1795/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 07.07.2021
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Dr. Nikolaus Scherak‚ MA, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Für ein nationales Verbot des Einsatzes von Software zur automatisierten und massenhaften Gesichtserkennung im öffentlichen Raum

 

Die Anwendung von Gesichtserkennungssoftware durch Sicherheitsbehörden ist auf einem rasanten globalen Vormarsch. Immer mehr Staaten folgen der Sicherheitsstrategie Chinas, die sich durch Totalüberwachung mittels Gesichtserkennungssoftware und massenhafter Videoüberwachung auszeichnet (orf.at, 1.2.2020). Erst kürzlich wurde bekannt, dass in Belgrad, das gesamte Stadtgebiet durch ein System massiver biometrischer Überwachung abgedeckt ist (krone.at, 22.6.2020). Dabei warnen zahlreiche Expert_innen, Technologieunternehmen und Politiker_innen energisch vor der Anwendung von Gesichtserkennungssoftware im öffentlichen Raum. 

Im Mai 2021 veröffentlichte Amnesty International einen Bericht, der die menschenrechtlichen Folgen des Einsatzes von Gesichtserkennungssoftware festhält. Laut Amnesty International greift der Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie, insbesondere der Einsatz von Gesichtserkennung in Echtzeit, massiv in die Grundrechte und allen voran in das Recht auf Privatsphäre ein. Darüber hinaus sind Gesichtserkennungstechnologien nach wie vor nicht vollständig abgetestet, fehleranfällig und bergen ein hohes Risiko der Diskriminierung von bereits marginalisierten Gruppen. Auch der "chilling effect" ist zu beachten: Menschen verhalten sich anders, wenn sie wissen, dass sie beobachtet werden. Dies kann etwa dazu führen, dass Bürger_innen aus Sorge vor Repressionen nicht mehr an Demonstrationen teilnehmen oder ihre Meinung nicht mehr äußern (amnesty.at, Mai 2021). 

Dieser Kritik schlossen sich auch unlängst der EU-Datenschutzbeauftragte Wojciech Wiewiórowski sowie der Europäische Datenschutzausschuss an. In einer Stellungnahme äußerten sie Mitte Juni 2021 ihre Bedenken in Bezug auf Systeme zur automatisierten Identifikation durch Biometrie heftig. Sie sehen in der flächendeckenden Nutzung der genannten Technologien das "Ende der Anonymität" in öffentlichen Räumen. "Anwendungen wie Gesichtserkennung in Echtzeit greifen so sehr in Grundrechte ein, dass sie womöglich die Essenz dieser Rechte und Freiheiten infrage stellen", erläuterten die Datenschützer. Besonders kritisch sehen sie die Gesichtserkennung aus der Ferne, aber auch Bewegungsmusteranalysen, das Mitlesen von Fingerabdrücken, DNA, Stimmen, Tastaturtippgeschwindigkeit und anderen biometrischen oder verhaltensspezifischen Signalen. Auch künstliche Intelligenzen, die Emotionen einer Person lesen können, sind laut ihnen als höchst problematisch anzusehen (derstandard.at, 22.6.2021). 

Automatisierte Gesichtserkennungssoftware ist offenkundig gefährlich, fehleranfällig und höhlt die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger aus. Dabei ist es ein wesentlicher Aspekt von Demokratien, dass sich ihre Bürger_innen grundsätzlich frei und unüberwacht öffentlich bewegen können. Aus diesem Grund, aber auch aufgrund technischer Probleme sahen sich sogar einige Länder und Städte, die begonnen hatten Gesichtserkennungssoftware einzusetzen, gezwungen, dies wieder zu beenden. Ein prominentes Beispiel ist San Francisco, das zur Auffassung gelangt ist, dass der Einsatz von Gesichtserkennungssoftware die Bürgerrechte verletzen könne und die Nachteile die Vorteile überwiegen würden. Durch den Einsatz von Geschichtserkennungstechnologien würden nicht nur rassistische Ungerechtigkeit verschärft, sondern auch die Möglichkeit bedroht, frei von ständiger Beobachtung durch die Regierung zu leben, war ihre Begründung (zeit.de, 15.5.2019). 

Auch in Deutschland haben SPD, FDP und Grüne sowie der Bundesdatenschutzbeauftrage vor der Anwendung von Gesichtserkennungsoftware eindringlich gewarnt und entweder ein vollständiges Verbot oder eine sehr restriktive Nutzung gefordert (handelsblatt.com, 23.1.2020, sz.de, 21.1.2020). Der Forderung eines kompletten Verbots entsprechender Systeme zur automatisierten Identifikation durch Biometrie schließen sich sowohl der EU-Datenschutzbeauftragte Wojciech Wiewiórowski, der Europäische Datenschutzausschuss (derstandard.at, 22.6.2021) und auch Amnesty International an (amnesty.at, Mai 2021). Darüber hinaus legte die EU-Kommission Mitte April 2021 einen Erstentwurf für eine Verordnung (COM (2021) 206) vor, die algorithmenbasierte Systeme insbesondere bei der Massenüberwachung im öffentlichen Raum regulieren will. Auch laut Kommissionsvorschlag soll die biometrische Gesichtserkennung zu Strafverfolgungszwecken im öffentlichen Raum grundsätzlich verboten werden bzw. sollen strenge Auflagen für Werkzeuge zur „biometrischen Fernidentifizierung“ von Menschen etwa per Gesichts- oder Stimmerkennung gelten (derstandard.at, 15.4.2021).

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG




Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Inneres, wird dazu aufgefordert, dem Nationalrat einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der ein Verbot des Einsatzes von Software zur automatisierten und massenhaften Gesichtserkennung im öffentlichen Raum beinhaltet."



In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Menschenrechte vorgeschlagen.