1885/A(E) XXVII. GP
Eingebracht am 22.09.2021
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen
betreffend Reform der Arbeitslosenversicherung
Ziel muss es sein, den Menschen Werkzeuge in die Hand zu geben, die es ihnen ermöglichen, ein eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Leben zu führen. Das bedeutet, dass die Zeiten von Arbeitslosigkeit möglichst kurz sein sollten, um die negativen sozialen Folgen, aber auch die negativen Auswirkungen auf die Arbeitsmarktchancen der Betroffenen zu reduzieren. Gerade im Hinblick auf die Dauer der Leistungen der Arbeitslosenversicherung ergibt sich für Österreich ein interessantes Bild: Ein europäischer Vergleich zeigt, dass die österreichische Ausgestaltung von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung nicht den europäischen Standards und vor allem nicht sozioökonomisch sinnvollen Konzepten entspricht (siehe Grafik 1).
Grafik 1: Arbeitslosengeld im zeitlichen Verlauf in Europäischen Ländern 2018 (In Prozent des Letzteinkommens)

(Quelle: https://data.oecd.org/benwage/benefits-in-unemployment-share-of-previous-income.htm)
Zu dieser Grafik inhaltlich zu ergänzen ist der Umstand, dass nicht alle EU-Länder eine gesetzliche Arbeitslosenversicherung haben und manche Länder (z.B. Dänemark, Schweden) mit Systemen der freiwilligen Arbeitslosenversicherung arbeiten, ohne dass dies dort zu sozialen Verwerfungen führt.
International anerkannte Standards setzen mit einer langsamen Variation bzw. Reduktion der Nettoersatzrate Arbeitsanreize und erhöhen diese Anreize im Zeitverlauf (Agenda Austria 2017, Weishaupt 2019). Dies geschieht in Ländern wie Dänemark und Schweden, aber auch in den Niederlanden. In Österreich verändert sich die Nettoersatzrate im zeitlichen Verlauf sehr wenig bis gar nicht. Zudem läuft die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung in Österreich nie aus, sie ist unbefristet. Ein derartiges System gibt es in keinem anderen EU-Mitgliedsstaat (Siehe Grafik 1).
Um die Arbeitslosenversicherung zeitgemäßer zu gestalten wurden von wirtschaftswissenschaftlicher und sozialpolitischer Seite unterschiedliche Einflussfaktoren beleuchtet und Lösungsvorschläge für etwaige Problemstellungen erarbeitet. Eine lange bzw. zeitlich unbegrenzt verfügbare Arbeitslosenversicherung hat signifikant negative Effekte auf die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Einen solchen Effekt sieht auch Bundesminister Kocher: "Wir wissen aber, dass der Anreiz, sich einen Job zu suchen, sinkt, wenn das Arbeitslosengeld zu hoch ist" (1)
Eine zeitliche Staffelung würde auch ermöglichen, dass die Ersatzraten am Beginn einer Arbeitslosigkeit erhöht werden könnten. Denn gerade im Falle kurzer Arbeitslosigkeit (bzw. in den ersten Monaten einer Arbeitslosigkeit) zeigt sich, dass die österreichischen Nettoersatzraten im internationalen Vergleich leicht unterdurchschnittlich sind. Alle diese Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen deutlich, dass in der österreichischen Arbeitsmarktpolitik die Steuerungsmöglichkeiten über passive Leistungen bisher nicht genutzt werden.
Abseits der wirtschaftswissenschaftlich fragwürdigen Ausgestaltung fehlt auch eine Berücksichtigung von Interessen der Versichertengemeinschaft und die finanzielle Belastung der Arbeitslosenversicherung ist im Auge zu behalten. Eine Umgestaltung von Leistungen in der Arbeitslosenversicherung in Bezug auf die Höhe der Nettoersatzraten kann aufkommensneutral gestaltet werden: Am Beginn der Arbeitslosigkeit können die Nettoersatzraten höher sein als bisher, um dann im zeitlichen Verlauf zu sinken - auch unter das derzeitige Niveau. Darüber hinaus ist der Leistungsbezug zeitlich zu begrenzen.
Den gleichen Standpunkt vertrat Martin Kocher auch als Chef des IHS: "Nicht die Höhe des Arbeitslosengeldes an sich sei entscheidend, sondern die in Österreich geringe Differenzierung im Zeitverlauf, während andere Länder die Ersatzrate degressiv senken würden (2)". Da Kocher in einem aktuellen Interview mit dem Nachrichtenmagazin Profil das degressive Arbeitslosengeld nach wie vor befürwortet, ist es Zeit zu handeln: "Man bekommt 55 Prozent des Letztgehalts. Das ist relativ wenig. Diese Summe bekommt man dafür sehr lange. Andere Staaten zahlen anfangshöheres Arbeitslosengeld und geben dann das Signal: Das Geld wird weniger, nimm bald einen Job an. Das ist aus verhaltensökonomischer Sicht sinnvoll. Denn manche Menschen unterschätzen die Falle und warten zu lange." (3).
Quellen:
(1) https://www.derstandard.at/story/2000123280247/arbeitsminister-kocher-ist-das-arbeitslosengeld-zu-hoch-sinkt-der-anreiz
(2) https://orf.at/v2/stories/2435752/2435758/
(3) https://www.profil.at/oesterreich/arbeitsminister-kocher-ich-kann-mit-neoliberal-nicht-viel-anfangen/401217189
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
Der Nationalrat wolle beschließen:
"Der Bundesminister
für Arbeit wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage
zuzuleiten, die eine umfassende Reform von monetären Leistungen aus der
Arbeitslosenversicherung vorsieht. Dabei sollen Arbeitslosengeld und
Notstandshilfe in ein System zusammengeführt werden, in welchem die
Ersatzrate am Beginn einer Arbeitslosigkeit höher sein kann und im
zeitlichen Verlauf kontinuierlich reduziert werden soll. Zudem ist eine
zeitliche Begrenzung dieser Leistung aus der Arbeitslosenversicherung
vorzusehen und die Möglichkeit des abgabenfreien geringfügigen
Zuverdienstes während der Arbeitslosigkeit soll auf die ersten sechs
Monate der Arbeitslosigkeit beschränkt werden."
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales vorgeschlagen.