2693/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 06.07.2022
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Michael Bernhard, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Selbstverwaltung von Volksgruppen

 

In Österreich leben sechs anerkannte, autochthone Volksgruppen: die kroatische Volksgruppe, die slowenische Volksgruppe, die ungarische Volksgruppe, die tschechische Volksgruppe, die slowakische Volksgruppe, und die Volksgruppe der Roma. Diese Volksgruppen sind seit Jahrhunderten in Österreich verwurzelt, identifizieren sich mit der Republik Österreich und sind ein essenzieller Bestandteil unseres Landes. In unserer Bundesverfassung ist in Art. 8 Abs. 2 B-VG folgendes festgelegt: „Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zu ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt. Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern."

Die Volksgruppen und ihre Angehörigen bedürfen einer besonderen Förderung zum Erhalt ihres Bestandes als Gruppe, ihrer Sprache und Kultur. Bereits in den Arbeiten des Österreich Konvent wurde zutreffend hervorgehoben, dass die Frage der Einräumung kollektiver Rechte der Volksgruppen – in Ergänzung zu den individuellen Rechten der Volksgruppenangehörigen – eines der grundsätzlichen Probleme des Volksgruppenrechts ist, die einer Lösung durch den Gesetzgeber harren. Zudem wurde Österreich vom Europarat wiederholt zur „Sicherstellung eines konsistenten und umfassenden Rechtsschutzes“ [CN/ResCMN(2008)3] sowie zur „Gewährleistung des wirksamen Zugangs zu einem Rechtsbehelf zur Bekämpfung der Verweigerung von Minderheitenrechten“ [CN/ResCMN(2017)6] aufgefordert.

Um die gewachsene sprachliche und kulturelle Vielfalt der Volksgruppen bestmöglich zu wahren und zu fördern, rechtlich – wie politisch – relevante Möglichkeit der Artikulierung des Willens der Volksgruppe bis hin zur dezentralen Besorgung der eigenen Angelegenheiten zu gewährleisten, steht die körperschaftliche Organisation und Selbstverwaltung der Volksgruppen zur Diskussion. Dabei geht es einerseits darum, den in Österreich anerkannten Volksgruppen die Selbstverwaltung der inneren Angelegenheiten zu ermöglichen, wie auch eine gemeinschaftliche Vertretung der Interessen der Volksgruppe gegenüber der Republik und eine Ergänzung des Rechtsschutzes zu generieren. Die Selbstverwaltung der Volksgruppen hat zum Ziel, moderne und repräsentative Organe mit Rechtspersönlichkeit für die Volksgruppen zu schaffen, die eine demokratische Vertretung der Volksgruppeninteressen gewährleisten. Das betrifft zum einen beispielsweise die Übermittlung von Vorschlägen im Bereich der Volksgruppenpolitik an die gesetzgebenden Körperschaften, die Abgabe von Stellungnahmen zu relevanten Entwürfen, das Abhalten von Kursen, Lehrgängen und Fachvorträgen, wie auch die Dokumentation von Verletzungen von Rechtsvorschriften und die Vertretung und Beratung von Angehörigen der Volksgruppen. Zum anderen betrifft es eine Ergänzung des Rechtsschutzes insofern, als eine rechtliche Durchsetzmöglichkeit betreffend solche Normen geschaffen werden soll, die nicht auf das Individuum, sondern auf die Volksgruppe abstellen, aber de lege lata nicht geltend gemacht werden können.

Als Voraussetzung für die Einrichtung einer Volksgruppe als Körperschaft öffentlichen Rechts wird ein formales Begehren, das an den Bundeskanzler gerichtet wurde, diskutiert. Für jene Volksgruppen, die keine körperschaftliche Organisation wünschen, sollen beim Bundeskanzleramt weiterhin Volksgruppenbeiräte eingerichtet werden. 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für EU und Verfassung in Zusammenarbeit mit der Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien und der Bundesministerin für Justiz, wird aufgefordert, gemeinsam mit den Vertreter_innen der in Österreich anerkannten autochthonen Volksgruppen eine Neukodifikation der verfassungsrechtlichen Volksgruppenrechte zur Sicherung und Förderung ihres Bestandes, der Sprache und Kultur, der Erziehung und Bildung, der medialen Versorgung und Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzsystems sowie ein Modell zur Selbstverwaltung für Volksgruppen zu erstellen, welches folgende grundlegende Bereiche beinhaltet:

·         Erarbeitung eines Systems für die Wahl der Vertretungskörperschaften

·         Sicherstellung der finanziellen Zuwendungen vom Bund an die Vertretungskörperschaften, damit sie dem Erhalt und der Sicherung des Bestandes der Volksgruppen, ihres Volkstums, sowie ihrer Eigenschaften und Rechte, ihrer Sprache, Kultur und Bildung in folgenden Bereichen nachkommen können:

o   Wahrnehmung der den Volksgruppen nach nationalen und internationalen Rechtsvorschriften eingeräumten Rechte vor Bundes- und Landesbehörden, den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts sowie den Organen nach der EMRK

o   Rechtliche Beratung und Vertretung von Angehörigen der Volksgruppen in Volksgruppenangelegenheiten

o   Erfüllung der Aufgaben der Vertretungskörperschaften (bspw. die Vertretung der Volksgruppen nach innen und außen, die Wahrnehmung gesetzlich eingeräumter Mitwirkungsrechte, die Übermittlung von Vorschlägen und Stellungnahmen zu volksgruppenrelevanten Themen und Entwürfen, Abhaltung von Kursen und Lehrgängen und die Dokumentation von Verletzungen von Rechtsvorschriften)

o   Förderung von volksgruppenrelevanten Publikationsorganen

o   Aufwertung eines gleichwertigen muttersprachlichen Bildungsangebots für alle Volksgruppen."

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Verfassungsausschuss vorgeschlagen.