2084/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 19.11.2021
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

der Abgeordneten Litschauer, Schmuckenschlager, Herr, Deimek, Bernhard

betreffend vehementes Eintreten gegen Mini-AKWs (SMRs) und Generation IV Nukleartechnologien auf EU-Ebene

 

BEGRÜNDUNG

 

Mitte der 2000er Jahre wurde mit der Reaktorgeneration III die Revolution der Atomindustrie ausgerufen: Vorzeigemodelle des neuen, sicheren und ökonomischen Europäischen Druckwasserreaktors (EPR) wurden für Finnland und Frankreich angekündigt. Fast 20 Jahre später haben sich die EPR Projekte in Olkiluoto (Finnland) und in Flamanville (Frankreich) als wahre Finanz- und Baudebakel erwiesen. Die Baukosten des EPR in Flamanville haben sich laut französischem Rechnungshof von den geplanten 3,2 Milliarden Euro auf 19 Milliarden Euro mehr als versechsfacht. Der Betrieb wird frühestens 2023 mit mehr als einem Jahrzehnt Verspätung aufgenommen werden.

Kein Wunder also, dass der Weltnuklearbericht in seiner aktuellen Ausgabe der Atomindustrie ein düsteres Urteil ausgestellt hat. Der Bau von Atomreaktoren ist so kapitalintensiv und mit derart langen Vorlaufzeiten verbunden, dass Investor:innen sich schon längst den Erneuerbaren Energieträgern zugewandt haben. Im Jahr 2020 haben sie 17-mal so viel in Erneuerbare Energieträger investiert wie in Atomenergie. Das bestätigte auch kürzlich erneut die US-amerikanische Investment Bank LAZARD mit ihrem vielbeachteten Jahresbericht zu Energiepreisen: Die Stromgestehungskosten von Nuklearenergie haben ihren langjährigen Aufwärtstrend von 2020 auf 2021 fortgesetzt, während die Preise für Erneuerbare Energien weiter stark sinken. Kapitalkosten bzw. Stromgestehungskosten von Nuklearenergie übersteigen die von moderner Wind- und Sonnenenergie um das 10-fache bzw. 5-fache (https://www.lazard.com/media/451881/lazards-levelized-cost-of-energy-version-150-vf.pdf. Die Internationale Energie-Agentur hat kürzlich bekanntgegeben, dass der aktuell billigste Strom aus Photovoltaikanlagen kommt. Kurzum, ohne staatliche Zuschüsse in Milliardenhöhe würde kein Land der Welt mehr Atomkraftwerke bauen, es gibt schlichtweg keinen Business Case mehr für Atomenergie.

Die Atomindustrie steht unter Rechtfertigungsdruck und sucht nach neuen Argumenten, um an neue Fördergelder und Unterstützungen heranzukommen. Neue Technologien der sogenannten Generation IV sollen nun alten Probleme lösen. Besonders propagiert werden aktuell die sogenannten Small Modular Reactors (SMRs). Mit einer Leistung bis zu 300 MW und der Größe eines Wohnhauses sollen sie - billig am Fließband produziert - auf der ganzen Welt einsatzbereit sein und die Energiewende risikofrei und dezentral gewährleisten. Bill Gates und Rolls Royce investieren Millionen in deren Entwicklung. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat unter Berufung auf SMRs seinen Reduktionskurs in Richtung Atomstromanteil von 50% statt aktuell 70% aufgegeben und angekündigt eine Milliarde Euro in den Ausbau der Atomindustrie zu investieren. Auch Polen und die USA wollen auf SMRs setzen, um ihre Klimaziele zu erreichen.

Doch wie sicher, ökonomisch sinnvoll und verfügbar sind diese neuen Konzepte? Das Ökoinstitut Darmstadt hat im März 2021 gemeinsam mit der TU Berlin und dem Physikerbüro Bremen in einem ausführlichen, wissenschaftlichen Gutachten (in Folge Ökoinstitut-Gutachten genannt) zentrale Punkte beantwortet:

Zeitaspekt: Die Bekämpfung des Klimawandels erlaubt keinen Aufschub. Dieser ist aber Programm in der Atomindustrie, so auch in der Entwicklung von Kleinreaktoren. Einige der heute verfolgten Konzepte reichen in die 1970er bis 1950er Jahre zurück und sind noch immer weit von der Marktreife entfernt. Von den zahlreichen SMR-Konzepten, die sich weltweit in unterschiedlichen Planungsstadien befinden, hat es lediglich Russland mit dem schwimmenden Zwillingsreaktor „Akademik Lomonosow“ geschafft, Strom zu erzeugen. Der Reaktor wird mit Uran betrieben und mit Leichtwasser gekühlt - von sicher und risikofrei kann hier aber keine Rede sein.

Anderen SMR-Konzepte, die einen deutlichen Vorteil in Sachen Sicherheit und Ökonomie durch neue Brennstoffe und passive Kühlsysteme versprechen, befinden sich erst in frühen Planungsstadien. Bill Gates und das von ihm mitgegründete Unternehmen Terrapower etwa wollen bis 2027 mit ihrem Modell des Flüssigsalzreaktors Strom erzeugen. Die Radiochemie und Materialwissenschaft für dieses Konzept sind jedoch völlig ungelöst, ebenso wie das gestaffelte Sicherheitssystem, das jedoch einen Grundpfeiler für die Reaktorsicherheit darstellt. Derartige Ankündigungen sind traditionell über-optimistisch und bis zum serienmäßigen Einsatz wird es noch einmal Jahrzehnte dauern. Sogar renommierte Atomenergie-Befürworter, wie William Magwood, Generaldirektor der OECD Atomenergieagentur NEA geben mittlerweile zu bedenken: „Wenn diese Technologien nicht in etwa einem Jahrzehnt auf den Markt gebracht werden, sind sie für die Energiewende möglicherweise nicht mehr relevant.“

Da SMRs mit teils gänzlich neuen Technologien auf der ganzen Welt im Einsatz sein sollen, sind auch internationale behördliche Auflagen relevant für den zeitlichen Einsatz. Die Überwachung und Instandhaltung eines weltweiten Netzes an Minireaktoren wird Sicherheits- und Monitoringsysteme vor große Herausforderungen stellen. Zulassungsverfahren können mitunter den tatsächlichen Betrieb noch einmal um Jahre hinauszögern. Insgesamt zeigt sich schon jetzt eindeutig, dass SMRs und Generation IV Technologien für die Energiewende zu spät kommen werden.

Kostenaspekt: Aufgrund ihrer Modulbauweise können SMR am Fließband produziert werden und sind viel weniger kapitalintensiv als heute gängige Großreaktoren, so die Hoffnung. Laut Ökoinstitut-Gutachten werden Skaleneffekte hinsichtlich Produktionskosten erst ab einer Stückzahl von 3000 schlagend. Vorher wirken sich Skaleneffekte sogar negativ aus, denn pro Einheit erzeugtem Strom verbrauchen Kleinreaktoren mehr Baumaterial und Energie, benötigen mehr Brennstoff und erzeugen mehr Atommüll. Aus genau diesen Gründen sah man in den 1950ern und 1970ern vom Bau der Minireaktoren ab und begann mit dem Bau großer Reaktoren. Ein Zurück in die 1950er Jahre können wir uns aktuell nicht leisten.

Die derzeitige Nachfrage reicht jedenfalls nicht, um Produktionszahlen von mehreren Tausenden SMR ökonomisch zu rechtfertigen. Umgekehrt werden die hohen Baukosten bei geringen Produktionszahlen die Nachfrage nicht steigern - die SMR Entwicklung sitzt einem Henne-Ei Dilemma auf. Was wir aber mit Sicherheit sagen können: Jetzt auf völlig unerprobte Nuklearkonzepte am Papier zu setzen, heißt Milliardenbeträge mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit in den Sand zu setzen. Jeder Cent ist besser eingesetzt in den Bau billiger und schon etablierter Erneuerbarer Energieträger bzw. in die Weiterentwicklung von Speichertechnologien.

Das Ökoinstitut Gutachten zeigt eindrücklich, dass Kostenexplosionen der heute am weitesten fortgeschrittenen SMR-Projekte, dem chinesischen Versuchsreaktor CEFR, dem russischen Atom-Schiff „Akademik Lomonossov“ und dem argentinischen CAREM (seit 1984 in Entwicklung bzw. Bau), den Business Case für SMR noch geringer ausfallen lassen, als jenen für große Reaktoren: Die realen Kosten des „Akademik Lomonossov“ 70 MW-Reaktors sind mit US-$ 740 Millionen oder 10.571 Dollar pro Kilowatt installierte Leistung noch weit über denen der ohnehin schon unwirtschaftlichen größeren Reaktorkonzepte.

Sicherheitsaspekt: Die angebliche Sicherheit der Generation IV und SMRs in puncto Proliferation und Betriebssicherheit ist laut Ökoinstitut- Gutachten nicht gegeben. Ein Mini-Reaktor enthält naturgemäß weniger spaltbares Material. Tausende Mini-Reaktoren auf der gesamten Welt eingesetzt führen das Mengenargument wieder ad absurdum. Ganz im Gegenteil: Terroristische Organisation träumen wahrscheinlich von der schier unbegrenzten Möglichkeit, an Material zu kommen, das mit wenig zusätzlichem Aufwand waffenfähig gemacht werden kann, und das jedenfalls für eine „schmutzige Bombe“ mit großer radioaktiver Verseuchung verwendbar ist.

Generation IV Technologien, die tatsächlich ohne waffenfähige Spaltprodukte auskommen, sind nicht in absehbarer Reichweite bzw. noch gänzlich unerprobt. Das Ökoinstitut hält zudem fest, dass einige Vorteile neuer Brennstoffe oder Kühlsysteme hinsichtlich der Vermeidung sowohl von Kernschmelzen, als auch von Proliferation, Nachteilen in anderen Bereichen gegenüberstehen. Allein schon wäre ein komplett neues Netz an Überwachungs- und Sicherheitssystemen weltweit nötig, um einen reibungslosen Ablauf und Schutz vor terroristischen Angriffen zu gewährleisten.

Nach Einschätzung der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs ist der militärische Nutzen von Atomenergie für Nuklear-U-Boote, Atomwaffen, Flugzeugantriebe, etc von einer fundierten zivilen Atominfrastruktur abhängig. Diese garantiert nicht nur die Lieferung von spaltbarem Material, sondern auch das technische Know-How und die Manpower (https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/IPPNW-Information_How_nuclear_power_powers_the_bomb_2019_EN.pdf). Das Propagieren von SMRs und Generation IV Technologien wird dem derzeit beobachtbaren atomaren Wettrüsten weltweit weiter Zündstoff liefern. Der militärischen Nutzung von Nukleartechnologien darf kein Klimaschutzdeckmantel verliehen werden. Das wird allerdings gerade auf EU-Ebene probiert. Frankreich, Polen und weitere Staaten setzen sich massiv dafür ein, dass Atomenergie als nachhaltige Technologieform in die europäische Taxonomie-Verordnung eingeht. Es geht um nichts Geringeres als um Milliarden an Finanzflüssen, die in die Atomindustrie zu fließen drohen.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, wird ersucht, sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden rechtlichen, politischen und diplomatischen Mitteln gegen die Förderung von Small Nuclear Reactors und Generation IV Nukleartechnologien einzusetzen und insbesondere vehement dafür einzutreten, dass im Zuge der EU-Taxonomie-Verhandlungen Nuklearenergie nicht als nachhaltige Energieform definiert wird.

Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, wird des Weiteren ersucht, gegen die militärische Nutzung von Small Nuclear Reactors aufzutreten und sich zur Verhinderung der Herstellung von Atomwaffen für eine bessere Überwachung der gesamten Brennstofflieferketten innerhalb der Atomindustrie einzusetzen.“

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Umweltausschuss vorgeschlagen.