun, wo unsere Schwächen liegen, wo wir an unsere Grenzen gestoßen sind, was man besser machen kann - und muss. Das trifft zu auf die Bildungspolitik, den Arbeitsmarkt, österreichisches Unternehmertum und die Strukturen unseres Sozialstaats. Es trifft ausstehende Reformen, verrostete Strukturen, Intransparenz und das enorme Nachhinken in Sachen Digitalisierung.

Aber jede Krise ist auch eine Chance, versteinerte Strukturen aufzubrechen und sich auf eine Zukunft vorzubereiten, die mit den Mitteln der Vergangenheit nicht zu bewältigen sind – ungeachtet dessen, wie adäquat diese Mittel in der Welt von einst auch gewesen sein mögen. Das Abebben der Corona-Pandemie ist daher der ideale Zeitpunkt für einen Zukunftskonvent; also dafür, eine offene, parteiübergreifende Debatte abseits von Ideologien über das zu führen, was Österreich für die Zukunft am dringendsten braucht. Ein Zukunftskonvent ist eine Chance für unser Land und alle seine politischen Parteien, ohne Kritik an der Politik der Vergangenheit die Welt um uns neu zu bewerten und uns an sie anzupassen. Denn so sehr es Ideologen aller Couleurs auch gefallen würde, die globale Realität wird sich nicht an uns anpassen. Wir schaffen uns nicht die Welt, in der wir leben wollen; wenn wir in der Welt gut leben wollen, müssen wir uns an sie adaptieren. 

Die Corona-Krise hat aufgezeigt dass:

·         der österreichische Staat träge war mit neuen Ideen, weil die Mächtigen zu lange eingebettet in die Strukturen des Proporzsystems gut gelebt haben – es braucht einen Staat, der Leistungsträger_innen ohne Rücksicht auf Parteibuch mehr Chancen gibt und der selbst nur korrigierend eingreift;

·         Kurzzeitdenken vor strategischem vorherrscht; daraus entstanden die sich ständig ändernden Corona-Maßnahmen, Wirtschaftshilfen, Öffnungen und Schließungen – es braucht klare nationale Ziele und wie diese zu erreichen sind;

·         ein Staat, der mit der Versorgung seiner Günstlinge beschäftigt ist, weder effektiv noch im Allgemeinwohl reagiert – er braucht Transparenz.

·         Lokalgranden in guten Jahren die Hand gegenüber der Bundesregierung aufhalten, in schlechten Zeiten aber einer Nationalstrategie mit aller Macht im Wege stehen – es braucht eine Neuordnung unseres Föderalismus, in dem die Länder klare Verantwortungen für ihre Belange haben, aber kein lokalpolitisch motiviertes Vetorecht gegenüber Maßnahmen des Bundes.

Ein Zukunftskonvent muss die übergeordneten Strukturen des Staates (wie Bundesrat, Bund-Land-Doppelgleisigkeit, Unvereinbarkeit von politischen Ämtern und Interessensvertretungen etc.) neu anordnen, um eine Optimierung der Gesetzgebung und Exekution zu ermöglichen.  

1.    Die Kernaufgaben des Sozialstaats

a.    Pensionsreform: Um die großen Herausforderungen für die Zeit, zu der die Baby Boomer Generation in Pension geht, stemmen zu können, müssen wir die Finanzierung des Systems umdenken. Das ist kein ideologischer Prärogativ, sondern eine mathematische Notwendigkeit. Wenn proportional immer weniger Menschen ins System einzahlen als empfangen, kann man das System nur erhalten, wenn man es an diese neuen Realitäten anpasst. Die Finanzierung des Sozialsystems auf Basis des Generationenvertrags – diejenigen im Arbeitsprozess zahlen für diejenigen, die noch nicht oder nicht mehr arbeiten – funktioniert nicht mehr so wie früher. Mehr Menschen studieren und sie studieren länger, ältere leben länger, die Schere zwischen den Einzahl- und Empfangszeitraum weitet sich dramatisch aus. Wir müssen neue Modelle der Finanzierung erarbeiten, um auch der Generation der 1970 und später geborenen noch eine Pension garantieren zu können.

b.    Krankenversicherungsreform: Eine Vielzahl an Versicherungsträgern mit einer Vielzahl an Bürokratien und duplizierten Kosten erlauben es, Parteigänger – die Familie – gut zu versorgen, nicht aber Patient_innen. Wenn es multiple Versicherungsträger geben soll, dann müssen diese ihre Existenz vor den Beitragszahler_innen auch rechtfertigen: durch Innovation oder Qualität der Leistung. 

c.    Bildung: Das österreichische Bildungssystem ist noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen. Die Corona-Krise hat eklatante Schwächen vor allem im Bereich der Digitalisierung der Schulen, aber auch generell in der Nutzung der letzten Lerntechnologien aufgezeigt. Dazu muss der Lehrplan entrümpelt werden, um junge Menschen auf die Herausforderungen nicht des 20., sondern des 21. Jahrhunderts vorzubereiten. 

2.    Kernaufgaben des Staates in der Wirtschaftslenkung und Standortattraktivierung

a.    Förderung von Gewerbe: Der Staat reguliert, um Betrug und Auswüchse zu verhindern und Konsument_innen zu schützen. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, durch das Gewerberecht eingesessene Unternehmen vor aufkeimender Konkurrenz zu schützen, da dieses Aufkeimen Innovation und Wohlstand schaffen. Österreich muss die Krise nützen, um den Sprung von einem Gewerbebehinderungsrecht der Zeit der Monarchie in ein der Wirtschaft des 21. Jahrhunderts angepassten Gewerbeförderungsrecht zu machen. Auch ist es wichtig, beim Konkursrecht Risikobereitschaft anzuerkennen und steuerrechtlich zur Unterstützung der Schaffung von Eigenkapital Gründer_innen zu beizutragen.

b.    Förderung der Arbeit: Österreich ist ein Hochlohnland. Das ist gut so, wenn dadurch Österreicher_innen auch gut verdienen. In der Europäischen Union sind in nur zwei Volkswirtschaften die Lohnnebenkosten höher als bei uns. Jede_r Arbeitnehmer_in kostet Österreichs Unternehmen mehr Geld als im Ausland, netto verdienten Mitarbeiter_innen hier aber weniger. Wir müssen weg von einem System, in dem wir das, was wir fördern wollen (Arbeit für die Menschen), extrem hoch besteuern. Eine Reform der Lohnnebenkosten sowie der Einkommenssteuer würde mehr Geld in den Taschen der Menschen belassen und die Kosten für Österreichs Unternehmen verringern.

c.    Digitalisierung: In einem Hochlohnland hängt die Wirtschaft von der Produktivität ab, und diese von Innovation. Österreichs Wirtschaft beklagt sich seit Jahren über den schleppenden Fortschritt der Digitalisierung. Die Bundesregierung will Geld aus Brüssel für einen Sprung vorwärts. Was es braucht ist die Mithilfe der Industrie im Planungsstadium, damit aus dem Sprung vorwärts ein Quantensprung wird. 

d.    Ausbildung: Vor der Krise gab es in Österreich einerseits Arbeitslosigkeit, andererseits Arbeitskräftemangel, sowohl bei qualifizierten als auch in Sektoren wie Erntearbeit. Die Corona-Krise hat noch weiter verdeutlicht, wie stark wir von ausländischen Arbeitskräften abhängen. Es für den Standort kritisch, dass die benötigten Arbeitskräfte zeitgerecht und für unsere Bedürfnisse ausreichend qualifiziert vorhanden sind. Dazu braucht es eine public-private partnership zwischen Unternehmen, Fachhochschulen und anderen Trainingszentren, sowie Anreize, um die Mobilität der Menschen zu erleichtern.

e.    Staat und Privat: Der Staat ist kein guter Unternehmer, egal ob in der Stahlerzeugung, Betriebsgründungen im Hi-Tech Sektor oder der Schaffung von Wohnraum. Der Staat muss Anreize für den Markt schaffen, mehr von den Gütern bereitzustellen, die unsere Gesellschaft braucht. Nur wo der Markt versagt – bei der Bereitstellung öffentlicher Güter – tritt der Staat direkt als Versorger auf. Andernfalls legt er die Grundregeln fest, reguliert und fördert. 

3.    Budgetreform: 

a.    Staatskredite als Investition: Kredite sind für einen Staat aus verschiedenen Gründen und in verschiedenen Situationen notwendig. Die Politik braucht aber Kontrollmechanismen, um sicherzustellen, dass Kredite für BIP-erhöhende Investitionen, nicht Umfragewerte erhöhenden politischen Konsum ausgegeben werden. Da Politiker ein Interesse an politischem Konsum haben, bedarf es eines überpolitischen Kontrollorgans.

b.    Transparenz: Ein schlanker, effizienter Staat der sein Geld sinnvoll investiert ist nur möglich, wenn Kontrolle immer und überall ansetzen kann. Postenschacher, Vetos durch Landesfürsten oder im Nationalrat vertretene Lobbies und politische Vergabe von Staatsgeldern sind die Antithese zum effizienten Staat. Das Amtsgeheimnis muss die – vom Staat zu rechtfertigende und von Gerichten zu überprüfende – Ausnahme sein; Kontrolle muss für das Parlament wie auch die Medien und die Zivilgesellschaft allgegenwärtig sein. 

4.    Klimaschutz und Umwelt

a.    Klimaschutz: Es gibt keine zentrale Koordination von Klimaschutzmaßnahmen. Aus heutiger Sicht wird Österreich die EU Klimaziele für 2030 deutlich verfehlen. Daher ist mit Kompensationszahlungen für den Ankauf von Emissionszertifikaten von bis zu etwa 9 Milliarden Euro zu rechnen. Dazu verursacht der Klimawandel hierzulande bereits jetzt volkswirtschaftliche Kosten von einer Milliarde Euro jährlich. Klimaschutz muss Querschnittsmaterie und alle Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit Österreichs Klimaschutzverpflichtungen geprüft werden. 

b.    Umweltschutz: Immer noch herrscht in Österreich eine politisch dominierte Förderlogik, bei der politisch einflussreiche Sektoren auch umweltschädliche Förderungen erhalten, der Staat dann aber mit der anderen Hand Steuergeld für Förderungen zur Umkehr der Schäden ausgibt. Was es braucht sind strukturelle Reformen, allen voran die Ökologisierung des Steuersystems inklusive Steuerentlastung, um einen Lenkungseffekt zu gewährleisten. 

5.    Föderalismusreform:

a.    Effizienter Föderalismus: Der Vorteil des Föderalismus ist Regierung nahe am Menschen und der Lokalwirtschaft. Wo Lokalregierungen Kompetenzen haben und Eigenverantwortung übernehmen, gewinnt der Staat durch den Ideenwettkampf, der aus dem föderalen System entsteht. In Österreich aber haben die Länder die Macht, sich dem Bund entgegenzustellen (siehe Corona-Maßnahmen), aber wenig Eigenverantwortung für Mittelbeschaffung oder -Verwendung. Daraus entsteht die schlechteste beider Welten. Unser Föderalismus muss reformiert werden – entweder hin zu einem System in dem die Länder Autorität gewinnen, sich im Ideenwettkampf mit anderen zu behaupten, oder zu einem System, in dem ihre Macht zu blockieren beschnitten wird. 

6.    Österreich in der EU

a.    Vorteile anerkennen: Österreich hat wie kaum ein anderes Land von der EU-Mitgliedschaft wie auch von der Osterweiterung profitiert. Produkte, vor allem aus der Landwirtschaft, die vor dem EU Beitritt schwer auf den internationalen Markt zu bringen w

b.    aren, sind nun Exportschlager. Europa schlechtzureden oder die Solidarität zu verweigern ist Selbstverstümmelung. Europa kann wie jedes gemeinschaftliche, demokratische System nur funktionieren, wenn die Mitglieder die Erfolge anerkennen und auch Abstriche bei kurzfristigen Eigeninteressen zum Wohle des langfristigen Gemeinschaftsinteresses machen. Gerade das kleine, aber handelsorientierte Österreich muss sich in Brüssel für die Stärkung der EU einsetzen. Dafür bedarf es zwingend der Abschaffung der Einstimmigkeit. 

c.    Landesverteidigung: Österreichs liegt inmitten von EU Partnerländern – mit der Ausnahme von Liechtenstein und der Schweiz, die aber keine militärische Gefahr für uns darstellen. Österreich wird in absehbarer Zeit keinen Krieg an seinen Grenzen führen. Österreichs Sicherheit entscheidet sich an den EU Außengrenzen und – wie in Syrien oder Libyen – in der mittelbaren Peripherie. Das Verteidigungsministerium ist sich dessen bewusst, wie alle jüngeren Sicherheitslageberichte belegen. Die Ministerin prüft zurzeit die Möglichkeit einer gemeinsamen Luftraumüberwachung mit Partnerstaaten. Wir brauchen keine Diskussion über die historische Bedeutung der Neutralität, sondern wie sie heute, als Mitglied der Europäischen Union, gelebt werden muss, damit die Sicherheit Österreichs in einer Ära gewährleistet werden kann, in der kein kleiner Staat dies eigenständig bewältigen kann.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG




Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für EU und Verfassung, wird aufgefordert, ehestmöglich einen Zukunftskonvent einzuberufen, um die Richtlinien für die nationalen Ziele und staatlichen Kernaufgaben für den Neustart nach Corona zu erarbeiten. Der Konvent soll einen Zeitplan für die Umsetzung der für ein zukunftsfittes Österreich unabdingbaren Reformen erarbeiten und festlegen, welche Ressourcen dafür bereitgestellt werden müssen. Der Konvent soll aus Vertreter_innen der Parlamentsparteien, der Bundesregierung, der Sozialpartner, des Rechnungshofs, der Volksanwaltschaft, der Landtage und Landesregierungen und des Städte- und Gemeindebundes bestehen und seine Debatten öffentlich abwickeln."  


In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Verfassungsausschuss vorgeschlagen.