2203/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 20.01.2022
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Vereinfachung der Antragstellung auf Familienzusammenführung

 

Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ist in Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert und hat in Österreich somit Verfassungsrang. Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (https://www.echr.coe.int/Documents/Guide_Immigration_ENG.pdf) ergibt sich kein uneingeschränktes Recht auf Familiennachzug, jedoch ist eine individuelle Prüfung des Interesses an der Einheit der Familie unter Berücksichtigung der konkreten Situation der Betroffenen und der Situation in ihrem Herkunftsland erforderlich, um festzustellen, ob ein Staat eine positive Verpflichtung zur Gewährung der Familienzusammenführung hat. Demnach ist beispielsweise zu berücksichtigen, welchen Status die betroffene Person im Aufnahmestaat besitzt, ob unüberwindbare oder größere Hindernisse für das Leben der Familie im Herkunftsland der betroffenen Personen bestehen und ob Kinder betroffen sind.

Sind Kinder betroffen, ist das Kindeswohl im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Kinderrechtskonvention und Art. 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern von zentraler Bedeutung und muss bei staatlichen Entscheidungen über den Familiennachzug vorrangig berücksichtigt werden. Anträge von Kindern oder ihren Eltern auf Familienzusammenführung sind gemäß Art. 10 Kinderrechtskonvention außerdem beschleunigt zu bearbeiten. Dass die Familie zumutbar im Herkunftsland gemeinsam leben könnte, ist im Fall international schutzberechtigter Menschen in der Regel auf unabsehbare Zeit aufgrund der Verfolgungssituation, drohender schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen oder eines jahrelang andauernden Bürgerkriegs ausgeschlossen.

Seit 15. August 2021 haben die radikal-islamistischen Taliban in Afghanistan wieder die Macht übernommen. Seither verschlimmert sich die Lage im Land täglich. Laut Amnesty International sind Folter, außergerichtliche Hinrichtungen und weitere Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung (https://www.derstandard.at/story/2000131907452/amnesty-endloses-blutvergiessen-und-kriegsverbrechen-in-afghanistan).  

Anträge auf Familienzusammenführung sind in der Praxis grundsätzlich bei der zuständigen österreichischen Vertretungsbehörde, sprich Botschaft oder bestimmte Konsulate im Ausland, persönlich einzubringen. Zwar sieht § 35 AsylG keine Verpflichtung zur persönlichen Antragsstellung vor, doch wird in der Praxis oftmals eine persönliche Vorsprache verlangt. Schriftlich gestellte Anträge werden in der Regel nicht ans BFA weitergeleitet. Für die Anträge auf Familienzusammenführung in Österreich von in Afghanistan lebenden Personen sind die österreichischen Botschaften in Islamabad bzw. Teheran zuständig, wodurch die Anforderung einer persönlichen Antragsstellung eine gefährliche und oft lange Reise mit sich bringt. Eine Reise von Kabul nach Islamabad wäre beispielsweise über 400km weit. Im Falle eines Verzichts auf persönliche Vorsprache kann die Identitätsüberprüfung während des Termins zur Abholung des Visums überprüft werden. Alternativ und je nach Situation könnten auch Videokonferenz-Tools und/oder Kooperationsprojekte mit anderen Botschaften oder internationalen Organisationen (UNHCR oder IKRK) bei der Identitätsprüfung helfen. 

Aufgrund der aktuellen Situation in Afghanistan sind derartige Reisen unzumutbar – insbesondere für Frauen, deren Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt worden ist und die unbegleitet nicht weiter als 72km reisen dürfen (siehe: https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-12/taliban-herrschaft-afghanistan-autofahren-regeln?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com). Auch hat UNHCR im Dezember darauf hingewiesen, dass die Grenzen Afghanistans zu Pakistan und Iran fast ausschließlich für Personen mit den erforderlichen Pässen und Visa geöffnet sind (https://www.unhcr.org/dach/at/71763-geschlossene-grenzen-gefahrden-menschen-in-afghanistan.html). Eine persönliche Antragsstellung stellt somit ein wesentliches Hindernis zur Familienzusammenführung dar.

Bereits im Oktober 2021 forderte der UNHCR die Beschleunigung beim Familiennachzug für afghanische Flüchtlinge und rief Staaten dazu auf, die Verfahren zur Familienzusammenführung für Afghaninnen und Afghanen zu erleichtern, deren Familien im Land oder der Region zurückgeblieben sind (https://www.unhcr.org/dach/at/70103-unhcr-fordert-beschleunigung-beim-familiennachzug-fur-afghanische-fluchtlinge.html). Die Bundesregierung soll sich dementsprechend für die Umsetzung des Menschenrechts auf Achtung des Familienlebens engagieren und für die in Österreich aufenthaltsberechtigten oder eingebürgerten Menschen, die in Afghanistan Familienangehörige haben, dringend Maßnahmen zur Erleichterung der Familienzusammenführung ergreifen.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Inneres und der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten, wird aufgefordert, die existierende Praxis der Antragstellung auf Familienzusammenführung nach dem Asylgesetz dahingehend zu ändern, dass schriftliche Anträge auf Familienzusammenführung ausnahmslos ans BFA weitergeleitet werden."  

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Außenpolitischen Ausschuss vorgeschlagen.