1655/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 20.05.2021
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Entschließungsantrag

Antrag

 

der Abgeordneten Mag. Christian Drobits,

Genossinnen und Genossen

 

betreffend mehr Information bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln für mehr Entscheidungsfreiheit der KonsumentInnen

 

Während in anderen Ländern über die Kennzeichnung des Nährwertes eines Lebensmittels durch verständliche Symbole (Nutriscore etc.), Möglichkeiten der Kennzeichnung der Klimafreundlichkeit und des Tierwohls oder neue Formen der Haltbarkeitsdarstellung diskutiert wird, um den KonsumentInnen eine gesündere und nachhaltigere Lebensmittelauswahl zu ermöglichen, Lebensmittelabfälle zu vermeiden und alle in der Lebensmittelkette Beteiligten dazu anzuregen, ihre Rezepturen und Angebote zu verbessern, redet man in Österreich bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln in den vergangenen Monaten hauptsächlich über Herkunft und Regionalität („Herkunft Österreich“, „regional“)

Dabei werden oft freiwillige und verpflichtende Kennzeichnungen vermischt, EU- Vorgaben ignoriert und auch Primärprodukte und Lebensmittel und/oder Speisen in einen Topf geworfen.

Wie der Skandal rund um die „Hygiene Austria“-Schutzmasken deutlich zeigt, hat eine Bezeichnung und Werbung, die auf die Herkunft eines Produkts verweist, für die KonsumentInnen nur dann einen Wert, wenn auch ein ausreichendes Kontrollsystem vorhanden ist und dieses auf Kriterien gestützt ist, die auch die Erwartung der VerbraucherInnen im Zusammenhang mit einer derartigen Kennzeichnung und Werbung widerspiegeln. Die Erfahrung hat gezeigt: Masken aus China erfüllen diese Erwartung wohl nicht; der Schaden, der damit „Made in Austria“ zugefügt wurde, ist noch kaum abzuschätzen.

Vor vielen Jahren haben sich die Verkehrskreise in Österreich geeinigt, das Gütezeichen „made in Austria“ für Lebensmitteln nicht zu verwenden, weil die Kriterien dafür – nämlich mindestens die Hälfte der Wertschöpfung in Österreich – für Lebensmittel nicht (mehr) als passend befunden wurden.

Seither gibt es im Bereich der Lebensmittel einen Wildwuchs an freiwilligen Auslobungen, Zeichen oder Wort-Bild-Marken, mit mehr oder weniger klaren Herkunftsbezug, oft auch in Form von Umschreibungen („mit der Kraft der Berge“, „das Beste aus den Alpen“). Auch andere bei KonsumentInnen hoch im Kurs stehende Eigenschaften wie Nachhaltigkeit, Klimafreundlichkeit („green claims“) oder besondere Gesundheitsaspekte („free from“ oder clean labeling) sind betroffen. Diese Vielfalt an Kennzeichnungen mit einer Fülle von „Scheingütezeichen“ ohne verlässlichen Rechtsrahmen hat eine für die KonsumentInnen verwirrende und für die Lebensmittelaufsicht fast aussichtslose Situation erreicht. Der jüngste Rechnungshofbericht betreffend Koordinierung von Qualitätszeichen im Lebensmittelbereich – Reihe BUND 2020/9 kritisiert sehr deutlich, dass es im Bereich der freiwilligen Gütesiegel kein durchgängiges Kontrollsystem gibt und dass mit der bestehenden Personalausstattung die Masse an freiwilligen Gütezeichen nur sehr eingeschränkt auf ihre ehrliche Umsetzung bei der Produktion überprüft werden kann.

Der (derzeit aktuellste) Lebensmittelsicherheitsbericht 2019 wiederum weist aus, dass Kennzeichnungsmängel und irreführende Informationen erneut häufigste Beanstandungsgründe durch die amtliche Kontrolle waren, obwohl hier vermutlich nur die Spitze des Eisbergs abgebildet werden kann.

Mit dem Vertrauen der Konsumentinnen und Konsumenten zu spielen, darf sich nicht lohnen. Für einige Lebensmittel gilt laut den EU-Vermarktungsnormen bzw. einschlägigen EU-Verordnungen die Pflicht zur Angabe der Herkunft (zB Schaleneier, unverarbeitetes Obst und Gemüse, Olivenöl, Honig, frisches und gefrorenes Rindfleisch, frischer und gefrorener Fisch). Für frisches und gefrorenes Fleisch von Schaf, Ziege, Schwein und Geflügel muss nach der EU-Lebensmittelkennzeichnungsverordnung der Ort der Mast und Schlachtung angegeben werden. Für besondere Qualitäten bei Lebensmitteln gibt es ein freiwilliges EU-Regime der Kennzeichnung und Kontrolle (geschützter Ursprung, geschützte geographische Angabe, geschützte traditionelle Spezialität) und darüber hinaus gilt das allgemeine Irreführungsverbot. Das Lebensmittelkennzeichnungsrecht ist vollharmonisiert.

Eine verpflichtende Kennzeichnung „Herkunft Österreich“ per Gesetz in Österreich einzuführen, ist nur dann möglich, wenn dies an klar „bessere“ Kriterien als die EU-weit harmonisierten Produktionsstandards (zB Fütterung, Tierhaltung, Pestizideinsatz etc.) geknüpft ist – geltend für die gesamte österreichische Produktion im jeweiligen Bereich/der jeweiligen Branche. Dass eine Pflicht zur Herkunftsangabe eine klare, über den allgemeinen Standards liegende Qualität voraussetzt, hat auch der EUGH bestätigt (Milch/Frankreich).

Entscheidet sich ein Mitgliedsstaat für generell höhere Produktionsstandards, ist eine Pflicht zur Herkunftsangabe für in diesem Land produzierte Lebensmittel möglich. Für Lebensmittel aus anderen Mitgliedsstaaten muss der freie Warenverkehr weiter gelten.

Als besonders deutliches Beispiel soll hier der Bereich der Schweinehaltung herangezogen werden. In Österreich werden Schweine leider nach wie vor zu ca. 90% auf Vollspaltenböden gehalten. Seit Jahren wird ein Fortschritt beim Tierschutz in der Schweinehaltung von einer Agrarlobby verhindert, die sich gleichzeitig massiv dafür einsetzt, dass „Herkunft Österreich“ als Vermarktungsinstrument zusätzlichen Absatz bringt. Hier ist es für die KonsumentInnen nicht transparent, wie das Tier gehalten wurde und „Herkunft Österreich“ bedeutet damit auch keine bessere Qualität. Für eine verpflichtende Kennzeichnung fehlt die Basis.

Andererseits wäre eine verlässliche, auf höheren Standards bauende Herkunftskennzeichnung eine Chance für die österreichischen landwirtschaftlichen Betriebe, sich mit ihren Produkten, die mit einer Qualität über dem Mindeststandard liegen, am Markt zu behaupten. Auch in Konkurrenz zu Produkten aus anderen europäischen Staaten und Drittländern wäre es ein besonderer Vorteil, wenn beim Einkauf klar ersichtlich ist, was der Konsument, die Konsumentin, gemeinsam mit der „Herkunft Österreich“ im Produkt erwirbt.

Es liegt in der Zuständigkeit und Verantwortung der Mitgliedsstaaten, die Vorgaben, die für verpackte Lebensmittel gelten, auch für offen abgegebene Lebensmittel (zB Abgabe an der Fleischtheke, Einkauf beim Bäcker etc.) und in der Gemeinschaftsverpflegung (Großküchen, Buffets, Gastronomie, Kaffeehäuser etc.) vorzuschreiben. Unterscheidungen sind begründet möglich. Es ist aber kaum denkbar, Spitalsküchen zur Herkunftskennzeichnung von Fleisch, Eiern oder Kartoffeln zu verpflichten, aber Bäckereien, Imbisse, Wirtshäuser oder Cafés nicht. Eine Herkunftskennzeichnung bei ausgewählten Zutaten (zB Fleisch, Eier) für alle Gemeinschaftsverpfleger ist dann machbar, wenn die Information auf den von ihnen zugekauften Lebensmitteln verfügbar ist. Das ist allerdings derzeit nicht durchgängig der Fall. Dieser Lückenschluss muss also jedenfalls auch erfolgen, bevor Gemeinschaftsverpfleger dazu verpflichtet werden, Herkunftsangaben bei ausgewählten Zutaten zu machen. 

Die Kontrolle der Richtigkeit der Angaben bleibt aber auch nach diesem „Lückenschluss“ eine Herausforderung für die Aufsicht und die UnternehmerInnen. Es müssen alle Verpackungen aufgehoben bzw. hinreichend dokumentiert werden und Menükarten müssen gegebenenfalls nach jedem Einkauf umgeschrieben werden. Eine analytische Kontrolle am Endprodukt ist derzeit nicht möglich.

Grundsätzlich muss aber der Dschungel der freiwilligen Siegel endlich durch gesetzliche Regeln für Gütezeichen in verlässliche Bahnen gelenkt werden. Es müssen verbindliche Grundregeln für alle besonderen „Qualitäten“, die mit einem Zeichen/Siegel versehen werden können, festgelegt werden. Es braucht klare Kriterien orientiert an der Verbrauchererwartung (zB was bedeutet „regional“, was ist „tiergerecht“, was steckt hinter „naturnah“ etc.), ein transparentes Verfahren der Anerkennung, der Zugang muss für alle, die die Kriterien erfüllen, möglich sein und die Einhaltung der Kriterien muss unabhängig und regelmäßig kontrolliert werden. So schafft man es auch rasch, Trittbrettfahrer und „Scheingütezeichen“ aus dem Markt zu drängen.

Die gefertigten Abgeordneten stellen daher den

 

 

Entschließungsantrag

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesonders der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz wird aufgefordert, sich zum Schutz der Interessen der Konsumentinnen und Konsumenten auf allen Ebenen dafür einzusetzen, dass die Systeme der freiwilligen Herkunftskennzeichnung verlässlich ausgebaut werden und die verpflichtende Kennzeichnung der Herkunft im EU-rechtlich möglichen Ausmaß in Österreich umgesetzt wird. Insbesondere müssen Lücken der Kennzeichnung entlang der Lebensmittelkette (Business to Business) gesetzlich geschlossen werden.  

Gleichzeit soll geprüft werden (Machbarkeit), wie eine Verpflichtung zur Angabe „Herkunft Österreich“ geknüpft an höhere Produktionsstandards eingeführt werden kann (Fleisch, Milch, Eier bzw. Lebensmittel mit Fleisch, Milch, Eiern als primäre Zutat). Die entsprechenden Kriterien müssten jedenfalls sein: 

·         Tierhaltung

o   die Haltungsbedingungen müssen über den EU-Mindeststandards liegen (wo festgelegt)

o   keine Vollspaltenböden

·         Tierschutz

o   keine betäubungslose Kastration, kein Kückenschreddern, keine oder schmerzfreie Enthornung etc.

·         Fütterung

o   Futter muss aus Österreich stammen und gentechnikfrei sein 

·         Transport

o   max. Transportkilometer im Laufe des Lebens des Tieres (ausgenommen Geflügel) sollen festgelegt werden.

Außerdem wird der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz aufgefordert, ein Gütezeichengesetz vorzulegen, das für verlässliche und transparente Gütezeichen einen klaren Regelungsrahmen vorgibt (Verfahren der Anerkennung, allgemeine Kriterien, Transparenz, Zugänglichkeit, unabhängige Kontrollen).

Bis zum Vorliegen des Gütezeichengesetzes und den dann darauf aufbauenden spezifischen staatlichen Gütezeichen-Standards muss umgehend die Codex-Kommission beauftragt werden, die Verbrauchererwartung im Hinblick auf die Auslobung „regional“ zu codifizieren, um Verbrauchertäuschung und unterschiedlichen Anwendungen bzw. Bedeutungen von „regional“ vorzubeugen.“

 

Zuweisungsvorschlag: Gesundheitsausschuss