3274/A(E) XXVII. GP
Eingebracht am 29.03.2023
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Mag. Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen
betreffend Abschaffung der Anmeldebescheinigungen für EWR-Bürger:innen
In Österreich besteht seit dem Jahr 2006 für EWR-Bürger:innen (EU-Bürger:innen, Isländer:innen, Liechtensteiner:innen und Norweger:innen), die sich länger als 3 Monate im Staatsgebiet aufhalten, eine Verpflichtung den Aufenthalt binnen 4 Monaten ab Einreise anzuzeigen und eine Anmeldebescheinigung zu beantragen. Gleiches gilt für ihre Angehörigen, sofern diese selbst EWR-Bürger:innen sind (§§ 51-53 NAG). Die Beantragung einer Anmeldebescheinigung erfolgt unabhängig von der Anmeldung des Wohnsitzes bei der Meldestelle, welche innerhalb von drei Tagen ab Einreise erfolgen soll.1
In Theorie existiert die Anmeldebescheinigung, um Sozialbetrug zu verhindern. In der Praxis ist die betrugsbekämpfende Wirkung jedoch fragwürdig und verursacht die Anmeldebescheinigung jährlich Kosten in Millionenhöhe. Für die Beantragung der Mindestsicherung ist beispielsweise keine Anmeldebescheinigung notwendig, denn dieser Anspruch wird sinngemäß mit Versicherungszeiten geprüft. Außerdem liegen Pass und falls nötig Meldezettel vor, um die Nationalität und den Lebensmittelpunkt zu prüfen. Etwaige Bezieher:innen müssen für die meisten existenzsichernden Sozialleistungen wie Sozialhilfe und einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld erwerbstätig sein bzw. gewesen sein und würden somit die Anforderungen für die Anmeldebescheinigung ohnehin erfüllen. Und auch Unionsbürger:innen, die die Anforderungen zweifellos erfüllen - beispielsweise durch eine Erwerbstätigkeit in Österreich - droht im Falle einer mangelnden Anmeldebescheinigung eine Geldstrafe von 50 EUR bis zu 250 EUR bzw. ein Freiheitsentzug im Ausmaß von bis zu einer Woche.
Darüber hinaus ist seit Jahren höchstgerichtlich klargestellt, dass das Vorliegen einer Anmeldebescheinigung keine Auswirkung auf einen Sozialleistungsanspruch hat, sondern sich nur auf das Aufenthaltsrecht bezieht: „Da sich eine Anmeldebescheinigung nur auf das Aufenthaltsrecht bezieht, hat ihre (im Übrigen nur deklarativ wirkende) Ausstellung keine Auswirkung auf den Sozialleistungsanspruch“, so der Oberste Gerichtshof (GZ 10ObS15/16b).2 Gesetzlich ist dies nicht ausdrücklich geregelt, sondern ergibt sich daraus, dass das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht erst durch die Bescheinigung der Einwanderungsbehörden entsteht, sondern unabhängig davon besteht. Die Bescheinigung bestätigt lediglich, dass das Aufenthaltsrecht besteht. Darüber hinaus lässt sich Sozialbetrug, viel mehr als durch eine einmalig ausgestellte Bescheinigung, durch gezielte Anforderungen, Stichprobenuntersuchungen sowie Datenverknüpfung, um Unregelmäßigkeiten aufzuspüren, bekämpfen.
Aus der Beantwortung zur NEOS-Anfrage 12620/J ergab sich, dass allein die Vordrucke der Anmeldebescheinigung pro Jahr ca. 35.000€ kosten.3 Der größte Kostentreiber ist allerdings bei den Personalressourcen zu finden. So kostet in Wien die Ausstellung von Anmeldebescheinigungen jedes Jahr ca. 2 Millionen Euro. Laut Zahlen aus dem Wiener Integrationsmonitor 2020 und dem statistischem Jahrbuch 2022 des ÖIF entfielen fast 40% der EU-Zuzüge auf Wien.4 Schätzungsweise verursacht die Anmeldebescheinigung österreichweit also rund 5 Millionen Euro Kosten pro Jahr. In der Beantwortung zur NEOS-Anfrage 12620/J wurden seitens des Innenministeriums keine Angaben dazu gemacht, in wie vielen Fällen die Anmeldebescheinigung Sozialbetrug nachweislich verhindern konnte und welche Kosten dadurch erspart wurden. des Weiteren wurde laut Innenministerium die Anmeldebescheinigung seit ihrer Einführung noch nie auf Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit evaluiert.
Die Anforderung einer Anmeldebescheinigung ist europaweit eine Seltenheit: Neben Belgien, Luxemburg und Spanien ist Österreich das einzige Land in der EU, das eine Anmeldebescheinigung für EWR-Bürger:innen vorsieht – gemäß Art 8 Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG ist letztere nämlich nicht verpflichtend, sondern nur fakultativ. Einige Mitgliedstaaten, die eine Anmeldebescheinigung eingeführt hatten, haben diese aufgrund fehlender Sinnhaftigkeit rasch wieder abgeschafft. Als die Niederlande die Anmeldebescheinigung im Jahr 2014 abschafften, wurde u.a. folgendes hervorgehoben: "Da es sich bei der Anmeldebescheinigung um eine Momentaufnahme handelt, bietet sie keine Gewissheit über den Fortbestand des Aufenthaltsrechts, […] Was die Zahlungsfähigkeit oder die Sicherheitsleistung der betreffenden Person betrifft, so sind andere Beweismittel geeigneter."5 Weiters haben die Niederlande auf ein günstigeres und zielgerichteteres System umgeschwenkt - die Prüfung im Verdachtsfall. Personaleinsparungen im Ausmaß von 32.100 Stunden pro Jahr wurden hierdurch erzielt.
Schlussendlich stellt die zusätzliche Anmeldepflicht für EWR-Bürger:innen einen Widerspruch zum europäischen Gedanken dar, insbesondere zum Prinzip der Freizügigkeit der Unionsbürger:innen - ein europäischer Grundwert, zu dem Österreich sich eigentlich bekennt.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
Der Nationalrat wolle beschließen:
"Die Bundesregierung,
insbesondere der Bundesminister für Inneres, wird dazu aufgefordert, die
Anmeldebescheinigung für EWR-Bürger:innen abzuschaffen und durch die
Möglichkeit einer Prüfung des rechtmäßigen Aufenthalts im
Verdachtsfall zu ersetzen."
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für innere Angelegenheiten vorgeschlagen.