1611/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 19.05.2021
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Henrike Brandstötter, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Einrichtung von Gewaltambulanzen in allen Bundesländern

 

Zwölf Frauenmorde in den ersten fünf Monaten des Jahres 2021 in Österreich – übrigens dem einzigen Land in der Europäischen Union, in dem mehr Frauen als Männer Opfer von Tötungsdelikten wurden – sprechen eine erschreckend deutliche Sprache: Obwohl Österreich im Bereich Gewaltschutzgesetz und -maßnahmen im internationalen Bereich durchaus als Positiv-Beispiel geführt wird, gibt es in Österreich ein offensichtliches, auf Männergewalt basierendes „Frauengewalt- und Femizid-Problem“.

2020 wurden 11.652 Betretungs- und Annäherungsverbote von der Polizei verhängt. 2019 waren es 8.748, wie aus den Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik und Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie hervorgeht.

Jede fünfte Frau ist statistisch gesehen ab ihrem 15. Lebensjahr körperlicher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt. Das zeigte auch eine Erhebung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte zu geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen im Jahr 2014. Im europäischen Vergleich findet sich Österreich in der Mitte wieder. Laut den im Herbst 2020 von Eurostat veröffentlichten Zahlen ist Österreich jedoch wie angeführt das einzige EU-Land, in dem mehr Frauen als Männer Gewaltverbrechen zum Opfer fielen.

Der GREVIO­ (Basis)Evaluierungsbericht des Europarates (2017), der die Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (kurz Istanbulkonvention) überprüft, zeigte sich im Zusammenhang mit Österreich besorgt über das ungleiche Ausmaß an Hilfsangeboten für die unterschiedlichen in der Istanbul-Konvention definierten Formen von Gewalt. Unter anderem wurde im Bericht angemerkt, dass eine beträchtliche Anzahl an Opfern keine spezifische Betreuung erhielt. GREVIO forderte die österreichische Regierung nachdrücklich dazu auf, grundsätzlich dafür zu sorgen, dass die spezialisierten Hilfseinrichtungen die Bedürfnisse der Opfer, unabhängig von der Form der erfahrenen Gewalt oder deren jeweiliger Lebensumstände und den damit einhergehenden Problemen, erfüllen.

GREVIO-Forderungen an die österreichische Regierung waren dabei auch folgenden Maßnahmen:

- Ausarbeitung einer Gesamtstrategie für die Bereitstellung von Hilfseinrichtungen, auf Basis einer Bedarfsanalyse hinsichtlich der Anzahl, Art und geografischen Lage der Einrichtungen, die von Opfern aller verschiedenen Formen von Gewalt benötigt werden und

- Sicherstellung der Verfügbarkeit von Beratungsstellen für sexuelle Gewalt (einschließlich Vergewaltigung) in jedem der neun Bundesländer

Der aktuelle Bericht, der Tätigkeiten zwischen Juni 2019 und Dezember 2020, der 17 Ländern in Europa umfasst, hält fest, dass die Pandemie den Unterstützungsbedarf stark erhöht hat. Der Bericht zeigt, wie sehr die Pandemie bereits zuvor bestehende Lücken bei spezialisierten Dienstleistungen ans Licht gebracht hat und weist auch darauf hin, dass viele nicht allen Anforderungen an Beratungsstellen gemäß der Konvention „in ausreichendem Maß“ gerecht geworden sind. In ihren Basisbewertungsberichten stellt die GREVIO fest, dass Beratungsstellen speziell auf weibliche Gewaltopfer ausgerichtet sein müssen und dass das Personal, das die Informationen und die Beratung bereitstellt, in diesem Bereich geschult sein muss. https://rm.coe.int/grevio-s-second-activity-report-2021/1680a2165c

Aus diesen Gründen ist es umso wichtiger, endlich in allen neun Bundesländern zusätzlich zu den bestehenden und etablierten Opferschutzeinrichtungen 24 Stunden verfügbare Gewaltambulanzen als niederschwellige Anlaufstellen, an die sich Betroffene rund um die Uhr wenden können, einzurichten. Gewaltambulanzen sind Anlaufstellen mit interdisziplinären Teams, wo betroffene Frauen sowohl psychologisch als auch ärztlich und juristisch betreut werden, wodurch nicht zuletzt die Aussichten auf erfolgreiche Klagen und Verurteilungen im Falle sexualisierter Gewalt erhöht werden. In diesen Ambulanzen können Opfer von Gewalt rund um die Uhr betreut und rechtsmedizinisch untersucht werden. Klinische Ärzt_innen und Rechtsmediziner_innen führen gemeinsam Untersuchungen durch und können dadurch Beweise und Spuren sichern und gerichtsfest dokumentieren. Kommt es nach einem Übergriff zu einem Verfahren, weil sich ein_e Betroffene bzw. Betroffener zur Anzeige entschließt, besteht mehr Rechtssicherheit, weil es entsprechende Beweise und Befunde gibt. Dadurch verkürzen sich im Idealfall auch gerichtliche Verfahren, deren lange Dauer häufig eine weitere hohe psychische Belastung für von Gewalt Betroffene darstellt. Trotzdem entsteht kein Zwang zur Anzeige für Opfer. Um einen möglichst niederschwelligen Zugang sicherzustellen, soll das Angebot im Idealfall auch mobil bestehen. Neben einer klinischen und rechtsmedizinischen Untersuchung sollen Betroffene zusätzlich auch über etwaige nächste Schritte aufgeklärt und über relevante Opferschutzeinrichtungen informiert werden.

Die Etablierung von Gewaltambulanzen verfolgt drei wesentliche Ziele:

Stärkung des Opferschutzes, weil Opfer von Gewalt eine weitere, niederschwellige AnlaufsteIle haben, in der Beweise gesichert werden. Sie bekommen Klarheit darüber, was ihnen widerfahren ist und welche Möglichkeiten sie haben, gegen Täter_jnnen vorzugehen.

In weiterer Folge entsteht durch die gerichtsfeste Beweissicherung und Dokumentation mehr Rechtssicherheit für Betroffene. Entschließen sie sich zu einer Anzeige, haben sie bessere Aussichten auf Erfolg und kürzere Verfahren.

Letzten Endes dienen Gewaltambulanzen auch der Prävention - besseres Beratungs- und Betreuungsangebot, kürzere Verfahren und eine höhere Verurteilungsrate von Täter_innen sollen im Ergebnis zu weniger Gewalt führen.

Die Errichtung von Gewaltambulanzen entspricht nicht zuletzt auch der Empfehlung des GREVIO Komitees (111163 d.B., XXVI. GP), nach einer "Sicherstellung, dass mehr getan wird, um den sensiblen Umgang mit Opfern, die Vergewaltigungen und andere Formen von sexueller Gewalt anzeigen, zu gewährleisten, indem zum Beispiel in allen neun Bundesländern Vergewaltigungs-Krisenzentren oder Hilfseinrichtungen für Betroffene von sexueller Gewalt mit speziell ausgebildeten Mitarbeiterinnen eingerichtet werden (Absatz 157);", und stellt einen wesentlichen Baustein im Zusammenhang mit der Optimierung des österreichischen Gewaltschutzsystems dar.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG




Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Frauen, Familie, Jugend und Integration im Bundeskanzleramt, wird aufgefordert, Gewaltambulanzen als niederschwellige, 24/7-Anlaufstellen für von Gewalt Betroffene mit interdisziplinären Teams in allen Bundesländern zu etablieren und damit auch den Empfehlungen des GREVIO-Komitees nachzukommen."

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Gleichbehandlungsausschuss vorgeschlagen.