2504/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 27.04.2022
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Entschließungsantrag

 

der Abgeordneten Gudrun Kugler, Faika El-Nagashi,

Kolleginnen und Kollegen

 

betreffend Gefängnisseelsorge als Teil der Religions- und Bekenntnisfreiheit

 

Menschenrechte - und damit auch das Recht auf Religions- und Bekenntnisfreiheit - gelten für alle, somit auch für Personen, die sich in Haft befinden. Das Recht auf Religions- und Bekenntnisfreiheit ist unter anderem durch die im Verfassungsrang stehende Europäische Menschenrechtskonvention aus 1950 in Artikel 9 wie folgt verankert:

 

„(1) Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, durch Ausübung und Betrachtung religiöser Gebräuche auszuüben.

(2) Die Religions- und Bekenntnisfreiheit darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind.“

 

Artikel 9 EMRK, der Gedanken-, Gewissens-, und Religionsfreiheit gemeinsam behandelt, hält also fest, dass ein Mensch sein Leben grundsätzlich nach seinen innersten Überzeugungen gestalten sowie diese Überzeugungen frei wählen und wechseln darf. Dazu gehört selbstverständlich auch das Recht, keine religiöse Überzeugung zu haben. Der Staat hat demnach eine menschenrechtliche Achtungs-, Schutz, und Gewährleistungspflicht, die freie geistig-seelische Entfaltung des Individuums zu ermöglichen. Folglich setzt das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit nicht nur Toleranz des Staates, sondern auch wechselseitige Toleranz der Menschen voraus.

 

Verhältnismäßige Einschränkungen der Bekenntnis- und Religionsfreiheit im Interesse der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, sind rechtlich nicht nur möglich, sondern unter Umständen geboten, etwa auch um eventueller Radikalisierung vorzubeugen. Grundsätzlich gilt es für Menschen im Freiheitsentzug jene Freiräume zu schaffen, die eine freie geistig-seelische persönliche Entfaltung erlauben. Dies entspricht auch einem wesentlichen Leitprinzip des Strafvollzugs, dem Prinzip der Normalisierung mit dem Ziel die Resozialisierung in die Gesellschaft bestmöglich zu erleichtern, sowie Marginalisierung und Entfremdung von Inhaftierten zu verhindern. So ist das Recht auf religiöse Praxis im Freiheitsentzug unter anderem Bestandteil der sog. „Standard Minimum Rules for the Treatment of Prisoners”, ein Dokument der Vereinten Nationen, das 1955 vom UNO Wirtschafts- und Sozialrat verabschiedet wurde (2015 in überarbeiteter Fassung als „Mandela Rules“ approbiert).

 

Im österreichischen Strafvollzugsgesetz (§ 85) ist das Recht auf Seelsorge sowie die Teilnahme an Gottesdiensten und anderen religiösen Veranstaltungen verankert. Als wichtiges Element zur Wahrung der Menschenrechte im Strafvollzug ist den Insassinnen und Insassen die Teilnahme an religiösen Angeboten und offiziell zugelassener Seelsorge sowie der Erhalt entsprechender religiöser Heilsmittel und religiöser Literatur zu ermöglichen, soweit die Sicherheit und Ordnung in den Justizanstalten dadurch nicht gefährdet wird.

 

Die Gefängnisseelsorge kann Menschen im Freiheitsentzug, aber auch Haftentlassenen und deren Angehörigen, intersubjektive Reflexionsräume sowie menschliche und spirituelle Hilfestellungen bieten. Die Gefängnisseelsorge kann somit auch einen nützlichen Beitrag zur erfolgreichen gesellschaftlichen Reintegration nach der Haftentlassung leisten. Die Bereitstellung entsprechender Ressourcen gewährleistet, dass Angehörigen aller Religionsgemeinschaften während der Haft und auch nach der Entlassung bei Bedarf beständige Angebote im Bereich der Gefängnisseelsorge zur Verfügung stehen.

 

Die österreichische Bundesregierung hat sich zu einem umfassenden Menschenrechtsschutz, der insbesondere vulnerable Gruppen wie Personen im Freiheitsentzug und Minderheiten betrifft, bekannt, und ausgedrückt, dass sie die Wahrung der Menschenrechte in allen Ressorts als Priorität anerkennt.

 

In diesem Sinn kommt auch der Gefängnisseelsorge in Österreich besondere Bedeutung zu, die im Rahmen der menschenrechtlichen Achtungs-, Schutz, und Gewährleistungspflichten zu fördern ist.


 

Daher stellen die unterfertigten Abgeordneten folgenden

 

Entschließungsantrag

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

„Die Bundesregierung wird ersucht,

1.    die Wahrung des Rechts von Gefängnisinsassen auf Religionsausübung und einen entsprechenden Zugang zu den Angeboten der Seelsorge sowie zu religiösen Veranstaltungen weiterhin zu sichern,

2.    die flächendeckende und bedarfsorientierte Seelsorge in österreichischen Justizanstalten für alle Religionsgemeinschaften abzusichern und

3.    die Zurverfügungstellung von religiösen Heilsmitteln in ausreichender Zahl weiterhin sicherzustellen, sofern dies ohne Gefährdung der Zwecke des Strafvollzuges möglich ist und die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt nicht gefährdet werden.

Damit eine ausreichende Beschickung von Seelsorgerinnen und Seelsorgern aller Religionsgemeinschaften in die Justizanstalten ermöglicht wird, nehmen die Bundesministerin für Justiz und der Bundesminister für Finanzen in Aussicht, Gespräche zur Bereitstellung der zusätzlichen budgetären Mittel im Vorfeld der Annahme des Budgets für das Finanzjahr 2023 zu führen.“

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Menschenrechte vorgeschlagen.