2716/A(E) XXVII. GP
Eingebracht am 08.07.2022
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Entschließungsantrag
der Abgeordneten Nurten Yilmaz, Petra Tanzler
Genossinnen und Genossen
betreffend evidenzbasierte Sprachförderung an Österreichs Schulen
Seit 1. September 2018 werden außerordentliche Schüler*innen in so genannten Deutschförderklassen separiert. Für die Feststellung des (außer-)ordentlichen Status und die Zuteilung in Deutschförderklassen oder Deutschförderkursen steht seit April 2019 mit MIKA-D (Messinstrument zur Kompetenzanalyse-Deutsch) ein Instrument für den flächendeckenden Einsatz zur Verfügung, das verpflichtend in Verbindung mit der Schüler*inneneinschreibung oder Testung von außerordentlichen Schüler/innen anzuwenden ist.
Die angehenden Schüler*innen müssen diese Kompetenzüberprüfung für Deutsch positiv absolvieren. Durch diesen punktuellen Test werden Kinder bereits im Vorschulalter bewertet. Die Testungen werden von Expert*innen als methodisch nicht valide beurteilt, ein punktuelles Testverfahren ist für die tatsächliche Kompetenzerfassung nicht adäquat und die Testung für die Eltern der Kinder völlig intransparent. Stattdessen bräuchte es eine längerfristige Beobachtung durch Pädagog*innen, um den Förderbedarf festzustellen und geeignete Förderinstrumente auszuwählen. Nur so können Kinder in ihrer Entwicklung und im allgemeinen Lernfortschritt unterstützt werden.
Vehemente Kritik aus Expert*innenkreisen gab es von Beginn an auch an den Deutschförderklassen. Die Unterrichtssprache Deutsch ist eine wichtige Ressource für den Bildungserfolg in Österreich. Sie bedarf folglich wirksamer, evidenzbasierter Förderung, um gerechte Bildungschancen zu ermöglichen und gesellschaftlicher Fragmentierung entgegenzuwirken. Wirksame Sprachförderung sollte etwa möglichst frühzeitig beginnen, da dann der natürliche Erwerb einer Zweitsprache noch einfacher gelingt. Vor allem aber wird von Expert*innen eine kontinuierliche und langfristige Förderung empfohlen – die Sprachlernforschung spricht von mindestens fünf Jahren, die es für einen nachhaltigen Erwerb von bildungssprachlichen Kompetenzen in der Zweitsprache braucht (anders als bei alltagssprachlichen Kompetenzen, die rascher gefestigt sind).
Ein zweiter Aspekt der Expert*innen-Empfehlungen betrifft die Rolle von Erst- und Zweitsprachen für den Lernprozess: So wird einerseits als entscheidend herausgestrichen, dass Kinder und Jugendliche eine Zweitsprache vor allem im sprachlichen Austausch mit gleichaltrigen, sprachkompetenten Peers erwerben – d.h. die Lehrkraft sollte nicht das einzige Sprachvorbild in der zu erlernenden Sprache bleiben. Hinzu kommt dabei der soziale Aspekt ausreichender Anbindung an die Peers: Denn eine weitreichende Trennung von Schüler*innen bereits im Volksschulalter kann sich negativ auf deren Persönlichkeitsentwicklung auswirken. Vor allem aber darf bei der Förderung einer Zweitsprache die Erstsprache nicht vergessen werden. Denn nicht nur ist Mehrsprachigkeit an sich – wenn entsprechend gefördert – eine zentrale Ressource für Menschen, Erstsprachen sind auch eine wichtige Basis für das Erlernen von Deutsch als Zweitsprache.
Weiters braucht es ein möglichst direktes Betreuungsverhältnis, welches der Lehrkraft erlaubt, auf die individuellen Voraussetzungen der Schüler*innen einzugehen. Je niedriger das Ausgangsniveau, desto kleiner sollte also die Lerngruppe sein, so die wissenschaftliche Empfehlung. Insgesamt sollte Sprachförderung nicht derart exklusiv gestaltet sein, dass andere Lerninhalte keinen Platz mehr haben. Anders gesagt: Sprachförderung und Fachunterricht sollten sich nicht ausschließen, denn Kinder bedürfen ja auch in allen übrigen Lerngegenständen einer altersadäquaten Förderung.
Fazit ist daher, dass sich die Wissenschaft sowie internationale Studien deutlich für den integrativen Unterricht in der Bildungssprache aussprechen. Entscheidend für das Erlernen von Deutsch als Zweitsprache ist neben dem Kontakt zu Kindern, die Deutsch als Erstsprache sprechen, ein guter Betreuungsschlüssel – beides ist in den Deutschförderklassen nicht gewährleistet. Die Aneignung der deutschen Sprache ist für den Bildungserfolg maßgeblich, aber der Schlüssel dafür ist nicht die Schaffung von Parallelstrukturen an Schulen mittels Deutschförderklassen und die Ausgrenzung mehrsprachiger Kinder aus der Regelklasse. Hier wird Populismus auf dem Rücken von Kindern betrieben.
Daher stellen die unterfertigten Abgeordneten folgenden
Entschließungsantrag
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung wird aufgefordert, ein Modell der Sprachförderung nach neuersten wissenschaftlichen Erkenntnissen mit einem langfristigen, durchgängigen und direkten Ansatz, der soziale Integration berücksichtigt, zu etablieren und regelmäßig evidenzbasiert weiterzuentwickeln. Dieses Modell soll jedenfalls kleinere Gruppen, Kontinuität über bis zu 6 Jahre und die Verbindung von altersgerechtem Sprach- und Fachunterricht enthalten.“
Zuweisungsvorschlag: Unterrichtsausschuss