2185/A(E) XXVII. GP
Eingebracht am 16.12.2021
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
des Abgeordneten DI Deimek
und weiterer Abgeordneter
betreffend dringende Notwehrmaßnahmen gegen EU-Atomstrom-Verordnung
Die Zukunft der EU soll klimafreundlich und nachhaltig sein. Bis 2030 will man die Treibhausgas-Emissionen um mindestens 55 Prozent gegenüber den Werten von 1990 senken. 2050 soll der Staatenverbund dann klimaneutral sein. Der "Green Deal", das Leuchtturmprojekt von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, soll die EU dorthin führen. Windkraft, Solaranlagen und Wasserkraft sollen ausgebaut werden, um die 450 Millionen Menschen in der Union mit grünem Strom zu versorgen.
Nach der politischen Einigung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union über die Taxonomie-Verordnung – einem umfassenden Klassifizierungssystem, um sämtliche wirtschaftlichen Aktivitäten in Richtung mehr Nachhaltigkeit zu transformieren und grüne Investments anzustoßen – leitete die Kommission im Jahr 2020 eingehende Arbeiten ein, um zu prüfen, ob die Kernenergie in die Kategorie der ökologisch nachhaltigen Tätigkeiten aufgenommen werden soll.[1] In einem ersten Schritt hat die Gemeinsame Forschungsstelle (JRC), der kommissionsinterne Wissenschafts- und Wissensdienst, einen technischen Bericht über die "Do no significant harm"-Aspekte[2] der Kernenergie verfasst. Dieser Bericht wurde in Folge von zwei Sachverständigengruppen geprüft, der Sachverständigengruppe für Strahlenschutz und Abfallentsorgung gemäß Artikel 31 des Euratom-Vertrags[3] sowie dem Wissenschaftlichen Ausschuss "Gesundheit, Umwelt und neu auftretende Risiken"[4] für Umweltauswirkungen. Alle drei Beiträge werden in die Entscheidungsfindung der Kommission einfließen, schließen jedoch Kernenergie nicht kategorisch aus.
Bis Ende des Jahres 2021 will die EU-Kommission nunmehr in einem delegierten Rechtsakt, der sogenannten Taxonomie,[5] definieren, ob Atomkraft als nachhaltige und umweltfreundliche Energiequelle zu gelten hat. Der Akt soll in Folge am 1. Jänner 2023 offiziell in Kraft treten. Kommissionspräsidentin von der Leyen, die sich sonst gerne als grüne Politikerin inszeniert, lässt bereits aufhorchen: „Wir brauchen für den Übergang auch Nuklearenergie und Gas als stabile Energiequelle“[6].
Aus einem Gutachten[7] der Kanzlei „Redeker Sellner Dahs“ zu den rechtlichen Aspekten des Vorgehens der Europäischen Kommission und einer allfälligen Einstufung der Kernenergie als nachhaltig im Sinne der Taxonomie-Verordnung, geht jedoch klar hervor, dass die Kernenergie auch aus rechtlicher Sicht nicht den Anforderungen der Taxonomie-Verordnung entspricht. Konkret führt das Gutachten folgende Kritikpunkte an:
· In der Taxonomie-Verordnung ist Kernenergie in der Liste jener Tätigkeiten, die einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten, gar nicht enthalten.
· Kernenergie kann im Sinne der Taxonomie-Verordnung weder als „ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeit“ noch als „Übergangstätigkeit“ angesehen werden. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde der ursprünglich neben Erneuerbaren Energien angeführte Punkt „klimaneutrale Energie (inklusive CO₂-neutrale Energie“) ersatzlos gestrichen.
· Mangelnde Widerstandsfähigkeit der Kernenergie gegenüber Auswirkungen des Klimawandels.
· Massive Umweltrisiken der Atomkraft, die den Nachhaltigkeitskriterien der Taxonomie-Verordnung entgegenstehen, sowohl durch den Uranabbau, als auch während des Betriebs durch die Gefahr schwerer Unfälle und auch in der Endlagerung von hochradioaktivem Atommüll.
· Jeder Rechtsakt, der auf der Grundlage der Taxonomie-Verordnung erlassen wird und die Kernenergie irgendwie in die europäische Taxonomie einbezieht, wäre vor den EU-Gerichten anfechtbar.
Es stimmt: Atomstrom verursacht keine unmittelbaren Emissionen. Es gibt aber zahlreiche Argumente, die gegen die Kernenergie sprechen: Die Errichtung von Kernkraftwerken ist enorm kostenintensiv, ohne staatliche Subventionen sind sie nicht rentabel. Kernenergie ist zudem im Vergleich zu erneuerbaren Energiequellen teuer, der Bau neuer Kraftwerke dauert Jahre. Experten halten Atomkraft deshalb für nicht wirtschaftlich. Die Frage, wo strahlender Atommüll gelagert werden soll, bleibt nach wie vor ungeklärt.
Die Weichen für große Finanzströme Richtung Atomenergie zu stellen, ist daher nicht nur vor dem Hintergrund der immanenten Gefahr eines Reaktorunglücks unverantwortlich gegenüber nachkommenden Generationen. Mehr Klimaschutz, darf nicht mehr Atomstrom bedeuten. Ein „grünes Mascherl“ für Atomenergie ist entschieden abzulehnen. Die österreichische Bevölkerung hat die Stromgewinnung mittels Kernkraftwerken zudem schon vor Jahrzehnten entschieden abgelehnt. Seit der Katastrophe von Tschernobyl 1986 ist die Anti-Atom-Politik gesellschaftlicher und auch parteipolitisch einhelliger Konsens. Einen Antrag auf Stellungnahme zur Festigung dieser Anti-Atom-Haltung, in dem gefordert wurde, dass Österreich dem nationalen Anti-Atom-Konsens treu bleibt und EU-Standards, die Atomenergie als nachhaltig einstufen, konsequent ablehnt, wurden im EU-Hauptausschuss des Nationalrats dennoch nur von den Oppositionsfraktionen SPÖ, FPÖ und NEOS unterstützt. Er blieb in der Minderheit, da ihn die Regierungsparteien ÖVP und Grüne ablehnten.[8] Auch ein Antrag[9] Rechtsmittel vorzubereiten, wurde von den türkis-grünen Regierungsparteien abgelehnt.
Gegen technische Regulierungsstandards bzw. technische Durchführungsstandards, die Rechtsakte auf zweiter Ebene sind, wohingegen EU-Verordnungen und EU-Richtlinien Rechtsakte auf Ebene 1 darstellen, können zuständige Behörden mit der Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV vorgehen. Die in diesem Artikel vorgesehenen Klagen sind binnen zwei Monaten zu erheben, weshalb es gilt sich entsprechend vorzubereiten. Zudem besteht die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes nach Art. 278 und 279 AEUV.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher nachfolgenden
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Die Bundesregierung wird aufgefordert, mittels Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 AEUV die Einstufung der Kernenergie als nachhaltige und umweltfreundliche Energiequelle zu verhindern und gem. Art. 278 iVm Art. 279 AEUV die Aussetzung der Durchführung der angefochtenen Handlung zu beantragen. Über den Verlauf des Verfahrens und der dafür notwendigen Vorbereitungshandlungen soll dem Nationalrat quartalsmäßig Bericht erstattet werden.“
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Umweltausschuss vorgeschlagen.
[1] https://ec.europa.eu/info/business-economy-euro/banking-and-finance/sustainable-finance/eu-taxonomy-sustainable-activities_de
[2] https://ec.europa.eu/info/file/210329-jrc-report-nuclear-energy-assessment_de
[3] https://ec.europa.eu/energy/topics/nuclear-energy/radiation-protection/scientific-seminars-and-publications/group-experts_en
[4] https://ec.europa.eu/health/scientific_committees/scheer_en
[5] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/LSU/?uri=CELEX:32020R0852
[6] https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wirtschaft/international/2129430-Strahlend-gruene-Zukunft.html
[7] https://www.bmk.gv.at/dam/jcr:3da651b9-0085-4aaa-bb2f-a5308956efba/Redeker-Sellner-Dahs_Zsf-Kernenergie-Taxonomie-Verordnung.pdf
[8] www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2021/PK1451/
[9] https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/NRAVISO/NRAVISO_00137/imfname_1043209.pdf