2889/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 13.10.2022
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Entschließungsantrag

 

des Abgeordneten MMMag. Dr. Axel Kassegger

und weiterer Abgeordneter

betreffend Beendigung der unwürdigen und unangebrachten ÖVP-Charmeoffensive gegenüber der Türkei

 

 

Doppelmoral zeichnet die Europa- und Außenpolitik der ÖVP seit Jahren aus. Während vor dem Hintergrund des Krieges zwischen der Ukraine und Russland, zweier Drittstaaten, die österreichische Neutralität am Altar des transatlantischen Mainstreams geopfert wurde, werden direkte Bedrohungen gegen Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit freundschaftlichen Gesten quittiert.

 

Wie sonst soll man die Charmeoffensive führender ÖVP-Politiker gegenüber dem autokratischen Regime des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zusammenfassen?

 

Seit 2016 besetzten türkische Streitkräfte in mehreren Offensiven vollkommen völkerrechtswidrig syrische Gebiete. „Im Fall der türkischen Syrien-Invasion sind die Voraussetzungen für eine Berufung auf Artikel 51 [laut] Völkerrechtsexperten aber keinesfalls gegeben. Es handelt sich laut Experten um einen Missbrauch des anerkannten Selbstverteidigungsrechts“ (Wiener Zeitung 10.10.2019: Die Türkei bricht mit ihrem Syrien-Einsatz Völkerrecht). Zivile Todesopfer, Angriffe auf die zivile Infrastruktur, Vertreibungen und Enteignungen sind charakteristisch für die türkischen Angriffskriege. Auch der Irak wurde erst im April dieses Jahres – kaum zwei Monate nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine – neuerlich von türkischen Streitkräften überfallen.

 

Der deutsche Tagesspiegel hält dazu lapidar fest: „Frühjahrsoffensiven der türkischen Armee im Irak gibt es fast jedes Jahr“ (Tagesspiegel 20.05.2022: Laut Bundestags-Gutachten: Türkischer Einmarsch im Irak völkerrechtswidrig). Die österreichische Medienlandschaft ignoriert diese Brüche des Völkerrechts weitestgehend, obwohl die Türkei feste Stützpunkte auf irakischem Boden hält.

 

Doch die aggressive türkische Außenpolitik endet nicht im Nahen Osten, sondern richtet sich auch gegen die EU-Mitgliedstaaten Griechenland und Zypern. Am 16. September 2022 hielt die Tageszeitung „Die Presse“ fest: „Seit Jahresbeginn haben türkische Kampfbomber fast 6000 Mal den griechischen Luftraum über der Ägäis verletzt“ (Die Presse 16.09.2022: Eskalation im Konflikt mit Athen). Anfang September drohte Erdoğan den Griechen offen mit Krieg. „Wenn die Zeit gekommen ist, werden wir das Nötige tun. Eines Nachts können wir kommen“, ließ der türkische Präsident verlautbaren (Tagesschau 06.09.2022: Erdogan droht Griechenland „Eines Nachts können wir kommen“). Am 6. Oktober bekräftigte Erdoğan seine Drohung: „Welches Land auch immer uns stört, welches Land auch immer uns angreift, unsere Reaktion wird immer sein zu sagen: Wir könnten zweifellos mitten in der Nacht kommen“ (APA 06.10.2022: Erdogan erneuert Drohung an Griechenland).

 

Gegenüber der griechischen Insel Samos hielt Erdoğan erst im Juni 2022 ein Militärmanöver ab, welches die Einnahme eines Küstenabschnittes durch Landungstruppen proben sollte. „Samos ist eine von 22 Inseln, deren Zugehörigkeit zu Griechenland die Türkei jetzt infrage stellt. Auch auf Rhodos, Kos, Patmos und Lesbos meldet Erdogan jetzt Ansprüche an. […] Der Konflikt schwelt seit vielen Jahren. Aber erstmals stellt jetzt die Türkei die Souveränität Griechenlands über diese Inseln offen infrage – und probt in Militärmanövern demonstrativ Landungsoperationen. Der Kalte Krieg in der Ägäis droht in einen heißen Konflikt umzuschlagen“ (RND 13.06.2022: Droht wirklich Krieg zwischen der Türkei und Griechenland?).

 

Auch ökonomische Interessen begründen die griechenlandfeindliche Außenpolitik der Türkei: „In Athen rechnet man damit, dass die Türkei in den nächsten Wochen mit Bohrschiffen, eskortiert von Fregatten, zwischen den griechischen Inseln Kreta, Karpathos und Rhodos aufkreuzen wird, um nach Erdgas zu suchen. Die Seegebiete gehören nach der UN-Seerechtskonvention als Wirtschaftszone zu Griechenland. Aber die Türkei erkennt das Seerecht der Vereinten Nationen nicht an“ (RND 13.06.2022: Droht wirklich Krieg zwischen der Türkei und Griechenland?).

 

Devlet Bahceli, Chef der Partei MHP und Erdoğans Koalitionspartner, forciert ebenfalls eine Eskalation, wenn er die Inseln Rhodos, Patmos und Kos als „Fortsetzung Anatoliens“ bezeichnet. Bahceli: „Die gestohlenen Inseln müssen dem Eigentümer zurückgegeben werden – entweder aus freien Stücken, oder mit Gewalt“ (RND 13.06.2022: Droht wirklich Krieg zwischen der Türkei und Griechenland?).

 

Die Türkei droht demnach einem EU-Mitgliedstaat offen und unverhohlen mit Krieg, missachtet und bedroht griechischen Luftraum und die UN-Seerechtskonvention. Die Verstöße gegen das internationale Seerecht dienen dabei auch ökonomischen Zwecken. Eine erst kürzlich verabschiedete Absichtserklärung über die Erkundung von Kohlenwasserstoffen zwischen der Türkei und der Regierung von Tripolis stellt Griechenlands Hoheitsgewässer südlich der Insel Kreta infrage (Euractiv 05.10.2022: Nach Russland stellt nun die Türkei Europas Territorium infrage).

 

Darüber hinaus unternimmt die Türkei Bohrtätigkeiten, welche gegen die Hoheitsgewalt der Republik Zypern verstoßen. Zudem führt die Türkei seit geraumer Zeit eine andere Art der hybriden Kriegsführung gegen den EU-Mitgliedstaat Zypern: Denn wie Weißrussland im vergangenen Jahr gegenüber Polen, forciert die Türkei systematisch die illegale Migration nach Zypern. „80 Prozent der illegalen Zuwanderer kommen per Flugzeug aus der Türkei nach Nordzypern und überqueren dann die Demarkationslinie, die zwischen dem türkisch besetzten Teil der Insel und der Republik Zypern verläuft“ (RND 08.11.2021: Neues Beobachtungssystem: Zypern will Migranten aus der Türkei stoppen). Die Bedrohungslage ist real: Zypern verzeichnete 2021 die meisten Asylanträge pro Kopf aller EU-Mitgliedstaaten.

 

Man sollte in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass drei UNFICYP-Friedenssoldaten aus Österreich 1974 bei einem türkischen Luftangriff ums Leben kamen.

 

Im Vergleich mit anderen internationalen Konflikten stellt sich nun natürlich die Frage, welcherart die Reaktion der Europäischen Union und jene Österreichs ist. Erschütternd ist es festzustellen, dass es jüngst eine Charmeoffensive führender ÖVP-Politiker gegenüber dem Aggressor Türkei gab.

 

Im Juni kam es zu einem Treffen zwischen Erdoğan und ÖVP-Kanzler Karl Nehammer, welcher die Türken als wichtigen Partner bezeichnete. „Wir wollen den begonnenen Weg der Annäherung und den konstruktiven Dialog fortsetzen“, so Nehammer. Dieser sprach auch von dem „Beginn eines entspannteren Verhältnisses“ (oe24 30.06.2022: Nehammer nach Treffen mit Erdogan: „Keine Verstimmung spürbar“).

 

Nationalratspräsident Mag. Wolfgang Sobotka reiste diesen Sommer in die Türkei und traf – vor dem Hintergrund der türkischen Überfälle auf mehrere angrenzende Staaten – die doch sehr verblüffende Aussage: „,Man [die Türkei] ist interessiert, mit allen Nachbarstaaten in gutem Einvernehmen zu sein‘, sagte der Nationalratspräsident. Erdogan wolle sich als ‚Friedensvermittler oder Friedensfürst‘ zeigen. […] Österreich und die Türkei wollten ihre bilateralen Beziehungen ‚in verschiedensten Bereichen intensivieren‘, sagte Sobotka. […] Offen zeigte sich Sobotka, was Erdogans Bestrebungen betrifft, die türkische Community weiterhin finanziell unterstützen zu können. […] Das Treffen mit Nehammer am Mittwoch sehe Erdogan als ‚Fortsetzung des Normalisierungsprozesses‘ zwischen Wien und Ankara“ (Kurier 27.06.2022: Sobotka nach Treffen mit Erdoğan: Ankara nicht mehr an EU-Beitritt interessiert).

 

Wie falsch der ÖVP-Nationalratspräsident mit seinen Ausführungen lag, ist an folgenden Zeitungszitaten abzulesen:Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist nach dem Eindruck von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) nicht mehr an einem EU-Beitritt seines Landes interessiert“ (Kurier 27.06.2022: Sobotka nach Treffen mit Erdoğan: Ankara nicht mehr an EU-Beitritt interessiert). Wenige Tage später hält die Tageszeitung „Die Presse“ fest: „Die Regierung [der Türkei] fordert eine Wiederaufnahme der eingefrorenen Beitrittsverhandlungen“ (Die Presse 05.07.2022:

Ankara hält am Beitrittsprozess mit der EU fest). Sobotkas außenpolitisches Gespür ist demnach enden wollend dazu geeignet, die bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und der Türkei zu regeln.

 

Auch Bundespräsident Dr. Alexander Van der Bellen stützt diesen Kurs der schwarz-grünen Bundesregierung: „Die bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und der Türkei haben sich in diesem Jahr sehr positiv entwickelt. […] Es gilt diese Dynamik aufrecht zu erhalten“, so Van der Bellen (APA 21.09.2022: UNO - Van der Bellen traf Erdogan: „Positive bilaterale Entwicklung“).

 

Anstatt eine Charmeoffensive gegenüber dem türkischen Präsidenten zu führen, sollte die österreichische Bundesregierung im Verbund mit den anderen Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten die Türkei in die Schranken weisen: Zuallererst muss der Türkei der Status als EU-Beitrittskandidat entzogen und die EU-Außengrenze zur Türkei nahtlos gesichert werden. Ähnlich der Reaktion Polens gegenüber dem Erpressungsversuch von Lukaschenko, so würde auch hier ein effektiver Grenzschutz Unbestechlichkeit in Migrationsfragen garantieren.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

Entschließungsantrag

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, völkerrechtswidrige Angriffskriege der Türkei und Drohgebärden des türkischen Regimes gegenüber EU-Mitgliedstaaten zu verurteilen. Des Weiteren wird die Bundesregierung aufgefordert, sich auf europäischer Ebene für eine Beendigung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und einen effektiven und lückenlosen Grenzschutz an der EU-Außengrenze zur Türkei einzusetzen.“

 

 

 

In formeller Hinsicht wird ersucht, diesen Entschließungsantrag dem Außenpolitischen Ausschuss zuzuweisen.