2169/A XXVII. GP

Eingebracht am 16.12.2021
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Entschließungsantrag

Antrag

gem. § 75 Abs. 1 GOG-NR

 

der Abgeordneten Christian Hafenecker, MA, Dr. Martin Graf

und weiterer Abgeordneter

 

betreffend Ministeranklage gemäß Art. 142 Abs. 2 lit. b B-VG wider der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Leonore Gewessler

 

Mit Schreiben vom 24. November 2020 vereinbarte Bundesministerin Gewessler mit der ASFINAG die Evaluierung des Bauprogramms im Hinblick auf die im Regierungsprogramm vereinbarten Ziele („Klimacheck“). Am 1. Dezember 2021 erfolgte die Ergebnispräsentation, welche einem infrastrukturpolitischen Kahlschlag gleicht.

So wird der Lückenschluss der Wiener Außenring Schnellstraße S1 samt Lobau-Tunnel nicht weiterverfolgt, wodurch jahrzehntelange Vorarbeiten und Kosten von 150 Millionen Euro in den Sand gesetzt werden. Die damit mutwillig verhinderte Schließung des Straßenrings um Wien bringt die Bevölkerung der Bundeshauptstadt sowie die Bewohner der Umlandgemeinden, insbesondere von Eßling, Aspern, Groß-Enzersdorf und Raasdorf, um die so notwendige Verkehrsentlastung und die Erhöhung der Verkehrssicherheit. Immerhin brächte eine Reduktion des Verkehrsaufkommens auch eine Senkung von Lärm- und Luftschadstoffemissionen mit sich, was die Lebensqualität aller Betroffenen in der gesamten Region massiv erhöht hätte.

Damit in Verbindung deklarierte sich Bundesministerin Gewessler auch als Gegnerin des Baus der geplanten Marchfeld Schnellstraße S8, welche vom zukünftigen Knoten S1/S8 bei Wien bis zur Staatsgrenze in Marchegg führen und die Bewohner der Marchfeldgemeinden vom Durchzugsverkehr befreien sollte. Zudem würde sie Betriebsansiedlungen ermöglichen.

Der grünideologisch motivierten Baustoppwut fiel auch die Traisental Schnellstraße S34 zum Opfer. Seit rund einem halben Jahrhundert wurde diese den Bewohnern des niederösterreichischen Zentralraums und des Bezirks Lilienfeld versprochen. Nach zahlreichen, den Baubeginn um Jahre verzögernden Einsprüchen von Gegnern gab das Bundesverwaltungsgericht erst im April 2021 grünes Licht, indem es sämtliche Beschwerden abgewiesen hatte und der positiv beschiedenen Umweltverträglichkeitsprüfung Rechtskraft verlieh. Die Notwendigkeit der S34 liegt vor allem in der Entlastung des St. Pöltner Stadtverkehrs und seiner Zubringer, insbesondere der zu Hauptverkehrszeiten massiv frequentierten und daher stauanfälligen Bundesstraße B20, sowie der Attraktivierung der gesamten Region als Wirtschaftsstandort begründet. Der niederösterreichische Standortanwalt Dr. Christoph Pinter etwa prognostizierte die Schaffung von 550 neuen Arbeitsplätzen allein durch den Bau der Schnellstraße sowie eine Wertschöpfungssteigerung von 260 Millionen Euro[1]. Nicht zuletzt würde die Traisental Schnellstraße Pendlern die Fahrzeiten beträchtlich verkürzen und in Kombination mit der wirtschaftlichen Aufwertung dem seit Jahrzehnten unter Abwanderung leidenden Bezirk Lilienfeld eine positive Zukunftsentwicklung ermöglichen. Das Aus für den Bau der S34 in der geplanten Form (Knoten St. Pölten bis Wilhelmsburg Nord) stellt damit einen Anschlag auf die gesamte Region dar und raubt deren Bewohnern beträchtliche Entwicklungschancen. 

Gestoppt wurde durch Bundesministerin Gewessler auch der Ausbau der Klagenfurter Schnellstraße S37 von der Kärntner Landeshauptstadt bis zur steirischen Landesgrenze, nachdem dessen Planungen bereits vor 15 Jahren aufgenommen worden waren. Auch dieses Straßenbauprojekt ist für den Wirtschaftsstandort wesentlich und vor allem angesichts der hohen Unfallzahlen auf der bisherigen B317 zur Erhöhung der Verkehrssicherheit unerlässlich. Allein seit 2015 wurden auf diesem Streckenabschnitt bei 283 Verkehrsunfällen 17 Menschen getötet[2].

All diese auf Initiative der Bundesministerin aus dem ASFINAG-Bauprogramm gestrichenen Straßenbauprojekte sind infolge von Beschlüssen des Nationalrates Teil des geltenden Bundesstraßengesetzes 1971:

Somit hat der Gesetzgeber den klaren Auftrag erteilt, sämtliche Bauvorhaben in der beschlossenen Form auch umzusetzen. Durch den einseitigen Straßenbaustopp verstößt Bundesministerin Leonore Gewessler daher gegen geltendes Recht und stellt sich in inakzeptabler Form über die Legislative. Dieser Ansicht sind offensichtlich auch die niederösterreichische Landeshauptfrau Mag. Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), der Wiener Bürgermeister Dr. Michael Ludwig (SPÖ), der Präsident der Wiener Wirtschaftskammer Walter Ruck sowie der Präsident der Wirtschaftskammer Niederösterreich Wolfgang Ecker, wie sie in einer gemeinsamen Presseaussendung zum Lobau-Tunnel zum Ausdruck brachten:

Johanna Mikl-Leitner, Landeshauptfrau von Niederösterreich: ,Die völlig intransparenten Entscheidungen zum Lobautunnel und zum S1-Teilstück mit dem Anschluss zur S8 sind ein Schlag ins Gesicht für die gesamte Ostregion. Die Menschen vor Ort leiden und werden seit fast 20 Jahren vertröstet. Das ist ein untragbarer Zustand. Genau aus diesem Grund werden wir mit allen Mitteln darauf drängen, dass die Anliegen der Menschen vor Ort ernstgenommen und auch die Beschlüsse des Parlaments eingehalten werden. Denn die Menschen im Osten Österreichs einfach im Stich zu lassen, wird es nicht spielen´.

Mit der seit vielen Jahren geplanten und im Bundesstraßengesetz festgeschriebenen Nordostumfahrung werde nicht nur der Durchzugsverkehr aus der Stadt verbannt, sondern auch die wesentliche Voraussetzung für die weitere Stadtentwicklung im Nordosten Wiens geschaffen. Die Planungen und Vorarbeiten wurden auch von den verantwortlichen Verkehrsstadträtinnen der Grünen mitentwickelt und vorangetrieben. Neben dem Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, wie U-Bahn, neuen Straßenbahnen und Bussen brauche es für die neuen Stadtteile und ihre rund 60.000 zusätzlichen BewohnerInnen auch eine Verkehrsanbindung über die Straße, wie der Wiener Bürgermeister und Landeshauptmann Michael Ludwig betont: ,Dieses über viele Jahre erarbeitete Projekt ist für die Entwicklung der gesamten Ostregion enorm wichtig. Es ist für die Stadt und die Stadtentwicklung von zentraler Bedeutung, insbesondere auch für die Entlastung der Bewohnerinnen und Bewohner durch die Umleitung des Durchzugsverkehrs. Es hat sämtliche demokratischen Entscheidungsprozesse durchlaufen und darf nicht aus politischer Willkür ohne jeglicher Rechtsgrundlage gestoppt werden´.

Walter Ruck, Präsident der Wirtschaftskammer Wien: ,Höchstrichterlich ist bereits 1990 entschieden worden, dass die ASFINAG im Bundesstraßengesetz verankerte Straßenprojekte umgehend realisieren muss. Der Aufsichtsrat der ASFINAG wiederum darf aus dem Bauprogramm der Gesellschaft keine Projekte streichen, die gesetzlich fixiert sind. Auch das ist juristisch belegt. Entscheidungen über wichtige Infrastrukturprojekte wie den Lobautunnel dürfen im BMK nicht willkürlich und ohne jegliche Rechtsgrundlage fallen. Diese Haltung ist umgehend zu korrigieren. Vorstand und Aufsichtsrat der ASFINAG sind gut beraten sich hier im Rechtsrahmen zu bewegen und so Schäden für die Aktiengesellschaft, den Wirtschaftsstandort und die Menschen in der Ostregion abzuwenden´.

Wolfgang Ecker, Präsident der Wirtschaftskammer Niederösterreich, beschreibt die wirtschaftlichen Schäden für die gesamte Region, wenn der Lobautunnel nicht realisiert wird: ,Allein in der Bauphase entgehen dem niederösterreichischen und Wiener Wirtschaftsstandort 1,5 Milliarden Euro zusätzliches Bruttoregionalprodukt. Außerdem werden damit 14.000 Arbeitsplätze nicht geschaffen.“ Auch die weitere positive Entwicklung dieser aufstrebenden und stark wachsenden Region wird dadurch blockiert. „Selbst wenn der S1-Lückenschluss doch gebaut wird, endet die Straße kurz vor Groß-Enzersdorf praktisch im Niemandsland, wenn die Querung der Donau entfällt. Das bringt weder eine Verkehrsentlastung der permanent verstopften Südosttangente noch hilft es Wirtschaft oder Bevölkerung´, so Wolfgang Ecker[3].

Darüber hinaus kommt ein von der Wirtschaftskammer Wien bei der KWR KARASEK WIETRZYK Rechtsanwälte GmbH in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten „Zu Rechten, Pflichten und Haftung der Aufsichtsratsmitglieder der ASFINAG im Zusammenhang mit Änderungen des Bauprogramms“ zu dem Ergebnis, dass die Argumentation des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie zum Aus für den Lobau-Tunnel jeglicher rechtlichen Grundlage entbehrt:

Die Aufsichtsratsmitglieder sind vorrangig an das Unternehmensinteresse gebunden. Überdies haben sie (wenn auch nachgeordnet) sonstige, insbesondere öffentliche Interessen zu berücksichtigen, wobei es im vorliegenden Fall divergierende öffentliche Interessen gibt, von denen manche für, viele jedoch gegen einen Baustopp bei der S 1 sprechen.

Das Informationsrecht des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand verdichtet sich zu einer Informationspflicht, wenn die Informationen wie im vorliegenden Fall notwendige Grundlage der Entscheidung über ein zustimmungspflichtiges Geschäft sind.

Die Haftungsprivilegierung („Sicherer Hafen“) durch die Business Judgement Rule kommt nicht zur Anwendung, wenn es sich um rechtlich gebundene Entscheidungen handelt. Dies ist hier gegeben, weil der Bau der S 1 im BundesstraßenG festgelegt ist und dies nur vom Gesetzgeber geändert werden kann. Die Ansicht, es liege im BundesstraßenG eine bloße Ermächtigung vor, widerspricht der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs und auch dem aus den Materialien ersichtlichen Willen des Gesetzgebers.

Der vorgesehene zeitliche Ablauf, wonach zunächst ein Beschluss des Bauprogramms durch Vorstand und Aufsichtsrat der ASFINAG erfolgt und danach die Zustimmung bzw das Einvernehmen mit dem BMK und dem BMF herzustellen ist, wurde von der Ministerin umgedreht. Ihre Aussage unter anderem in einer Pressekonferenz vom 1.12.2021, wonach (insbesondere) der Lobau-Tunnel nicht gebaut werde, war wohl als Weisung (oder als Kommunikation der relevanten Entscheidung an sich) gedacht. Derartige Weisungen sind aber gegenüber dem Aufsichtsrat (und dem Vorstand) aktienrechtlich unzulässig. Abweichende sondergesellschaftsrechtliche Regelungen eines Weisungsrechts liegen im Fall der ASFINAG nicht vor.

Ein Schaden der ASFINAG liegt aufgrund frustrierter Aufwendungen für Planungen und Grundstücksankäufe in Millionenhöhe vor. Hinzu kommen wohl mögliche Inanspruchnahmen der Gesellschaft aus Vertragsverletzungen. Kausalität ist jedenfalls bei jenen Aufsichtsratsmitgliedern gegeben, die für die Verankerung eines entsprechenden Baustopps im künftigen Bauprogramm stimmen.

Bezüglich des Verschuldens genügt bereits leichte Fahrlässigkeit und ist eine Beweislastumkehr vorgesehen, maW die Aufsichtsratsmitglieder müssten sich freibeweisen, dh beweisen, dass sie sorgfaltsgemäß zum Wohl des Unternehmens gehandelt haben. Ein möglicher Interessenskonflikt einzelner Aufsichtsratsmitglieder, etwa mit Interessen eines Aktionärs, ändert nichts an der vorrangigen Bindung an das Unternehmensinteresse. Ein möglicher Haftungsausschluss gemäß § 84 Abs 4 iVm § 99 AktG kommt nicht zur Anwendung, da kein und jedenfalls kein gesetzmäßiger Beschluss der Hauptversammlung vorliegt.

Schadenersatzansprüche der Gesellschaft verjähren innerhalb einer Frist von 5 Jahren ab Kenntnis der Gesellschaft von Schaden und Schädiger, längstens innerhalb von30 Jahren ab Schadenseintritt. Eine solche Kenntnis kann uU erst Jahre nach dem schädigenden Ereignis (zB Aufsichtsratsbeschluss) erfolgen, wenn beispielsweise von Vertragspartnern Ersatzansprüche geltend gemacht werden.

Insgesamt sind daher hinsichtlich der Aufsichtsratsmitglieder der ASFINAG, die einem geänderten Bauprogramm zustimmen, in dem gewisse im BundesstraßenG vorgesehene Straßenteile nicht (mehr) enthalten sind, die materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft gemäß § 84 iVm § 99 AktG erfüllt[4].

 

Entscheidung Verwaltungsgerichtshofes vom 11.10.1990 (GZ: 90/06/0091):

 

Es liegt nicht im Belieben der Bundesstraßenverwaltung, den Bau von im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Straßen, für die noch dazu bereits eine rechtswirksame Trassenverordnung vorliegt, hinauszuschieben, da dies letztlich auf eine Prüfung von Gesetz oder Verordnung hinausliefe, die Verwaltungsorganen nicht zusteht. Daher muß - jedenfalls bei Anwendung des Bundesstraßengesetzes in der Fassung vor der Novelle BGBl 1990/159, die hier noch nicht anzuwenden ist - davon ausgegangen werden, daß nach den gegebenen wirtschaftlichen Möglichkeiten die vorgesehenen Straßenprojekte ehestens durchzuführen sind.

 

 

Daher stellen die unterzeichnenden Abgeordneten folgenden

 

Antrag

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

Der Nationalrat erhebt gem. Art. 142 Abs. 2 lit. b B-VG Anklage beim Verfassungsgerichtshof gegen die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Leonore Gewessler wegen der vorsätzlichen Verletzung des Bundestraßengesetzes.

Der Nationalrat begehrt daher die Verurteilung der für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Leonore Gewessler.

Mit der Vertretung der Anklage vor dem Verfassungsgerichtshof wird Abgeordnete zum Nationalrat Dr. Susanne Fürst beauftragt.

 

 

In formeller Hinsicht wird um Zuweisung an den Verkehrsausschuss ersucht.

 

 

 



[1] https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210709_OTS0071/noe-standortanwalt-pinter-sieht-stopp-fuer-strassenbau-projekte-als-heftigen-rueckschlag-fuer-den-wirtschaftsstandort (abgerufen am 5.12.2021).

[2] https://www.oeamtc.at/news/absage-von-strassenausbau-kann-menschenleben-kosten-48139162 (abgerufen am 3.12.2021).

[3] Ost-Region zum Lobautunnel: Gesetze sind einzuhalten | Wirtschaftskammer Wien, 14.12.2021 (ots.at) (abgerufen am 14.12.2021).

[4] https://news.wko.at/news/wien/Gutachten_Lobautunnel_KWR.pdf (abgerufen am 15.12.2021).