3222/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 01.03.2023
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Petra Tanzler,

Genossinnen und Genossen

betreffend Umsetzung eines gesamtheitlichen Erwachsenenbildungspakets

Unsere Gesellschaft und damit die Berufswelt mitsamt allen Anforderungen befindet sich in einem immer schneller werdenden Wandel. Hat man früher einen Beruf ergriffen und in diesem fast das gesamte Erwerbsleben verbracht, so ist das in der heutigen Zeit oft gar nicht mehr möglich. Weiterbildung und Umorientierung sind bereits jetzt und werden in der Zukunft noch wichtiger werden, damit Österreich wirtschaftlich stark und wettbewerbsfähig bleibt. Wir brauchen gut ausgebildete Fachkräfte in allen Bereichen. Daher hört Bildung nicht nach der Schule im Kindheits- und Jugendalter auf, sondern muss allen zu jeder Zeit möglich sein. Es kann nicht sein, dass sich Bildung nur jene leisten können, die dementsprechend finanziell aufgestellt sind – weder bei Kindern und Jugendlichen, noch im Erwachsenenalter.

Erwachsenenbildung als öffentliches Gut muss daher für alle Menschen in Österreich in allen Lebensphasen zugänglich sein. Unabhängig von Alter, Geschlecht und Herkunft kann Erwachsenenbildung so den Horizont erweitern. Erwachsenenbildung kann flexibel und innovativ auf die Anforderungen aus gesellschaftlichem Wandel und einem dynamischen Arbeitsmarkt reagieren und so die aktuell benötigten Qualifikationen für die Arbeitswelt schaffen. Zusätzlich kann nur so der Anschluss an den technologischen Fortschritt vollzogen werden. Einzelne Ministerien versuchen bereits Maßnahmen in diese Richtung zu setzen, langanhaltende Veränderungen können aber nur mit einer ganzheitlichen Denkweise erzielt werden.

Lebensbegleitendes Lernen entwickelt die Persönlichkeit, erhöht die berufliche Mobilität und eröffnet neue Perspektiven. Nicht zuletzt dient die Erwachsenenbildung auch der Bewältigung relevanter gesellschaftlicher Herausforderungen. Kurz: Wirtschaft und Demokratie brauchen die Erwachsenenbildung, sie liegt daher in öffentlicher Verantwortung. Das bedeutet auch, dass die Politik gesetzliche Rahmenbedingungen vorgeben muss und eine ausreichende, zielgruppenorientierte, langfristige Finanzierung der Erwachsenenbildung sicherzustellen hat.

Um die Bildungssituation der Erwachsenen in Österreich zu verbessern und das Recht auf lebenslanges, begleitendes Lernen auch tatsächlich zu gewährleisten, braucht es vor allem in Anbetracht der aktuellen Umstände und der immensen Teuerung dringend Maßnahmen vonseiten des Bundes. Aus diesem Grund wird die Erstellung eines „Erwachsenenbildungspakets“ vorgeschlagen, welches zumindest folgende (Haupt)-Punkte beinhalten sollte:

·         Weiterbildungs- und Validierungsstrategie mit klaren Zielsetzungen

Diese legen die Eckpfeiler für eine integrative, umfassende, kompensatorische Weiterbildung fest. Hier müssen klare Zielvorstellungen auch in Abstimmung zu den Ergebnissen der PIACC-Studie[1] (2010: 1 Mio. Menschen in Österreich besitzt nur unzureichende Grundkompetenzen) entwickelt werden. Ziel ist, dass der Erwerb und das Nachholen von zeitgemäßen Schlüsselkompetenzen jederzeit für alle Bürger*innen zugänglich ist. Niederschwellig sollen Menschen ihre Kompetenzen aber auch bewerten, anerkennen und ergänzen lassen können. Sämtliche Gleichhaltungs-, Berufsanerkennungs- und Nostrifizierungsverfahren werden auf ihre Zeitgemäßheit geprüft. Die daraus resultierenden Kompetenznachweise müssen arbeitsmarktkompatibel, europäisch anerkannt und kostenfrei zugänglich sein. Auch ein an das duale Ausbildungssystem angelehntes Weiterbildungssystem mit entsprechenden Abschlüssen soll es Menschen im Erwachsenenalter ermöglichen, ein neues signalstarkes Bildungszertifikat zu erlangen. Diese Weiterbildungen sollen im Vergleich zur Erstausbildung verkürzt werden und modular strukturiert sein. Um hier eine sinnvolle Strategie zu erstellen und die Erwachsenenbildung strukturiert aufzubauen, braucht es eindeutig geregelte Zuständigkeiten und die Koordinierung durch das Bildungsministerium.

·         Finanzierung und Sicherung eines langfristigen Bestandes an Erwachsenenbildungseinrichtungen

Das staatliche Budget für die Förderung der Erwachsenenbildung gilt es deutlich anzuheben. Zusätzlich ist eine sinnvolle Verschränkung mit arbeitsmarktpolitischen Strategien notwendig. Insgesamt muss 1% des Unterrichtsbudgets des Bildungsministeriums für die Erwachsenenbildung freigemacht und als öffentliche Ausgabe von Bund, Ländern und Gemeinden aufgewandt werden (rund 100 Mio. Euro). Die Leistungsvereinbarungen mit der KEBÖ, der Konferenz der Erwachsenenbildung Österreichs, einer Arbeitsplattform der im Erwachsenenbildungs-Förderungsgesetz von 1973 anerkannten Österreichischen Erwachsenenbildungsverbände, sollen weitergeführt und jährlich valorisiert werden.

·         Erweiterung und Verbesserung von schulisch erworbenem Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten

Der Erwerb und das Nachholen von Grundkompetenzen (Lesen, Schreiben, Rechnen, digitale Grundkompetenzen, Englisch, Problemlösen) werden im Programm „Initiative Erwachsenenbildung“ in einen Rahmen gefasst. Dieses Programm muss ausgebaut, flächendeckend angeboten und kostenfrei zugänglich sein. Dafür gilt es, die Finanzierung auch dementsprechend langfristig gesetzlich abzusichern (momentan besteht eine lückenhafte staatliche Finanzierung und eine periodische Befristung). Die Kontingentierung beim Modell „Lehre mit Matura“ muss aufgehoben und die Pro-Kopf-Förderung valorisiert werden. Beim Nachholen von Bildungsabschlüssen wie der Berufsreifeprüfung werden die Fragen der Zentralmatura durch alternative, erwachsenengerechte Prüfungs-Modelle ersetzt.

·         Breiter Zugang zu Bildungsmaßnahmen

Technologischer Wandel, Digitalisierung, Dekarbonisierung und weitere rasante Veränderungen in der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt verlangen von den Beschäftigten eine rasche Anpassungsleistung an veränderte Qualifikationen. Es sind die Unternehmen, die insbesondere von aktuell qualifizierten Arbeitnehmer*innen profitieren. Betriebe haben daher die Zeit und die Finanzierung für betriebsbezogene Weiterbildung zur Verfügung zu stellen. Mit der Schaffung eines österreichweiten Aus- und Weiterbildungsfonds, dessen Finanzierung durch Beiträge der Unternehmen (1 Prozent der Jahres- Brutto- Lohnsumme) getragen wird, gelingt der Ausgleich zwischen Unternehmen und Arbeitnehmer*innen. Ein Rechtsanspruch auf eine Woche Weiterbildung (beruflich oder persönlich) pro Arbeitnehmer*in und die dazu passende Freistellung komplettiert den verbesserten Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen. Auch ein neues „Qualifizierungsgeld“ in Stipendium-Form, welches Erwachsenen eine berufliche Neu-Orientierung ohne betriebliche Anbindung ermöglicht, soll altersunabhängig einführt werden.

Der Intention dieses Maßnahmenpakets folgend, ist die Bundesregierung aufgefordert, die Bedeutung der Erwachsenenbildung anzuerkennen, Maßnahmen zur Verbesserung der Situation zu setzen und die Umsetzung des Rechts auf lebenslanges Lernen zu gewährleisten.

Aus diesem Grund stellen die unterzeichneten Abgeordneten nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung werden aufgefordert, dem Nationalrat ein Maßnahmenpaket zur Förderung der Erwachsenenbildung vorzulegen. Das Paket hat jedenfalls zu enthalten:

-          Nationale Weiterbildungs- und Validierungsstrategie mit klaren Zielvorstellungen

-          Erhöhung des Budgets für die Erwachsenenbildung

-          Eindeutige Zuständigkeiten und Koordinierung der Erwachsenenbildung im Bildungsministerium

-          Prüfung der Gleichhaltungs-, Berufsankerkennungs- und Nostrifizierungsverfahren

-          Gesicherte Weiterführung und jährliche Valorisierung der Leistungsvereinbarungen mit der KEBÖ

-          „Initiative Erwachsenenbildung“ flächendeckend ausbauen, gesichert finanzieren und kostenfrei zugänglich anbieten

-          Kontingentierung bei „Lehre mit Matura“ aufheben und die Pro-Kopf-Förderung valorisieren

-          Einführung eines österreichweiten Aus- und Weiterbildungsfonds, der sich durch Beiträge der Unternehmen speist

-          Rechtsanspruch auf jährlich eine Woche Weiterbildung (beruflich oder persönlich) und die dazu passende Arbeitsfreistellung

-          Einführung eines „Qualifizierungsgeldes“ in Stipendium-Form, welches Erwachsenen eine berufliche Neu-Orientierung ermöglicht.“

 

In formeller Hinsicht wird um Zuweisung an den Unterrichtsausschuss ersucht.



[1] PIAAC (Programme for the International Assessment of Adult Competencies) ist eine fortlaufende internationale Studie zur Untersuchung von Schlüsselkompetenzen (Lesefähigkeit, alltagsmathematische Fähigkeit und adaptives Problemlösen), die für Erwachsene im Alter von 16 bis 65 Jahren wichtig sind, um am täglichen gesellschaftlichen Leben aktiv teilzunehmen.