2661/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 15.06.2022
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

 

 

des Abgeordneten Dr. Martin Graf

und weiterer Abgeordneter

betreffend Aufrechterhaltung der rechtlichen Bestimmungen hinsichtlich der Aufnahme weiterer Länder in die Europäische Union

 

 

Um Mitgliedstaat der Europäischen Union werden zu können, ist ein Staat nicht nur dazu verpflichtet, die „Kopenhagener Kriterien“ zu erfüllen, sondern es bedarf auch eines einstimmigen Beschlusses aller EU-Mitgliedstaaten. Das EU-Recht sieht keine wie auch immer gearteten „Eilverfahren“ vor, ebenso wenig eine „Mitgliedschaft light“. Allerdings gibt es Instrumente des politischen Austausches und der Zusammenarbeit mit Drittstaaten, die Mitgliedstaaten der EU können bspw. Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) abschließen, ohne, dass daraus eine Mitgliedschaft des Drittstaates erfolgt.

 

Zwischen der Europäischen Union und der Ukraine besteht darüber hinaus bereits ein Assoziierungsabkommen, welches am 1. September 2017 in Kraft trat. Es ist durchaus verständlich, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor dem Hintergrund des russischen Angriffs versucht, sein Land möglichst schnell in die NATO und die EU zu führen. Dennoch entspricht es mitnichten den Tatsachen, dass die „Ukraine […] bereits de facto Mitglied der EU geworden“ ist, wie Selenskyj erst kürzlich ausführte (ORF.at 02.06.2022: Selenskyj: Ukraine „de facto schon EU-Mitglied“).

 

Essenziell ist auch, dass der Status als EU-Beitrittskandidat nicht losgelöst von rechtlichen Bestimmungen zu vergeben ist, wie Verfassungs- und Europaministerin Mag. Karoline Edtstadler erst kürzlich betonte: „Also zum ersten ist es so, dass die Kommission jetzt am Zug ist und ja auch wahrscheinlich noch vor dem europäischen Rat ihre Einschätzung präsentieren wird. Da geht es ganz konkret darum, dass auch anhand der Kopenhagener Kriterien beurteilt wird, ob eben die Ukraine einen Kandidatenstatus bekommen kann“. Und weiter: „Ich sage noch einmal, der erste Schritt ist jetzt aber mal abzuwarten, was die Kommission empfiehlt und Bosnien-Herzegowina wartet seit vielen, vielen Jahren auf diesen Kandidatenstatus, der im Übrigen ja auch an Bedingungen geknüpft ist und die erfüllt sein müssen, bevor der erteilt werden kann. So war es jedenfalls davor so“ (Report 07.06.2022: Neutralitätspolitik: Interview mit Karoline Edtstadler).

 

Die nun von europäischen Politikern – inklusive Kanzler Karl Nehammer und Außenminister Mag. Alexander Schallenberg – hastig vorgetragenen Wunschvorstellungen, die Ukraine in die Europäische Union zu führen, sind nicht nur äußerst unkonkret, sondern missachten darüber hinaus wesentliche politische, militärische, ökonomische und soziale Aspekte.

 

Zuallererst ist anzuführen, dass es sich bei der Ukraine um eine Kriegspartei handelt. Es sollte außer Frage stehen, dass die Europäische Union kein Land aufnehmen kann, welches sich gerade im Kriegszustand befindet. Ein derartiges Vorgehen würde Beistandspflichten auslösen und alle Mitgliedstaaten der EU in den militärischen Konflikt hineinziehen. Allein deswegen kann ein Beitritt der Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt kein ernsthaft angedachtes Thema sein.

 

Abgesehen von diesem militärischen Kriterium sprechen zahlreiche weitere Indikatoren gegen einen Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union. So ist das ukrainische Regime in der jüngsten Vergangenheit insbesondere durch Korruptionsanfälligkeit aufgefallen.

 

Erst im September 2021 (!) äußerte sich der Europäische Rechnungshof in seinem Sonderbericht zu dem Thema „Bekämpfung der Großkorruption in der Ukraine“ folgendermaßen: „Der Hof stellte fest, dass die EU zwar Reformen zur Bekämpfung von Korruption unterstützt sowie zur Reduzierung von Korruptionsgelegenheiten beigetragen hat, die Großkorruption jedoch nach wie vor ein zentrales Problem in der Ukraine ist. Die Justizreform erleidet derzeit Rückschläge, die Korruptionsbekämpfungseinrichtungen sind gefährdet und das Vertrauen in derartige Stellen ist nach wie vor gering, nur vereinzelt kommt es zu Verurteilungen wegen Großkorruption.

 

Die Korruption rührt hauptsächlich von Oligarchen und Interessengruppen in der Ukraine her, die für die Rechtsstaatlichkeit und die wirtschaftliche Entwicklung im Land das Haupthindernis darstellen. Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) und die Kommission waren sich der zahlreichen Verbindungen zwischen Oligarchen, hochrangigen Beamten, der Regierung, dem Parlament, der Justiz und der staatseigenen Unternehmen sehr wohl bewusst“ (Europäischer Rechnungshof 2021: Sonderbericht „Bekämpfung der Großkorruption in der Ukraine“).

 

Die Süddeutsche Zeitung kommentierte den Bericht wie folgt: „Seit über zwei Jahrzehnten versucht die EU, ihren ‚strategischen Partner‘ Ukraine zu fördern: mit Zuschüssen, Krediten und immer neuen Berater- und Förderprogrammen. Doch noch immer teilen Oligarchen, hohe Staatsdiener und korrupte Staatsanwälte und Richter den Staat unter sich auf, verschwinden Milliarden ins Ausland, ist die Ukraine mit wenigen Ausnahmen beim Aufbau eines Rechtsstaates ebenso wenig vorangekommen wie beim Kampf gegen die Korruption“ (Süddeutsche Zeitung 23.09.2021: Haus ohne Fundament).

 

Auch aus einer wirtschaftlichen Perspektive kann von einem Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union nur abgeraten werden. Das Bruttonationaleinkommen pro Kopf der Ukraine betrug 2020 3.540 US-Dollar. Damit ist das ökonomische Niveau niedriger als beispielsweise von Algerien (3.550), Swasiland (3.580), Sri Lanka (3.720) oder Namibia (4.520) (Statistisches Bundesamt 2022: Basistabelle Bruttonationaleinkommen je Einwohner).

 

Selbst Focus Online hält hinsichtlich eines potenziellen Beitritts der Ukraine fest: „Jedoch war das Land vor dem Krieg recht weit davon entfernt, die EU-Anforderungen an einen demokratischen und korruptionsfreien Rechtsstaat zu erfüllen. Die ukrainische Wirtschaft wäre innerhalb der EU voraussichtlich nicht konkurrenzfähig. […] Beim nächsten Angriff Russlands könnte Kiew darauf pochen, dass ihm laut den EU-Verträgen Unterstützung seiner europäischen Partner gegen militärische Aggression zusteht“ (Focus Online 23.05.2022: Voll demokratisch, oder total korrupt? Was für und gegen EU-Beitritt der Ukraine spricht).

 

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Ukraine zum einen weder die politischen, noch die wirtschaftlichen Anforderungen erfüllt, um den Kopenhagener Kriterien gerecht zu werden. Zum anderen wäre ein EU-Beitritt des Landes gleichbedeutend mit der Ausbreitung des Krieges in der Ostukraine auf ganz Europa. Ein derartiges Szenario darf niemals die Folge der Entscheidungen der Regierungen der EU-Mitgliedstaaten sein. So schrecklich der Krieg in der Ukraine auch ist, das Faktum, dass ein Staat in einen militärischen Konflikt involviert ist, kann nicht als Legitimation für einen Beitritt zur Europäischen Union herangezogen werden.

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 

Entschließungsantrag

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, die geltenden rechtlichen Bestimmungen zur Vergabe des Status des EU-Beitrittskandidaten und zur Aufnahme eines Staates in die Europäische Union zu achten und keine Ausnahmeregelungen für die Ukraine zu schaffen. Wenig spezifizierte Vorschläge wie eine „Mitgliedschaft light“ oder „Eilverfahren“ sind demnach abzulehnen.“

 

 

 

In formeller Hinsicht wird ersucht, diesen Entschließungsantrag dem Außenpolitischen Ausschuss zuzuweisen.