2482/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 27.04.2022
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

der Abgeordneten Petra Vorderwinkler,

Genossinnen und Genossen

 

betreffend „Vorrang für die Volksschule“

 

Seit zwei Jahren stellt die Corona-Krise mit ihren Begleiterscheinungen für alle Menschen in Österreich eine große Herausforderung dar. Gerade für Kinder jedoch ist diese Zeit noch viel schwieriger zu bewältigen. Ihre Entwicklung und ihre Entfaltung wurden durch die Maßnahmen während der Pandemie stark eingeschränkt. Die Jüngsten in unserem Schul­system trifft diese Corona-Zeit besonders. Ein unregelmäßiger Besuch der elementar­pädagogischen Einrichtungen während der vergangenen zwei Jahre hat die Entwicklungs­schere der Kinder, die im nächsten Schuljahr in die erste Schulstufe kommen, noch weiter auseinanderklaffen lassen. Das bedeutet, sie kommen mit völlig unterschiedlichen Vor­aussetzungen und Lernständen vom Kindergarten in die Volksschule. Beim kommenden Schulbeginn im Herbst wird dieser Unterschied größer sein als jemals zuvor. Schon früher unter „normalen“ Umständen war eine erste Schulstufe eine Riesenherausforderung für jede Pädagogin und jeden Pädagogen. Corona hat jedoch auch diesen Umstand um ein Vielfaches verschärft. Es treffen nun im Herbst Kinder, die auf der einen Seite bereits lesen, schreiben und rechnen können auf jene, die vermutlich weder ihren Namen schreiben noch mit anderen ausreichend sprachlich kommunizieren können oder nur bedingt soziale Erfahrungen gemacht haben. Und alle jene 25-30 Kinder in der Klasse werden von einer einzigen Pädagogin oder einem Pädagogen unterrichtet, die bzw. der diesen Spagat ganz allein tagtäglich vornehmen muss, damit am Ende des Schuljahres die Lehrplanziele erfüllt sind. Eine nicht mehr leistbare Aufgabe!

 

Nun kommt mit dem Krieg in der Ukraine eine weitere Herausforderung auf alle in unserem Bildungssystem hinzu. Viele geflüchtete Kinder werden im nächsten Schuljahr in Österreich zur Schule gehen. Zusätzlich zu den Sprachbarrieren besteht noch eine große psychische Belastung aufgrund der traumatischen Kriegs- und Fluchterlebnisse. Das pädagogische Personal in den Bildungseinrichtungen ist auch hier wieder einmal jenes, das zusätzlich zu allen anderen Aufgaben auch diese bewältigen muss. Ob eine ausreichende Unterstützung, als psychosozialer Support, in dieser Hinsicht zu erwarten ist, ist derzeit noch offen.

 

Unbestritten ist, dass notwendiges Wissen, welches in der Volksschulzeit nicht aufgebaut werden kann, in der späteren schulischen Laufbahn nicht mehr aufzuholen ist und das hat wiederum volkswirtschaftliche Auswirkungen auf Jahrzehnte hin. Im Kindesalter gibt es ein sogenanntes Entwicklungsfenster für den Erwerb bestimmter Fähigkeiten. Besonders deutlich wird dies beim Spracherwerb, der in einem Zeitfenster vom dritten bis zum achten Lebensjahr stattfindet. Ähnlich verhält es sich mit der Zähl- und Rechenkompetenz. Erfahrungen, die in diesem Lebensalter nicht gemacht werden, lassen sich nur sehr schwer oder überhaupt nicht mehr kompensieren. Daher muss gewährleistet sein, dass jedem Kind die beste Begleitung und Unterstützung ermöglicht wird, um sich entfalten zu können und Grundlegendes zu erlernen. Dies ist jedoch unter den hier beschriebenen Umständen nicht möglich.

 

Die jüngsten Schüler*innen in den ersten beiden Schulstufen brauchen die meiste Unterstützung. Sie können nicht auf sich allein gestellt Arbeitsaufträge erfüllen, sie brauchen Hilfe, Anleitung und Zuwendung. Damit unsere Volksschullehrer*innen jedoch allen individuellen Bedürfnissen der Kinder in ihrer Vielschichtigkeit gerecht werden können, brauchen sie in den ersten beiden Schulstufen zwei Pädagog*innen in der Klasse, zumindest aber müssen in einem ersten Schritt die Leitgegenstände Deutsch und Mathematik mit einer zweiten pädagogischen Kraft besetzt sein. Teamteaching muss ermöglicht werden.

 

Um dieser Aufgabe zumindest ansatzweise gerecht zu werden, braucht es also für den kommenden Schulbeginn im Herbst 2022 dringend eine der Situation angepasste pädagogische Verstärkung und eine Erhöhung bei der Ressourcenzuteilung. Mit der momentan bestehenden Personalknappheit ist qualitativer Unterricht nicht mehr durchführbar. Personalreserven waren vor Corona schon meist nicht vorhanden und sind nun in kürzester Zeit nicht mehr verfügbar, Supplierungen stehen an der Tagesordnung und die Aufgaben, die an die Schulleiter*innen und Pädagog*innen übertragen werde, werden immer mehr. Die vom Bildungsministeriums angekündigten Entlastungen sind leere Worte – das Gegenteil ist der Fall. Die versprochenen 1000 Studierenden zur Unterstützung sind nach fast einem ganzen Schuljahr in den meisten Schulen nicht vorhanden.

 

In vielen Schulen wird derzeit, auch aufgrund der vielen Ausfälle durch Corona, gerade noch der Betrieb aufrecht erhalten, von Unterricht kann kaum die Rede sein. Und das seit Wochen. Unter schwierigsten Bedingungen werden dennoch täglich soziale Kompetenzen, Werte und Normen vermittelt. Vieles, das Kinder und Jugendliche zusätzlich brauchen, ist aber nicht mehr mit der Profession von Lehrer*innen abzudecken. Auch hier besteht dringender Bedarf in Form von sofort verfügbaren multiprofessionellen Teams. Die Pädagog*innen sind an ihren Belastungsgrenzen angelangt. Wie schlimm muss die Situation der Bildungseinrichtungen, die allesamt vor dem Kollaps stehen, noch fortschreiten, bis endlich Hilfe vom Bildungsministerium kommt? Die Bundesregierung setzt mit dieser Politik auch die Gesundheit eines ganzen Berufsstandes aufs Spiel!

 

Zusammenfassend ist nochmals zu betonen: Bildungsrückstände, die in den ersten zwei Schulstufen entstehen, bleiben ein Leben lang. Das darf von der Politik nicht bewusst in Kauf genommen werden! Eine verantwortungsvolle Bildungspolitik stärkt das Fundament. Es muss daher generell, aber in der momentanen Situation besonders, die absolute Priorität auf die Volksschulen im österreichischen Bildungssystem gelegt werden. Es ist die Pflicht unseres Staates, den Kindern in Österreich die bestmöglichen Bildungschancen zur Verfügung zu stellen. Volksschulen brauchen somit einen tatsächlichen Fördervorrang!

 

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehenden

 

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

„Die Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung werden aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage zu übermitteln, in der endlich der erhöhte Förderbedarf von Kindern in der Volksschule Berücksichtigung findet. In der daraus folgenden Konsequenz sollen ab dem Schuljahr 2022/2023 als ein erster Schritt in den ersten beiden Schulstufen in der Grundstufe I jedenfalls zwei Lehrkräfte zum Einsatz kommen, zumindest jedoch in den Leitgegenständen Deutsch und Mathematik.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zuweisungsvorschlag: Unterrichtsausschuss